Filmemacher und Regisseur Hengstler in den Bergen
Der Autor:
Willi Hengstler;
geb. 1944, Studium der Rechtswissenschaften, Arbeit am Institut für
Arbeits- und Sozialrecht, Uni Graz. Als Autor Veröffentlichungen u.a.
in Manuskripte, Protokolle und bei Suhrkamp (Die letzte Premiere); als
Filmemacher zahlreiche Dokumentationen und 2 Spielfilme (Fegefeuer, Tief
Oben), Shows & Events, Steir. Landesausstellung "Wallfahrt" (inhaltlich
- gestalterische Leitung). Filmpreise: Viennalepreis, Preis der Zeitungsleser
Saarbrücken. Literatur: Buchebner Preis, Theodor-Körner Preis.
Kulturseminare
Terminübersicht
Pressemitteilungen
Zu den Kulturseminaren
DarstellerInnen Peter Simonischek
und Katharina Konstantin
Szenenfoto aus "Tief Oben"
© Filmladen (Wien)
Filminfo: Tief oben
Regie: Willi Hengstler
Junge Männer begeben sich im 16. Jahrhundert in
höchste Gefahr, um "tief oben" - in einem Stollen des Erzberges -
nach geheimnisvollen Kristallen zu suchen.
Einige von ihnen kehren von der Suche nach diesem Symbol
der vollkommenen Liebe nicht zurück. Im 20. Jahrhundert versucht
die Studentin Barbara dieser Sage ihres Heimatortes nachzugehen.
Szenenfoto aus "Tief Oben"
© Filmladen (Wien)
Kulturseminare
Terminübersicht
Pressemitteilungen
Zu den Kulturseminaren
|
"Tief oben"
Einführungsvortrag zum gleichnamigen Film
Willi Hengstler (Graz)
Einleitung
Ich danke Ihnen für diese Einladung und das Interesse meinem Film.
Die Aufgabe, Tief Oben selber einzuleiten, erfüllt mich allerdings
mit leichtem Unbehagen. So etwas läuft meistens auf eine angestrengte
Eigeninterpretation hinaus. Ziemlich häufig sind es allerdings die
nicht so besonders guten Künstler, die – möglicherweise weil
sie ihren Arbeiten nicht zutrauen selbst für sich zu sprechen – ihre
Kunden, also die Rezipienten mit Eigeninterpretationen langweilen. Bitte
verstehen sie mich nicht falsch. Es ist mir bewußt, daß
auch die Realisierung des Gegenteils – nämlich über seine Arbeiten
zu schweigen – keine Garantie für gute Kunst bedeutet.
Berg – Höhepunkt – Aristoteles – Freytag'sches Dreieck – Drehbücher
Ich versuche also der Selbstbeschreibung mit einem sehr allgemeinen Beginn
zu entgehen:
Der letzte, große Höhepunkt, das finale Show Down findet
meist an einem besonders ausgesetzten Ort statt.
Jedenfalls war das so in der guten alten Zeit, als Film noch nicht
aus unaufhörlich aneinandergereihten Höhepunkten um jeden Trick
und Preis bestanden:
-
In Raoul Walsh' "Teufelsbrigade" etwa als Messerduell unter Wasser ohne
Atemgerät;
-
in Scorseses "Cape of Fear" der Kampf zwischen Nick Nolte und Robert de
Niro auf einem führerlos durch die wilden Wasser dahinschiessenden
Schiff;
-
in White Heat schießt Cagney von einem Öltank herunter und geht
mit ihm in die Luft;
-
in Howard Hawks „Der tiefe Schlaf“ führen die Mörderin
und der Detektiv die entscheidende Auseinandersetzuung im Schatten der
Pumpen für die Ölförderung.
Diese der Katastrophe oder der Karthasis gewidmeten Orte sind visuelle
Verdichtungen, Zuspitzungen der Gesamtatmosphäre, visuelle Kürzel
für die spezifische Sensibilität des Filmes. In Pulp Fiction
wird Travolta lesend am WC von Bruce Willis erschossen; ein anderer Höhepunkt
dieses kreisförmig gebauten, auf die klassische dreiaktige Dramaturgie
verzichtenden Filmes findet in einem Restaurant, wieder ein anderer in
einem Keller statt. Diese Orte können, müssen aber nicht herausragen.
Ein Art künstlicher Berg z.B. ist die höchste Kuppel der bretonischen
Burg, auf der sich Kirk Douglas und Tony Curtis in "Die Wikinger"
den letzten Kampf liefern. Und ein schon wieder klassischer künstlicher
Berg findet sich in "Blade Runner" bei der Auseinandersetzung
zwischen Rutger Hauer und Harrison Ford am Dach eines Wolkenkratzers.
Und natürlich werden auch richtige Berggipfel – und das nicht
nur im Bergfilm – für den Höhepunkt gewählt.
-
In King Vidors "Duell in the Sun" erschiessen sich Jennifer Jones und Gregory
Peck gegenseitig auf einem Berg;
-
In "Der Mann aus dem Westen" schießt Gary Cooper in einer unheimlichen
Szene den bösen Lee J. Cobb buchstäblich vom Berg herunter. Und
so weiter.
Sie können diese Reihe vermutlich fortsetzen. Ich möchte nur
darauf aufmerksam machen, daß diese Western-Beispiele keine Zufallsauswahl
sind. Sie sind, genau so wie die "banalen" Orte des überaus
zeitgeistigen "Pulp Fiction" paradigmatisch. Der Bergfilm kann jedenfalls
so gesehen, auch als ein zum Genre ausdifferenziertes dramaturgisches
Prinzip verstanden werden.
religiöser Aspekt
Neben dem Berg Golgatha sind nicht nur in Bergfilmen auch profane Gipfel
Schauplatz an denen das Spiel von Katatstrophe oder Katharsis stattfinden.
Bekanntlich hielt sich die Bergbegeisterung der Alten so sehr in Grenzen,
daß sie es vorzogen diese nutz- und fruchtlosen Warzen auf dem Angesicht
der Erde den Göttern als Wohnsitz zu vermachen. Die Geschichte beginnt
mit der berühmten Besteigung des Mont Ventoux durch Petrarca im Jahr
1336.
Meines Wissens und erstaunlicherweise existiert aber noch keine filmische
Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Die Eroberung der Berge geht Hand in Hand mit der Entwicklung des Tourismus.
Die Eroberung der Alpen beginnt während der Achtzigerjahre des 18.
Jahrhunderts und ist 1865 mit der Erstbesteigung des Matterhorns durch
Edward Whymper im wesentlichen abgeschlossen. Daran schließt sich
allerdings eine Intensivierung des Tourismus, wofür die Schweiz, das
Matterhorn und Zermatt besonders stehen.
Ab den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts folgen auch filmische Darstellungen
wie "Der Kampf ums Matterhorn" (1928) von Arnold Fanck und Trenkers "Der
Berg ruft" 1937.
Ahnherr des Genres ist Arnold Fanck, dessen zwei berühmteste Darsteller
– Luis Trenker und Leni Riefenstahl – bald darauf selbst zu Vertretern
des Genres wurden: eines Genres, das ästhetisch einen unbestreitbaren
Höhepunkt darstellt, ideologisch aber stets Gegenstand der Kritik
war.
Weder bin ich eingelesen bzw. eingesehen, noch habe ich Lust auf diese
Fragen einzugehen, die anderswo eingehend und kompetent erörtert worden
sind.
Auffallend ist, daß das Genre des modernen Bergfilmes - als Spielfilm
- weder in künstlerischen Bedeutung noch hinsichtlich der Massenwirksamkeit
- an die frühen Vorgänger herankommt.
Dabei sind die technischen Voraussetzungen ungleich günstiger,
wie die oft atemberaubenden Dokumentationen, die zu den eigentlichen Hauptattraktionen
der Bergfilmfestivals geworden sind, zeigen.
Möglicherweise ist das frühe Abenteuer Filmemachen eine glückliche
Symbiose mit dem Abenteuer Bergsteigen eingegangen. Beide waren im ersten
Drittel des vergangenen noch nicht im heutigen Ausmaß durchtechnisiert
und kommerzialisiert. Die technischen und die sportlichen Herausforderungen
noch nicht ausschließlich auf logistische Problemlösungen
reduzierbar, ließen individueller Autorenschaft mehr Raum.
Die Parallelen zwischen Bergfilm und Wildwestfilm verweisen eher
auf die sozialpsychologischen Hintergründe.
Die Berge haben für die Europa eine ähnlich mythische Bedeutung
wie für die USA der ferne Horizont im Westen. Die normativen Rahmenbedingungen
- Ehre, Treue, Aufopferung, Verrat - für beide Genres sind archaisch,
städtefeindlich und der Moderne gegenüber, der sie schließlich
unterliegen, ambivalent. Die Helden fühlen sich dem Neuen verpflichtet,
ermöglichen es auch oft unter Einsatz von Leib und Leben. Aber ihr
Ehrenkodex, ihr Selbstbewußtsein ist ganz auf die antizivilisatorische
und obsolete Vergangenheit gerichtet. Und wenn der Bergfilm auf dem Hintergrund
des industrialisierten Massensterbens im großen 1. Weltkrieg stattfindet,
bilden die 50er, 60jahre mit ihrer Bürokratisierung und zunehmenden
Angebotswirtschaft (Packard: "Die geheimen Verführer") die Folie für
den Wildwestfilm.
Im Zuge dieses Tourismus entwickelt sich ein prononciertes Selbstverständnis
der Gastgeber (Tourismusbetreiber), eine Verstärkung der eigenen Identität,
die zur Folklore und zum Topos der Massenmedien wurd: abzusehen an den
Sketches und Bergsteigergeschichten ebenso wie an den Abenteuerheften über
Billy the Kid noch zu dessen Lebzeiten.
Diese "Zweiwegkommunikation" zwischen Original und medialem Mythos steigert
sich zu einer Refelexion des Genres, das zum modernen Western bzw. Spätwestern
oder zu ironischen oder postmodernen Varianten des Mythos vom Berg führt.
Wozu ich in aller Bescheidenheit auch Tief Oben zählen würde.
Berg & Höhle
Tief Oben paßt ohnehin nicht besonders gut in dieses Bild
des reinen, überwältigenden Naturerscheinung. Bei aller Mächtigkeit
ist der Erzberg ein Kunstprodukt, ein Ergebnis des Tagbaues. Der Erzberg
war auch die längste Zeit seines Bestehens kein Ort sportlicher oder
touristischer Betätigung. Wer nicht "am Berg" arbeitete, hatte dort
nichts verloren. In den 70er Jahren hatte eine Kunstaktion auf seinem Gipfel
vor allem deswegen eine überwältigende Resonanzt, weil es für
die meisten Eisenerzer - und da besonders für die Frauen - die erste
Chance war, auf den Erzberg zu kommen. Der Künstlichkeit des Erzberges
entspricht also das Verbot und nicht etwa die Schwierigkeit der Besteigung.
Ein Film über den Erzberg kann also geradezu als das Gegenteil eines
Bergfilmes gedeutet werden.
Dabei waren die Eisenerzer stets – und das ist bei einer sozialistisch
orientierten Bevölkerung eher ungewöhnlich – begeisterte Bergsteiger.
Es mag wohl an der Lage der Stadt zwischen den Bergen und Arbeitsdruck
gelegen haben, daß sich das Bedürfnis der Enge zu entkommen,
einmal von oben auf die Welt hinabzuschauen alpinistisch vehement und populär
realisierte.
In Tief Oben, wie in vielen anderen Bergfilmen, wird ein zweites
Motiv angesprochen, das sich auf die andere, wenn man so will die Nachtseite
des Berges bzw. des Bergfilmes bezieht: Damit meine ich die Höhle.
Viele von ihnen erinnern sich wahrscheinlich an Alexis Sorbas, der drohend
die Faust schüttelnd, dem Berg entgegenschreit: "Dir wird ich schon
noch die Eingeweide herausreissen, du verdammter Berg..." Wenn der Berggipfel
das klare, kalte Licht, Bewährung oder Tod und Ende der Lebenszeit
symbolisiert, so stehen die Berghöhlen und ihre Bewohner für
Dämmerung, ungewisses Licht, Zauber, Geheimwissen, Reichtümer
und eine aus der Zeit herausgenommene Unsterblichkeit.
Das bezieht sich auf Odysseus in der Höhle der Kalypso, auf den
Venusberg Tannhäusers und viele andere.Das matriachale, chthonische,
prinzipiell antichristliche Element ist wohl klar.
Und die Bewohner der Höhlen, ausgenommen die Verführerinnen,
sind die Zwerge: kleine, häßliche Gesellen, kunstreich, geschickt
und klug; den Menschen gegenüber manchmal hilfreich und gütig,
gelegentlich aber auch häßlich, voll Macht, Grausamkeit, Hinterlist
und Tücke.
Die Geschichten von unter Tage mit ihrer Schuldverfangenheit lassen
sich zeitpolitisch gut freilegen und deuten. Eisenerz hatte einen jahrhunderte
langen Abbau unter Tag - die berühmten Schremmstollen - und als Aussenstelle
von Mauthausen auch eine zeithistorische Dimension.
Literatur & Film
Tief Oben ist, wie ihm anzumerken ist, keine Literaturverfilmung,
aber die Konstruktionsweisen waren durchaus literarisch. Auf das Sagenmotiv
vom Wassermann wurde verzichtet, aber der naive Sagen- bzw. Märchenton
beibehalten. Und die mit den Höhlengeschichten verbundene Außerzeitlichkeit
fällt zusammen mit dem auch für Horrorfilme charakteristischen
Hineinreichen ferner Vergangenheit in die Gegenwart. Meist handelt es sich
um ein Unrecht, das es wieder auszugleichen gilt; dem Monster ist ein Unrecht
angetan worden, für das es Rache nimmt, oder ähnliches. Es lag
nahe, diese Horror-Struktur auch zeitgeschichtlich, politisch wenigstens
anzuspielen.
Und dann geben sie noch einige postmoderne Versatzstücke - Ironie
& ein prinzipieller Egoismus der Protagonisten, Freudsche Elemente,
ein Stück vom Orpheus - und fertig ist die postmoderne Mixtur Tief
Oben.
Ich fürchte, das ist nun doch die vermaledeite Eigeinterpretation,
die ich so gern vermieden hätte.
Einführungsvortrag zur Filmvorführung
am 6.9.2000, Ramsau am Dachstein, Veranstaltungszentrum
|