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Zu Merkmalen der Fachtexte
Anatoli Mirskij (Linguistische Universität Minsk, Belarus) [BIO]
Email: mirskij@tut.by
ABSTRACT:
Die wachsende Bedeutung der Fachsprachen für unser Leben hat nicht nur Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, sondern auch Politiker, Kulturkritiker und Journalisten dazu angeregt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Sie alle betonen den Facettenreichtum dieses Gegenstandes.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird versucht, eine integrative Vorstellung des Begriffs "Fachsprache" zu skizzieren, die möglichst breite Zustimmung finden und die weit auseinander liegenden Ansätze – die stilistisch-statistischen, die soziolinguistischen, die kultur-philosophischen und die historischen – konkreter miteinander ins Gespräch bringen könnte.
Wenn die Fachlichkeit als ein besonderer Umgang mit der Welt bezeichnet wird, so soll dieses Verhältnis als ein kognitives zu verstehen sein. In diesem Sinne liegen dann der Fachsprache drei Systeme zugrunde: ein System von erkannten und kausal geordneten Entitäten, ein System von Abstraktionsprodukten (Begriffen, Konstrukten) und ein System sprachlicher Zeichen.
Eine solche Auffassung der Fachsprache verlangt, dass die faktische Ausbildung der Fachlichkeit gar nicht ohne das Hilfsmittel "Sprache" denkbar ist und dass die Entstehung des Expertentums als tatsächliche Grundlage der Fachlichkeit anerkannt wird. Dabei müssen zwei Aspekte des Expertentums in Betracht gezogen werden: zum einen beruht das Expertentum natürlich auf einer Spezialisierung des Wissens und Könnens (und das bedeutet zwangsläufig Parzellierung der Gegenstände oder Betätigungsfelder), denn niemand kann alles können. Zum zweiten beschränkt sich das Experten- oder Spezialistentum auf einen bestimmten Aspekt der Gegenstände. So ist die Aspektualisierung auch ein wesentliches Merkmal der Fachlichkeit. Diese beiden Momente erklären nun die Vielfalt der existierenden "Fächer". Das nächste wesentliche Merkmal der Fachtexte ist ihre Sachlichkeit, d.h. in solchen Texten zählen Argumente, nicht die Person, die sie vorbringt.
Die sprachlichen Merkmale existieren in diesem Fall auf allen sprachlichen Ebenen. Beginnen wir mit der Lexik der Fachsprachen. Die Bedeutungen fachsprachlicher Ausdrücke sind abstrakter als die allgemeinsprachlichen. Die Bedeutungen der letzteren sind prototypisch, d.h. nach Kern und Rand strukturiert. Fachtexte arbeiten im allgemeinen nicht mit Prototypenbegriffen. Sie streben nach Wortbedeutungen, die scharf eingegrenzt sind, so dass die Zugehörigkeit eines Exemplars zu einer Kategorie eine Frage des Entweder-Oder ist.
Auch auf der Ebene der Grammatik gibt es Unterschiede. Im allgemeinen spaltet sich die Frage nach der fachsprachenspezifischen Grammatik in die Frage nach den Bestandspezifika und die Frage nach den Frequenzspezifika auf. Es gibt, wie die Untersuchungen zeigen, nur vereinzelt Bestandspezifika, aber eine außerordentlich große Menge von Frequenzspezifika (mit der Sondergruppe der Umfangsspezifika).
Es besteht gegenwärtig das Desiderat, den Fachtext als Forschungsgegenstand der Fachsprachenlinguistik noch mehr in den Vordergrund zu stellen. Betrachtet man die Klassifikation von Fachtextsorten und die Analyse der Fachtextstruktur als die beiden dringlichsten Aufgaben so ist die getrennte Erledigung dieser beiden Aufgaben die Bedingung dafür, sie miteinander in Beziehung zu setzen. Die sprachlichen Untersuchungen sind hier aufgerufen, die Spezifika der Fachtexte nachzuweisen.
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