<<< Repräsentation von Transformationsprozessen in der Gegenwartsliteratur

 

„Auf dem Körper geschrieben“
Zu Leibhaftig von Christa Wolf

Galina M. Sassejewa (Vladikavkaz / Nordossetien)

Email: galina_sassejewa@mail.ru

 

ABSTRACT:

Die Erzählung Leibhaftig (2002), zeichenhaft für die Rückkehr der ostdeutschen Autorin aus der antiken Mythologie (Kassandra 1983, Medea. Stimmen 1998) in die Gegenwart, stellt ein Lebensabschnitt einer Frau dar, deren lebensbedrohliche Erkrankung die Agonie einer kurz vor dem Umbruch stehenden Gesellschaft in metaphorischer Form repräsentiert.

Die Protagonistin, die sich einst den Verhältnissen und Anforderungen des Systems angepasst hat, was für sie Überleben hieß, verdrängte bestimmte Situationen und Zustände. Und das Verdrängte, also das ihrerseits nicht Bewusstgemachte und Reflektierte, wird als Ursache der jetzigen Krankheit angesehen, durch den Zusammenbruch des Körpers also leibhaftig manifestiert.

In dem Beitrag soll zwei Erzählsträngen nachgegangen werden: zum einen dem, welcher körperliche – am eigenen Leibe erlebte – Gefährdung schildert, zum anderen die Vergegenwärtigung des Verdrängten (Verrat, Angst, Falschheit, Passivität, Zurückhaltung). Zwischen den akut auftretenden Krankheitsphasen (Herz-Anfall, Gehör-Schaden, Schüttelfrost-Anfall u.ä.) und den erinnerten Rückblicken lassen sich Zusammenhänge zum vorherigen Handeln des erzählenden Ich rekonstruieren.

Das Erinnern ist das einzige, was dem Ich geblieben ist, und ihm den Weg zur Befreiung bahnt, Erinnern heisst für das Ich, das einmal Erlebte ver-gegenwärtigen, das Vergangene wieder-holen und somit verhilft es der Frau, sich von der dem Gewissen zur Last fallenden Vergangenheit zu befreien. Nachdem das Ich die „dunklen“ Flecken in seiner Vergangenheit bloßgestellt, sich davon quasi befreit hat, ist es auf dem Wege zur Genesung.