Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 14. Nr. | Dezember 2002 |
Sektionsleiter: Herbert
Eisele (Paris)
[BIO]
Aufgrund der Gleichzeitigkeit mehrerer anderer workshops war die Sektion nur spärlich besetzt und auch die Diskussion mangels eines einheitlichen Konzepts der Vorträge ungleich.
1. Der Berichterstatter (Herbert Eisele, Paris) gab den Auftakt mit einer zwanzigminütigen Darstellung seines Beitrags über das Thema: die Verfänglichkeit des Konsens. Nach einleitender Absteckung des Konsensbegriffs als wegweisend für das Hauptthema der Konferenz wurden zwei gegensätzliche Ausprägungen von "Einmütigkeit" hervorgehoben: eine "weiche" und eine "harte" Erscheinungsform, deren Gradmesser letztlich ihre Verläßlichkeit darstellt. In einem Normenumfeld, das eine Zwangsordnung voraussetzt, wie im Recht, zeitigt Konsens, wenigstens theoretisch, klare Folgen, so daß von Verfänglichkeit eigentlich nur insofern gesprochen werden kann als jeder Konsens eine Beschränkung (Einfangen) des freien Willens beinhaltet, daß aber mit Kenntnis der Bedingungen und beabsichtigten Vorteile für jeden Beteiligten eine übersichtliche Sachlage entsteht, also keine Gefahr besteht, irregeführt zu werden.
Die Verfänglichkeit des Konsens liegt in der Grauzone des Halbwissens, der Unbestimmtheit der Konsensbedingungen und erhält seine Kraft aus den naiven Erwartungen und der Opferbereitschaft der Lämmer, die zu Kultzwecken geradezu einlädt. Man tut so, als ob deren Stille als Zustimmung gälte, nicht nur zu einer Entscheidung, sondern mehr noch zu deren Inhalt, der dazu noch eine "Entwicklung" erfährt, die ursprünglich nicht ersichtlich war.
Die Frage der Wahlalternative in der Politik und das Konsensidol
in nationaler und überstaatlicher Anbetung wurde kurz angeschnitten,
doch das Hauptaugenmerk galt dem Begriffsmißbrauch zwecks
Machtbegründung nicht nur obrigkeitlicher, sondern insbesondere
kommerzieller Kreise, die notfalls auch die Kultur bemühen,
um eine unbefangene Mehrheit im Konsens ihrer Selbstgefälligkeit
einzufangen. Die Zwangsordnung des Geltungsbedürfnisses als
Grundkonsens der Kultur erklärt Machtstreben innerhalb der
Gesellschaft und außerhalb den clash of civilisations.
2. Otto Kronsteiner (Salzburg) referierte über Ausprägung von Eigenarten eine Gemeinsamkeit der Kulturen und bezog sich dabei auf seine Abhandlungen Notizen aus der Steinzeit und Steinzeit und Globalismus. Vom global Gemeinsamen der Kulturen ausgehend, fragt er, welches Eigenartige als ungleichzeitig Gleichzeitiges Beachtung verdiene und beklagte die Unzulänglichkeit des Bildungswesens (Pisastudie) als einzigen Großmarktes der Kultur, global gedacht und handlungsbevollmächtigt zu sein. Gegenüber dem angelsächsischen Schultyp mit all seinen Schwächen gibt es kein europäisches Vergleichsmodell, das innovationsträchtig die hie und da gemachten Erfahrungen positiv umsetzen könnte. Kultische Länderhoheit und autonome Universitäten verbieten globales Denken und führen zu Kultur-Provinzialismus. Mangels Szientometrie richtet man eine Pseudokulturwissenschaft ein, aufgrund von Rezensionen, Gutachten und Überheblichkeiten.
Der Ausweg wäre 1. ein intellektueller Globalismus;
2. eine aktive Globalisierung des Bildungswesens unter 3. der
Beachtung der Eigenarten regionaler Kulturen. Das bedeutet: weg
von der ethnozentrischen Sichtweite, von Fundamentalismus und
kriegsschwangerer Selbstgefälligkeit, hin zum Verständnis
geschichts- und kulturträchtiger Zusammenhänge im rechten
Licht der gemeinsamen Errungenschaften aus der Vielfalt der kulturschaffenden
Kräfte. Das Bildungswesen als Prägeanstalt künftiger
Generationen muß eine gemeinsame Sicht entwickeln mit dem
Ziel eines weltweit funktionierenden Bildungsmodells zwecks Erhöhung
der Mobilität und Duldsamkeit unter Wahrung der Vielfalt
des bestehenden Kultur- und Sprachenreichtums.
3. Valery Timofeev, (St. Petersburg) unterhielt sich
über National Concepts and Globalization im Zusammenhang
mit der Okzidentalisierung der russischen in-Szene. Neue
Wertebilder, die zuerst führende Schichten erfaßt,
sedimentieren langsam bis sie die unteren sozialen Schichten erreichen.
Er illustrierte dieses Phänomen anhand des Unterschieds zwischen
der Hoch- und der Volkssprache, wo Eigenschaften kurz und prägnant
in der Literatur benannt dann in der Umgangssprache Umschreibungen
erfahren, mit meist negativer Konnotation bzw. verurteilender
Bewertung, wobei klar ersichtlich wird, wie der Beobachter seine
Einstellung ändert, nach dem Motto alles Neue taugt nichts
und dann doch letztendlich notgedrungen einem sich breitmachenden
Konsens stattgibt.
4. Elena Apenko (St. Petersburg) sprach über Transcultural
Modes and Myths of Mass Literature. Sie ging von einer Fernsehreklame
aus, in der man eine Dame sieht, die ihre Armbanduhr aufdringlich
unter ihrem décolleté aufgesteckt trägt,
was sie als Neureiche ausweist. Auf die ungewöhnliche Art
des Uhrentragens angesprochen, zeigt sie den Grund, nämlich,
daß sie damit einen Fleck auf dem Kleid verbirgt, womit
sie sich aber dem Spott über ihre Ignoranz aussetzt, denn,
so heißt es, das Waschmittel X hätte ihrer Verlegenheit
abhelfen können. Das Gehabe der Neureichen gibt Anlaß
zu beißender Sozialkritik, besonders in der Volksliteratur,
die diese Prestigesucht anprangert. Die Vortragende analysierte
kurz die 4 verschiedenen Handlungsmerkmale jeder Unterhaltungsliteratur,
wo 1. Neugierde, 2. Spannung, 3. Geheimnis und 4. naturalistische
Abläufe einbezogen werden, um Traumwelten zu schaffen, in
denen sich Hinz und Kunz hineinversetzen als Flucht aus der beängstigenden
Wirklichkeit, wie es schon in The secret world of Walter Mitty
von James Thurber 1939 vorexerziert wurde.
5. Manuel Durand-Barthez (Toulouse) referierte über die Wodu-Glaubensbrücke zwischen Haïti und Afrika und ging davon aus, daß die Aufrechterhaltung des Geisterglaubens der Ahnen eine doppelte Funktion erfüllte, nämlich des Selbstschutzes in der Verzweiflung der Sklaverei und der Verkleidung der örtlichen christlichen Figuren, wie Maou für Jesus und Lisa für Maria und auch des Kreuzeszeichens, um dadurch inquisitorischer Nachforschung zu entgehen. Die Delokalisation der Schutzgottheiten (André Métraux: Voodoo in Haiti) trug zu einer Selbstimmunisierung und Aufrechterhaltung von Ansichten bei, die den in Afrika ursprungsuchenden Praktikanten aus Haïti Schwierigkeiten bereitete, aufgrund der besonders in Ifé nicht mehr heimischen bzw. weiterentwickelten Glaubensrichtungen.
6. Anette Horn (Kapstadt) sprach über La Mettries l'homme machine und der pietistische Gefühlskult, indem sie die Doppelpoligkeit der Aufklärung hervorhob mit ihrer extrem mechanistischen Sichtweise des Menschen als Tier, wenn nicht gar als Maschine (Canson, La Mettrie, Holbach, Helvetius) und gleichzeitig dem seelenvollen Gefühlbetonten, wie es noch die Béguinen ausdrückten, aber dann durch Rousseau in seinen Werken der gleichen Aufklärung widerspruchsvoll antrug. Der Widerstreit von Vernunft und Gefühl, kalt und warm, hat natürlich nicht nur diese Epoche geprägt, war aber dort besonders kraß, wenn man bedenkt, daß Roboter gleichzeitig mit Pietisten, wie Zinzendorf, oder Dichtern, wie Klopstock (später Novalis, Hölderlin, Schiller) die Aufmerksamkeit eines innovations-bedrängten Publikums erheischten. Der Sturm und Drang verlangte daraufhin mehr Licht und weniger Getöse.
7. Vesela Belcheva (Veliko Tirnovo) präsentierte das Projekt des Namensindex der Werke von Elias Canetti in Zusammenarbeit mit dem Hanser Verlag.
8. Michael Endl (Linz) referierte über Susanne
K. Langer: Musik als Sprache erinnernd an den Schamanismus
und seine beschwörenden Inkantationen, die Lautmalerei der
Kindersprache und gewisser Wörter der allgemeinen Sprache,
bezog er sich auf die Musik der Realität, wie sie im Gesäusel
des Windes, dem Rauschen der Blätter oder des Bachs und im
Geräusch der Vögel zum Ausdruck kommt. Auch die Sprache
folgt ähnlichen Konstrukten wie die Musik, die nach S.K.Langer
auch ein Vernunftsgebilde ist, weil auch sie par excellence
dem Gefühl Ausdruck verleiht.
Abgesehen von einigen aufschlußreichen Bemerkungen von
Peter Horn und Walter Weyers, waren die nachfolgenden Diskussionen
nicht sehr ergiebig, da sie sich auf Einzelheiten beschränkten
und ein allgemeines Interesse zu fehlen schien. Es wäre zu
wünschen, daß bei ähnlichen Treffen eine regere
Teilnahme nicht durch ein Überangebot an gleichzeitigen Veranstaltungen
belastet wird.
© Herbert Eisele (Paris)
Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14
For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Herbert Eisele (Paris): Bericht über die Sektion "Kulturforschungen
und Denkfiguren". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für
Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/eisele14.htm.