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Ökonomisierungstendenzen im religiösen Feld
Jens Schlamelcher (Lehrstuhl für Religionswissenschaft, Ruhr-Universtität Bochum) [BIO]
Email: jens.schlamelcher@rub.de
ABSTRACT:
Ökonomisierung scheint eine Tendenz zu sein, die eine Vielzahl sozialer Felder beziehungsweise funktionaler Systeme erfasst. Während sie für andere Felder wie beispielsweise die Politik, die Wissenschaft, die Erziehung und das Feld der Fürsorge relativ gut dokumentiert sind, steht die Untersuchung der Ökonomisierung des religiösen Felds noch weitgehend aus. Dieser Vortrag soll einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke leisten.
Thema des Vortrags sind somit semantische und strukturelle Ökonomisierungstendenzen im religiösen Feld mit Fokussierung auf Entwicklungen der beiden großen Kirchen in Deutschland.
Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich innerhalb der Religionswissenschaft ein vermeintlicher „Paradigm shift“ hin zu einer neoklassisch-ökonomischen Betrachtung religiöser Phänomene gegenüber anderen Ansätzen wie z.B. Jenen der Säkularisierung oder der der „unsichtbaren Religion“ durchgesetzt. Religiöse Gemeinschaften und Organisationen werden darin als Unternehmen gedeutet, die religiöse Produkte wie beispielsweise ‚afterlife consumption’ Kunden anbieten. Theoretisch wie empirisch heftig umstritten ist derzeit die Frage nach der Markteffizienzhypothese, die besagt, dass sich mit einer größeren Zahl religiöser Anbieter die Qualität religiöser Produkte verbessere und aufgrund dessen mehr Menschen als Kunden an diesem religiösen Markt partizipieren würden.
Die wissenssoziologisch fundierte Frage, auf die hier eingegangen werden soll, ist, ob die Popularität von Marktansätzen in der Religionswissenschaft mit strukturellen und semantischen Veränderungen im religiösen Feld konvergiert, die sich mit dem Konzept der Ökonomisierung erfassen lassen.
Was das neureligiöse Spektrum anbetrifft, so ist die zunehmende Markförmigkeit relativ gut dokumentiert. Soziale Beziehungen gestalten sich hier vorwiegend marktförmig, insofern religiöse Anbieter von Ayyurveda über Neo-schamanischen Praktiken bis hin zu Zen- Mediationen ihr Angebot in Form von kostenpflichtigen Kursen, Workshops oder Einzel- bzw. Gruppentherapien anbieten.
Wie jedoch verhält es sich in den beiden Großkirchen? In ihrer Außendarstellung äußern die Kirchen massive Kritik an einer ‚Ökonomisierung der Lebenswelt’ und die Ausdehnung des Kapitalismus auf immer weitere Lebensbereiche. Blickt man jedoch auf die semantischen und strukturellen Veränderungen, so hat seit Mitte der neunziger Jahre ein massiver Ökonomisierungsprozess in den Kirchen Einzug gehalten. Während die Kirchen strukturell zunehmend von gemeinschaftsförmigen Beziehungen auf Anbieter-Kundenbeziehungen umstellen und neue Management- und Führungstechniken wie das Qualitätsmanagement, Controlling und Marketing unter intensiver Beratung durch Unternehmensberatungen implementieren, hat sich semantisch ein Diskursfeld um das Selbstbild der Kirche eröffnet, das affirmativ oder ablehnend um die Frage kreist, ob sie sich legitim als Unternehmen begreifen kann und soll. Die Kirchenleitungen auf nationaler Ebene (EKD, Deutsche Bischofskonferenz) und auf Ebene der Landeskirchen bzw. Bistümer haben sich bewusst auf einen Prozess kirchlicher Ökonomisierung festgelegt.
Allerdings erscheint es fragwürdig, ob die Kirchen durch eine Ökonomisierungsprogrammatik ihre Primärprobleme des Mitgliederschwunds und des zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlustes lösen können. So zeichnen sich zunehmende Entfremdungserscheinungen zwischen kirchlicher Basis und der Kirchenleitung ab. Außerdem geraten die Kirchen in eine zunehmende Glaubwürdigkeitskrise, da sie immer weniger den Anschein vermitteln (können), dass es ihnen um die Sache selbst (Gott) und nicht um die Maximierung ihrer Mitgliederzahlen geht.
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