Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 13. Nr. Mai 2002

Sprache und Massenkommunikation

Peter Horn (Kapstadt)
[BIO]

 

Während die Nationalstaaten vom späten Mittelalter bis zum zwanzigsten Jahrhundert auf der Grundlage einer gemeinsamen Nationalsprache eine nationale Identität zu schaffen versuchten und dabei regionale Unterschiede in Sprache und Kultur diesem Ziel unterordnete, und vor allem anderssprachige Minoritäten, die an ihrer Kultur und Sprache festhielten, unterdrückten, braucht die Globalisierung trotz der Vorherrschaft des Englischen als lingua franca nicht in die Vernichtung kleinerer Sprachen zu führen, obwohl das natürlich oft geschieht. Die Globalisierung braucht nur eine Gleichheit der Gedankenstrukturen und kann mit einer Vielfalt von Sprachen durchaus leben. Während der Nationalstaat - folgt man Herder - eine einheitliche Kultur und Sprache wollen mußte, um die staatliche Einheit und den einheitlichen Markt in der Ideologie zu begründen, und daher fast immer eine aggressive Sprachpolitik betrieb, kann sich der globale Markt Sprach- und Kulturenklaven leisten, so lang die Schlüsselideen der Globalisation universell und in jede Sprache übersetzbar sind. Sprachen werden also nicht (absichtlich) vernichtet, sondern ihrer kulturellen Besonderheit beraubt.

Die Informationsgesellschaft, die durch die Erfindung des Internet erst richtigen Aufwind bekam, hat das Tempo der Globalisierung beschleunigt, die mit der Kolonisierung und der Erfindung und dem Gebrauch der mit Dampf angetriebenen Frachtschiffe, dem Telegraphen, Radio, Telefon, Fernsehen und Fax-Dienstleistungen einsetzte. Jedoch: während die Welt sich immer enger zusammenzieht, insofern es sich um Technologie handelt, gibt es zwischen verschiedenen Teilen des Globus noch sehr tiefgreifende Unterschiede in der Kultur, und wo selbst eine kleine städtische Elite völlig in das weltweite Netzwerk globaler Lebensstile integriert zu sein scheint, ist die Mehrheit der schlechtbezahlten Arbeitskräfte und die armen Landarbeiter so weit entfernt von der Globalisierung wie je zuvor. Tatsächlich begreifen die meisten Einwohner der Dritten Welt die gegenwärtige Phase der Globalisierung nur als die letzte Phase des Kolonialismus. Bislang hat die Globalisierung keine bedeutende Reduktion der kulturellen, religiösen und ethnischen Differenzen zustande gebracht. Die Mauer zwischen dem Osten und dem Westen Berlins mag gefallen sein, die chinesische Mauer mag heute lediglich noch einen symbolischen Wert haben, aber die spirituellen Mauern, die die westlichen Nationen vom Rest der Welt trennen, sind so hoch wie je zuvor.

Die Ereignisse an der Börse in New York ziehen auf sehr konkrete Weise Konsequenzen auf dem ganzen Globus nach sich und multinationale Konglomerate, die reicher als viele kleine Nationen sind, haben ihr Netz weit und breit gesponnen. Politische Katastrophen in Ost-Asien beeinflussen die Lebensqualität von Arbeitern in Detroit. Seit dem neunzehnten Jahrhundert werden Ausdrücke wie 'Massengesellschaft', 'das Industriezeitalter' benutzt, nicht nur um Entwicklungen in Europa und Amerika zu beschreiben. Der Kolonialismus hat spätestens im neunzehnten Jarhundert dem Konzept der Welt-Politik eine Realität verliehen, die Einsicht, daß was immer in den fernsten Regionen des Globus geschieht, einen Einfluß woanders hat. Keine Nation kann sich vollständig von der globalen Struktur der Kommunikation, Politik und Ökonomie isolieren.

Mit den modernen Medien und Kommunikationsmitteln haben wir begonnen, in einer 'Gesellschaft auf Distanz' zu leben, was bedeutet, daß wir Kommunikationspartnern begegnen, die andere kulturelle Hintergründe haben und die in anderen sozialen Netzen als unseren leben. Derjenige, der unser Nachbar im Netz ist, ist uns nicht mehr sozial ähnlich. Globale Kommunikation kann zu der belebenden Erfahrung der Differenz führen. Bisher haben wir keinen sozialen Kode und keine Verhaltensweisen gefunden - Höflichkeit, physische Distanz, Privatheit - die solche Formen der Kommunikation regulieren würde. Während wir immer noch versuchen nach alten Regeln in der neuen Welt zu leben, wird uns zunehmend bewußt, daß die alten Muster nicht mehr funktionieren. Jedoch, wegen der globalen Kommunikationsnetzwerke ist es auch einfacher geworden, Netzwerke zu bilden, die einer Globalisierung widerstehen.

Während die bildenden Künste immer kleinen oder großen Gruppen vorbehalten waren und die Künstler danach strebten, von vielen wahrgenommen zu werden, haben die Massenmedien einen Quantensprung in der potenziellen Größe des Publikums erzeugt. Konzerte, die im Fernsehen und Radio gesendet werden, erreichen ein Publikum, von dem Mozart nicht einmal träumen konnte. Filme, Theateraufführungen, und Arbeiten der bildenden Künste können an ein globales Publikum durch Fernsehen, Radio, Video, digitale Video Kassetten, CD-ROMs, das World Wide Web und Bücher verbreitet werden. Das Zeitalter der Massenkommunikation hat jedoch auch besonders die Formen der Kommunikation begünstigt, die dem Geschmack und den Gefühlen der Mehrheit entgegenkommen. In Amerika, wo Menschen vieler verschiedener ethnischer und kultureller Hintergründe herkamen, war diese Tendenz besonders auffallend, und beeinflußte die Art der Musik, Filme und Unterhaltung der Fernsehstationen, die in den Massenmedien vorherrschen. Es ist typisch, daß Kunst, die sich an kleine Eliten richtet, kaum Platz auf kommerziellen und privaten Radio- und Fernsehstationen hat, und daß über sie in Tageszeitungen und Massenmedien mit wenigen Ausnahmen nicht berichtet wird. Erst als Zeitungen und Journale wie Bild herausfanden, daß skandalöse und intime Nachrichten sich besser verkauften als ernsthafte Berichterstattung über Theater, Kino, Kunstausstellungen und neue Bücher, verlor die Kunstreportage an Marktanteil und die Klatschkolumnen nahmen in allen Medien zu, die sich einen Anteil am Massenmarkt erobern wollten. Es gibt einige öffentliche Sender und einige kleine privaten Sender, die Material für Marktlücken bereitstellen, aber diese sind hauptsächlich in den reichen Ländern konzentriert, und sind selten für die Massen der Dritten Welt zugänglich. Kein Zweifel, daß die Intellektuellen dazu neigen, die mögliche Wirksamkeit von Kunst und Literatur zu überschätzen.

Viele Kulturkritiker haben behauptet, daß auf der globalen Ebene versucht wird, ein einheitliches Denken zu schaffen, das in seiner Wort- und Begriffsbildung stark auf dem Englischen als globaler lingua franca beruht und das das produziert, was Ramonet "la pensé unique" nennt, eine Redewendung, die sich nur unpräzise als "politisch korrektes Denken" übersetzen läßt. Es bedeutet vielmehr das homogenisierte Denken der einen standardisierenden Idee, ein Ein-Ideen-System. Alain Minc, der den Begriff der Informationgesellschaft für den westlichen Diskurs der späten siebziger Jahre eingeführt hat, formuliert die "Eine Idee" so, daß der Kapitalismus den natürlichen Zustand der Gesellschaft nicht zerstören kann. Nicht die Demokratie ist der natürliche Zustand der Gesellschaft. Der Markt ist es. (Minc apud Ramonet 1998.) Selbst wenn man Ausnahmen in Betracht zieht - und zum Glück gibt es Ausnahmen, und nicht allzuwenige - neigt diese riesige Maschinerie dazu, uns tausend Wege anzubieten, uns zwischen immer demselben zu entscheiden. Endlos durch die Massenmedien wiederholt, vom Wall Street Journal bis zum CNN, wischt das Ein-Ideen-System soziale Bedenken als sentimental oder selbst kontraproduktiv beiseite. Als 'Realismus' oder 'Pragmatismus' naturalisiert, hat das System sich wirksam gegen irgendeine Kritik insuliert und einen hegemonialen Status erreicht, der von Politikern jeder Couleur akzeptiert wird.

Die Einbeziehung der Kultur in die globalisierende Ökonomie führt zur Schaffung einer globalen Kultur des commodified consumerism, die von amerikanischen multinationalen Medienkonzernen dominiert wird. Man sagt, technologische Vielfalt sei demokratische Vielfalt. Es stimmt, daß die Technologie Bilder, Wörter und Musik in die Reichweite von mehr Menschen als je zuvor in der Menschheitsgeschichte bringt. Doch ist solche angebliche Vielfalt nur eine Erscheinung ohne Substanz, wenn private Monopole dazu führen, uns eine Ein-Bild, Ein-Wort, Eine-Melodie-Diktatur auf dem Planeten aufzuzwingen. Das Ergebnis ist eine Homogenisierung und Amerikanisierung vorher einzigartiger Kulturen. Dies veranlaßt uns, über eine Aussage von Arnold Toynbee in A Study of History nachzudenken, derzufolge Zivilisationen im Verfall regelmäßig durch eine Tendenz zur Standardisierung und Uniformität charakterisiert sind. Umgekehrt ist die Tendenz zur Differenzierung und Vielfalt während der Wachstumsphase einer Zivilisation zu erkennen. Die politische Krise wird durch die Vereinnahmung des Nationalstaats durch globale Finanzmärkte sichtbar, dessen Macht nicht mehr durch die Institutionen der liberalen Demokratie kontrolliert werden kann, durch 'freie' Handelsübereinkünfte, die effektiv die Macht des Staates begrenzen, eine unabhängige ökonomische und soziale Politik durchzuführen, und führt bis zur Einförmigkeit der globalen Kultur, wo die kulturellen Institutionen von einzelnen Nationen oder Gruppen nicht mehr mit den Ressourcen der globalen Medienkonzerne konkurrieren können. Mehr und mehr lebenswichtige Entscheidungen werden ganz außerhalb des Einflusses demokratischer Institutionen getroffen. Im Endeffekt ist die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, privatisiert worden. Die ökonomischen, politischen und kulturellen Krisen sind aufs Engste miteinander verwandt, und da das Elend eine Beleidigung der Menschenrechte darstellt, zerstört ein derartig groß angelegtes Zerreißen des sozialen Netzes eine bestimmtes Konzept der Republik überhaupt.

In seiner Dankesrede anläßlich des 1999 verliehenen Lannan Preises für kulturelle Freiheit sagte Eduardo Galeano:

Diese Welt, unsere Welt, am Ende des Jahrhunderts, unsere Welt am Ende des Milleniums, ist sich selbst gegenüber blind, unfähig die Schrecken der Verstümmelungen zu gewahren, die sie erleidet, oder das Staunen über die Reichtümer, die sie verbirgt, gefüllt mit Farben die wir nicht sehen dürfen und mit Stimmen, die wir nicht hören dürfen. Inmitten dieser Ära der verordneten Globalisierung, die wie eine riesige Fabrik ist, die kulturelle Klons oder Clowns ausspeit für den Markt-Zirkus, halten diese Farben und Stimmen mächtige Beweise lebendig, daß das Beste der Welt in der Quantität der Welten, liegt, die die Welt enthält.
(Galeano apud Lannan Foundation Mission Statement. Übersetzung durch den Autor. P.H.)

Während die Nationalstaaten vom Mittelalter bis ins zwanzigste Jahrhundert versuchten, eine nationale Identität zu schaffen, die zum großen Teil auf einer gemeinsamen Sprache beruhte, die regionale Differenzen in Sprache und Kultur unterordnete und oft auslöschte, und Minderheiten unterdrückte, die an ihrer Kultur und Sprache festhielten, setzt die Globalisierung sich trotz der Vorherrschaft des Englischen als lingua franca nicht zum Ziel, die Sprache der Minderheiten zu zerstören (obwohl das in der Tat als 'Kollateralschaden' geschieht). Die angestrebte Einheitlichkeit des Denkens ersetzt frühere Versuche der Nationalstaaten, eine einheitliche Nationalsprache und Kultur zu schaffen. Während der Nationalstaat nach Herders Ideen darauf bestand, eine homogene Sprache und Kultur zu gestalten, um eine solche Einheit zu schaffen, in der der nationale Markt funktionieren konnte, und so eine aggressive Sprachpolitik gegen Minderheiten ausübte, kann sich der globale Markt Sprache und kulturelle Enklaven leisten, so lange die Schlüsselbegriffe der Globalisierung universal in jede Sprache übersetzbar sind. Weltweit gibt es eine beträchtliche Gruppe von Menschen, die sich an die neue globale Situation angepaßt haben und die sich frei in den Bereichen bewegen, die der Lebensraum dieser kommerziellen globalen Kultur sind. Die Idee einer neuen Form des Kosmopolitischen erzeugt zunehmend Interesse bei denen, die frei von Land zu Land reisen können. Für sie besteht die Hoffnung, daß kosmopolitische Gruppen an der Speerspitze derjenigen sein werden, die Werte setzen, Institutionen und Lebensstile erfinden werden, die weniger direkt in Nationalstaaten eingebunden sind. Das neue kosmopolitische politische Ideal, erstmals in der europäischen Aufklärung vorgetragen, setzt eine Vorstellung der globalen Stadt (im Gegensatz zum globalen Dorf) voraus. Das impliziert eine Art von Welt-Staat, oder eine Föderation von Staaten, was die Entwicklung von kosmopolitischen oder supranationalen Gesetzen und Formen der Staatsbürgerschaft und Regierung voraussetzt, die allein mit der Entwicklung globaler Märkte vereinbar wären. Diese mobilen Eliten, die die Freiheit der physischen Bewegung und Kommunikation genießen, stehen im starken Kontrast zu denjenigen, die an einen Ort gebunden sind, deren Schicksal es ist, lokalisiert zu bleiben. Diese Elite wird von denjenigen konfrontiert, die ausgeschlossen sind und die eine Form der anti-globalisierenden Identitäts-Politik betreiben, indem sie auf ihren eigenen kulturellen Traditionen bestehen. Für sie ist der Kosmopolit eine Figur des Abscheus, da sie mit der Unfähigkeit oberer und mittlerer Klassen assoziiert wird, irgendeine Form der Verantwortung gegenüber der wachsenden Zahl derjenigen zu übernehmen, die von den Vorzügen dieser globalen Kultur ausgeschlossen sind. Falls die globale Demokratisierung vorangetrieben werden soll, darf es nicht bloß das Projekt eines westlichen Zentrums sein, sondern muß sich allmählich aus einem Spektrum wechselseitiger kultureller Polyloge zusammensetzen.

Wo Menschen aufeinandertreffen, deren kulturelle Erfahrungen voneinander verschieden sind, könnten kommunikative Prozesse entstehen, die wir als Polylog bezeichnen können. Ein solcher Polylog ist im Sinne von Norbert Elias eine Figuration. Jeder Teilnehmer in einem solcher Polylog plant natürlich, was er sagt und gebraucht seine Worte so, daß seine Gesprächspartner sie auch so verstehen, wie er es intendiert. Aber in Figurationen ist das Ergebnis vieler individuell geplanter (kommunikativer) Akte nicht vorhersehbar. In solchen polyzentrischen Situationen entstehen polyphone Bedingungen der Kommunikation, die nur funktionieren, wenn das Machtmonopol einer dominierenden Position abgebaut, und die Möglichkeit einer 'weichen' kommunikativen Universalisation angestrebt wird.

Das ist möglich, weil jede Kultur selbst bereits eine heterogene und widersprüchliche Pluralität ist, die sich in einem ständigen Polylog befindet, und die niemals als eine "Wesenheit" oder "Monade" von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Kultur der Menschheit ist ein System vielfach untereinander kommunizierender Kulturen. Kulturen sind daher keine Gegebenheit, sondern veränderliche Systeme. Der Glaube, man könnte ein für alle Mal festlegen, was "afrikanisch" ist, ja selbst, was spezifisch "Xhosa" oder "Zulu" ist, ist also irreführend, und versucht unter Umständen diese Kulturen in ein künstliches Kulturschutzgebiet einzusperren, wo sie in einer Form "erhalten" werden, die sie als lebende nie gehabt haben.

Eine solche Strategie zielt natürlich darauf hin, die Verfügungsgewalt über die Interpretationen auch weiterhin nicht aus der Hand zu geben. Man weiß seit langem, daß die Verfügungsgewalt über die Schrift in den Händen weniger, einer Kaste oder einer Klasse, immer mit der Hierarchisierung einherging, mit einer Unterscheidung in Gruppen, Klassen und Ebenen der politisch-technisch-ökonomischen Macht und einer Delegierung der Autorität an Eliten, einer Verlagerung der Machtverhältnisse zugunsten eines Organs der Kapitalisation. Levi-Strauss stellt die Hypothese auf, die primäre Funktion der schriftlichen Kommunikation bestehe darin, die Unterwerfung zu erleichtern und die Herrschaft zu konsolidieren. Er verweist auf die systematische Bemühung der europäischen Staaten um die Einführung des obligatorischen Schulbesuchs, die mit der Erweiterung des Militärdienstes und der Proletarisierung einher ging.

Das Interpretationsmonopol hat sich heute auf andere Medien verlagert. Nach dem Radio und dem Film im frühen zwanzigsten Jahrhundert, ist es das Fernsehen und wohl demnächst nicht nur das Internet, sondern eine Bündelung aller elektonischen Medien. Besitz und Kontrolle eine Mediums sichert natürlich nicht an sich ein Interpretationsmodell, macht es aber bei weitgehenden Monopolisierungen denjenigen schwer, Zugang zu den Medien zu bekommen, die vom Besitz ausgeschlossen sind.

Nun ist es allerdings keineswegs so, daß Menschen einfach "Opfer" solcher Interpretationsmonopole sind. Während das Monopol auf globale Strukturen zielt, entwickeln sich lokal z.B. in der Rhetorik einfacher Konversationen verbale Produktionen, die immer wieder kollektiv, aber immer auch nur provisorisch, den Akt der Interpretation ausüben und traditionelle Wahrheiten manipulieren, um die Welt bei allen Veränderungen bewohnbar zu machen. Kurz, sobald von der Struktur der Sprache oder Kultur auf die Funktion, die sie erfüllt, d.h. auf die Verwendungen, die die Individuen real mit ihr machen, übergegangen wird, zeigt sich deutlich, daß die bloße Kenntnis des Codes allein die praktisch vollzogene Interaktion nur mangelhaft zu beherrschen gestattet; tatsächlich hängt die Bedeutung eines linguistischen Elements zumindest ebenso von außer- wie innerlinguistischen Faktoren ab, d.h. vom Kontext und von der Situation, in der es zur Anwendung kommt.

Zwar haben zunächst die Kolonisatoren, und dann die Globalisierung mit "Erfolg" amerikanisch-europäische Konsum- und Kulturformen nach Afrika übertragen; aber auch dort, wo sich "Cocacola" und "Hollywood" durchgesetzt zu haben scheinen, haben Afrikaner Elemente dieser Kultur in ihren eigenen Ritualen, Umgangsformen und Kunstwerken subvertiert, und oft etwas ganz anderes aus dem so importierten Kulturgut gemacht, als die Importeure ursprünglich beabsichtigten. Auf diese Weise entstand ein Anderes innerhalb der Kolonisation und des Postkolonialismus, der sie äußerlich assimilierte. Die Stärke der Kultur zeigte sich in der Form der "Konsumption". Die Präsenz westlicher Medien und Kultur sagt noch nichts darüber aus, was diese für ihre Benutzer bedeutet und wie sie sie manipulieren. Kulturkompetenz, also die Fähigkeit, die kulturellen Artefakte der fremden Kultur zu verstehen und zu benutzen, sagt noch nichts über die Kulturperformanz aus, ebensowenig wie die Fähigkeit Englisch oder Französisch zu sprechen, etwas darüber verrät, was Afrikaner mit diesen Sprachen machen. Die Allgegenwärtigkeit sowohl der repressiven kolonialen Administration als auch später der globalen Ökonomie und ihrer Gesetzlichkeiten wird ständig durch Mechanismen unterlaufen, die die Stärke dieser Institutionen untergraben und minimalistische Formen von Macht organisieren.

Genau wie man in der Literatur Stile oder Schreibweisen unterscheidet, kann man beim Laufen, Lesen, Produzieren und Sprechen Stile erkennen. Diese Aktionsstile regulieren ein Feld auf der ersten Ebene, können aber von denen, die in diesen Stilen kompetent sind, ständig auf einer zweiten Ebene modifiziert werden, wenn es darum geht, sich besondere Vorteile zu verschaffen. Es ist diese Kompetenz, die ein über eine bloße Regelkenntnis hinausgehende kulturelle Kompetenz ausmacht.

Gegen eine gegenwärtig als legitim sich behauptende Wahrnehmungsweise von Kunst und Kultur, die sich selbst das ästhetische Vermögen zuschreibt, in Form und Inhalt nicht allein die Werke der europäischen Kunst zu bewerten, sondern schlechthin alle Dinge dieser Welt, wie die zu dieser Stunde noch nicht verbindlich anerkannten kulturellen Werke - als Beispiel sei hier bloß auf die sogenannte "primitive" Kunst hingewiesen -, ist auf eine jeweils spezifisch in einer Kultur zu erwerbende Kompetenz zu rekurrieren. Der "reine" Blick ist eine geschichtliche Erfindung; er korreliert mit dem Auftreten eines autonomen künstlerischen Produktionsfeldes, dem es gelingt, in der Produktion wie Konsumtion seiner Erzeugnisse die eigenen Normen durchzusetzen.

Dem "naiven" ebenso wie dem "arroganten" Betrachter verschließt sich die genuine Wahrnehmung von Kunstwerken, deren Sinn oder besser Wert sich einzig im Kontext der spezifischen Geschichte einer künstlerischen Tradition erschließt. Die ästhetische Einstellung, die Produktionen eines künstlerischen Feldes erheischen, ist nicht zu trennen von einer besonderen kulturellen Kompetenz. Mittels dieser historischen Bildung lassen sich unter den wahrgenommenen Elementen alle Unterscheidungsmerkmale ausmachen, indem sie auf den Gesamtbereich der substituierbaren Möglichkeiten bezogen werden. Wesentlich erworben im bloßen Umgang mit Werken ermöglicht dieses zumeist auf der praktischen Ebene verbleibende Können, Stile zu identifizieren, charakteristische Ausdrucksmodi einer Epoche, Kultur oder Schule, ohne daß deren jeweilige eigentümliche Merkmale klar unterschieden und formuliert werden müßten.

Auch kulturelle Güter unterliegen einer Ökonomie, doch verfügt diese über ihre eigene Logik. Wenn wir dennoch von einer Art kulturellem Kapital sprechen, das, da ungleich verteilt, automatisch Distinktionsgewinne abwirft, müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß wir metaphorisch sprechen. Analogien sind aber nicht zu übersehen: Das Modell reiner und vollständiger Konkurrenz ist hier wie anderswo gleichermaßen irreal: Auch der Markt für symbolische Güter weist seine Monopole und Herrschaftsstrukturen auf.

Dennoch ist die Struktur der symbolischen Kräfteverhältnisse nicht einfach gleichzusetzen mit oder linear abhängig von der Struktur der politischen oder ökonomischen Kräfteverhältnisse. Im Grunde weiß das die koloniale und die postkoloniale Macht auch ganz genau: ständig steht ihr das Schreckbild der "Schurkenstaaten" vor Augen, ständig ertönt der Ruf "Die Barbaren kommen". Und ständig versucht man das "wilde Denken" der "Eingeborenen" zu verstehen, und weiß doch, daß man es nicht versteht.

Eben um jenes "wilde Denken" zu "verstehen" braucht die Macht die Ethnologen, die Kulturwissenschaftler des "Fremden", die sich unter Berufung auf die Tugenden der wissenschaftlichen Distanz als unparteiische Beobachter empfinden, eine Distanz, die ihn dazu verführt, jede Realität und jede Praxis, einschließlich seiner eigenen, wie ein Schauspiel zu erfassen. Allerdings befinden sich die Ethnologen in der Lage eines Reisenden, der ein Land anhand einer Landkarte zu erforschen versucht, und der sich, da ihm die praktische Beherrschung fehlt, die allein der Einheimische aufweist, mittels eines Modells aller möglichen Wegstrecken das ihm zur Orientierung Fehlende hinzudenkt.

Die besondere Beziehung, die der Ethnologe mit seinem Gegenstand unterhält, schließt in dem Maße auch die Möglichkeit einer theoretischen Verzerrung ein, wie ihn seine Stellung als Dechiffreur und Interpret zu einer hermeneutischen Repräsentation der gesellschaftlichen Praxisformen neigen läßt, die dazu verführt, alle gesellschaftlichen Beziehungen auf solche der Kommunikation und alle Interaktionen auf symbolische Tauschbeziehungen zu reduzieren.

Am Beispiel von linguistischen Forschungen hat man zu bedenken gegeben, daß sie, je nachdem, ob sie sich der Muttersprache oder fremden Sprachen zuwenden, unterschiedliche Wege einschlagen, und im weiteren den Hang zum Intellektualismus hervorgehoben, der darin impliziert ist, Sprache vom Standpunkt des hörenden statt des sprechenden Subjekts, d. h. als Decodierungsinstrument statt als "Handlungs- und Ausdrucksmittel" verstehen zu wollen. Solange er die Beschränkungen ignoriert, die seiner Perspektive auf den Gegenstand innewohnen, verurteilt sich der Ethnologe dazu, im günstigsten Fall eine "Rolle" zu erfassen, d. h. ein vorbestimmtes Programm aus Diskursen und Handlungen.

Sprache als Handlungsmittel funktioniert entweder auf der Ebene der Strategien (z.B. einer Epistemologie, die von vornherein festlegt, worüber wie gesprochen werden darf) oder auf der Ebene der Taktik, die alle solchen "Vor-Urteile" zu unterlaufen versucht. Wo der Stärkere Strategien einsetzen kann, den großen Plan, der alles umfaßt, greift der Schwächere auf die Taktik zurück, wie schon Clausewitz bemerkt hat. Je größer eine Macht ist, desto weniger kann sie es sich leisten, Teile ihrer Mittel in den Dienst der Täuschung zu stellen, denn es ist gefährlich, große Kräfte nur zum Schein zu entfalten. Macht braucht Sichtbarkeit. Wie der Witz (der ja auch den Schwächeren zugeschrieben wird) ein Taschenspielertrick im Bezug auf Ideen ist, so ist die Taktik ein Trick im Hinblick auf Taten. Beiden gemeinsam ist der Effekt der Überraschung. Die Kunst des Tricks beruht auf einer Fähigkeit, die Gelegenheit zu ergreifen. Freud hat anhand des Witzes gezeigt, daß er eine Taktik ist um verschiedene Elemente in gewagter Weise in Verbindung zu setzen, und daß dies zu einem blitzartigen Erkennen neuer Zusammenhänge führt. Dagegen kann der so (taktisch) Angegriffene sich nur wehren, indem er den Witz als unanständig, die Taktik der Argumentation als "unwissenschaftlich" oder "unlogisch" zurückweist, die Handlung als "terroristisch" bezeichnet. Das aber wird uns vor dem "Witz" der Unterlegenen nicht schützen, die Flugzeuge als Bomben benutzen.

© Peter Horn (Kapstadt)

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For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Peter Horn: Sprache und Massenkommunikation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 13/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/13Nr/p_horn13.htm.

TRANS     Webmeister: Peter R. Horn     last change: 01.05.2002     INST