Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion X: Mehrsprachigkeit: Regionen, "Nationen", Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität

Section X:
Multilingualism: Regions, "Nations", Multiculturalism, Interculturalism and Transculturalism

Section X:
Plurilinguisme: régions, "nations", multiculturalité, interculturalité, transculturalité


Stefan Alexe (Bukarest/Wien)
"Der Eine und die Vielen". Künstliche Identität und kulturelle Wandlung im virtuellen Raum

Die beste Definition des Internets ist diejenige, die den hypertextuellen Cyberspace als ein "Pflichtvergnügen" versteht - dies war wenigstens bis vor kurzem der Fall: die Veränderungen in der digitalen Welt sind dermaßen rasant, daß die virtuellen Welten, die unlängst als digitale Feriendörfer und Entspannungsanlagen Freiheiten boten, die in der realen Welt schwer denkbar waren, heutzutage zu einem schlichten Arbeitsplatz umfunktioniert wurden; die bislang "netiquettierte" Welt erlebt eine Etablierung von Konventionen, von Regeln, von Do’s aber besonders von Don’t’s. Die Cyber-Welt, die in ihren MUDs und MOOs unvergeßliche Quests erleben durfte, die in den Irrgärten der Hyperlinks eine volle Informationsfreiheit austoben durfte, in der die Suchmaschinen sich eingestehen mußten, nur unperfekte Wegmarken für die perfekt unendliche Welt zu sein, diese Cyber-Welt nähert sich der Situation, ihre wuchernden exotischen Phantasiegärten mit der nüchternen Büropflanze tauschen zu müssen.

Dies ist eine Schreckensvision für jeden, der im Internet nur eine Informationsquelle sieht, aus der er hemmungslos leechen kann, was downloadbar ist. Die digitale Vernetzung durch das Internet ist sicherlich weitaus zu komplex, um in sehr kurzer Zeit eine dynamische, jedoch nicht lebendige Datenbank darzustellen, die dem Menschen die Sicherheit des Übersichtlichen wieder verleihen wird. Zeit ist Geld, und während der Technik eine scheinbare Unendlichkeit von Entfaltungsmöglichkeiten in die Wiege gelegt wurde, wählt der Mensch den wirtschaftlich korrekten Weg der Informationsverbreitung und -verarbeitung.

Die Maschine ist der Spiegel des Menschen. Die heutigen und späteren Generationen wachsen in eine Technologie hinein, die für sie selbstverständlich ist; diese Tatsache ist keineswegs beunruhigend. Denn letztendlich sollte jede Maschine dem Menschen "dienlich" sein - solange dieser aber nicht wie der Zauberlehrling endet und die Informationsfluten, die er aus Eigennützigkeit heraufbeschworen hat, nicht mehr bremsen kann und in ihnen unterzugehen droht. Denn der Meister, der ihn davor bewahren könnte, ist nicht mehr in seiner magischen Gegenwart hilfreich zur Seite des Lehrlings, sondern kann als Systemadministrator höchstens den untersten Layer der fünf-Ebenen-Struktur des Internets sperren, damit die physikalische Unterstützung der anderen Ebenen automatisch eingestellt wird. Das Information-Retrieval kann aufgehalten werden, damit die Unübersichtlichkeit oder Datenfülle keine negative Auswirkung auf den End-User hat, doch als wirklich erlöst kann dieser sich nicht bezeichnen.

Die gesündeste Art mit dem Internet umzugehen, ist für viele End-User eine Informations-Disziplin und sogar eine Selbstzensur im Information-retrieval. Eine niedrige Übertragungsrate ist von Anfang an ein Info-Killer. Darum ist ein gründliches Suchen - Link für Link - ein Luxus, den viele sich nicht - zeit- oder technisch bedingt - nicht leisten können Und selbst wenn die Technik Lösungen bietet, eine bessere Verbindung herzustellen, so bleibt aufgrund der Datenmenge der Zeitmangel ein wichtiger Faktor in der Analyse internetbezogener Inhalte. Trotzdem versteht der Mensch die Wirklichkeit und Notwendigkeit virtueller Räume und nistet sich langsam in den Welten aus Nullen und Einsern ein - durch eine sich in ihrer Proteushaftigkeit immer verändernden Technologie.

Die Zeiten sind vorbei, in der "Gelben Seiten" des Internets - meist Werke von dem Umfang eines Telefonbuchs - die Telnetverbindungen auflisteten; meist handelte es sich dabei um Protokolle, die heute entweder in ein Internetmuseum gehören oder so von der Benützerfreundlichkeit der Technologie (hauptsächlich der Browser und Operationssysteme) eingekapselt wurden, daß sie komplett unbekannt sind. Wer diese heutzutage obsolet erscheinenden Protokolle versteht, ist entweder selig oder ein Hacker. Der Nachfrage-"Push" an Kommunikationsmethoden audio-visueller Natur, der früher Schwierigkeiten im Bereiche der Implantation von normgerechten Methoden verzeichnete, wurde neuerdings in einen Technologie-Push mit neuem Vorzeichen umgeändert. Der Mensch diktiert nicht mehr die Kommunikationskanäle, sondern diese werden ihm diktiert.

Das digitale Fernsehen ist nur ein Beispiel für die Tatsache, wie nicht die Nachfrage nach Technologie deren Fortschritt bestimmt, sondern umgekehrt, wie die technologische Entwicklung die Kommunikationsmöglichkeiten bestimmt. Technologie verkleinert die Welt, wie es auch der IBM-Slogan verdeutlicht; jedoch nur zu gut ahmt sie darin die Entwicklung der Rechenmaschinen nach und bietet steigende Performanz auf immer kleiner werdender Fläche. Dies führt nicht zu der Technologisierung aufgrund einer Leerstelle in der Kommunikation; das Vakuum in der fortschreitenden Vernetzung und Digitalisierung erfordert neue Ansprüche an die Kommunikation im virtuellen Raum.

Der virtuelle Raum beginnt nicht jenseits des Modems, denn dieser ist nicht die Summe des digital Möglichen sondern des menschlich Wahrnehmbaren. Hypertextuell werden die Daten in Informationsräumen angeboten, jedoch der Weg der Wissensverarbeitung - Repräsentation, Suche, Beweisen - erfolgt noch immer linear als Sukzession von Informationen und Inferenzen. Dabei schwingt in dieser Aussage die altbekannte Computermetapher des Gehirns mit, wobei primär nicht die Modellierung des Geistes durch ein Computerprogramm verstanden wird, sondern die Hypothese, daß das menschliche Gehirn selbst ein Computer ist, also doch nicht so weit von seinen CPU-Verwandten entfernt wäre:

Jedes beliebige materielle System mit dem richtigen Programm, den richtigen Inputs und Outputs hätte nach dieser Auffassung in genau demselben Sinn einen Geist, in dem Sie und ich einen Geist haben. Würde man also beispielsweise einen Computer aus alten Bierdosen mit Windmühlen-Antrieb bauen, dann hätte dieser Computer einen Geist, wenn er das richtige Programm hätte. (Searle 1989: 27, in: Fleissner 115)

Dabei muß bemerkt werden, daß Searle selbst sich für die "schwache" KI eingesetzt hat, die, entgegengesetzt zu der sogenannten "starken" KI (D. Dennett, R. Dawkins), die Möglichkeit eines künstlich produzierten Geistes ausschloß. Bemerkenswert ist jedoch die doppelte Beschreitbarkeit der Analogie zwischen Gehirn und Maschine: während bei der Projektion des Geistes auf den Computer eine Gegenreaktion in die Richtung der Hervorhebung der Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens entsteht - eine Reaktion, die unterschwellig moralisch-ethische Gedanken mit sich führt - erscheint die Analogie des Gehirns mit der Maschine fast schmeichelhaft, wenn an die Breite der Möglichkeiten gedacht wird, die ein Computer im Rahmen der Informationsverarbeitung mit sich führt: "(…) weltweit benötigt es allein fünfeinhalb Milliarden Menschen, in effektive Arbeitsteams eingeordnet, um die Arbeitsleistung von ca. vier Millionen Computern zu ersetzen" (Laszlo 1992, in: Fleissner 202) wobei natürlich weiterhin die Komplexität des menschlichen Gehirns und die Unnachahmbarkeit durch neuronale Netze hervorgehoben wird. Auf den Alltag projiziert, nimmt diese Dichotomie völlig andere Formen an: die Einzigartigkeit des Menschen, die vor allem durch die Unmöglichkeit der digitalen Nachbildung hervorgehoben wird, steht plötzlich nicht mehr so sehr zur Diskussion, wenn es um maschinell getreue Performanz geht. Dabei wird die Maschine "PC" zu einer Extension der Maschine "Mensch". Und gerade in diesem Punkt treffen sich beide Richtungen - die philosophisch und die wirtschaftlich geprägte Richtung einerseits, die "starke" und die "schwache" KI andererseits: der virtuelle Raum liegt nicht jenseits einer geistigen Abgrenzung. Umgekehrt ist aber zu sehen, daß die Technologie nicht das getreue Abbild dieses geistigen Raums ist, sondern ein Eigenleben führt, in das sich der Mensch "einleben" muß, um online "überleben" zu können.

Denn der virtuelle Raum ist interaktiv: er entsteht durch Feedback und ist dementsprechend dynamisch und unstabil. Doch selbst in seiner technologischen Geprägtheit scheinen mythische Strukturen hindurch, und zwar durch seine Anisotropie, seine Unhomogenität und seine Diskontinuität (siehe zu der Beschreibung des mythischen Raums Hübner 169f.). Die virtuellen Sub-Räume sind nicht beliebig austauschbar, obwohl der Grundgedanke des am Ursprung des Internets liegenden ARPA-Nets die physische Austauschbarkeit von Knotenpunkten war (Anisotropie). Bookmarks und Links sind sodann die besten Beispiele der existierenden Unhomogenität und Diskontinuität von Informationen, da sie nicht nur die mnemotechnische Funktion des Wiederfindens einer Adresse erfüllen, sondern darüber hinaus eine persönliche Hierarchie von Informationen etablieren, die kollektiv oder individuell einen Maßstab bilden kann. Letzendlich spielten in der Bestimmung dieser Hierarchien die Suchmaschinen eine nicht unwichtige Rolle. Dabei wird aber die Relevanz der Information nicht von dem wahren Inhalt, sondern von der repetitiven Fülle der in den Metatexten befindlichen Schlagwörtern abhängig gemacht und wirkt sich weiterhin "Web"-bildend fort.

Eine erste Folge ist ein Orientierungsverlust: subjektive Werte prallen aufeinander, und kristallisieren in diesem Kommunikationsprozeß die Informationsstabilität; dabei dehnt sich das Angebot von einer starren WYSIWYG-Politik, in der das Informationsangebot nicht über eine detailgetreue Broschüre - vielleicht sogar in Hypertextform - hinausgeht bis zu der sich immer verändernden Grauzone von Hypertextexperimenten - vor allem in universitärem Bereich -, in denen die Spezifizität des Mediums aufs vollste ausgenützt versucht sein will. In diesen beiden Dimensionen findet sich die leibnizschen kombinatorisch geprägten Mnemotechnik-Begriffe des situs absolutus und situs relatus gestreift: mit dem Unterschied, daß hier das Mythische des absoluten Orts - aus dem überhaupt die Möglichkeit der Diskontinuität und Unhomogenität entsteht - in das Übersichtliche umgewandelt wird und eine größtmögliche Benützerfreundlichkeit beweist. Der Spielraum für die Potentialität der z.Z. existierenden Hard- und Softwaretechnologien ist dann vom Benutzerwissen beschränkt und wirkt sich auf den virtuellen Raum mitbestimmend aus; beide Richtungen vereinigen die noch im Anfangsstadium sich befindlichen hypertextbasierenden Tutorial-Systeme, die durch die sich individuell anpassende Generierung von Textbausteinen ein intelligentes User-Interface bilden.

Der virtuelle Raum ist in seinem individuell abgestimmten Konstruktionsverständnis besonders durch die Offenheit des Informationsraums geprägt. Die Buchkultur, die der Zeit der digitalen Verbreitung von Informationen vorausging, bildete eine Geschlossenheit, die in der Gegenwart - der Zeit der "updates" - verloren gegangen ist. In dieser Weise ist die Bijektivität der Interaktion mit der virtuellen Welt weiter zu verstehen: die Buchkultur lieferte ein fertiges, in sich abgeschlossenes Produkt, auf das eine Antwort nicht nur im Bereich des Möglichen, sondern Tatsache war; jedoch Sender und Empfänger teilten sich - grob formuliert - in zwei Kasten, die mit dem Internet zur Vergangenheit gehören sollten, da jeder sich "online"-Befindliche mit sehr großer Leichtigkeit Informationen nicht nur erhalten, sondern auch selbst veröffentlichen konnte. Das frühere Kasten-Bewußtsein, in das sich der Mensch hineingelebt hat, wurde von den technologischen Möglichkeiten nicht als veraltet betrachtet, sondern bestimmte die Handlungsweise desweiteren, so daß nur Form und in gewisser Weise Inhalt des praktizierten "Downloads" einer Veränderung unterworfen werden sollte.

"Der Eine", der vor "den Vielen" steht, ist sich oft der gesamten Potentialität des virtuellen Raums nicht bewußt. Aus der Perspektive der Technologie sieht er hier alles vereint, was im "realen Raum" zur Kommunikation diente: Fernsehen, Radio, Telefon, Short Message Service (SMS), Fax (e-mail to fax, fax to e-mail), Briefpost (e-mail to snail-mail), Bild-Telefonie, Video-Konferenz, Chat. Vom Inhalt her ist wiederum alles vorhanden: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Bildung (virtuelle Seminare), Spiele (von MUDs und MOOs - Multi User Dungeons und Muds Objekt Oriented - bis zu Multiplayer CD-ROMbased Games), Kaufhäuser, Buchung (von Reisen bis zu Kinokarten), Recherche und Forschung (durch Online-Bibliotheken), E-Commerce, Online-Shopping, Home-Banking. Diese Hilfsmittel stehen dem Cyberspace-Besucher auf seinen Reisen durch das virtuelle Universum zur Verfügung. Doch das Angebot täuscht: es läßt das Gefühl eines in einem Warenhaus sich befindlichen Kunden aufkommen, der mit Zeitaufwand die verschiedenen Räume besucht und (fast) zu allem greifen kann, was in den Regalen gepriesen wird, ohne darauf zu achten, daß er selbst ein potentieller Verkäufer ist. Das Global Village ist nicht "gegebenes", sondern "erwirktes" Gut. Es ist kein Raum jenseits von Gut und Böse, sondern wirkt auf das Individuum im selben Maße, in dem es von ihm geprägt werden kann.

Das Gefühl der "Mitregierung" (Dyson, in: Runkehl 1998, S. 205) täuscht über die Tatsache hinweg, daß "der Eine" als Teil "der Vielen" nur eine sehr begrenzte, fast unscheinbare Wirkung besitzen kann. Im selben Maße wie in der realen Welt entstehen im Cyberspace "neue Räume, neues Eigentum und neue Machtformen"; "in ihm werden die Kämpfe während seiner Kolonialisierung ihren Niederschlag finden" (Rötzer 1998, S. 227, in Runkehl, S. 205). In diesen "Kämpfen" widerspiegelt sich in einer transnationalen Form eine Machterweiterung, die, wie in der "Realität", auf die Weltrepräsentation des Einzelnen und der Masse fokusiert ist. Dabei liegt an erster Stelle die Einnahme einer überlegenen Position in einer Linkstruktur - das beste Beispiel hierfür sind die Top-50- oder Top-100-Listen von Sites, die durch Banner, also Links ihre Existenz aufrechterhalten. Je höher im Top eine Seite ist, desto öfter wird sie aufgerufen und verbessert ihre Position; diese Sites leben durch die Quantität der im Metatext befindlichen Informationen und durch das Ranking der Suchmaschinen, das auf diese Quantitätskriterien basiert.

Während die Bücherkultur ihre Stabilität aus der Geschlossenheit, und somit aus der Stabilität der Auffindbarkeit schöpfen konnte, ist für die digitale Welt eben diese Auffindbarkeit und Wissensorganisierung zu einem schwerwiegenden Problem geworden. Die Identität des "Einen", indem sie sich als Wissensbasis versteht, konzentriert sich zunehmend auf den Weg zur Information: noch nie war der Zugang zur Information so entscheidend gewesen wie im digitalen Zeitalter, in dem Hierarchien hauptsächlich technologische Gründe aufweisen.

Dabei bleibt in der Auseinandersetzung mit der digitalen Hyper-Welt ein mythisches Verständnis der Virtualität bestehen. Nicht nur durch die mythische Räumlichkeit der Subjektivität, von der weiter oben die Rede war, entsteht das Mythische als Projektion des "Einen". Das Erlebnis als Informationen verschiedener Art zusammenführender Akt bestimmt ohnehin noch, als "state of experience" (Chalmers 1995), das Bewußtsein des Menschen, und wirkt sich somit auf eine multikulturelle Weltrepräsentation aus. Das mythische Bild des "Einen" schmilzt mit dem der "Vielen" zu einer virtuellen Welt zusammen.

Und dabei ist der Begriff "Mythos" - als kollektive, teilweise zukunftsbezogene Vorstellung eines Sachverhalts - nicht fehl am Platz. Dillon (in: Rouet 1996) unterscheidet z. B. mehrere "Mythen", die das Bewußtsein in die Richtung eines hypertextbasierten Verständnisses der Welt lenkten:

  1. Die Natürlichkeit der assoziativen Informationsverbindung als Abbild der Denkprozesse (Associative Linking of Information Is Natural in That It Mimics the Workings of the Human Mind)
  2. Die Linearität des gedruckten Texts stellt eine Einschränkung dar (Paper is a Linear and Therefore a Constraining Medium)
  3. Verbesserte Lernfähigkeit durch einen schnelleren Zugang zu Informationen (Rapid Access to a Large Manipulable Mass of Information Will Lead to Better Use and Learning)
  4. Die Lösung aller Probleme durch Zukunftstechnologien (Future Technologies Will Solve All Current Problems)

Dillon hebt hervor, daß diese Meinungen - obwohl sie eine weite Verbreitung und fast eine mythische Zweifellosigkeit besitzen - keine getreue Widergabe eines realen Zustands darstellen: "The new technology is neither naturally like us nor certain to lead to educational improvements" (Dillon in Rouet 1996, 33). Das Mind-Map verspricht jedoch eine getreue Nachahmung geistiger Inferenzen und wird als Hypertext aufgenomen, was die Überlegenheit hypertextuell konstruierter Modelle beweisen soll. Andererseits ist gerade das Numinose, das Dunkle und Unverständliche dasjenige, das die Perspektive eines möglichen neuen Horizonts von Kommunikation und Information eröffnet und somit die Hoffnung auf ein zukünftiges Heil durch technologische Entwicklung schürt. Der Schmelztiegel Internet ist somit nicht nur ein kulturell differenzierter Ort, sondern ein Raum, in dem die Erwartungshaltung in Bezug auf die informationstechnologischen Veränderungen ein besonderes Feedback erhalten können und der User somit seine Handlungsmuster daraufhin abstimmen kann. In diesen Bereich fällt auch die Möglichkeit multipler Identitäten der Benutzer, wobei der virtuelle Raum für jeden Aspekt einen einzigartigen Gemeinschaftsraum bietet. Was in der reellen Gemeinschaft einen gemeinsamen Nenner abverlangte, wobei verschiedene Seiten der Persönlichkeit und des Interesses im Hintergrund stehen mußten um zu keinem Kommunikationsabbruch zu führen, kann jetzt in den vielfältigen Diskussionsforen leicht übergangen werden. Es findet eine Vereinfachung der Persönlichkeitsstruktur statt, die dann ihre Spezifizität vollständig ausleben kann und einer Stigmatisierung nicht mehr ausgesetzt werden kann. In diesem Sinne kann auch Bolter schreiben: "Die Gemeinschaften im Internet konstituieren sich durch eine wandelnde Multiplizität des individuellen Selbst" (Bolter 1997, 51, in: Runkehl 206) wobei eben die Leichtigkeit einer Identitätsveränderung und die Tatsache, daß die "Definition ihres (der User, Anm. d. Verf., S. A.) Selbst temporär und kontingent ist" (Ebda, S. 51) hervorgehoben wird. Die Kommunikationsdiversität wird zur Identitätsdiversität, wobei die Vielsprachigkeit nicht mehr maßgebend ist, sondern von der Interessensvielfalt in den Schatten gestellt wird.

Virtuelle Realität ist aber nicht die "andere" Seite des Menschen, sondern gehört weiterhin zu seiner Selbstdefinierung in einem Raum der nicht mehr vorhandenen physischen Entfernung. Um einen Begriff der Computerwelt zu verwenden, der den vom User selbst eingestellten Umfang der Resourcengröße beschreibt, besitzt jeder Punkt im virtuellen Raum anderen Punkten gegenüber dieselbe "Nice"-heit. Das heißt aber nicht nur, daß im virtuellen Raum, trotz heterogener Informationsinhalte, eine weit größere Zugangshomogenität geschaffen werden, als in der realen Welt vorhanden sein kann, sondern auch, daß diese Kontinuität der Informationen ein Abbild der Bestrebungen im nicht-virtuellen Raum, eine interkulturelle und -disziplinäre Kommunikation aufrecht zu erhalten:

Der Optimismus der Anfangsjahre des digitalen Mediums stammt größtenteils von der Hoffnung an eine Informationsentropie, die zu kommunikativer Homogenität und Kontinuität im Hintergrund einer kulturellen Diversität führen sollte; dabei kann die Identitätspluralität nicht als Identitätsverlust angesehen werden, sondern als Hervorhebung des Individuell-Spezifischen in einem Raum, der nicht mehr von der Topologie physischer, sondern virtueller Nachbarschaft bestimmt wird. Kulturelle und wissenschaftliche Wandlungen finden somit ihren Nährboden in der Diversität technologisch bestimmter Ausdrucksmöglichkeiten, die humorvollerweise in Analogie zu den MUSHs - Multi User Shared Hallucination - als mythisch strukturiertes "Erlebnis" aufgefaßt werden können, aber in der virtuellen Umgebung das Versprechen realer kultureller und kommunikativer Entwicklung und Transformation zu halten wissen.

 

Literaturverzeichnis

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