Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion V: "Globalisierung" und Kulturwissenschaften

Section V:
"Globalisation" and Cultural Studies

Section V:
"Globalisation" et  études culturelles


Peter Horn (Kapstadt) [BIO]

Englisch 

Französisch 
"Globalisierung": Kultur, Kulturmischungen und Kulturwissenschaften in Südafrika

"In meiner Heimat Kroatien tobt momentan ein Ausrottungskrieg gegen alles Fremde. Fremdwörter werden zu Feindwörtern. In Zagreb kursiert eine wahre Geschichte: Ein Linguistikprofessor ist in Not und klagt einem Kollegen, der zugleich ein Dichter ist, daß ihm die literarischen Belege für drei kroatische Begriffe fehlten, die es eben nur im Serbischen gebe. Kein Problem, sagt der Dichter, ich schreibe das Gedicht, in dem diese drei kroatischen Wörter vorkommen, dann haben Sie den literarischen Beleg. Eine solche "Befreiung der kroatischen Sprache von der Fremdwörterei" wird allen Ernstes betrieben. Dabei stehen besonders die Serbismen im Kreuzfeuer. Eine sprachchauvinistische Zeitschrift ruft seit drei Jahren zu einem Wettbewerb auf. Gesucht werden kroatischklingende Neologismen, die "fremde" Vokabeln liquidieren helfen sollen. Die Ergebnisse sind oft lächerlichste Sprachschöpfungen."(1)

So der jugoslawische Dichter und Übersetzer Sinan Gudzevic anläßlich des Jenenser Kolloquiums über Literatur und Diktatur. Das ist nun wieder eine in Paris oder Berlin nicht ganz unbekannte Erscheinung. Hat doch die französische Regierung Geld und Ressourcen mobilisiert und nicht unempfindliche Strafmaßnahmen gegen jene angedroht, die ihr "reines" Französisch mit englisch-amerikanischen "Feindwörtern" vermischen, wobei man natürlich vergaß, daß etwa zwei Drittel des englischen Wortschatzes eben aus dem Normannisch-Französischen stammen. Und von den barocken deutschen Sprachgesellschaften bis hin zu Hitlers Großdeutschland kennen wir denselben lächerlichen Sprachpurismus, der solche Feindwörter wie "Nase" durch gut deutsche Sprachschöpfungen wie "Gesichtserker" ersetzen wollte. Auch in Südafrika versuchten die Buren ihre kreolische Sprache Afrikaans von Anglizismen und Schlimmerem reinzuhalten und erfanden ständig solche wunderschönen Neologismen wie "binnebandelose buitebande" für schlauchlose Reifen, obwohl in der Praxis fast jeder Afrikaanssprachige natürlich den englischen Ausdruck "tubeless tyres" benutzt.

Keine Sprache ist einsprachig. Das Deutsche ist durchsetzt mit Fremd- und Lehnwörtern vor allem aus dem Lateinischen, Griechischen, Französischen und Englischen. Das trifft aber auch auf scheinbar so "reine" Sprachen wie das Xhosa zu, wo hunderte Wörter wie "itreyini" (train) für die Eisenbahn aus dem englischen und Afrikaansen übernommen wurden. Jeder, der neben seiner Muttersprache eine zweite Sprache zumindest rudimentär beherrscht, verfällt in die Versuchung das Wort "Geist" durch "ésprit" zu ersetzen. Wer gar wie ich seit Jahrzehnten in einer multilingualen Umgebung lebt, und von einem Satz zum nächsten, aus dem Englischen ins Deutsche und zurück ins Englische zu wechseln gewohnt ist, hat diese Art von sprachlichem Code-Switching zur Lebensgewohnheit gemacht. Wie soll man auch das Wort "relax" auf Deutsch wiedergeben, wo es weder ein Wort noch die Haltung des relaxed-Seins gibt. Sprachliches Code-Switching impliziert zumindest rudimentär auch ein Code-Switching in der kulturellen Kompetenz. Wenn der Engländer fragt, "How are you?", möchte er nicht wirklich wissen, daß ich Bauchschmerzen habe. Wenn mein Xhosa-Freund mich fragt "Kunjani?" dann mache ich mich auf eine längere Konversation über sein und mein körperliches und geistiges Ergehen und das seiner und meiner Familie gefaßt.

Das Herdersche Konzept des Nationalstaats, der mit der einsprachigen "Nation" und ihrer monolithischen Kultur zusammenfällt, als Hort aller Rationalität und Humanität hat natürlich auch heute noch seine Attraktion, vor allem im Gegenzug zu einer Globalisierung, durch die die eigene Identität, Geschichte und Kultur bedroht erscheint. So wie der Nationalstaat selbst lokale und regionale Identität bedrohte, wie der Bayer sich durch den "Saupreiß" in seiner Existenz gefährdet sah, so bedroht jetzt in der Erfahrung vieler der globale Markt und seine "anglo-amerikanische" Sprache die Identität der Nationen. Auf der globalen Ebene ersetzt der Versuch, ein einheitliches Denken zu schaffen, das sich allerdings in seiner Wort- und Begriffsbildung eng an das Englische als globaler Lingua Franca anlehnt, und das produziert, was Ramonet "la pensé unique" nennt, ein Ausdruck, der mit "politically correct thinking" nur unzureichend übersetzt wird, den früheren Versuch eine einheitliche Nationalsprache zu schaffen. Eher handelt es sich um das homogenisierte Denken einer alles vereinheitlichenden Idee, eines One Idea Systems. Das bestimmende Charakteristikum dieses homogenisierten Denkens ist der Glaube an den Markt als der Lösung aller Probleme: Der Kapitalismus kann nicht zusammenbrechen, der Kapitalismus ist der natürliche Zustand der Gesellschaft. Demokratie ist nicht natürlich. Der Markt ist Natur.

Während der Nationalstaat Herderscher Prägung noch auf der homogenen Sprache bestehen mußte, um jene Einheit zu schaffen, innerhalb derer der nationale Markt funktionieren konnte, und daher eine aggressive Sprachpolitik gegenüber Minderheiten führen mußte, kann sich der globale Markt durchaus sprachliche und kulturelle Enklaven leisten, solange die Ideen der Globalisierung universell und in jede Sprache übersetzbar sind.

Während Namibia zum Beispiel das Englische - von einer verschwindend kleinen Minderheit gesprochen und beherrscht - zur Nationalsprache erhob, und damit dem alten Modell des sprachlich einheitlichen Nationalstaats huldigte, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung etwa ein Dutzend einheimischer Sprachen plus Afrikaans und Deutsch spricht, hat Südafrika das modernere Modell eines multikulturellen und vielsprachigen Staates akzeptiert. Auch wenn das Englische de facto oft Lingua Franca ist, sind alle elf einheimischen Sprachen gleichberechtigt, und sogar die sogenannten "heritage languages", Sprachen größerer Einwanderungsgruppen und kulturell bedeutsame Sprachen wie hebräisch und arabisch, portugiesisch und deutsch unter dem besonderen Schutz des neuen Grundgesetzes.

Während die afrikaans-sprachigen weißen Buren immer noch um ihre sprachliche und kulturelle Identität besorgt sind und zum Teil noch von einem "Volksstaat" in der Halbwüste der nördlichen Kapprovinz träumen, haben die meisten Südafrikaner sich damit abgefunden, daß alle Sprachen gleich und das Englische ein bißchen gleicher ist. Normalerweise spricht man im Parlament und vor Gericht englisch, aber wer kein Englisch kann oder seine kulturelle Identität betonen will, darf auch Xhosa oder Zulu, Afrikaans oder Venda sprechen, und man sorgt für Übersetzer. Kulturfeste gibt es in Südafrika einerseits mehrsprachig multikulturell und als Darstellung der buntgemischten Regenbogennation, andererseits zum Beispiel als "afrikaanses" Kulturfest in Oudshoorn in der Karoo einsprachig und fast monokulturell. Hybride Kulturen, wie man sie nicht nur in Südafrika beobachten kann, haben den Vorteil, daß sie das Individuum aus oft sehr beengenden traditionellen Kulturzwängen befreien, ohne ihm allerdings ein wirklich lebbares alternatives Kulturmodell zur Verfügung zu stellen. Und so wird auch der schwarze Abiturient, bevor er sein Studium an der Universität beginnt, "nach Hause" in die Transkei fahren, um dort "den Ahnen vorgestellt" zu werden und die traditionellen Mannbarkeitsriten und die Beschneidung über sich ergehen lassen, bevor er er sich an das Studium der Nuklearphysik macht; wie ja auch der deutsche Abiturient sich meist nicht von Weihnachtsbaum, Konfirmation oder Erstkommunion vollkommen gelöst hat. Die traditionelle vor allem sakrale Kultur füllt so eine Lücke in der globalen Kultur und der tradtionelle Heiler ist bei Krankheiten ebenso gefragt wie das mit modernsten Instrumenten ausgestattete Zentralkrankenhaus. Solche Kulturmischungen kann die globale Kultur durchaus tolerieren und der Weltpolizist braucht nicht mehr jeden, der in der Pause nicht englisch spricht vor den Schuldirektor zur Abstrafung zitieren.

Es ist dann auch nicht in erster Linie die Sprach- und Kulturpolitik, die in Südafrika die Ängste der Minderheiten schürt, sondern die Politik der "affirmative action", und diese Ängste werden von den Oppositionsparteien weidlich ausgenutzt, vor allem, da über ein Drittel der Südafrikaner im Augenblick arbeitslos ist. Eine "Coloured identity" hat sich gegenüber der "black consciousness" in Südafrika erst dann politisch wirksam manifestiert, als die Cape Coloureds, Abkömmlinge der San und Khoi und der im 17 und 18. Jahrhundert importierten Sklaven, nicht länger durch das Apartheidsgesetz der "Coloured Labour Preference Area" vor der Konkurenz der schwarzafrikanischen Arbeiter geschützt wurden und hunderttausende von vor allem Xhosas ins westliche Kap strömten. Diese Ängste wurden wieder von der alten Nationalen Partei ausgenutzt, die die Coloureds plötzlich, nachdem sie sie jahrzehntelang als Bürger zweiter Klasse behandelt hatten, als kulturell und sprachlich zum Volk der Buren gehörend entdeckten. Auf diese Weise entstehen kulturelle Identitäten nach Maßgabe der ökonomischen Realität. Hinter der schönen Fassade der südafrikanischen Multikulturalität allerdings versteckt sich nur schlecht die globale, das heißt im Wesentlichen amerikanisch-westliche Kultur. Während in Südafrika"local lekker" zu sein vorgibt, bestätigt jeder Fernsehkanal, jede Mode- oder Teenagerzeitschrift, jeder Blick in die ohnehin seltenen Buchläden, daß auch das Lokale nur als Farbtupfer im Globalen überlebt. Multikulti dient dazu, jene Restfremdheiten zu integrieren, die trotz amerikanisch-westlicher Weltkulturhoheit hier und da noch übriggeblieben sind.

Die Kulturwissenschaften hinken, auch in Südafrika, wie immer, diesen Entwicklungen hinterher. Es geht hier nicht um die letzten Reste der Apartheidideologie in der Kulturpolitik und der Kulturwissenschaft der Ewig-gestrigen, auch nicht um die ziemlich durchsichtige machtpolitische Taktik der Inkatha Freedom Party Mangosuthu Buthelezis, den Zulu-Nationalismus noch einmal für seine Zwecke auszunutzen, obwohl beides unter bestimmten Umständen gefährlich werden könnte, wie die blutigen Kriege in Zentralafrika zeigen. Es geht mir hier um die neue Kulturwissenschaft der Regenbogennation, die sich angesichts der Globalisierung und deren inhumanen Konsequenzen, einmal mehr auf den Begriff der Nation zurückgeworfen sieht, zu gleicher Zeit von einer afrikanischen Renaissance träumt, aber die politisch korrekte Weltsprache spricht und sich theoretisch in den international gängigen Kategorien des Postmodernismus und Postkolonialismus formuliert. Die Chance eine dezidiert afrikanische Kultur zu entwickeln, die zum Beispiel die Ideen einer inklusiven Demokratie und einer afrikanischen Humanität nach Art der "ubuntu" beinhalten würde, ist so schon im Vorfeld der alles vereinnahmenden Terminologie der Globalisierung verspielt. Auf der kulturellen und akademischen Börse werden wie an der kommerziellen nur Werte notiert, die in das universale Äquivalent, den Dollar übersetzt werden können, bzw. an amerikanischen Colleges verstanden werden.

Während die Idee einer lokalen, regionalen oder nationalen Kultur nur noch zu kulturpolitischen Sonntagsreden taugt, um den global Verängstigten jenen Trost zu spenden, den sie, von Internet und Satellitenfernsehen auf dem weltweiten Highway überfahren, so gern hören wollen, dominiert de facto schon längst auch in Südafrika jenes System der einheitlichen Idee einer globalen Kultur, deren Zeuge und Produzent das in jedem Hotelzimmer gegenwärtige CNN und das an jedem Kiosk verkäufliche Wall Street Journal oder dessen lokaler Ableger ist. Dort stellt sich die afrikanische Renaissance dann als Clinton-Spritztour zu den armen Wilden dar, denen mal wieder geholfen werden muß, endlich das universale und globale Marktsystem und die Segnungen der Demokratie american style zu verstehen. Gegen ein solches Verständnis von Globalisierung hat der Nationalstaat als Idee eine relative Rationalität und Berechtigung, wenn auch keine Chance. Im globalen Kapitalismus wird er mehr und mehr ein bloßes kulturelles Scheindasein spielen, in das jederzeit der universelle Polizist mit Bomben und Raketen ordnend eingreifen kann. Ob zum Beispiel die Millionen von Aids-Kranken in Südafrika in Zukunft überhaupt noch eine Kultur haben können, hängt weniger vom nationalen Ministerium für Kultur ab als von der Macht der großen multinationalen Pharmakonzerne. "Ubuntu", jene afrikanische Kultur der Mitmenschlichkeit dagegen, wird in diesen Zusammenhängen zur bloßen sentimentalen Rückerinnerung, die den Fortschritt der einen allumfassenden globalen Idee behindert, die sich selbst mit den Attributen "realistisch" und "pragmatisch" zu schmücken beliebt.

In einem Land, in dem 90% der Bevölkerung sowieso das Geld für Kultur fehlt, und in dem wie in allen Drittwelt-Ländern auch der Staat sein Geld zunächst einmal für das nötigste, nämlich die Rückzahlung der internationalen Schulden ausgeben muß, ist Kultur bereits völlig kommerzialisiert und besteht, wo überhaupt, nur noch von Gnaden des Reklame-Budgets der großen Banken und Konzerne. Wenn man daher in einem Land wie Südafrika von Kultur und Kulturwissenschaft spricht, dann muß man sich darüber im Klaren sein, daß man von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds reden muß. Hier nämlich wird letztendlich bestimmt, was in einem Land wie Südafrika an Kultur überhaupt möglich ist. Es gibt keine "kulturlosen" Völker, aber selbst in Hochkulturen sind oft die Mehrheit der Einwohner von einem effektiven Zugang zur Kultur ausgeschlossen und auf einen sehr verarmtes Kulturleben angewiesen, in dem ihre Fähigkeiten oft eher verkümmern oder stagnieren als entwickelt werden. Wenn aber selbst Europa sich von der amerikanischen Kulturhoheit bedroht fühlt und den ungeheuren Resourcen zur Produktion und Verbreitung dieser "globalen" Kultur nichts gleiches entgegensetzen kann, dann ist es nicht verwunderlich, daß Länder in der dritten Welt wie Südafrika dieser kulturellen Weltherrschaft kaum etwas entgegenzusetzen haben. Kulturen beginnen in den Schwarzen Löchern des globalen Informations- und Unterhaltungsnetzes, in den Schlaglöchern des Information High Ways zu verschwinden. Ebenso wie der globale Finanzmarkt von den Institutionen der liberalen Demokratie nicht mehr kontrolliert werden kann, ebenso entwickelt sich die globale Kultur jenseits dessen was der einzelne Bürger, seine politische Organisation und sein nationales Parlament kontrollieren können. Die Mischungen, die de facto entstehen, haben wenig mehr mit den wirklichen kulturellen Bedürfnissen der Konsumenten zu tun. Die wesentlichen Entscheidungen auch in der Kultur spielen sich jenseits der Institutionen ab, die einstmals die Stimme der Kulturteilnehmer waren. Was ein Kritiker in einer Zeitung in Kapstadt über einen Hollywoodfilm schreibt, hat einen minimalen Einfluß auf den Erfolg dieses Films, nicht nur weil die Kinogänger das wahrscheinlich gar nicht mehr lesen, sondern weil eine wirklich lokale abweichende Meinung im Spielraum der globalen Kultur dazu verdammt ist, ungehört zu verhallen. Die Zerstörung des kulturellen Geflechts und der jeweils eigenartigen Mischung der kulturellen Elemente jeder Gegend auf dieser Erde ist eine Vernichtung der Diversität und eine Verarmung der kulturellen Produktivität des Menschen. Kultur als Teil einer profitorientierten globalen Ökonomie zeigt sich als globale Kultur des Konsums, von amerikanischen Konglomeraten beherrscht und als Propaganda für sich selbst. Aus der möglicherweise produktiven Kulturmischung wird ein kultureller Eintopf mit weniger Eigengeschmack als ein MacDonalds Hamburger.

1 Sinan Gudzevic: Der serbokroatische Sprachkrieg. Edwin Kratschmer (Hrsg.), Literatur + Diktatur. Internationales Autorencolloquium KUNST+FREIHEIT LITERATUR+DIKTATUR 14.-16- November 1997 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Colloquium Europaeum Jenense. Heinrich-Böll-Stiftung 1997: 225.



Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion V: "Globalisierung" und Kulturwissenschaften

Section V:
"Globalisation" and Cultural Studies

Section V:
"Globalisation" et  études culturelles

© INST 1999

Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse

 Research Institute for Austrian and International Literature and Cultural Studies

 Institut de recherche de littérature et civilisation autrichiennes et internationales