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Herbert Arlt (Wien) [BIO] |
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Bereits bei der Konferenz "Kunst und internationale Verständigung" vom 18.-20.9.1994, mit der die Gründung des INST vorbereitet wurde, wurde formuliert: "Insbesondere sollten als Probleme benannt werden: Das Ungleichverhältnis zwischen finanziellen Aufwendungen für Militär, teilweise Geheimdienste usw. ..., die sich als völlig untauglich und kontraproduktiv erwiesen haben, Probleme zu lösen, die nicht nur in Europa wesentlich mit kulturellen Auseinandersetzungen in Verbindung stehen und den Aufwendungen für Kulturwissenschaften...".(1)
Im Rahmen des Symposions "Internationalisierungen, Konflikte, Kulturwissenschaften" wurde darauf hingewiesen, daß es vor allem der Nationalismus ist, der heute als ideologische Triebkraft für Krieg zu gelten hat.(2)
Gerade angesichts des derzeitigen Krieges in Europa, aber auch aufgrund der (bewaffneten) Konflikte in vielen Teilen dieser Welt ist der mögliche Beitrag der Kulturwissenschaften für eine "Culture of Peace" besonders hervorzuheben - mit der Betonung des Aspektes, das Verbindende der Kulturen, transnationale Elemente von Kulturen herauszuarbeiten.
Die bisherigen Konferenzen des INST (3) konzentrierten sich auf Fragen der Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften, Informationsgewinnung und -gestaltung (insbesonders im Zusammenhang mit Internet) sowie auf österreichische, europäische und internationale Kulturprozesse. Ihre Aufgabe war es, im Bereich der Gegenstandsfindungen, der Methodologien, der Wissenschaftsorganisation neue Wege zu beschreiten.
Ziel der Konferenz "Internationale Kulturwissenschaften" ist es, in einer Zeit des Wandels den Kulturwissenschaften insbesonders auch in der UNESCO mehr Gewicht zu geben, aber auch weltweit in der Scientific Community ein Bewußtsein für die Bedeutung der UNESCO zu schaffen.
In einer Reihe von UNESCO-Dokumenten, auf die sich das INST in seiner Arbeit stützt, und UNESCO-Projekten, an denen das INST beteiligt ist, spiegeln sich neue Arbeitsweisen von Wissenschaften wider und insbesonders auch der programmatische Ansatz für eine "Culture of Peace". Eine Transformation der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften wird auf der Basis dieser Dokumente und Projekte notwendig sein, wenn kulturwissenschaftliche Forschungen die Rolle spielen sollen, die sie in den gesellschaftlichen Prozessen spielen könnten.
Das Verbindende der Kulturen
Ein Paradigma "moderner Wissenschaften" seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa scheint geradezu das Abgehen von der Erforschung von Kulturprozessen in ihren grenzüberschreitenden Wirkungen zu sein und eine Hinwendung zu nationalen Fiktionen.(4) Wissenschaft wird eng an einen Nationalstaat gebunden, selbst wenn die Einrichtungen aus privaten Mitteln gefördert werden. In gleichem Maße gilt dies für Informationseinrichtungen.
Diese Ausrichtung der Wissenschaften hatte fatale Folgen. Nicht nur der Erkenntnishorizont wurde massiv eingeschränkt, sondern wissenschaftliche Ergebnisse dieser Art werden bis heute für Konflikte und Kriege instrumentalisiert. Wenn gilt, was in einer Broschüre des Europäischen Parlaments(5) geschrieben wurde, daß die Organisation in Nationalstaaten ein wesentlicher Teil der Kriegsursachen in Europa waren, dann gilt für diese Form der Organisation der Wissenschaften, daß sie für deren ideologische Basis genutzt werden konnte.
In anderen Teilen der Welt ist die Konzentration auf die nationale Identität für die ideologische Absicherung von Kriegen nicht so wichtig. Bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan haben zum Beispiel andere Ursachen. Gemeinsam ist ihnen aber der Aufbau eines Feindbildes - unter Nutzung der Wissenschaften.
Auch die UNESCO verweist auf die Problematik der Nationalstaaten bzw. der Staatssouveränität und vor allem auf den Zusammenhang zwischen inneren Konflikten und Aggression nach außen: "The concept of state sovereignty which sill prevails today has increasingly come under scrutiny. ... The predominant threat to stability are violent conflicts wihtin countries and not between them."(6) Der weitere Fortbestand einer Orientierung auf nationale Kulturpolitik, auf eine Ausrichtung von Wissenschaftsdisziplinen nach nationalen Grundsätzen (gemildert durch Vortrags- und Forschungsreisen, transnationale Projekte usw.) ist daher auch eine mögliche Basis für eine Ausweitung der Konflikte im EU-Europa mit seinen multikulturellen Traditionen, seinen Migranten, seinen multilateralen Wechselbeziehungen.(7)
Ein wesentliches Forschungsfeld wäre daher die Herausarbeitung des Gemeinsamen der Kulturen. Diese hat für die verschiedenen Länder unterschiedliche Voraussetzungen, da die Wechselwirkungen zwischen regionalen, "nationalen" usw. Prozessen unterschiedlich sind.
Im Sinne des UNESCO-Dokuments "Our Creative Diversity"(8) geht es daher nicht um eine "Vereinheitlichung" der Kulturen, sondern um die Entdeckung jener Elemente, die das Verbindende ausmachen oder für Länder, die wie Japan heute noch weitgehend abgeschottet sind, ausmachen könnten.
Transnationalität
Im Zuge der "Globalisierung" gewinnen transnationale Strukturen für einen demokratischen Ausgleich zunehmend an Bedeutung - und damit für eine "Culture of Peace". Die UNO und die UNESCO, aber auch die EU wären solche transnationalen Einrichtungen. Ein internationaler Gerichtshof ist ein Schritt in diese Richtung. Aber auch die Scientific Community hat Ansätze zu einer transnationalen Zusammenarbeit.
Es zeigt sich aber, daß bisher die Einflußmöglichkeiten noch sehr gering sind und gegenwärtige Strukturierungen transnationaler Einrichtungen noch sehr durch (national)staatliche Interessen bzw. Interessensgegensätze bestimmt werden. Als ein Haupthindernis im weiteren Fortschritt des Auf- und Ausbaus transnationaler Strukturen erweist sich das nationale Denken - sei dies bei kleinen Staaten, sei dies auch in Form eines Handelns nach Großmachtprinzipien von großen Staaten. Ohne Veränderung dieser Denkformen werden daher kaum Fortschritte erzielt werden können. Die Wissenschaften könnten in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle übernehmen, um neue Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens zu eröffnen.
Produktivkraft: Kulturwissenschaft
In gesellschaftlichen Prozessen wurde Kulturen und Kulturwissenschaften immer wieder eine große Bedeutung beigemessen. Das zeigt sich zum Beispiel in den enormen Steigerungen der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft nach dem sogenannten "Sputnik-Schock".(9) Aber gerade dies ist auch ein Beispiel dafür, wie Überlegungen im Zusammenhang mit Machtkonkurrenz die Vorgaben bestimmten. Ein Paradigmen-Wechsel nach 1989, der sich schon in den 70er Jahren abzuzeichnen begann, bedeutete auch das Abgehen von einer Politik, die an Kultur interessiert war. Im Zentrum steht nun die Ökonomie, was in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen nicht unverständlich ist, sofern man von tradierten Denkweisen aus-, aber am Kern der Entwicklung vorbeigeht.(10)
Gerade durch die neuen Produktionsformen, die neuen Medien, die engeren Wechselwirkungen gewinnen Kulturwissenschaften mehr und mehr an Bedeutung, wenn es um Produktentwicklung und deren Einsatz, um die Mobilität von Menschenmassen (Stichwort "Tourismus"), um Kommunikation und Verständigung geht.(11)
Neue Rolle der Wissenschaften
Es geht bei einer Neuorientierung der Wissenschaften keineswegs darum, Gegenstände zu eliminieren (nicht zufällig steht bei der nächsten INST-Konferenz die Kunst im Mittelpunkt). Es geht darum, sie in neue Kontexte zu stellen.
Das wesentliche Defizit der Wissenschaften besteht darin, daß sie sich zu sehr noch an formalen Kriterien orientieren: Titel, Lehrstühle, Redezeiten, Publikationsquantitäten usw.(12)
Ist aber das scheinbare Staatsinteresse nicht mehr gegeben und können die Wissenschaften nicht vermitteln, warum ihre Tätigkeit notwendig ist, werden auch die Mittel weniger werden (wie dies allgemein zu beobachten ist). Das gilt nicht für die Wissenschaften schlechthin, aber insbesonders für die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Die Realisierung einer aktiven "Autonomie" (im Gegensatz zur bloßen Verteidigung bisheriger Strukturen im Sinne einer passiven "Autonomie" wäre erforderlich. Ein Versuch in diese Richtung ist diese Online-Forschungskooperation.
Transdisziplinarität
Gehen die WissenschafterInnen aber von einer aktiven "Autonomie" aus (was immer wieder in Disziplinen, inter- und intradisziplinären Forschungsgruppen usw. geschieht), werden sie sehr bald an enge Grenzen stoßen. Eine Neuorientierung sollte von den Gegenständen ausgehen. Dies ist der eigentliche Kern der Transdisziplinarität. Und wenn zum Beispiel eine "Culture of Peace" als einer der wesentlichen Gegenstände bestimmt wird, kann davon etliches abgeleitet werden.
Ausblick
In jedem Krieg sind die Verlierer die Kulturen. "Culture of Peace" ist daher eine wesentliche Voraussetzung für kulturwissenschaftliche Forschungen schlechthin. Um diese zu sichern, zu entwickeln (vor allem ihre transnationalen Elemente) ist einiges an Veränderungen in den Wissenschaften und ihren Rahmenbedingungen erforderlich. Es ist zu hoffen, daß dieses Projekt ein wesentlicher Beitrag dazu sein wird.
ANMERKUNGEN
(1) | Herbert Arlt (Hrsg.): Kunst und internationale Verständigung. Universitätsverlag Röhrig: St. Ingbert 1995, S.8. Vgl. dazu auch "Our Creative Diversity". Report of the World Commission on Culture and Development (1995), p.45ff. |
(2) | Publiziert in der Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften des INST, TRANS, WWW: http://www.inst.at/trans/ |
(3) | S. dazu ebd. die Schwerpunkte zu "Europäische Literatur- und Sprachwissenschaften" sowie zu "Kulturwissenschaften, Datenbanken, Europa". |
(4) | Vgl. dazu z.B.: Jürgen Fohrmann/Wilhelm Voßkamp (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1994. |
(5) | Europa 2000. Köln, S.6. |
(6) | "Our Creative Diversity". Report of the World Commission on Culture and Development (1995), p.11/12. |
(7) | Die Bedeutung von Minderheiten in heutigen und künftigen gesellschaftlichen Prozessen wurde sehr überzeugend dargestellt in: Joseph Yacoub: Les minorités das le monde. Faits et Analyses. Paris 1998. |
(8) | "Our Creative Diversity". Report of the World Commission on Culture and Development (1995). |
(9) | Vgl. Leslie Bodi zu "hard facts" und "soft factors" in: Leslie Bodi: Internationale Verständigung und nationale Identität. In: Herbert Arlt (Hrsg.): Kunst und internationale Verständigung. Universitätsverlag Röhrig: St. Ingbert 1995, S.21. |
(10) | Ein Gegentrend, der aber aufgrund seiner Finanzierungshöhe, die nicht einmal noch gesichert ist, noch als sehr schwach anzusehen ist, ist das neue Rahmenprogramm der EU zur Kulturförderung "Europa 2000". |
(11) | Nicht zufällig wurde als Motto der Ausstellung "Kulturwissenschaften und Europa" gewählt: Kulturwissenschaften als die Produktivkraft im 21. Jahrhundert. S.: WWW: http://www.inst.at/ausstellung/ |
(12) | Damit hat sich die Wissenschaftsgeschichtsschreibung in den letzten Jahren immer wieder auseinandergesetzt. Vgl. z.B. Jost Hermand: Geschichte der Germanistik. Reinbek bei Hamburg 1994 (zu Referatszeiten: S.229). |
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