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<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive
Kunst der Transfiguration. Gesundheit, Krankheit und Wissen
Michaela Putzke (Universität Regensburg) [BIO]
Email: Michaela.Putzke@sprachlit.uni-regensburg.de
ABSTRACT:
‚Krankheit’ erscheint in der Medizin wie auch in literarisch-philosophischen Phantasien als physiologischer, psychischer und sozialer Ausnahmezustand, der gerne als Phänomen der Anormalität und der organischen, sozialen, oder psychisch-geistigen Abweichung diskutiert wird. Als solcher stimuliert er- besonders im 19. und 20. Jahrhundert- literarische Phantasien, die unter dem Schlagwort „Krankheit als Metapher“ (Susan Sontag) diskutiert werden. Während die Gesundheit unsichtbar und unartikuliert bleibt (solange man sie hat; Gadamer, Die Verborgenheit der Gesundheit) scheint Krankheit als Abweichung von einer Norm, die zum Anstoß beispielsweise moralischer Bedenken, wissenstheoretischer Überlegungen und (literarischer) Phantasien werden kann.
Georges Canguilhem, der französische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker (Gesundheit. Eine Frage der Philosophie, dt. 2004) setzt sich mit Krankheit als Ausnahmezustand und Gesundheit als „Normalität“ auseinander. (Das Normale und das Pathologische (1974), Der Tod des Menschen im Denken des Lebens (1988), zus. mit Michel Foucault). Das Zusammenspiel von medizinischem Wissen und subjektivem Körper erweist sich als problematisch. Zwischen dem Patienten, „der sich selbst als Richter über die eigene Krankheit“ begreift (Gesundheit als subjektives Wohlbefinden), und Krankheit als medizinischer Kategorie ergibt sich eine Spannung, die von der Medizin nur schwer gelöst werden kann. Die Sprache des Arztes und die Sprache des Kranken treten in Konflikt, wenn die Sprache der Medizin als Sprache anerkannt ist, der Sprache des Kranken jedoch als einem „Kauderwelsch“ die Würde einer Sprache verweigert wird. (vgl. Canguilhem, Gesundheit, S. 34–35).
Gerade dieser Konflikt ist es jedoch, der Krankheit zu einem solchen beliebten Gegenstand der Philosophie und Literatur werden lässt: das medizinische Wissen um die Krankheit erscheint defizitär, das objektive, berechenbare, rein geistige medizinischen Wissens fragwürdig – Krankheit in der Literatur wird zum Austragungsort einer umfassenden Wissens- und Wissenschaftskritik. Dies zeigt sich in den Reflexionen und Texten von Friedrich Nietzsche: Unter dem „Druck der Krankheit“ entstehen „unwillkürliche Abwege, Seitengassen, Ruhestellen, Sonnenstellen des Gedankens, auf die leidende Denker gerade als Leidende geführt und verführt werden“ (Die fröhliche Wissenschaft).
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