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Die Souveränität der Übersetzung als ein transkulturelles und postmodernes Phänomen
Faruk Yücel (Dokuz Eylül Universität)
Email: faruk.yucel@deu.edu.tr
ABSTRACT:
Obwohl das Übersetzen so alt wie die Schrift ist, wurde es aus verschiedenen Gründen immer als eine minderwertige oder sekundäre Handlung angesehen. Daher wurde der Originaltext im Gegensatz zur Übersetzung als einmalig und ‚unantastbar’ bewertet. Die Übersetzung konnte nur eine schlechte Nachahmung oder eine Abbildung sein, die im Schatten des Originals lag. Dieser Auffassung zur Folge konnte die autonome Textwelt des Originals als eine einheitliche Struktur nur in der Ausgangssprache existieren. Verschiedenartige Übersetzungen eines Textes waren ein Zeichen der Ungleichwertigkeit mit dem Originaltext. Klassische und ‚moderne’ Tendenzen in geisteswissenschaftlichen Bereichen gingen davon aus, dass Texte bestimmte normative Eigenschaften besitzen, die sie von anderen Eigenschaften differenzieren. Die Übersetzung weichte zum Teil diesen Auffassungen aus, weil sie als eine Art ‚Mischform’ angesehen wurde, die nicht zur Ausgangstextwelt, sondern auch mit ihrer ‚Eigenartigkeit’ nicht zur Zieltextwelt angehörte.
In dieser Studie wird versucht, den Paradigmawechsel, der zuerst in der Romantik dann am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in der Übersetzung stattfand, theoretisch zu analysieren. Die Infragestellung und die kritische Stellung postmoderner Auffassungen gegenüber den Textklassifizierungen haben dazu geführt, dass Übersetzungen wie das Original als selbständige/autonome Texte bewertet wurden. Hier soll hinterfragt werden, wie sich die Rolle der Übersetzung einerseits für die Ziel- und andererseits für die Ausgangskultur aus postmoderner Perspektive verändert hat. Schon im neunzehnten Jahrhundert haben romantische Schriftsteller/Übersetzer darauf hingewiesen, dass die Übersetzung aus mancher Hinsicht dem Original souverän ist. Im ersten Teil meiner Arbeit soll zuerst dargestellt werden, wie die Position der Übersetzung in der Romantik dazu geführt hat, dass die Übersetzung durch die Betonung ihrer Fremdheit als Zeichen der Kulturdifferenz interpretiert wurde. Hier soll gezeigt werden, warum es für die Romantiker relevant war, die Kulturdifferenzen in der Übersetzung zu betonen.
Der Zusammenhang zwischen Kultur und Übersetzung wird in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert von funktions- und kulturorientierten Übersetzungstheorien intensiver bearbeitet. Manche Übersetzungstheorien, wie die Skopostheorie von Vermeer oder die Deskriptiven Translationsstudien von Toury und die Polysystemstudien von Even-Zohar, die im Mittelpunk der Übersetzung die Zielkultur setzen, gehen davon aus, dass die Übersetzung eine bestimmte Funktion und Rolle in der Zielkultur besitzt. Interkulturelle und kommunikative Eigenschaften der Übersetzung kommen in diesen Theorien in den Vordergrund. Wie diese Einstellungen die Übersetzung zu einem transkulturellen Phänomen geführt haben, soll in dieser Arbeit dargestellt werden. Transkultur wird hier nicht im Sinne einer Übertragung von einer Kultur in eine andere Kultur verstanden, sondern als eine ‚Mischform’, die einerseits von beiden Kulturen geprägt wird, aber andererseits beide Kulturen übersteigt und eine neue Texttradition in der Zielkultur hervorbringt.
Im zweiten Teil dieser Arbeit werden postmoderne Auffassungen, hauptsächlich Derridas Theorien, der als Hauptvertreter des Dekonstruktionalismus gilt, im Zusammenhang mit übersetzungstheoretischen Aspekten analysiert. Wie bei den romantischen und ausgangskulturorientierten Übersetzungsauffassungen wird auch hier auf die Souveränität der Übersetzung hingewiesen. Die Übersetzung als ein transkulturelles Phänomen scheint aus dekonstruktivistischer Perspektive ein geeignetes Beispiel zu sein, um zu zeigen, wie jeder Text und jede Übersetzung sowohl einmalig als auch dynamisch ist.
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