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Der französische Einfluss auf die kontinentaleuropäische Rechtssprache
Jakob Wüest (Universität Zürich) [BIO]
Email: wueest@rom.uzh.ch
ABSTRACT:
Im Rahmen der römisch-germanischen Rechtstradition auf dem europäischen Kontinent hat der französische Einfluss im 19. Jahrhundert auch in sprachlicher Hinsicht zu einer gewissen Vereinheitlichung beigetragen, auch wenn dieser Einfluss heute eher rückläufig ist.
Zu erwähnen ist zuvorderst der code Napoléon von 1804, dem bis heute eine Vorbildfunktion auf dem europäischen Kontinent und sogar darüber hinaus zukommt. So ist augenscheinlich der Gebrauch des Präsens Indikativ in Gesetzestexten dem Einfluss des code Napoléon zuzuschreiben. In älteren Gesetzestexten wurde stattdessen in den romanischen Ländern zumeist das Futur, in deutschsprachigen dagegen das Modalverb sollen verwendet, das dem im Englischen immer noch gebrauchten shall entspricht.
Dieser Vortrag soll sich jedoch in erster Linie mit der Sprache der Gerichtsurteile befassen. Auch in diesem Fall war dereinst das in einem Satz verfasste französische Gerichtsurteil modellbildend. Es entsprach damit dem Anspruch auf Konzision, den die französische Juristensprache erhebt, erweist sich aber bei der heutigen Länge vieler Urteile als unpraktisch. Außerhalb Frankreichs scheint einzig noch Belgien diese Form (mit Einschränkungen) gewahrt zu haben.
Ohnehin erweist es sich, dass für die Form der Gerichtsurteile — selbst in mehrsprachigen Ländern — die Landesgrenzen und nicht die Sprachgrenzen entscheidend sind. So zeigen die schweizerischen Gerichtsurteile in allen Landessprachen den gleichen Aufbau, der sich an denjenigen der französischen Urteile anlehnt, und sich dagegen deutlich vom in Deutschland und Österreich gebräuchlichen Aufbau unterscheidet.
Ich habe mich (Wüest 2002) mit dem Gebrauch sprachlicher Mittel in deutsch- und französischsprachigen Urteilen des eidgenössischen Bundesgerichts befasst und gedenke in diesem Vortrag den Vergleich auf weitere Länder auszudehnen.
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