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Chinas Konfuzius-Offensive. Eine Herausforderung für die Wissensgesellschaft des Westens
Manfred Osten [BIO]
Email (c/o): d.broemme@gmx.de
ABSTRACT:
China ist auf dem Wege, nicht nur die internationalen Wirtschaftsbeziehungen seit Jahren zu verändern und den Westen immer stärker unter Reformdruck zu setzen. China beginnt inzwischen auch jene Domäne zu seinen Gunsten zu verändern, in der sich der Westen bislang als überlegen betrachtet hat: im Know-How Bereich der Bildung, Wissenschaft, Forschung und Hochtechnologie. Europa betrachtet diese Umwälzungen bislang leider nur aus der Zaungast-Perspektive. Obgleich sich China inzwischen öffentlich zu einer Renaissance jener bis heute ungebrochen wirkmächtigsten Staats- und Gesellschaftslehre bekannt hat, die in Ostasien seit über 2.500 Jahren unter dem Namen Konfuzianismus lebendig ist. Eine Staats- und Gesellschaftslehre, die in China mit dem allgemein präsenten Bewusstsein verbunden ist, daß es noch bis zum 17. Jahrhundert die technologisch fortschrittlichste Nation der Welt war. Diesen Status gilt es jetzt wieder zu erreichen durch Rückgriff auf eine 2.500 Jahre alte Erkenntnis des Philosophen Konfuzius: daß nämlich das Lernen, daß die Bildung das höchste Gut ist in einem rohstoffarmen Land.
China ist hierbei erfolgreich auf dem Wege, den akademischen brain drain, vor allem nach den USA, umzukehren: Von den 600.000 chinesischen Auslandsstudenten der letzten 20 Jahre sind inzwischen fast 200.000 nach China zurückgekehrt als sogenannte hai gui. Wobei hai das chinesische Wort für das Meer ist. Und gui steht für Zurückkehren, aber auch für die Schildkröte. Das bekannteste staatliche Werbeprogramm für die Rückgewinnung dieser akademischen Meeresschildkröten ist das sogenannte Hundred Talents Program, das den im Ausland befindlichen chinesischen Eliten unter anderem anbietet: höhere Gehälter, eine Wohnung und bis zu 200.000 € für das Zusammenstellen von Forschungsteams.
Das Ergebnis ist jedenfalls eine rapide wachsende Wissensgesellschaft in einem Land, das inzwischen noch einen weiteren Weltrekord im Know-How-Bereich aufweisen kann. In keinem anderen Land steigen zur Zeit so sprunghaft die privaten Bildungsausgaben und -Rücklagen wie in China. Nach Expertenschätzungen gaben chinesische Eltern über 90 Milliarden Dollar aus für die Ausbildung ihrer Kinder.
Die Leistungs- und Motivationsgrundlagen für diese ehrgeizige Zielsetzungen werden in China – anders als im Westen – bewußt im frühestmöglichen Kindesalter – also in der Zeit größtmöglicher Plastizität des menschlichen Gehirns – gelegt Diese sehr frühe Förderung ist in China inzwischen routinemäßig verbunden mit gezieltem frühkindlichen Erwerb englischer Sprachkenntnisse und einer starken Ausbildung musischer Kompetenz vor allem durch Ballett- und Klavierunterricht. Dieser hohe intellektuelle Wettbewerbsdruck setzt sich von der Kindheit an fort und kulminiert in den dreitägigen rigorosen Aufnahmeprüfungen der Universitäten. Eine Prüfungstradition, die zum festen Kanon des Konfuzianismus spätestens seit der Han-Zeit (seit 200 Jahre vor Christus) zählt.
Ergänzt wird Chinas Bildungsstrategie seit Ende der 90er Jahre mit einem umfassenden und gezielten Bildungsreform-Programm. Es ist geplant, erkannte Nachteile zu korrigieren bis spätestens 2010 durch neue Curricula, neue Schulbücher und stärker Diskurs- und dialogorientierten Englischunterricht unter der Mitwirkung angelsächsischer Reformpädagogen.
Man muß die eben erwähnten Hintergrundinformationen zur Know-how-Entwicklung in China kennen, um ermessen zu können, welche kultur- und bildungspolitischen Dimensionen sich seit Anfang 2006 hinter einer außenkulturpolititschen Initiative Chinas verbergen. Die Rede ist von der geplanten Errichtung von über 100 Konfuzius-Instituten weltweit bis 2010. Sie sind mitkonzipiert als Wegbereiter chinesischen Denkens unter anderem im Sinne jener bereits erwähnten höchsten Priorität des Lernens, die seit 2500 Jahren das geistige Rückrat der chinesischen Hochkultur bildet. Als geistiges Transmissionsband soll hierbei das Erlernen der chinesischen Sprache dienen - mit der Zielsetzung, daß 2010 über 100 Millionen Menschen außerhalb Chinas die chinesische Sprache erlernen sollen.
Hinzu kommt der inzwischen durch neurowissenschaftliche Untersuchungen bestätigte Vorteil, daß beim frühkindlichen Erlernen der chinesischen Symbol- und Tonhöhensprache eine doppelte frühe Kompetenz erworben wird: eine hohe Sprach- und Lesefähigkeit, und dies im notwendigen Verbund mit hoher frühkindlicher Leistungs- und Motivationsbereitschaft. Das heißt, man nutzt in China – anders als bei uns – die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse über die Zeit der größten frühkindlichen Lernfähigkeit des Gehirns in der sogenannten emotionalen Phase bis zum 3. und 4. Lebensjahr. Vor allem werden neuronale Vernetzungen musischer und rationaler Art gefördert durch frühe Konzentrationsleistungen, erstens durch die Notwendigkeit korrekten Schreibens und zweitens durch intensive Gehörschulung für die fünf Tonhöhen der chinesischen Hochsprache. Drittens durch hohe Anforderungen an die Fähigkeit schneller Worterkennung als Bedingung einer guten Lesefähigkeit und viertens durch die Entwicklung einer guten Memorierfähigkeit auf Grund neuronaler Bildung von Langzeit-Engrammen beim Schreiben der Ideogramme mit der Hand.
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