Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion I: Sprachen, Wissenschaftsterminologien, Kulturwissenschaften

Section I:
Languages, Systematic Terminologies, Cultural Studies

Section I:
Langues, terminologies scientifiques, études culturelles


Annely Rothkegel (Hannover)
Zur kognitiven Funktion von Metaphern im Fachtext

 

1. Zum Phänomen

Metaphern haben im Sprachgebrauch unterschiedliche Funktionen: sie sind Mittel für Bewertung, Emotionalisierung oder Konzeptualisierung. Letzteres wird im Folgenden thematisiert. Mit Konzeptualisierung ist gemeint - im Sinne der Theorie von Lakoff/Johnson (1980) - dass ein Konzept x verwendet wird, um ein Konzept y zu etablieren. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Dimension der Bewegung des Konzeptes WASSER für die Konzeptualisierung von GELD herangezogen wird, so etwa in den Ausdrücken "Kapitalfluss", "Geldstrom" (Burger 1998, Liebert 1992). Es handelt sich also um ein Phänomen, das durchaus geläufig ist. Unter sprachwissenschaftlichen Aspekten stellt sich die Frage, inwieweit Regularitäten solcher Bildungen feststellbar sind bzw. welcher Art Theorie als Erklärung herangezogen werden kann. Dabei setzen wir voraus, dass eine funktionalistische Sichtweise allgemeine Prinzipien des Sprachgebrauchs erfasst, ohne dass zunächst zwischen Vorkommen in Kunst, Alltag oder Profession zu unterscheiden ist.

Was die Metapher charakterisiert und u.a. vom Symbol unterscheidet, ist die Analogie zwischen zwei Einheiten (Dobrovol’skij/Piirainen 1997). So funktioniert metaphorischer Sprachgebrauch nur dann, wenn die beiden verbundenen Konzepte strukturell analog sind. Anders als beim Symbol, wo in der Regel eine historisch-kulturelle Zuordnung vorliegt wie etwa bei der "Taube" als Symbol für Frieden, basiert die Metapher auf einem Transfer, was zugleich eine gewisse Dynamik impliziert. Entsprechend wird hier nach der Gerichtetheit des Transfers gefragt. In der interaktionistischen Sichtweise geht man davon aus, dass nicht nur der metaphorische Ausdruck den Zielbegriff bestimmt, sondern dass sich beide Konzepte gegenseitig beeinflussen (Indurkhya 1992). So gilt nicht nur das Bild des stetig heran- und wegfließenden Wassers für die Bewegung des "Kapitalflusses", sondern auch umgekehrt: das Verständnis von dem, was Fließen bedeutet, wird beeinflusst durch die Verbindung mit dem abstrakten Gegenstand "Kapital", etwa im Sinne der Verfügbarkeit.

Während in der Alltagskommunikation Metaphorik zur Quantifikation bzw. Qualifikation eines Begriffs verwendet wird (vgl. "ein Berg Käse"), geht es in der Fachkommunikation eher um die Herstellung von Referenz und Prädikation. Ersteres bezieht sich vor allem auf die Benennung von Objekten, die im Sachbereich neu auftreten (sei es durch Produktion oder durch neue Klassifikation) und die eindeutig zu identifizieren sind. Letzteres bezieht sich vor allem auf Bezeichnungen des Umgangs mit diesen Objekten durch Menschen oder Maschinen, wobei es hier weniger um Identifikation sondern eher um Verständnissicherung geht. Das metaphorische Konzept dient hier dem Verstehen in dem Sinne, dass ein bekanntes Konzept genannt wird, das aus seinem Kontext herausgenommen und in einen neuen, mehr oder weniger unbekannten Kontext gestellt wird, z.B. "ins Netz gehen" im Sinne von "im Internet präsent werden" oder "Datenautobahn" im Sinne der Geschwindigkeit des Informationstransports. Metaphorische Verfahren dieser Art sind von besonderer Bedeutung für die Experten-Laien-Kommunikation, spielen allerdings auch eine wichtige Rolle für die Experten selbst, wenn ein neuer Bereich entsteht und präzise Zuordnungen erst entwickelt werden müssen.

Der Transfer zwischen Konkretem (Quellbereich) und Abstraktem (Zielbereich) ist vor allem dann begünstigt, wenn es sich um sehr komplexe abstrakte Objekte und Vorgänge handelt. Insofern spielt metaphorischer Sprachgebrauch eine zentrale Rolle u.a. im Bereich der Wirtschaft oder der Technik. Die Notwendigkeit bzw. der Wunsch, dennoch entsprechendes Wissen nach außen zu bringen, begünstigt metaphorischen Sprachgebrauch, so z.B. in der Beschreibung von Computersoftware. Textverarbeitung erscheint z.B. als Tätigkeit am Schreibtisch bzw. als Bürotätigkeit ("Ordner anlegen", "Datei ablegen", "Papierkorb entleeren", "Schreibtisch aufräumen", vgl. Rothkegel 1997).

 

2. Bildhaftigkeit bei Metaphern und Phrasemen

Metaphern- und Phraseologieforschung waren lange Zeit völlig getrennte Forschungsrichtungen, obschon es einen breiten Bereich der Überlappung der jeweiligen Gegenstände gibt. Andererseits ist wohl zwischen beiden zu trennen, zumal nicht jedes Phrasem eine Metapher ist und nicht jede Metapher ein Phrasem. Gilt für die Metapher die Analogie zwischen zwei Konzepten als Basis, so sind Phraseme mehrwortig, fixiert und figurativ (Gréciano 1989). Werden Phraseme als Metaphern verwendet, kommen zwei Eigenschaften zusammen, die für spezifische Kohärenz im Text sorgen. Die eine Eigenschaft betrifft die Bildhaftigkeit, die aus der Metaphorik folgt, die andere betrifft das "Passen in den Kontext", die aus der Kombinatorik folgt, die jeweils spezifisch für den polylexikalen Ausdruck ist. Beide zusammen ergeben das "passende Bild", d.h. eine in einer Sprachgemeinschaft konventionalisierte Prägung (Feilke 1994). Im Text - sei es Fach-, Gebrauchs- oder literarischer Text - kommt die Möglichkeit der Fortsetzung hinzu. Das jeweilige Bild paßt nicht nur gemäß der Konvention sondern gleichzeitig in ein umfassendere Bild, das im Text aufgebaut wird. Es entwickelt sich eine Szene, die bereits im einzelnen Bild angelegt ist (Burger 1989, Rothkegel 1999).

In kognitiver Sicht geht es dabei um die Elaborierung eines Schemas. Die Schematheorie, basierend auf der Wahrnehmungspsychologie, gestattet es, komplexere Informationspakete in einen Zusammenhang zu bringen (Schnotz 1994). Davon ausgehend, dass bereits die Wahrnehmung eines Zusammenhangs schemageleitet ist, ist es plausibel, für Konventionen der Beschreibung von Gegenständen oder Sachverhalten ebenfalls Schemata (Modelle) anzunehmen. Ein Beispiel hierzu ist die Beschreibung eines Mikrochips im Bild einer Landschaft: wie "aufgestapelte Hügel", "zerklüftete Oberfläche", "tiefe Gräben" (detaillierte Beschreibung in Rothkegel 1998).

 

3. Kohärenzbildung im Fachtext

Mit Kohärenz sind die Faktoren gemeint, die es Lesern gestatten, einen Zusammenhang auf der Ebene der im Text vermittelten Informationen herzustellen. Dabei vermischen sich textinterne und textexterne Parameter, also die im Text explizit aufgeführten Bedeutungseinheiten sowie die Wissenshintergründe, die Schreiber und Leser einbringen. Bei der linguistischen Deskription unterscheidet man entsprechend Kohäsion der Oberflächenmerkmale und Kohärenz als zugrundeliegende Verstehensstruktur. Kohärenz ist erklärbar und darstellbar über Verstehens-Schemata, so etwa über Standards der Wissensorganisation, z.B. Frames. Sie entsprechen formal einer Leerstellenkonfiguration, inhaltlich spezifischen Erfahrungs- und Erwartungsstrukturen, die einen bestimmten Sachbereich abdecken. Dies gilt sowohl für Alltagskommunikation wie auch für Fachkommunikation. Im Fachtext erscheinen solche Standards allerdings stärker eingegrenzt. Die Wahl des zugehörigen Vokabulars ist mehr oder weniger terminologisiert. Entsprechend können über den Metapherngebrauch umfangreichere Bildkompositionen aufgebaut werden (s.o. vgl. z.B. die Schema-Elaboration auf der Grundlage der "Welle" für akustische und optische Phänomene). Eine Öffnung vom definierten Expertenwissen zum Verstehen durch Nicht-Experten geschieht darüber hinaus ebenfalls über metaphorischen Sprachgebrauch. Dies ist insbesondere der Fall, wenn psychologische bzw. soziologische Faktoren mit einem technisch-wissenschaftlichen Sachbereich zusammengebracht werden, z.B. bei der Beschreibung ökonomischer Zusammenhänge in der Perspektive des Wettbewerbs (vgl. Beispiele für WETTBEWERB-Schema in Rothkegel , u.a.: "nicht Zaungast sein", "Herr der Zukunft bleiben", "Situation in den Griff bekommen", "Programm in Angriff nehmen"). In diesem Sinne dient metaphorischer Sprachgebrauch nicht nur der Markierung eines Sachbereichs als solchen sondern zugleich seiner Einbindung in einen Kommunikationskontext.

 

Literatur

Burger, Harald. "Bildhaft, übertragen, metaphorisch. Zur Konfusion um die semantischen Merkmale von Phraseologismen. In: Gréciano, Gertrud (ed), Europhras 88. Phraséologie Contrastive. Strasbourg, 1989, 17-29.
Burger, Harald. Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin, Schmidt, 1998.
Dobrovol’skij, Dmitri/Piirainen, Elisabeth. Symbole in Sprache und Kultur. Bochum, Brockmeyer, 1997.
Feilke, Helmuth. Common Sense - Kompetenz. Überlegungen zu einer Theorie des sympathischen und natürlichen Meinens und Verstehens. Frankfurt, Suhrkamp, 1994.
Gréciano, Gerturd. Le signe idiomatique et la production textuelle. In: Tobin, Y. (ed), From Sign to Text: A Semiotic View of Communication. Amsterdam, Benjamins, 1989, 415-125.
Indurkhya, B. Metaphor and Cognition. An Interactional Approach. Dordrecht, Kluwer, 1992.
Lakoff, George/ Johnson, Mark. Metaphors we libe by. Chicago, University pf Chicago Press, 1980.
Lieber, Andreas. Metaphernbereiche der deutschen Alltagssprache. Kognitive Linguistik und die Perspektiven einer kognitiven Lexikographie. Frankfurt, Lang, 1992.
Rothkegel, Annely. Mehrwortlexeme in der Softwaredokumentation. In: Gréciano, Gertrud/Rothkegel, Annely (eds), Phraseme in Kontext und Kontrast. Bochum, Brockmeyer, 1997, 177-189.
Rothkegel, Annely. Wissensvermittlung durch Phraseme. In: Eismann, Wolfgang (ed), Europhras 95. Bochum, Brockmeyer, 1998, 731-741.
Rothkegel, Annely.. Zur Metaphernfunktion von Phrasemen im Diskurs. In: Fernandes Bravo, Nicole/ Behr, Irmtraud/ Rozier, Claire (eds), Phraseme und typisierte Rede. Tübingen, Stauffenbergverlag, 1999a, 91-100.
Rothkegel, Annely. Phraseme: Fenster zur Textkohärenz. In: Nouveaux Cahiers d’Allemend. Nancy, 1999b, 375-387.
Schnotz, Wolfgang. Aufbau von Wissensstrukturen. Weinheim, Beltz. 1994.



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