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Jonglerie der Erinnerung
Körperbilder als Schauplatz des Gedächtnisses bei Walter BenjaminYanagibashi, Daisuke (Universität Tokio, Japan) [BIO]
Email: yngbshdisk@yahoo.co.jp
ABSTRACT:
Das Erinnerte gelte nur dann als wahr, wenn es dem in der Vergangenheit Geschehenen exakt entspricht, so der Historismus. Es ist jedoch grundsätzlich nicht vorstellbar, sich eine in dem Sinne rein objektive historische Erkenntnis zu sichern, insofern sich das Gegenwärtige immer schon in den Umgang mit dem Vergangenen einmischt. Wenn von einer Kreativität des Gedächtnisses bzw. der Erinnerung die Rede sein kann, soll der historistischen, angeblich objektiven Erkenntnis eine subjektiv erzählerische bzw. perspektivische entgegengesetzt werden.
Neben der durch den New Historicism eingeführten Unterscheidung zwischen der Geschichte und Geschichten setzt jedoch Walter Benjamin in Bezug auf das Medium des Gedächtnisses auch noch eine andere zwischen Geschichte(n) und Bildern ein; eine mémoire involontaire, deren Konzept er aus Proust entnimmt und dem der mémoire volontaire gegenüberstellt, weicht vom letzteren u.a. in zweierlei Hinsicht ab:
- Abwesenheit des subjektiven Willens zur Erinnerung,
- Vorrang der Bilder vor der begrifflichen Sprache. Demzufolge ruft der Erinnerungsprozess keine erzählten Geschichten, sondern eine Reihe unberechenbarer zerstreuter Bilder hervor. Es sei nach Benjamin jene »vergessenste Fremde«, und zwar »unser Körper«, die den Schauplatz der zwar gespeicherten, aber vom eigenen Ich nicht gewussten bzw. vergessenen Bilder anbietet.
Der Vortrag geht dem Thema anhand von einer metaphorischen Figur für einen körperlichen Erinnerungsakt nach: der Jonglerie. Benjamin schildert die Artistik an mehreren Stellen als eine Prozedur der Erinnerung (Re-Membering); je mehr man den Willen des Ichs durch körperliche Übung mit Absicht mindere bzw. »abdanken« lasse, desto leichter gelinge einem der Prozess der mémoire involontaire. Durch die vorliegende Untersuchung soll der folgende paradoxe – akrobatische – Sachverhalt erläutert werden, dass Erinnerung keine Wiederbegegnung mit dem vom Ich erlebten Vergangenen, sondern eine Erfahrung vorher nie gesehener Bilder bezeichnet.
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