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Internationale
Kulturwissenschaften International Cultural Studies Etudes culturelles internationales |
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Sektion V: | "Globalisierung" und Kulturwissenschaften | |
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"Globalisation" and Cultural Studies | |
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"Globalisation" et études culturelles |
Hilde Haider-Pregler (Wien) |
Als die Académie de Dijon 1750 im Mercure de France aufgeklärte Denker zur Beantwortung der Frage "Si le rétablissement des sciences et des arts a contribué à épurer les moeurs" aufforderte, ging aus diesem Wettbewerb mit dem 38jährigen Jean-Jacques Rousseau ein bis zu diesem Augenblick noch weithin Unbekannter als Sieger hervor. Daß die Fragestellung der Akademie auf dem Höhepunkt der Aufklärung selbstredend affirmativ intendiert war, muß wohl nicht eigens betont werden. Der Verdacht ist also nicht völlig von der Hand zu weisen, daß Rouseaus ebenso temperamentvolle wie logische, zivilisationskritische Beweisführung gegen den linearen Fortschrittsoptimismus nicht nur von aufrichtiger Überzeugung, sondern auch von geschickter Taktik inspiriert war. Auf der einen Seite steht also mitten im aufgeklärten Jahrhundert Rousseaus Utopie vom Naturzustand, auf der anderen Seite meldet ein nicht weniger bedeutender englischer Moralphilosoph und Soziologe, nämlich Adam Ferguson, Bedenken an, die allgemeine Verfügbarkeit eines kontinuierlich anwachsenden Gelehrtenwissens und dessen Aneignung als Bildungspflicht für jeden aufgeklärten Bürger könne die Menschheit in der Tat klüger machen.
Der Rückgriff auf den produktiven Diskurs des Aufklärungszeitalters bietet sich im ausklingenden neo-aufgeklärten 20. Jahrhundert als Ausgangspunkt für einen Diskussionsbeitrag zum Thema "Theaterwissenschaft und Globalisierung" an, auch wenn - oder gerade weil - Rousseau das bürgerliche Illusionstheater, und damit das verbindliche soziokulturelle und ästhetische Postulat seiner Zeit, mit dem Hinweis auf eine theatrale, nicht mehr zwischen Darsteller und Zuschauer unterscheidenden Festkultur radikal verworfen hat, zumindest in der Theorie. Mir wird es also darum gehen, thesenhaft die innovativen Möglichkeiten für eine im erweiterten Sinn als Kulturwissenschaft(1) zu begreifende, die Spielformen der audiovisuellen Medien miteinbeziehende Theaterwissenschaft aufzuzeigen und auf der anderen Seite antithetische Argumente vorzubringen. Eine Synthese ist dabei weder angestrebt, noch halte ich sie im vielstimmigen Polylog für sinnvoll. Der je nach eingenommener Perspektive äußerst different eingeschätzte Stellenwert der Kulturwissenschaften im technologischen Zeitalter, vor allem auf akademischem Boden, kann in diesem Rahmen nicht thematisiert werden, ist dabei mitzudenken.
Von den Voraussetzungen her, die prinzipiell zur Verfügung stünden, scheint für die Theaterwissenschaft in der jüngsten Vergangenheit ein goldenes Zeitalter angebrochen:
Dieses Bild erinnert allerdings fatal an einen wissenschaftlichen Supermarkt, in dessen überreichlichem Anbot jede/r irgendetwas findet - mit Ausnahme einer fachspezifischen Orientierung. Was wie eine Binsenweisheit klingt, ist im Falle der "Theaterwissenschaft" ein Eingangsproblem, da das Fachverständnis sich stärker als in anderen Disziplinen mit der ausgangssprachlichen Position verändert: Abgesehen davon, daß sich das Fachverständnis des Wiener Instituts in der Bezeichnung "Theater-, Film- und Medienwissenschaft" ausdrückt, entspricht "Theaterwissenschaft" bestenfalls annähernd den "theatre studies" oder "études théâtrales". Der wissenschaftstheoretischen Reflexion der eigenen Disziplin wird im deutschsprachigen Raum seit der Gründung des als Universitätsdisziplin jungen Faches besonderes Augenmerk geschenkt. Als sich die Theaterwissenschaft verselbständigte, ging es naturgemäß um ihre inhaltliche und methodische Eigengesetzlichkeit in Abgrenzung zu anderen Fächern: Als Gegenstand des Erkenntnisinteresses wurde, auf die Entwicklung des europäischen Theaters rekurrierend, das auf einem Szenarium basierende Rollenspiel definiert, sei es als volkstheatraler, vom Stegreif herkommender Mimus, sei es als szenische Umsetzung einer (literarischen) Textvorlage. Dieser Untersuchungsgegenstand verlangt aber von vornherein interdisziplinäre Annäherung und weist überdies mit so manchen Komponenten über die Geisteswissenschaften hinaus, denen die Theaterwissenschaft ursprünglich zugeordnet war.
Gerade die deutschsprachige Theaterwissenschaft mußte, wie andere kulturwissenschaftliche Fächer auch, den Rechtfertigungsdiskurs nicht nur um wissenschaftliche Anerkennung gegenüber den Naturwissenschaften, sondern auch in kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit führen.
In den Methode und Theorie des Faches diskutierenden Publikationen(2) fällt, ob nun (sozial)historisches, kunsttheoretisch-ästhetisches, phänomenologisches oder anthropologisches Erkenntnisinteresse im Vordergrund steht, das Bestreben auf, neue Kriterien für "Theater", also für den ins "Theatrale" bewußter Inszenierungen jenseits der definierten Bühne geweiteten Untersuchungsgegenstand zu finden. Eine solche Ausweitung macht fraglos auch sensibel für einen nicht eurozentrischen Blick auf theatrale Eigengesetzlichkeit außerhalb des eigenen Kulturkreises. Trotzdem ist die Gefahr einer Gratwanderung zwischen Verengung einerseits und Öffnung zu einer allumfassenden Beliebigkeit wissenschaftlichen Dilettierens nicht von der Hand zu weisen.
Die mögliche Überfülle an verfügbarem Material (durch EDV-Recherche und globale Vernetzung) provoziert grundsätzlich Phantasielosigkeit bei der Quellenrecherche und Orientierungslosigkeit gegenüber der Wertigkeit des Aufgefundenen. Läßt sich zu beinahe jedem Thema ein Wust an Sekundärliteratur - ohne Ariadnefaden - festmachen, dann scheint alles gleich wichtig. Nicht auf die Quantität der wissenschaftlichen Literatur sollte es ankommen, sondern auf deren Erkenntnis fördernde Qualität.
Die innovative Möglichkeit eines das audiovisuelle Instrumentarium einbeziehenden Publikationsverfahrens birgt gerade durch die nach Illustration verlangenden Untersuchungsfelder der Theaterwissenschaft die Gefahr zur (ohnehin bereits eingeleiteten) "Verfeaturung" der wissenschaftlichen Darstellung unter weitreichendem Verzicht auf die individuelle Handschrift des/der Autors/Autorin. Die individuelle Handschrift bzw. die individuelle Stimme im Polylog sollte gerade im technologischen Zeitalter deutlicher in den Vordergrund treten.
ANMERKUNGEN
1 | Zur Problematisierung des Kulturbegriffes vgl. den Konferenz-Beitrag von Anil Bhatti. |
2 | Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Texte zum Selbstverständnis. Hrsg. von Helmar Klier. - Darmstadt 1981 (Wege der Forschung; 548); Theaterwissenschaft heute - eine Einführung. Hrsg. von Renate Möhrmann. Unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Matthias Müller. - Berlin 1990. |
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