Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion VII: "Interkultureller" Austausch, transkulturelle Prozesse und Kulturwissenschaften

Section VII:
"Intercultural" Exchange, Transcultural Processes and Cultural Studies

Section VII:
Echange interculturel, processus transculturel et études culturelles


Wu Xiaoqiao (Beijing)
Ku Hung-Ming und der Kulturdialog zwischen China und Europa im 20. Jahrhundert

 

Die Tradition des Kulturdialogs und Kulturaustausches zwischen China und Europa hat eine lange Geschichte. Der große deutsche Philosoph und Chinaverehrer Leibniz, der im Jahre 1697 "Das Neueste von China" herausgegeben hat, interessierte sich für die konfuzianische Philosophie und versuchte einen tiefer gehenden Kulturdialog mit China zu führen. Der französische Aufklärer Voltaire erhielt aus der Übersetzung des chinesischen Dramas "Die Waise aus dem Haus Dschau" die Anregung zu seiner Tragödie "L'orphelin de la Chine".

Diese Tradition des kulturellen Dialogs zwischen China und Europa möchte ich im vorliegenden Beitrag zeigen, am Beispiel von Ku Hung-Ming, einer bekannten und einflußreichen chinesischen Persönlichkeit. Es geht dabei auch darum, sich einen kurzen Einblick zu verschaffen, wie sich die Hauptrepräsentanten der modernen chinesischen Intellektuellen mit der eigenen Kulturtradition sowie mit den europäischen geistigen Ideen auseinandergesetzt haben.

Im Prozeß des kulturellen Dialogs zwischen China und Europa im 20. Jahrhundert gilt Ku Hung-Ming (1857-1928) als bedeutende Figur. Anfang dieses Jahrhunderts hat er mit einer Reihe kritischer Schriften über den Ersten Weltkrieg in Europa und einen Ausweg aus dem Krieg bei europäischen zeitgenössischen Intellektuellen große Resonanz ausgelöst. Ku ist heute sowohl in Europa als auch in China noch nicht ganz inVergessenheit geraten.

 

I   Ku Hung-Ming als ein kulturelles Phänomen: Studienaufenthalte in Europa und Verteidigung gegen europäische Ideen. Ku Hung-Mings Kulturtheorie und Kulturwillen

Als einer der frühesten chinesischen Intellektuellen, die in Europa die Universität besuchten, war Ku Hung-Ming mit der europäischen Zivilisation sehr gut vertraut. Am 29. 07. 1857 wurde Ku Hung-Ming als Sohn einer wohlhabenden chinesischen Kaufmannsfamilie in Penang bei Malaysia, einer englischen Kolonie geboren(1). Mit 16 Jahren kam er nach Europa. Nach dem Magisterstudium in Edinburgh hielt er sich mehrere Semester in Deutschland auf und ließ sich in Leipzig an der Universität immatrikulieren. Während seiner Studienzeit unternahm er vielfach Reisen innerhalb des Landes. Besonders häufig hat er sich in Jena aufgehalten. Nach dem Abschluß des Studiums in Deutschland verbrachte Ku auch in Paris einige Monate.

Nach seiner Rückkehr nach China im Jahre 1888 war Ku als Sekretär des Generalgouverneurs von Wuchang, Chang Chih-Tung, tätig. Seine Betrachtungen über politische und kulturelle Umwälzungen in China in bezug auf die Kolonialpolitik der westlichen Großmächte legte er in dem Buch: "Papers from a Viceroys Yamen"(2) nieder, das 1901 in englischer Sprache in Schanghai erschien. Die starke kulturbewahrende Ausprägung von Kus Kulturtheorie präsentiert sich vor allem in dem Werk "Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen" (1911), in dem die Schrift "Die Geschichte der chinesischen Oxfort-Bewegung" am bekanntesten ist, und in dem englischen Werk "The spirit of the Chinese People, With an Essay on The War and The Way-Out" (Peking, 1915; Deutsche Übersetzung: "Der Geist des chinesischen Volkes oder Der Ausweg aus dem Krieg" 1916), wo man auch die wichtigsten Ansichten Kus über die Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen der chinesischen und der europäischen Kultur lesen kann.

Er verfaßte das zeitpolitische Werk "Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen", um zu zeigen, "wie seit der Ankunft der Europäer in China wir Chinesen versucht haben, die zerstörenden Kräfte der materialistischen Zivilisation Europas zu bekämpfen und verhindern, daß dadurch Schaden geschehe an der Sache der guten Regierung und wahren Kultur."(3) Er schrieb: "Wir Chinesen als Nation haben uns bisher dieser echten Macht innerhalb der chinesischen Kultur noch wenig bedient, um die Kräfte der modernen Zivilisation Europas zu bekämpfen ."(4)

In diesem letzten Buch versuchte Ku Hung-Ming, "den Geist, oder die Seele der chinesischen Zivilisation zu erklären und ihren Wert zu zeigen"(5). Das Buch gilt als eine Erklärung an die europäische Welt und erwies sich als heftige Verteidigung der traditionellen chinesischen Kultur gegen die militärischen und materialistischen Tendenzen der modernen europäischen Zivilisation sowie als Kritik gegen den Gedanken der "Pöbelverehrung". Seiner Ansicht nach führte diese Rücksichtsnahme auf die Masse des Volkes auch zum Weltkrieg. Was die Ähnlichkeiten der verschiedenen Kulturen betrifft, vertritt Ku die Meinung: "Wenn man in der Tat die a+b=c. Gleichung richtig gelöst hat, wird man finden, daß nur ein geringer Unterschied zwischen dem Osten des Konfuzius und dem Westen Shakespeares und Goethes besteht ...."(6)

Im Zusammenhang mit den Verwestlichungströmungen in China legte Ku Hung-Ming großen Wert auf den geistigen Austausch zwischen China und Europa. Die Einführung westlicher Waffen u. ä. lehnte er strikt ab. In seinen Schriften bekämpfte er mit großem Aufwand Militarismus und Materialismus. Er betonte moralische Werte und geistige Kräfte der chinesischen Kultur und plädierte in den Schriften "The Spirit of the Chinese People" für die moralischen Elemente des Konfuzianismus.

Ku Hung-Ming bekennt sich vielmehr zu den klassischen Ideen sowohl der chinesischen als auch der europäischen Kultur. Seine Gedanken schienen deswegen den Zeitgenossen in mancher Hinsicht konservativ zu sein. Bei seiner geschickten Analyse und Begründung standen ihm sowohl die Sprüche aus den chinesischen Klassikern wie Konfuzius, Menzius, Tu Fu als auch die Zitate und Verse aus dem europäischen Gedankengut zur Verfügung. Dank der langjährigen Bildung in Europa, vor allem in Deutschland, gehörte Ku damals zu den wenigen, die Goethe in den Schriften über kulturelle Ähnlichkeiten zwischen China und Europa mehrfach zitierten. Man muß sich vor Augen halten, daß dieser deutsche Dichter damals in China noch völlig unbekannt blieb(7). Neben Goethe zitierte er auch öfter Shakespeare, Voltaire, Wordsworth, Heine, Emerson, Beranger. Insbesondere der englische Schriftsteller Mathew Arnold hat auf Ku Hung-Ming sowohl stilistisch als auch in seinen Überzeugungen tief beeinflußt.

Mit der Situation der damaligen europäischen Sinologie war Ku auch sehr unzufrieden. Er übte heftige Kritik an den damaligen schlampigen Übertragung der klassischen chinesischen Werke, die nach Kus Meinung zum falschen Verständnis der chinesischen Kultur in Europa beigetragen hatte. Um die wahren Ideen der chinesischen Kultur dem westlichen Publikum vorzustellen, widmete er sich auch selbst der Übertragung der konfuzianischen Lehre ins Englische. Im Jahre 1898 erschien Kus "The Discourses and Sayings of Confucius: A New Special Translation, Illustrated with Quotations from Goethe and Other Writers" in Shanghai. Ku unternahm auch den Versuch, ein anderes bedeutendes Werk des konfuzianischen Zivilisation, nämlich "The Universal Order of Conduct of Life. A Confucian Catechism" (Die Allgemeine Ordnung oder Lebensführung. Konfuzianischer Katechismus; Shanghai 1906) ins Englische zu übersetzen. Mit der Übersetzung hat Ku Hung-Ming auch einen Beitrag zur Verbreitung der chinesischen Kultur in Europa geleistet.

 

II  Suche nach der "wahren" Kultur: Die Reaktionen der europäischen zeitgenössischen Intellektuellen auf die Gedanken Ku Hung-Mings und die Wiederentdeckung des chinesischen Gedankenguts in europäischer Geisteswelt: Ku Hung-Mings Einfluß in Europa

Im Laufe der Industrialisierung in Europa machten sich viele europäische Denker und Schriftsteller Gedanken über die Krise der europäischen Kultur und versuchten, einen Ausweg aus dem Sumpf der materiellen Zivilisation im außereuropäischen Kulturraum zu suchen. Sie begeben sich, um es mit dem Begriff des österreichischen Schriftstellers Robert Musil aus seinem Werk "Der Mann ohne Eigenschaften" auszudrücken, auf die Suche nach einem anderen Zustand(8), indem sie den Blick vor allem nach Osten wendeten. Die chinesische Gedankenwelt, die sich vor allem in Konfuzianismus, Taoismus und Buddismus verkörpert, präsentierte sich den europäischen Intellektuellen auf dieser geistigen Expeditionsreise als neue kulturelle Dimension(9).

Vor diesem Hintergrund fand die aufschlußreiche Verteidigung der chinesischen Kultur durch den chinesischen Literaten Ku Hung-Ming, in Europa, insbesondere in Deutschland, sowohl bei der allgemeinen Öffentlichkeit als auch bei den zeitgenössischen kritischen Intellektuellen ein großes Echo. Es war das erste Mal in diesem Jahrhundert, daß ein zeitgenössischer chinesischer Literat in Europa einen solch großen Publikumserfolg erzielt hatte.

In Deutschland machte sich Ku Hung-Ming vor allem durch die Schrift "Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen, kritische Aufsätze", die 1911 erschien, und anschließend durch das vier Jahre später publizierte Werk "Der Geist des chinesischen Volkes und der Ausweg aus dem Krieg", einen Namen.(10)

Kus Schrift "Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen"(11) wurde vom deutschen Sinologen Richard Wilhelm, der auch mit Ku persönlich bekannt war, ins Deutsche übersetzt und mit einer langen Einleitung von Alfons Paquet versehen. Alfons Paquet hat während seines Aufenthalts in China auch Ku Hung-Ming persönlich besucht.

Von den Kulturtheorien Ku Hung-Mings war beispielsweise der Philosoph Rudolf Pannwitz besonderes begeistert. Er schrieb folgendermaßen in seinem Werk "Die Krise der europäischen Kultur": "Der klassische chinese kuhungming wie zu fürchten ist der einzige mensch der heute noch lautere ansichten mit der kultur hat- nicht der materialismus der idealismus im materialismus ist die verderbnis- hat die erstaunliche vergleichung der letzten vornehm geistigen bewegung in china mit der bis ins einzelne entsprechenden englischen oxfortbewegung die schelleyschen geist erweckt erschütternd durchgeführt und damit auf beide weltgeschichtliches licht geworfen der chinesischen demonstenes."(12)

"Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen" besprach der junge Hermann Hesse kurz im Februar 1912 in der Münchner Wochenschrift "Der März".(13) Alfons Paquet veröffentlichte einige Monate zuvor (Sept. 1911) einen Aufsatz unter dem Titel "Chinesische Schriftsteller" in der gleichen Zeitschrift. Walter Benjamin war auch vom starken Kulturwillen Ku Hungmings begeistert. In einem Brief an einen Freund bezieht er Stellung zu Kus Kulturtheorie. Dort heißt es: "Ein solcher trat mir entgegen in dem chinesischen Literaten Ku Hung-Ming, der ein Buch geschrieben hat "Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen". (Bei Diederichs). Es ist im einzelnen bei meiner völligen Unkenntnis der chinesischen Politik nicht anschaulich gewesen; doch es überrascht, unter ganz fernen Verhältnissen einen so radikalen Kulturwillen zu bemerken, wie Hung-Ming ihn bewährt. Er steht jenseits der Parteipolitik, beurteilt die führenden Persönlichkeiten rücksichtslos nach ihre moralischen Dignität und sieht für das heutige China mit Schrecken die Gefahr, daß es vom den zynischen industrialistischen Geist Europas vergewaltigt werden kann."(14)

Wir wissen auch, daß der dänische Kritiker Georg Brandes eine lange Besprechung über Ku Hung-Ming geschrieben hat. Auch der deutsche Moralphilosoph Leonard Nelson, Professor in Göttingen, setzte sich mehrfach in seinen Werken für Ku Hung-Mings Kulturtheorie ein.(15) Kus Schriften wurden auch von Harold Svenberg ins Schwedische übersetzt. In Paris erschien das Werk "The Spirit of the Chinese People" im Jahre 1920 in französischer Sprache.

Am 26. Oktober 1908 schrieb Tolstoi in seinem Tagebuch: "Gestern von einem Chinesen ein Buch erhalten. Es veranlaßt zum Nachdenken."(16) Der Chinese war Ku Hung-Ming, mit dem Tolstoi schon 1906 in Korrespondenz stand. Die Bücher, die Ku Hung-Ming Tolstoi von Shanghai sandte, waren die von jenem angefertigten englischen Übersetzungen der konfuzianischen Klassik: "The Universal Order of Conduct of Life. A Confucian Catechism" (Die Allgemeine Ordnung oder Lebensführung. Konfuzianischer Katechismus; Shanghai 1906) und "Great Learning of Higher Education" (Das große Lernen bei höheren Bildungen). Beachtenswert ist, daß Tolstoi wie andere europäische kulturelle Vertreter in China noch völlig unbekannt blieb. Am 21. November 1906 veröffentlichte Tolstoi den "offenen Brief an einen Chinesen" (17) in der Zeitschrift "Nowoje Wremja", der in kurzer Zeit ins Englische, Französische und Deutsche übersetzt wurde. In Form eines öffentlichen Briefes antwortete Tolstoi auf ein Schreiben von Ku Hung-Ming, der ihm eine englische Übersetzung seiner Werke "Und nun versteht, ihr Herrscher! Über die moralischen Ursachen des Russisch-Japanischen Krieges" (Et nunce reges, intelligite! The moral causes of the Russo-Japanese war) (Shanghai 1906) und "Aus den Papieren des Vizekönigs Yamen" (Papers from a Viceroy's Yamen, a Chinese Plea for the cause of good goverment in true civilisation in China) gesandt hatte, in denen Tolstoi in bezug auf die Revolution ihm nahestehende Anschauungen fand.

Mit dem indischen Dichter Tagore ist Ku in Peking zusammengetroffen, als der Nobelpreisträger für Literatur 1924 China besuchte.

Ku Hung-Ming hat mit seinen Werken in westlichen Sprachen den Kulturdialog zwischen China und Europa in diesem Jahrhundert eingeleitet. Im 20. Jahrhundert sind immer mehr europäische Schriftsteller von der chinesischen Kultur begeistert und haben davon profitiert, und zwar nach dem Vorbild von Leibniz, Voltaire und Goethe. Im Bereich der deutschsprachigen Literatur und der Geistesgeschichte allein können wir Bertolt Brecht, Elias Canetti, Hermann Hesse und sogar den Philosophen Martin Heidegger, um nur einige zu nennen, anführen. Aus verschiedenen Perspektiven haben sie das chinesische Gedankengut in ihr Werk bzw. in ihre Ideenwelt aufgenommen.

 

III  Ku Hung-Ming-Renaissance in China seit den 80er Jahren: Vom Westen lernen und die Rückkehr zur eigenen Kulturtradition

Auf dem Gebiet des interkulturellen Austauschs zwischen China und Europa gehört Ku Hung-Ming in China zu den wenigen bahnbrechenden Vorläufern, die durch die Studienaufenthalte in europäischen Ländern befähigt waren, sich mit den chinesischen kulturellen Traditionen im Blick auf die westliche Gedankenwelt kritisch auseinanderzusetzen. In den 20er und 30er Jahren fand Ku zur gleichen Zeit auch in China seine Nachfolger bei den neuen Gelehrten, die Gelegenheiten hatten, durch Studienaufenthalte entweder in den USA oder in Europa die westliche Zivilisation kennenzulernen, und sich nach der Heimkehr neben der Einführung der europäischen Ideen auch der Renaissance der alten chinesischen Kultur zu widmen. Dazu zählen Lin Yutang, der sich seit den 30er Jahren durch das Bestseller "Mein Land und mein Volk" sowohl in Europa wie in den USA einen großen Namen gemacht hat, und nicht zuletzt der im letzten Jahr gestorbene sehr belesene Gelehrte Qian Zhongshu (1910-1998), der in Oxford und in Paris mehrere Jahre studierte und mit seinem umfangreichen Werk "Guanzhui pian" einen großen Beitrag zur Komparatistik geleistet hat.

Im Jahre 1956 erlebte Kus Werk in Taiwan eine Neuauflage. Auf dem Festland wurde Ku Hung-Ming nach der Gründung der Volksrepublik eine Zeitlang als Vertreter der Reaktionäre abgestempelt und geriet in der Öffentlichkeit in Vergessenheit. Das war auch die Zeit, als die alten chinesischen kulturellen Traditionen, insbesondere die konfuzianischen Ideen, in der sogenannten "Kulturrevolution" geächtet waren.

Seit Mitte der 80er Jahre wird Ku in China nach und nach wieder als Meister und Kenner der traditionellen wie der europäischen Kultur anerkannt. Zur Zeit erlebt Ku bei den chinesischen Intellektuellen eine Wiederentdeckung.(18) Die Öffentlichkeit findet wieder Zugang zu seinen Hauptwerken. Die Gründe, warum es zu einer Ku Hung-Ming-Renessance in China gekommen ist, liegen darin, daß die Konzeption der sogenannten völligen Europäisierung gescheitert ist und daß die Bedeutung der Pflege der Tradition wieder von der Öffentlichkeit anerkannt worden ist.

 

IV  Aussicht: Sino-euro-Kulturdialog und Frieden

Bei Ku Hung-Ming ist noch hervorzuheben, daß er mit seinen geistreichen Werken, die in westlichen Sprachen erschienen und in Europa einem großen Publikum zugänglich waren, am damaligen internationalen kulturellen Dialog intensiv und unmittelbar teilgenommen hat. Das geschah in einer Zeit des heftigen Eurozentrismus und Kolonialismus seitens der Europäer.

Die Schriften Ku Hung-Mings erwiesen sich als frühere erfolgreiche Versuche von Seite der chinesischen Literatenkreise, die eurozentrische Dominanz im Kulturdialog zwischen China und Europa am Anfang dieses Jahrhunderts anzugreifen. Dabei hat Ku sich der komparatistischen Methode bediente, um Parallelen und Analogien aus dem Gedankengut der beiden Kulturen zu entnehmen. Er zeigte sich immer bereit, eine friedliche Kultur zu pflegen und sie gegen die zerstörenden Kräfte des Materialismus und Miltarismus zu verteidigen. Das heißt, der Ausgangspunkt Ku Hung-Mings war nicht die einfacheVerneinung einer anderen fremden Kultur, sondern Beachtung der geistigen Kultur und die Notwendigkeit des Voneinanderlernens zwischen verschiedenen Kulturen, was er unter dem Begriff "Erweiterung des Gesichtskreises"(19) verstanden hat. Der Begriff "Erweiterung des Gesichtskreises" hat seine Notwendigkeit und Richtigkeit schon begründet, und zwar in der Zeit, da die Kulturwissenschaften die Kräfte der Produktivität und des Friedens bedeuten sollen.(20)

Es ist zu hoffen, daß im Zuge der Globalisierung in den kommenden Jahrzehnten diese Erweiterung des kulturellen und geistigen Gesichtskreises, das Voneinanderlernen der Kulturen weitergeführt werden kann. Kulturwissenschaften haben dabei die wichtige Aufgabe, ihre Produktivität in den Dienst des Friedens und der Völkerverständigung zu stellen. Die Kultur des Friedens statt die Kultur des Konflikts und des Krieges wird am Ende die Hauptströmung der Entwicklung der Menschheit werden.

 

ANMERKUNGEN

1 R. David Arkush: Ku Hung-Ming (1857-1928). In: Papers on China. Published and distributed by the East Asian Research Center Harvard University. Vol. 19 (1965), S. 195
2 Yamen nennt man das Amtsgebäude eines Generalgouverneurs.
3 Ku Hung-Ming: Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen. Kritische Aufsätze. Jena 1911, S.130
4 ebd., S. 133.
5 Ku Hung-Ming: Der Geist des chinesischen Volkes und der Ausweg aus dem Krieg. Jena 1916, S. 9
6 Ebd., S. 155-156.
7 Zu den Gelehrten, die in der Zeit der Spät-Qing-Dynastie Goethe zitierten, gehörten auch Wang Guowei, Liang Qichao, Su Manshu und nicht zuletzt der große Schriftsteller Lu Xun.
8 Den Gedanken der "Suche nach dem anderen Zustand" hat Musil im Roman mehrfach zum Ausdruck gebracht. Vgl. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hg. von Adolf Frisé. Neu durchgelesene und verbesserte Ausgabe. Hamburg, Rowohlt 1978, S. 110.
9 Über die Einflüsse der ostasiatischen, insbesondere der chinesischen Gedankenwelt auf die deutschsprachige Literatur vgl. Ingrid Schuster: China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. Bern 1977.
10 Ku Hung-Ming: Der Geist des chinesischen Volkes und der Ausweg aus dem Krieg. Jena: Diederich 1916.
11 Ku Hung-Ming: Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen . Kritische Aufsätze. Mit Einleitung von Dr. Alfons Paquet. Jena: Diederich 1911. Ku Hung-Mings bedeutende Abhandlung "China und die Europäer" wurde auch in der expressionistischen Wochenschrift "Die Aktion" veröffentlicht.
12 Rudolf Pannwitz: Die Krise der europäischen Kultur. Nürnberg 1917, S. 157.
13 Hermann Hesse: Die Welt im Buch. Leseerfahrungen II: Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911-1916. Hrsg. von Volker Michels in Zsm. mit R. Hesse. Suhrkamp 1998, S. 78-79.
14 Walter Benjamin: Gesammelte Briefe. Bd. 1 1910-1918. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Frankfurt a. M . 1995, S. 77-78.
15 Leonard Nelson: Gesammelte Schriften in neuen Bänden. Bd. VIII: Sittlichkeit und Bildung. Hamburg 1971, S. 200.
16 Leo N. Tolstoi: Tagebücher. 1847-1910. Aus dem Russischen übersetzt von Günter Dalitz. Winkler Verlag München 1979, S. 785.
17 Tolstoi schrieb am 15. September 1906 im Tagebuch" einen Brief an einen Chinesen begonnen". In: Tolstoi: Tagebücher, a.a.O., S. 729 und Anm. Tolstoi: Brief an einen Chinesen. Darlegung der Gefahren Repräsentativer Verfassungen. Mit einem Anhang von Sprüchen chinesischer und buddhistischer Weisheit. Autorisiert übersetzt aus dem Russischen von Dr. Albert Skarvan. Hannover 1911.
18 Seit den 80er Jahren ist es in China zu einer "Ku Hung-Ming-Fieber" gekommen. Soviel ich weiß, erschienen folgende Bücher über Ku Hung-Ming: Dong Fangyue: Modai kuangru wanqing qishi Ku Hung-Ming (konfuzianischer Gelehrter der letzten Dynastie und eigentümliche Persönlichkeit der Spät-Qing-Dynastie: Ku Hung-Ming). Kunming 1996; Huang Xingtao: Wenhua guaijie Ku Hung-Ming. Beijing 1995; Jiang Ke: Ku Hung-Ming zhuan (Biographie von Ku Hung-Ming). Hefei 1993; Neuaufl. unter dem Titel: Xueguan zhongxi, jingshi qicai: Ku Hung-Ming zhuan (Kenner der sino-euro-Kultur, die Welt schockierendes Genie: Biographie von Ku Hung-Ming). 1997; Kong, Qingmao: Ku Hung-Ming pingzhuan (Kommentierte Biographie von Ku Hung-Ming). Nanchang -Guoxue dashi congshu 23; Song Binghui (Hg.): Ku Hung-Ming yingxiang (Eindrücke Ku Hung-Mings). Beijing 1997; Yang Guanghui: Ku Hung-Ming zhuan (Biographie von Ku Hung-Ming). Haikou 1996.
19 Ku Hung-Ming: Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen. Jena 1911, S. 18-26
20 Herbert Arlt: Kulturwissenschaften und "Culture of Peace". In: International Cultural Studies - Internationale Kulturwissenschaften - Etudes culturelles internationales. WWW: http://www.inst.at/studies.



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