Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. Dezember 2002

Über die Verfänglichkeit des Konsens

Herbert Eisele (Paris)
[BIO]

 

Mitgegangen, mitgefangen,
mitgehangen -
die Erkenntnis macht frei

Sprüche

Einführung

Das Thema des Konsens paßt sehr gut zum gestellten Hauptthema der Konferenz Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wie es noch im einzelnen näher zu erörtern sein wird, aber das Wichtigste soll sogleich festgehalten werden, nämlich daß ein Konsens sich über die Zeit hinzieht, fortbestehen kann, wo er negiert wird, nicht besteht, obwohl alles den Anschein dazu hat, sich verliert und doch da ist. Formell kommt er erst dann zustande, nachdem Vorzeichen, Vorbereitungen dazu, die früheren Datums sind, den Weg gefunden haben, sich durchzusetzen. Die Ungleichzeitigkeit der Entstehung kristallisiert dann in einer diffusen Gleichzeitigkeit des Daseins: Plötzlich besteht ein Konsens, ohne daß man genau wüßte, wie er entstand, woher er kam. Er beruht auf dem Zusammenwirken gesellschaftlicher Kräfte und Machtbereiche oder auf einer Rückerinnerung an ungeschriebene dauerhafte Gesetze, deren Bestehen über jeden Konsens erhaben ist:

Nicht heut und gestern nur, die leben immer,
und niemand weiß, woher sie sind gekommen
.(1)

Der Begriff des Konsens entstammt dem Verbum consentire(2), übereinstimmen, einwilligen, beipflichten und bedeutet eines gemeinsamen Sinnes sein und damit Einvernehmen, Einverständnis, Übereinkunft, Zustimmung, Abmachung, Verabredung usw.. Der Begriff kennt eine ganze Spielart von Erscheinungsformen, die alle Abwandlungen von zwei Hauptausprägungen sind: einer "weichen" und einer "harten", die uns im einzelnen näher beschäftigen werden. Der Gradmesser dieser Formen ist die Verläßlichkeit: je härter, desto sicherer ist der Konsens, so will es die Rechtsordnung. Eine Gewohnheit(3) (stillschweigende Abmachung), z.B. gemeinsam zur Arbeit fahren, funktioniert, solange sie nicht von einer anderen ersetzt wird. Ihre Gültigkeit ist unbestimmt, aber während dieser ist ihre Verläßlichkeit ausreichend. Ein förmlicher (Handschlag) Konsens (Vertrag) innerhalb eines Normensystems ist verläßlicher als eine Gewohnheit, weil das Normenumfeld ihm eine größere "Härte", d.h. Wirkungskraft durch explizite Rechte und Pflichten verschafft, oft in der Form von "Einklagbarkeit". Die Grundnorm aller Rechtsordnungen, pacta sunt servanda, beruht auf dem Grundkonsens, daß Versprechen (Verträge) zu halten sind (chose promise, chose due)(4), der seinerseits auf dem Prinzip des guten Glaubens beruht, aber die Grundüberzeugung des gerechten Ausgleichs im Guten wie im Bösen (Vergeltungsprinzip)(5) streift das Recht nur sehr bedingt und ist Ausgangspunkt von zeitlosem Dissens. Die Härte des Konsens im Gesetz ergibt sich aus den vorgesehenen Folgen, mit denen jeder rechnen muß, der sich stärker glaubt als das für ihn geltende Recht. Rechtsstudenten lernen verschiedene Konsenstheorien kennen, bei denen es um die Beschränkungsmodalitäten des freien Willens geht. Tatsächlich beruht ein Großteil des Privatrechts auf Einigung, Vereinbarung bzw. Einwilligung, nuancierte Benennungen für den Konsensbegriff, die damit das vollmächtig ausgestattete Rechtssubjekt in seiner freien Entscheidungs- und Verfügungsgewalt einfangen. Aha, denkt man, das ist also besagte Verfänglichkeit! Dem ist aber nicht so, denn solange man weiß, worum es geht, besteht keine Gefahr, irregeführt zu werden, wenn man die nötige Umsicht walten läßt.

Die Verfänglichkeit liegt in Möglichkeiten, nicht in Gegebenheiten, aber besonders in der Grauzone des Halbwissens und vielmehr noch in der Freizone der Unvoreingenommenheit: ein Unbefangener ist höchst anfällig für den Zufall, in Umstände zu geraten, die ihn ungehalten werden lassen, wenn er merkt, daß sein Unterfangen wie von unheilvollen Mächten unentwegt unterbunden wird. Dann wird er hellhörig, d.h. konsensfähig. Er folgt unbekümmert dem faustischen Zug und ist bereit, dem erstbesten Führungsanspruch stattzugeben, ja, er verlangt danach: er schließt sich ahnungslos an und ruht in der Genugtuung, Freiheit gegen abgesicherte Zielstrebigkeit eingetauscht zu haben. Jeder Unbefangene ist vorbestimmt, seine Unschuld zu verlieren, nicht aber seine Illusion der Sicherheit, denn Opfer einer Illusion sein, heißt sie für wahr halten, d.h. unfähig sein, sie als Illusion zu erkennen. Daraus kann man die wirre Gewalt der Verfänglichkeit erkennen, nämlich aus der naiven Erwartung und unglaublichen Opferbereitschaft der Lämmer, die zu Kultzwecken geradezu einlädt. Quels gredins, les honnêtes gens, sagte Zola im Bauch von Paris. Es sind genau diese verlorenen Leute, die unbedarft, weil anständig, zur Verführung herausfordern und sich danach über ihre Vergewaltigung beklagen, wenn überhaupt. Waren sie nicht willig, diese Wichtigtuer, Drückeberger, Jammerlappen?

Der Wille zur Einigung beruht auf Gegenseitigkeit. Jede Übereinstimmung verspricht eine gewisse Sicherheit aus der erwirkten Harmonie der Absichten. Bei jedem Beteiligten vermählen sich Wille und Glaube als ungleiches Paar. Im Urteilen besteht zwar die Erkenntnis, doch hat diese keine Chance vorm Verlangen(6): stat pro ratione voluntas. Das angestrebte Ziel liegt an der Grenze der Gegebenheit. Die aristotelische Unterscheidung zwischen potentia und actus verwischt sich in der Konkordanz des Wollens. Einmütigkeit wird Akt im ausdrücklichen Konsens und Schlinge im stillschweigenden Geschehenlassen.

Die harte Konsensform kennt harte Bedingungen, wie bei Vertragsschluß: Auf einen Antrag (Angebot, Offerte) erfolgt eine Annahme (Akzeptation); die Einigung über den Zweck begründet den Vertrag. Selbst hier erfolgen die beidseitigen Willenserklärungen nicht unbedingt gleichzeitig, weil sie es in vielen Fällen wegen räumlicher Trennung der Beteiligten gar nicht können. Somit fingiert, gewissermaßen, das Eintreffen der Annahme die Gleichzeitigkeit des Zusammentreffens trotz der örtlich bedingten Ungleichzeitigkeit der Abgabe der Willenserklärung. Nicht die Aufgabe (Absendung) der Annahme auf der Post, sondern deren Ankunft beim Anbieter ist erheblich. Bei diesem Konsens braucht es mindestens zwei Beteiligte, wie bei der Ehe, dem Kauf, dem Auftrag, obwohl bei den meisten Konsenshandlungen auch eine Mehrzahl von Zustimmungen zusammentreffen kann. Dieser Konsens erhärtet sich aus der ihn bedingenden Zwangsordnung, die nicht lange fackelt, wenn einer der Partner aus seiner Gefangenschaft ausbrechen will. Vertragsbruch wird mit Strafe geahndet, vertraglicher bzw. gesetzlicher Art. Der Einzelne weiß im voraus, was ihn erwartet, wenn er seine Vertragspflicht verletzt, denn die Unrechtsfolge (Sanktion) ist in der Norm theoretisch vorgeschrieben. Die Gerichtspraxis entscheidet im Einzelfall.

Eine solche genau vorbestimmte Folge gibt es beim weichen Konsens nicht. Sein Anwendungsbereich liegt in den Sozialnormen, im Gesellschaftsleben, in der Politik, in den Wertvorstellungen maßgeblicher Kreise. Letztlich beruht jede Gesellschaft, ja jede Macht, auf einem Netz von konkurrierenden Konsensstrukturen mit ebenso vielen Erwartungen und wo immer eine generelle Übereinkunft (Konsens) sich etabliert, hat Redlichkeit und guter Glaube das Feld zu räumen. Allein gilt dann der ununterscheidbare Wille der Mehrheit und jeder Dissident muß damit rechnen, bestenfalls Ungeduld oder Unwillen zu erregen und, falls sein Dissens heftig oder, schlimmer noch, berechtigt ist, peinlichst verfolgt zu werden.(7) Die Form und das Ausmaß der Zurechtweisung ist nicht festgelegt. Es ist auch nicht sicher, daß er überhaupt für würdig befunden wird, Genugtuung zu leisten.

Deswegen ist der "weiche" Konsens verfänglich, und zwar nicht dadurch, daß jegliche Zustimmung - stillschweigendes Geschehenlassen ist die verfänglichste Form der Zustimmung -zu was auch immer eine Einschränkung des freien Willens bedeutet, der somit gefangen ist, bzw. sich fangen läßt, sondern dadurch, daß die Bedingungen unklar sind, oft anfangs gar keine oder nur leichte zu bestehen scheinen, die der Beteiligte zu kennen glaubt, deren Auswirkungen aber in den meisten Fällen erst mit der Zeit zur Geltung kommen. In diesem Sinn kann man sagen, daß ein "verfänglicher Konsens" eine Tautologie ist, doch muß man sich darüber im klaren sein, daß die Verfänglichkeit mit der Unbestimmtheit der Konsensbedingungen und -folgen größer wird: je weniger man weiß um die Konsenserfordernisse (Leistungsverzeichnis bzw. erwartete "Spenden"), desto unsicherer die übernommenen Pflichten (wann, wo, was tun, unterlassen) und unverläßlicher die Entlassungsbedingungen aus dem Konsens (Ächtung, Rausschmiß oder Kopfab).

Wer nicht genau weiß, wozu er eigentlich zustimmt und welchen persönlichen Einsatz diese Zustimmung von ihm fordert, der muß auf alles gefaßt sein, wenn er sich eines Besseren besinnt. Die scheinbare Regellosigkeit einer solchen Situation führt zu Auswüchsen, die für die Betroffenen katastrophale Ausmaße annehmen können, wie der Mythos es mit dem Apfel, dem Turm und dem goldenen Kalb paradigmatisch darlegt. Das erklärt die unerfindliche Verfänglichkeit des weichen Konsens: die Ungewißheit, die Willkür seiner Bedingungen und Folgen. Wo nichts festgelegt ist, wird alles möglich. Die Paradoxie des Weichen, das sich stärker als das Harte erweist (steter Tropfen höhlt den Stein), gilt letztlich auch für den weichen Konsens, dessen Zwang durch seine Unbestimmtheit wirksamer ist als brutale Gewalt. Der Konsensmitläufer verhärtet sein Schicksal, indem er seinem Willen Gewalt antut, ihn sozusagen eigenhändig an den Haken des Konsens fesselt, dem er sich nachdrücklich unterstellt. Er will sich mehr noch als seinen Ideologen beweisen, wie sehr es ihm mit seiner Absicht ernst ist. Neubekehrte übertreiben immer, verfangen sich freiwillig in der "Verfänglichkeit" und fallen aus in Fanatismus. Für Konsens mit Rechtsfolgen ist die Ehe ein gutes Beispiel, das keiner weiteren Ausmalung bedarf. Die darin Befangenen, wissen, was gemeint ist, und die anderen glauben zu wissen, daß der eigene Trieb auch andere Erfüllungsmöglichkeiten hat, denn heute gilt nicht mehr Tolstoïs Wort, wonach die Ehe einem Hühnerhof gleiche, wo die drinnen sind nach außen streben und die außen sind nach innen. Die unvorhersehbaren Entwicklungen einer solchen Gemeinschaft setzen sie Bruchgefahren aus, die mit der bekannten Formel auf Gedeih und Verderb nicht beschwichtigt werden können und was im Zug der sogenannten Emanzipation und neuen Sexualethik dazu geführt hat, einen weicheren Konsens auf diesem Gebiet zu suchen mit oft härteren menschlichen Folgen als es die Rechtsordnung vorsieht. Außerdem gilt gerade für die Ehe eigentlich ein doppelter Konsens: der zwischen den Partnern rechtlich sanktionierte und der, den das soziale Umfeld der Ehepartner als für sie geltend anerkennt, nämlich sich so zu verhalten, wie die respektiven Gesellschaftsnormen es vorschreiben(8), was nur teilweise auf dem Standesamt zur Sprache kommt. Das ist auch der Grund, weshalb diese Institution immer unter Druck steht und zu einem beliebten Dreiecksspiel Anlaß gibt, ohne welches ein Gutteil der Weltliteratur und des Welttheaters nicht bestünde: die ungleichzeitige Gleichzeitigkeit gegenseitiger Liebe. Andererseits schließt selbst die harte Rechtsordnung Entwicklungsüberlegungen nicht aus: im Völkerrecht hat es schon immer die clausula rebus sic stantibus gegeben, die besagt, daß Verträge unter gewissen Umständen, wenn sich die anfänglichen Gegebenheiten grundlegend geändert haben, aufzulassen sind. Dies gilt als Anweisung für angerufene Schiedsgerichtsbarkeiten. Aber das liegt jenseits unserer Betrachtungen.

Es geht uns bei der Verfänglichkeit der Konsensfrage um noch viel Wesentlicheres, nämlich um den Kult, der vor allem in politischen Lagern immer mehr mit dem Konsens getrieben wird und den verdächtigen Entwicklungen, die daraus gedreht werden. Gerade darin besteht auch dessen eigentliche Verfänglichkeit, die also nicht nur die Beschränkung des freien Willens beinhaltet, sondern vielmehr die schleichenden Zwänge, die die List der Vernunft mit der Macht der bemühten Umstände verbindet und unter Vortäuschung falscher Perspektiven, darauf ausgeht, lautere Absichten für unlautere Zwecke zu mißbrauchen. Unter der einladend lächelnden Maske des Konsens verbirgt sich eine Art Gottesanbeterin. Das Theater, um den Konsens der Beherrschten zu gewinnen, ist das eigentliche Thema, das uns beschäftigen wird.

 

1. Bestandsaufnahme der Konsensbildung

Ein Konsens entsteht aus einer gemeinsamen Willenserklärung zwecks Durchführung eines gemeinsamen Plans. Dies gilt für beide Konsensformen. Die Willenserklärung ist bei der weichen Form eher stillschweigend bzw. beitrittsmäßig artikuliert und meist nicht so explizit wie bei der harten, obwohl auch dort, z.B. im Vertragsrecht, konkludente Handlungen(9) erheblich sind, wie beim Kauf im Supermarkt. Ein Konsens setzt voraus, daß die Erklärung ungezwungen und bei vollem Bewußtsein, das auch die Tragweite der Erklärung erkennt, abgegeben wird unddaß weiterhin die Beteiligten geschäftsfähig und in der Lage sind, den Ausführungsanforderungen des Plans zu entsprechen. Das alles setzt also einen freien Willen, Einsicht, d.h. Vernunft und Verstand, und die nötigen Mittel voraus. Wie ersichtlich, gibt es da eine ganze Reihe von sachdienlichen Annahmen (Präsumptionen bzw. Voraussetzungen), die meist nur vor dem Notar geprüft, sonst aber einfach als selbstverständlich angenommen werden. Eine solche präsumptive Konsensbildung impliziert dabei keineswegs theoretische Grundsatzfragen oder philosophische Hypothesen, sondern es handelt sich dabei um höchst relevante ungelöste Fragepunkte mit oft schwerwiegenden Auswirkungen auf das praktische Leben in der Gesellschaft, deren Ordnung und Zusammenleben davon tiefgreifend betroffen sind und man sich tatsächlich oft wundern kann, wie leichtfertig damit umgegangen wird. Es ist natürlich immer einfacher, auf eine Hausordnung zu pochen, die jedermann zur Kenntnis genommen und damit auch akzeptiert haben soll (nul n'est censé ignorer la loi! = Nichtwissen ist keine Ausrede).

 

2. Der staatsbürgerliche Konsens

Ausgangspunkt ist die freie Entscheidungsgewalt (der freie Wille), die in unserer heutigen Gesellschaft jedem Bürger als ein Grundrechtsprinzip über seine Person und seine Habe zugestanden wird, im Gegensatz zu Gesellschaftsorganisationen, die unfreie Mitglieder kennen (Sklaven, Kasten, Aussätzige, usw.). Unter "Bürger" versteht man insbesondere bei der harten Form eine vernunftbegabte, volljährige, natürliche Person, die in der Lage ist, Rechtsgeschäfte zu tätigen, worunter insbesondere solche verstanden sind, die das Eingehen von Verpflichtungen und die Übernahme von Rechten beinhalten, d.h. also ein Begrenzung bzw. eine Ausweitung ihrer Handlungsfreiheit. Eine ganze Reihe von Grundrechten, die aus Freiheitsgedanken entstanden sind, nehmen dabei eine besondere Stellung ein. Auch hier geht man wiederum von ähnlichen Annahmen aus, was den Bürger und seine Rechtslage anbelangt, die einfach als gegeben nicht weiter hinterfragt werden, weil man denkt, daß ein Normalfall "einwandfrei" ist.

Der Bürger wird als Rechtssubjekt eingestuft, ist aber gleichzeitig Normadressat und Objekt von Vorschriften, die seine Handlungsfreiheit bedeutend weitgehender einschränken als es ihm lieb ist und er sieht sich Muß- und Sollnormen ausgesetzt, die von ihm Würde und Hosenknopf abverlangen. So muß er es sich gefallen lassen, Steuern zu zahlen, Militär- bzw. Zivildienst zu leisten, dem Rechtsverkehr nicht die Vorfahrt zu nehmen, überwacht, bzw. eingesperrt zu werden unter dem Vorwand, daß er Vorschriften, die er ja kennt oder zumindest kennen sollte, nicht beachtet hat. Vom Strafrecht abgesehen, dem der Bürger zu seinem Schutz zustimmt, der Straftäter sicher nicht, gibt es eine Unmenge an Normen, die schon lange bevor er überhaupt zustimmungsfähig war, in Kraft getreten sind. Es geht nicht um seine Zustimmung, sondern um seine Kenntnis (seine Pflicht, sich zu informieren).

Wie steht es dabei um seinen Konsens, d.h. seiner Zustimmung zur Unterstellung, daß er weiß, worum es in jedem Fall geht? Er, der freie, souveräne Bürger wird nicht gefragt, ob er mit solchen Zumutungen (Forderungen) einverstanden ist. Wir wollen hier nicht die Grundfragen eines Hobbes, Hume, Locke, Montesquieu oder Rousseau anschneiden, sondern nur die Mutmaßungsfrage klar herausstellen: Man tut so, als ob der Normalbürger den gesamten, ihn angehenden Vorschriftenwust genau kennen würde, ihm zugestimmt und auf Einwände von vorneherein verzichtet hätte, denn genau das wird gemutmaßt. Diese Zumutung ist umso gravierender als sogar Juristen die sie angehende Normenflut heute nicht mehr bewältigen können.

Der informierte, einwilligende Bürger gilt demnach als eine rechtsgültige Fiktion, wie die des guten Glaubens (z.B. bei Ersitzung §937 BGB in Deutschland) oder des "reasonable man" im englischen Recht. Wie ist es dazu gekommen? Mit dieser Frage nähern wir uns einen Schritt mehr einem weiteren Aspekt der "Verfänglichkeit". Tatsächlich kann man die vertrackte Situation des Normalbürgers, gefangen wie er ist im Netz der ihm bekannten und auch unbekannten Vorschriften, nur verstehen, wenn man kurz untersucht, wie diese Vorschriften entstehen, zu denen er durch Kenntnisnahme ja gesagt haben soll, denn sie wurden ja in seinem Namen verordnet: im Namen des Volkes.

Wir bewegen uns hierbei weiterhin in einer Fiktion, nämlich der des Auftrags. Der Normalbürger hat nämlich unwissentlich einen Auftrag erteilt, der solange gilt wie eine Legislaturperiode. Seinen Auftragnehmer bzw. Stellvertreter hat er in Ausübung seines Wahlrechts (das vielen immer mehr wie eine Impfpflicht vorkommt) im Wahllokal ernannt; dieser (ein es gut meinender Freund) ist für ihn voll handlungsberechtigt, hat seine Belange zu vertreten und all das vorzunehmen, was zu seinem (?) Besten dient. Nun ist dieser Stellvertreter aber auch gleichzeitig (womit wir wieder beim Thema der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wären!) der Auftragnehmer einer Menge anderer, die dieselben Aufgaben derselben Person übertragen haben. Diese Leute haben nämlich am gleichen Tag im selben Wahllokal mit unserem Normalbürger gleichgezogen, ohne ihre Gemeinsamkeit zu ahnen, d.h. wie sie alle im selben Boot verfrachtet wurden (Wahlgeheimnis!): Konsenstatbestand ohne Absicht. Tatsächlich haben sie mit ihrer Stimmabgabe (Willenserklärung), jeder für sich und ohne sich darüber untereinander abzustimmen, ihre Freiheit vertan, ihre Souveränität einem Schönredner überantwortet, der, laut §20 des Grundgesetzes der BRD, sein Amt als Abgeordneter völlig unverantwortlich auszuüben befugt ist. Die unabhängige Konkurrenz der Willenserklärungen zu seiner Ernennung befreit ihn vom Zwang der Rechenschaft dem einzelnen gegenüber.

Dies steht in krassem Gegensatz zur Institution des Auftrags, wie sie schon im römischen Recht galt und auch im BGB und anderen zivilrechtlichen Vorschriften Anwendung findet, wo nämlich der Auftragnehmer dem Auftraggeber Rede und Antwort zu stehen hat für Tat und Untat (Unterlassung) und, ganz allgemein, ihm Rechenschaft schuldet. Aus dieser Rechenschaftspflicht ist der Abgeordnete entlassen. Er kann also im Namen seiner Wähler tun und lassen, was ihm beliebt. Das Gleiche gilt für seine Kollegen, die, wie er, freie Hand haben, im Namen des Volkes u.a. die Staatskassen so zu beanspruchen, wie sie es für richtig halten, ohne fürchten zu müssen, dafür je zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da besagte Kollegen wissen, daß ihre Macht zeitlich begrenzt ist, sind sie vor allem darauf bedacht, die vorgegebene Zeit weidlich auszunutzen, so daß besagte Kassen per Ende ihrer Grassierperiode leer sein müssen. Dies ist inzwischen von den sog. Politologen als ein Naturgesetz erkannt und ausgefertigt. Um die Ausgaben aber wenigstens teilweise zu decken, wird der anfangs erwähnte Normalbürger regelmäßig zur Kasse gebeten. So hat er mit seiner Wahl einen Großteil nicht nur seiner Freiheit, sondern auch seiner Habe verscherzt. Damit sieht man also, etwas vereinfacht, das Wirkungsprinzip der Verfänglichkeit des Konsens in unserer freien Welt. Wie steht es mit seiner Wahl?

Im Englischen spricht man von Hobson's choice, die unserem Fall entspricht: Hobson war ein Pferdevermieter, der seinen Kunden die Wahl ließ, das Pferd nächst dem Stallpfosten oder gar keins zu nehmen. In unseren Demokratien hat man zwar periodisch die Wahl zwischen zwei oder mehr Parteien, aber letztlich läuft es immer auf dasselbe hinaus. Die Wahl ist zwischen Pest und Cholera, da unter besagten Kollegen immer derselbe Konsens besteht, den Staat als Beute zu betrachten(10), den Steuerzahler auszunehmen, die Umwelt belastet zu lassen, der Atom- und Militärlobby und denen zu dienen, die ihnen bei der Verfolgung von Korruption am dienlichsten sind. Das Wahlopfer kann nicht einmal mehr bedauert werden, durch seinen Opfergang farbenblind geworden zu sein. Es spielt also keine Rolle, ob er für oder gegen die Regierungspartei gestimmt hat. Die Minderheit hat sowieso nichts zu sagen, was immer sie sagt. Die rudernde Mannschaft macht dann immer alles Neu, alles Vergangene war grundfalsch, selbst wenn sie schon bis dato am Ruder war. Es gilt ihr dann vor allem so zu tun, als ob sie den Konsens des ganzen Landes hätte. Es ist also wichtig den Konsens von zwei Seiten zu betrachten: der herablassend-wohlwollenden Konsensschuldner und der maulenden Konsensgläubiger, denn sie glauben an ihre Illusion (s.o.). Die ersten sind gefräßig und verschlingen, was ihnen unter die Krallen kommt, die zweiten werden von Amts wegen mit ihrem Stimmenanteil verjubelt. Es bleibt ihnen nur bestenfalls ein wildes Staunen und meist ein unerhebliches Bereuen, wenn auch die Erfahrung lehrt, daß man nichts bereut, von dem man nicht eingesehen hat, daß man es besser machen kann. Es scheint ihnen nicht aufgegangen zu sein, daß ihre Willenerklärung, ihre Stimmenabgabe nur eine Zahl darstellt - und mit Zahlen ist noch leichter umspringen als mit Worten, denen Begriffe fehlen. Unduldsamkeit ist bei Zahlen unangebracht.

Das politische Konsensprinzip hat sich demnach eingespielt als eine Fiktion ungleicher Rollenverteilung von Rednern, deren Meinung immer und überall gilt, und Zuhörern, die sich zwar, wenn überhaupt, eine Meinung bilden können aus dem Gehörten, die aber unerheblich ist. Zudem müssen sie dem Staatshaushalt einen hohen Unterhalt zahlen, was sie anscheinend hinzunehmen bereit sind, denn niemand sträubt sich de facto gegen diese Fiktion. Der politische Konsens übersteigt die Vernunft. Tatsächlich sollte man meinen, daß ein verständiger Mensch sich zu einer solchen Farce nicht hergeben würde. Da der Ritus aber funktioniert, muß man sich fragen, welcher Beweggrund da die Kritik der reinen Vernunft ausschließt. Sind alle so unverständig, daß niemand mehr merkt, wie absurd das ganze System ist? Oder ist der Konsens so brüchig, daß niemand daran zu rütteln wagt aus Angst, mit dem Quentchen Sicherheit, das er gewährt, alles zu verlieren? Wahrscheinlich ist es letztlich ganz gleich, worin der Konsens besteht, denn es ist ja nur die Summe von beliebigen Zahlen.

Wie man sieht, ist die Verfänglichkeit der demokratischen Konsensfiktion ein heikles Thema, mit dem jede Demokratie sich auseinanderzusetzen hat, denn es rührt an die Frage der Rechtfertigung der Obrigkeit. Welcher Konsens funktioniert hier?

In primitiven Gesellschaftsformen gilt das Individuum nichts und die Gesamtheit alles. Einer für alle ist genauso zweideutig wie alle für einen, denn der eine kann Rattenfänger oder Sündenbock sein. Konsens ist gar keine Frage, da der Herdentrieb dem Konsens zuvorkommt und die Zahl kein Bewußtsein braucht. Es darf nur ein Gemeinschaftsbewußtsein geben, das das soziale Band liefert, wie Plato es in seiner Republik V schildert. Tocqueville kannte noch ein scheinbar ehrbareres Amerika als wir heute und konnte es als Beispiel für demokratische Gesinnung und Praxis anführen, wohingegen etwas später Durkheim das Mitglied von Parteigruppen eingeschlossen sieht in seiner ideologischen Gewißheit(11) und einem Solidaritätsdenken, die beide eigentlich schon jenseits von Konsens stehen, da sein Wille unerheblich geworden ist. Die gängigen Ideologien werben um Konsens und meinen damit blindes Vertrauen. Der Parteigänger zählt (und zahlt), aber nicht sein Gewissen. Zahlen haben keins.

Genau das scheint für unsere heutige sogenannte demokratische Gesellschaft zuzutreffen, in der zwar das Individuum im Vordergrund steht, wenigstens theoretisch, und ihm ein maßgebliches Mitspracherecht an der Gestaltung des gemeinsamen Staatswillens zugestanden wird, ebenfalls in der Theorie. Damit gerät das Konsensprinzip in den Mittelpunkt des politischen Geschehens. Der Wähler wird gefeiert und verheizt. Es ist dieses Doppelspiel, das mit ihm getrieben wird, das die Verfänglichkeit mit dem Konsens verbindet, denn kein Politiker verhehlt Stimmenfang als Ziel seiner Wahlkampagne. Zu diesem Zweck werden Programme aufgestellt, Ziele vorgegeben Versprechungen gemacht, deren Ernsthaftigkeit so schnell verdunstet wie sie gedruckt sind. Man sagt nicht umsonst er lügt wie gedruckt. Wer wohl? Es kann also keine Rede sein weder von einem Auftrag, noch überhaupt von einem Vertrag, den es einzuhalten gälte. Der Konsens zwischen Wähler und Mandatar, die Vertretungsbefugnis, ist eine abgemachte Sache von Parteien, die allein bestimmen, wer zu wählen ist, welches Programm, wenn überhaupt, ausgehängt wird und welches Programm tatsächlich durchzusetzen ist, sobald man ans Ruder kommt.

Muckst ein Kandidat etwa auf oder sagt mehr als vorgegeben, dann wird er alsbald von einem linientreueren Kollegen ersetzt. Der Konsens zwischen Wähler und Partei fußt auf Interessen, die wiederum die Partei allein erwägt, um ihre Machtposition damit auszubauen. Bestenfalls ist dieser Konsens mit dem zu vergleichen, den Fußballfans mit ihrem Klub teilen und schlimmstenfalls gelten dunklere Machenschaften. Der Einzelne hat nur ganz geringe Chancen als Wähler oder als Kandidat. Die wenigen, die ohne Magengeschwür oder Gewaltanwendung davonkommen ("freie" Kandidaten), werden, da völlig harmlos, laufen gelassen, damit das tatsächliche Parteienmonopol der Volksvertretung in einer öffentlichen Diskussion bestritten werden kann. Aber auch die Parteien sind nur Vorwände, Zahlensammelbecken, die ihren Inhalt nach Einsammeln sowieso in größere Becken abgeben, um zu einem Gesamtkonzept zu gelangen, auf den dann die Obrigkeit ihre gespaltenen Füße getrost setzen kann. Niemand ist mehr in der Lage, die Bestandteile aus der Mischung zu erkennen und niemand kümmert es. Das Chaos hat seinen kritischen Punkt erreicht. Die Regierung ist etabliert.

Unter diesen Umständen sieht es schlimm aus um den Konsenswert. Theoretiker bemühen sich zwar, den Interessenkonflikt und die Vergewaltigung des politischen Willens der Wählerschaft zu verharmlosen. Man spricht von Solidarität, Gruppengeist, Ideengemeinschaft usw., aber schon Bürgerinitiativen und ähnliche Zusammenschlüsse, die allein das Gemeinwohl im Auge haben, sind unerwünscht. Sicherheit ist jetzt ein Lieblingswort der Innenministerien der europäischen Länder geworden, weil damit dem Bürger Angst gemacht und eine Berechtigung erworben wird für eine gründlichere Überwachung der Außenseiter, die leicht als Terroristen ausgegeben werden können und man mit ihnen dann entsprechend verfahren kann. Staatsfeinde und ihre Kaltstellung sind nichts Neues mehr für Republiken. Die französische 3. Republik (die zum régime de Vichy führte) hat dafür ein eklatantes Beispiel abgegeben.

Die Parteien selbst sind ausführende Organe von Befehlsstrukturen, die bei Finanzierungsskandalen manchmal kurz auftauchen, aber sofort wieder in der Flut der belanglosen, einschläfernden Nachrichten verschwinden. Es gibt auch Bücher und Artikel, die genug Explosivstoff enthalten, um Riesenskandale auszulösen, aber auch sie werden im vorgehaltenen allgemeinen Konsens erstickt. Ruhe braucht der Bürger. Deswegen bekommt er soviel belanglose Unruhe, wie auch am laufenden Band Katastrophen und Skandale aus dem Ausland in den täglichen Nachrichten serviert. Das scheint paradox, entspricht aber dem guten alten Wirkungsprinzip der Homöopathie: Gleiches mit Gleichem bekämpfen, dann entsteht im Ausgleich die Ruhe.(12)

Die Machtbegründung der Regierung braucht den Wähler, denn die Macht geht vom Volke aus, wie es so feierlich im deutschen Grundgesetz heißt, auf das man sich mit neurotischer Geste immer dann beruft, wenn diese Grundordnung in Frage gestellt wird mit dem Hinweis, was doch daraus geworden ist.(13) Deswegen muß die Illusion der Wahlmaschine und der zentralen Rolle der Wählerschaft, (die bewußt in der Ignoranz gelassen wird, daß sie eine Gläubigergemeinschaft sein könnte,) um jeden Preis aufrechterhalten bleiben. Im Ernstfall scheut man deswegen nicht davor zurück, Wahlergebnisse zu fälschen, wie im gesamten Afrika, wo die Demokratie sowieso eine ungeheuerliche Farce ist, oder, wie jetzt kürzlich im Paradeland der Demokratie, den Vereinigten Staaten, durch Justizentscheid, der dann die Fälschung "richtet" und den "richtigen" Kandidaten einsetzt. Wer hat etwas dagegen einzuwenden? Niemand! (Vorsicht: Steinschlag!) Also besteht Konsens, daß der jetzige Präsident von Amerika von seinem Volk rechtmäßig gewählt wurde. Es geht dabei sowieso nur um stillschweigende Zahlen.

Worauf es uns vor allem ankommt ist letztlich die Frage, wieso ein derart hochgestylter Konsens zur Institution geworden ist. Denn es ist Selbstbetrug, glauben zu wollen, daß zwischen Staat und Individuum unter demselben Begriff des Auftrags dieselbe Normenart gelten kann wie in der Zivilgesellschaft. Es ist offensichtlich, daß zwei verschiedene Maße gelten, ja gelten müssen et qu'on se paie de mots et la tête du citoyen. (daß man mit Worten herumwirft und den Bürger zum besten hält). Außerdem wird jeder Versuch, Machtverhältnisse durch Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten zu ändern, zum Scheitern verurteilt, weil die Informationsquellen und Nachrichtenverteiler genau der Macht hörig sind, die auf der Anklagebank sitzen sollte. Wer oben sitzt, hat alles in seinen Händen, die Polizei, die Justiz und die Medien. Nicht nur die Gewaltenteilung besteht nicht mehr, sondern auch die Medienwelt hat aufgehört, im Dienst des Gemeinwohls zu arbeiten, besonders wenn, wie in Italien, ein Medienkönig gleichzeitig Staatschef ist. Citizen Cane hat sich durchgesetzt.

Der Konsens muß unterhalten werden. Die Machthaber müssen regelmäßig zeigen, daß die Wählerschaft zahlenmäßig hinter ihnen steht. Diese Fiktion ist sehr wichtig. Deswegen werden Meinungsforscher, Erhebungen und Umfragen bemüht und die Medien kolportieren recht brav, welch großer Popularität sich die Galionsfiguren erfreuen. Die Minderheit kommt dabei nicht zum Zug. Die Mehrheit regiert und befiehlt über das ganze Land, mit dessen Konsens sie sich ihrer schwierigen Mission entledigt. Niemand will hören, daß ein solches Affentheater doch lächerlich sei. Da lachen doch die Hühner! wie man manchmal bei Parlamentsdebatten hört. Solche Einwürfe werden hämisch lächelnd überhört. Der Konsens besteht. Er ist erwiesen in unbestreitbaren Prozentzahlen, die im Radio, im Fernsehen und in der Presse in allem Ernst kommentiert werden. Dieser Börsenhandel ist grotesk aber wirksam. Verlierer sind immer die Kleinaktionäre. Das gehört eben zur Demokratie.

Die Macht der Parteien diktiert auch die Kultur, denn außer der Begründung braucht die führende Partie (Regierung) auch eine Bestätigung, daß sie Kulturbelange zu vertreten und zu verteidigen weiß, wie in Frankreich mit seiner immer wieder herausgekehrten exception culturelle. Und auch die Kultur beruht auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, ist Ausdruck einer gemeinsamen Idee, deren Verwirklichung sich in allen Bereichen zeigen sollte, wie dem Ausgleich von sozialen Notständen, der Organisation des Gesundheitswesens, den Lehrprogrammen an Schulen und Universitäten(14), den Forschungsbemühungen und dem Kulturprogramm als solchem. Die Ernsthaftigkeit dieser Kulturförderung zeigt sich auch in Zahlen. Doch was kommt dabei heraus, wenn man den Haushaltsplan aller demokratischen Länder untersucht? Die Hauptposten gehen an die Verteidigungs- und Innenministerien, an die Banken zwecks Defiziterhöhung, und die eigentlichen lebenswichtigen Bereiche sind gezielt unterbemittelt. Wo hört der Konsens auf? In Geldsachen, sagt das Sprichwort, denn Konsens bezeugt Freundschaft und Freundschaft ist nicht käuflich, wenigstens früher war es so. O tempora, o mores! Der Steuerzahler würde zwar gern, aber so ganz allein?! Also bleibt er am Konsens hängen, wie die Fliege im Netz! q.e.d.

Deswegen ist es leicht und einfach, den allgemeinen Konsens hochzuspielen und als gegeben darzustellen. Er wird regelrecht zum Kultobjekt, so daß man von einer Konsensreligion sprechen könnte. Natürlich sollte man Religion nicht mit Kirche verwechseln. Denn nur Kirchen verordnen Dogmen. Der Konsensglaube wird jetzt als Dogma ausgeläutet. Jede demokratische Regierung vereinigt den Landeskonsens auf ihrem Haupte, ganz gleich mit welcher Mehrheit oder Wahlküchenabmachung sie ans Ruder kam, und wehe dem, der sich erdreistet, dies zu bezweifeln! Die Regierung als Obrigkeit verdient allgemeine Anerkennung (Konsens) für ihre Fürsorge, ihr eifriges Bemühen um soziale Gerechtigkeit bei freiem Unternehmertum, der Wahrnehmung ihrer Interessen der Brüderlichkeit unter sich, kurzum der Vereinbarung aller Kompromiß- und Konsensbewegungen unter dem Banner der ehrwürdigen Landeskonsenskirche. Doch Zahlen sind nicht begeisterungsfähig. Durch Gleichungen sind Lösungen möglich, die das Paradox der ruhenden Bewegung, des wahrsprechenden Lügners in Zahlen verwandeln und damit ausrechnen lassen. Aber was bleibt sind wiederum nur Zahlen, nicht einmal Schafe, mit denen man etwas anfangen könnte.

Die medial erwiesene, einhellige Unterstützung der Bevölkerung, denn das Volk ist ja auch inzwischen abgeschafft, gestattet der Regierung, freihändig Ordnung zu schaffen und Säuberungsaktionen gegen mögliche Unruhestifter bzw. -gruppen zu starten. Die Grenze zum Polizeistaat ist nicht weit weg. Vielleicht braucht man auch bald den Konsens nicht mehr als Alibi. Die planmäßigen, anxiolytischen(15) Aufräumarbeiten werden von Sicherheitsmaßnahmen unterstützt. Soweit der Anwendungsbereich des staatsbürgerlichen Konsens als Zahlenmythos.

 

3. Die Konsensgewalt in der Globalisierung

Bevor weltweite Belange angesprochen werden, gehen uns erst einmal die europäischen Verhältnisse an. Die Europäische Union braucht zwar den Wähler nur als fünftes Rad am Wagen, denn das europäische Parlament hat die größten Schwierigkeiten, die Allgewalt der Kommission einzudämmen und seine Befugnisse sind erst in den neueren Verträgen verstärkt worden, aber es kostet ja nichts, mit derselben Konsenshörigkeit zu arbeiten, wie auf Länderebene. Also gilt in Brüssel dasselbe Motto, zumal die Kommission auf dem Konsens der Landesregierungen fußt, da ihre Zusammensetzung noch vom Einverständnis der 15 Regierungen bestimmt wird.

Das Parlament hat zwar kürzlich eine Partie gegen die Kommission gewonnen, indem diese aufgeflogen ist, also den Konsens verloren hat, aber die Machtverteilung liegt weiterhin zugunsten der Kommission, welche die hauptsächliche Gesetzesinitiative hat und auch die Landesregierungen zu Gehorsam zwingen kann. Die normverabschiedende Gewalt liegt ohnehin nicht beim Parlament (warum heißt es eigentlich so?), sondern beim Ministerrat. Durch die verschiedenen Verträge erhält der Konsens Zulauf und übt gegenüber Außenstehenden eine große Faszination aus, was den Andrang zwecks Zulassung erklärt. Erfolgreicher Konsens hat einen Schneeballeffekt, wie jeder Erfolg: nothing succeeds like success. Damit hat die Europäische Union ein leichtes Spiel ihre Position auszubauen und ihr Einzugsgebiet auszuweiten, ohne anscheinend denken zu wollen, daß eine Suppe nach viel Wasserzusatz nicht mehr so kräftig schmeckt bzw., was den Konsens anlangt, er nicht mehr so zieht wie bisher. Die einhellige Überzeugung wir sind stark gilt nur, solange hinter der Aussage tatsächlich eine Wirklichkeit webt. Reißt aber auch nur ein Faden des Gewebes, dann hält es nicht mehr, was es verspricht. Die Aussicht auf leere Versprechungen bzw. imaginäre Vorteile brütet Unheil. Das Beispiel von Sangatte zeigt deutlich, wohin Verzweiflung und la folie ordinaire (blanker Unsinn) die Leute bringen kann. Illuminierte können zwar Konsensbestrebungen eine Zeitlang unterhalten, aber wenn letztendlich vorwiegend Nachteile zutage treten, verläuft sich der Markt schnell.

Das Schlimme bei der europäischen Integration ist der Beweggrund, der die Antragsteller antreibt, konsenswürdig befunden zu werden. Dieser ist vorwiegend wirtschaftlicher und teilweise politischer Natur. Das Geltungsbedürfnis der respektiven antragstellenden Politiker verdrängt dasjenige ihres Volkes, das herhalten muß, wie in Afrika, für die folie des grandeurs (den Größenwahn) ihrer "Vertreter". Von Kultur ist dabei keine Rede. Man ist zu jedem Opfer bereit. Kultur von daheim wird vermarktet als Touristenattraktion, Exportartikel, Folklore: je gröber gezeichnet, desto ziehender der Artikel. Die Armen haben keine Wahl. Prostitution im weiteren Sinn wird mit ihnen getrieben. Cui bono? Die Konsensmanager reiben sich die Hände in der Aussicht auf breitere Profite durch breitere Teilnahme. Ob die Rechnung aufgehen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Auf höherer Ebene sieht es nicht besser aus. Die UNO treibt die Sache über den common sense hinaus. Mit Consensus wird dort der neue Kult getrieben, zusammen mit erfinderischen Riten, die Inhalte hineinzaubern, die zu den ursprünglichen passen, wie die Faust aufs Auge. Es obliegt den Gremien und Ausschüssen, paradigmatisch zu wirken und jeden frei reden zu lassen. Dann wird abgestimmt, Kompromisse werden geschlossen und ein Konsens erreicht, der zwar keine Einstimmigkeit ergibt, aber noch viel mehr: eine Basis für kommunikatives Handeln(16) aus der Überzeugung, daß der durch die Auseinandersetzung bewirkte Elan konsensüberragende Tragkraft besitze.

Tatsächlicher Konsens entspringt dabei einer Entscheidung, keinen Einwand oder Einspruch zu erheben: laisser pisser le mérinos (abwarten, laufen lassen). Im Klartext: Stimmenthaltung wird als Zustimmung gewertet, nach dem Motto, qui ne dit mot consent (wer nichts sagt, willigt ein).(17) Stillschweigendes Geschehenlassen führte zur Kollektivschuld. Aber wer zahlte sie aus?

Am Anfang des Consensus-Konzepts steht das längst überholte Konzert der Nationen, dem Völkerbund, der nicht nur, aber auch, an der Einstimmigkeitserfordernis scheiterte. Dann kam der neue Bund mit Ende des 2. Weltkriegs, wo die neueingeführte Mehrheitsregel im Kalten Krieg die Vereinten Nationen zum Zuschauen und Abwarten verurteilte. Das Vetorecht blockierte den Sicherheitsrat und man kam mit Ende des Kalten Kriegs zur besseren Einsicht eines Konsens ohne Aufsehen, einer Art stillschweigender Übereinkunft. Die nötige Vorarbeit oblag den verschiedenen Komitees, Ausschüssen und Arbeitsgruppen, die Einwände anzuhören und auszubügeln hatten. Es galt und gilt noch immer vor allem, der Welt zu beweisen, daß ein Konsens besteht, nichts zu tun, was die UNO verpflichten könnte, etwas zu tun, um Frieden zu stiften (wozu dann noch Waffen herstellen?) bzw. Krieg zu vermeiden, denn dann wären zigtausend internationale Beamte und civil workers ihrer Arbeit beraubt, von der größten Industrie weltweit ganz zu schweigen. Der Konsens geht sogar soweit, daß der Weltbankpräsident ganz offiziell sich bereit erklärt hat, für den Fall des Kriegs gegen den Irak die nötigen Mittel bereitzuhalten, um den Wiederaufbau des Landes zu finanzieren.

Damit kommen wir zur Konsenswirkung auf die Zukunft. Man braucht sich keine Sorgen mehr zu machen. Selbst im Kriegsfall ist für das Nachher bestens vorgesorgt. Das hat ja bereits der Marshallplan bewiesen. Damit fühlt man sich an Leibnizens beste aller Welten erinnert, die damals aber, im Gegensatz zu heute, keinen Konsens fand. Dieser galt nur der Überlegung, daß jeder Bezug auf Gott unweigerlich zum Krieg führt, wie es die Religionskriege dieser Zeit zur Genüge erwiesen hatten. Gott sei Dank (und dem Fortschritt) sind wir aus solchen Ängsten schon längst entlassen. Inch'alla!

 

4. Konsensinhaltswandel

Deswegen gilt seitdem, d.h. dem Vermächtnis der Humanisten der Renaissance und später dem eines Jean Bodin, Grotius und Pufendorf, eine heilsame Trennung des Naturrechts von göttlicher Begründung. Die Menschenrechte, wie sie in der 1948er Erklärung, den Pakten und Resolutionen der UNO wesentliche Belange der Zivilisation vertreten, sind Kinder des Naturrechts. Sie stellen den Menschen, das Individuum, als Maß aller Dinge dar in der Annahme, daß damit eine konsensfähigere Handlungsbasis gegeben sei, als mit dem früheren konfliktträchtigen deus ex machina und ein Rückfall in Barbarei und Chaos verunmöglicht würde. Das Leibnizsche Modell hat nur das Standbein gewechselt: statt Schöpfer das luziferische Geschöpf, denn mit den Menschrechten gilt weiterhin die Universalität des Anwendungsgebietes und damit die höhere Gewalt ihrer Wirkungsweise: internationales Recht bricht Landesrecht. Die Menschenrechte verschaffen der menschlichen Gemeinschaft weltweit ein brüderliches Band, stärker als das der Götter Freiheit und Gleichheit(18). Ihre Gültigkeit ist absolut in Raum und Zeit(19). Diese Erkenntnis revolutioniert die Metaphysik wie Newtons Mechanik die klassische Physik. Damit hat die Hymne an die Freude ihre rechtsmäßige Basis erhalten. Der Konsenskult erfährt im Kult der Menschenrechte seine Bestätigung, denn niemand mehr kann sich der Wahrheit verschließen, die über zweihundert Jahre gebraucht hat, um so offenkundig zutage zu treten. Der Glaube an die Macht der Menschenrechte geht hand in hand mit der Solidaritätskultur, dem bazar de la solidarité, wie sie in eingeführten Kreisen auch genannt wird.

Die 1948er Erklärung fordert implizit die Staaten dazu auf, die Menschenrechte als Lehen zu verwalten, als Dienst am Werk. Sie zeigt deutlich die subsidiäre Rolle der Staatsstruktur, wobei nicht klar zu erkennen ist, wem die erste Rolle zukommt, der Zivilgesellschaft oder anderen Bestimmungsträgern. Unter den zweideutig positiven Auswirkungen der Erklärung kann man die Beendigung des Kalten Krieges, die Entkolonisierung und die Entwicklungsbestrebungen der Dritten Welt nennen, aber selbst hier ist ein Konsens in der Bewertung nicht sichergestellt, wie überhaupt die friedens- und würdefördernde Aktion der Menschenrechte sich nicht einhellig durchgesetzt hat. Man denke nur an die Minoritätskonflikte, Säuberungskampagnen und Klanfehden in Afrika und Asien, von allen Fundamentalismen ganz zu schweigen, die zwar nicht unmittelbar ihre Bestätigung in dieser Erklärung finden, aber doch dadurch von einem Umfeld profitieren, das ihren Mitteln förderlich ist. Aber auch die Staaten, in ihrer Parteienwirtschaft befangen, sind noch nicht bereit, dem weltweiten Menschenrechtskult zu huldigen. Dies vielleicht umso weniger, als dieser Konsenskult im Begriff ist, eine Mutation zu erfahren.

Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage..., das Zitat charakterisiert die Entropie, den Verlust an Ordnung, der über dem Lauf der Dinge waltet und der auch den Menschenrechtskatalog behaftet, allerdings halfen einige kräftig dabei mit. Auszugehen ist von der Doppeldeutigkeit des Konsensbegriffs, der sowohl Zustimmung zu einer Aussage als auch Zustimmung zu einer Willenserklärung, einer Entscheidung beinhalten kann. Der erste Sinn bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt eines Sachverhalts und der zweite auf die Einwilligung zu einer Absicht bzw. Handlung. Im letzteren Sinn gilt auch die Entscheidung, keine Einwände zu machen bzw. ein Projekt laufen zu lassen, ohne von einem Einspruchsrecht Gebrauch zu machen. Der erste Sinn ist substanzbezogen, wohingegen der zweite formbezogen ist, d.h. nur die getroffene Entscheidung betrifft, aber nicht ihren Inhalt oder Zweck. Nun werden beide Bedeutungen oft verwechselt, insbesondere die Zustimmung zu einer Entscheidung wird oft gedeutet als Zustimmung zu deren Inhalt (Wahrheitsgehalt), z.B. Stimmenthaltung bei einem Mehrheitsentscheid, bedeutet noch lange nicht, daß man auch mit der Sache, über die entschieden wurde, einverstanden ist. Genau darin besteht nämlich die Verfänglichkeit des Konsens, daß man einem Wahlbeteiligten einen Strick aus seiner Wahlbeteiligung dreht, nur weil er dabei war, ohne zu unterscheiden, ob er nicht ein stillschweigender Dissident war. Das nannte Tocqueville bereits la tyrannie de la majorité (du consensus), denn meist verbirgt sich hinter dem Konsens nichts weiter als eine Mehrheitsentscheidung. Vox populi, vox bovi illustrierte schon Machiavel(20): Ein Prinz, dessen Willen sein einziger Ratgeber ist, handelt unsinnig; ein Volk, das tun und lassen kann, was ihm beliebt, ist unweise. Und auf fairness ist kein Verlaß, denn es geht ja um Macht, die wie die Not kein Gebot kennt. In jeder Demokratiegilt der Mehrheitsentscheid, so daß es keine absoluten Werte mehr geben kann, denn diese werden ausschließlich nach Maßgabe der jeweiligen Mehrheit bestimmt. So werden Schwangerschaftsunterbrechung, Genmanipulation usw. legalisiert. Damit werden sogar die demokratischen Werte selbst, wie die Gleichheit aller, die Rede-, Gedanken- und Versammlungsfreiheit insofern beschränkt als die Minderheit ihrer Behauptungsrechte verlustig geht. Selbst wenn die Mehrheit falsch liegt, hat sie recht. Es liegen dann nicht immer gleich Feinde im Hinterhalt, wie in Sokrates' Beispiel, um diejenigen, die den falschen Weg eingeschlagen haben, niederzumetzeln.

Die Mehrheit gilt, weswegen die öffentliche Meinung so heftig manipuliert wird. Der Konsens hat seinen Preis und den muß der Dissens bezahlen. Bereits in Platons Republik war Opposition ausgeschlossen (Ostrazismus). Nicht viel besser ergeht es den heutigen laut Nicht mit mir Sagenden. Bestenfalls hört niemand auf sie, schlimmstenfalls bringt ein Verkehrsunfall die Lösung ihres Problems. Nur das Denken ist noch frei, wird aber massiv gesteuert, subliminal, in Fernsehdebatten, durch den stillschweigenden Zwang des Banalen (politisch Korrekten), die machtvolle Kriminalisierung des Andersseins, die Verlachung des "Nörglers".

Die Menschenrechte haben neuerdings Auslegungen erfahren, die nur durch hintergründige Konsensentwicklungen erklärbar sind, wie wir sie gerade untersucht haben. So sind z.B. die Eltern Halbwüchsiger ihrer Überwachungspflichten enthoben. Die Sex-Ideologen ziehen durchs Konsensfeld, indem sie den Kindern neue Rechte zuerkennen, während den Eltern nicht nur das Aufsichtsrecht entzogen, sondern ihnen dazu noch verboten wird, die sexuelle Freiheit Minderjähriger ab 10 Jahre zu behindern (Pädophilie wird zum Genußrecht)(21). Ethische Werte gibt es keine mehr. Ultrafeministen und Homos verklagen Reaktionäre wegen gender discrimination (der soziale Rollenunterschied beruht nicht mehr auf der Natur, sondern auf der Kultur!) und bekommen jetzt Rechtsmittel in die Hand zur Adoption oder um Widersacher vor Gericht zu ziehen. Pornographie und sex workers werden aus der verschämten Ecke gezogen. Wenn man es geschickt genug einfädelt, kann das Opfer noch für schuldig erklärt werden: der Briefträger muß dem Hund Schmerzensgeld zahlen. Die neue Earth Charter erklärt den Humanisten den Krieg und propagiert einen Evolutionismus und Selektionismus nach Darwins, Galtons und Malthus' Muster. Das Konsensmuster hat sich durchgesetzt, zieht weite Kreise und fängt dadurch eine unachtsame Mehrheit ein, die dann als Gesamtkonsens ausgegeben wird. So kommen neue Vorschriften in die Zwangsordnung, die als rechtens anerkennt, was immer von der Mehrheit beschlossen wird, ganz gleich, ob sie damit die alte Ordnung zerstört.

Das Individuum muß sich seineWelt, seine Moral selbst zusammenbasteln(22), wenn es nicht fürchtet, aus dem Verband verbannt zu werden. Vorurteile und clichés sind alte Konsensgefüge aus gedanklichen Sparkonten..Erlaubt ist, was gefällt(23), ist ein solches Dauercliché. Die Vision Hobbes in seinem Leviathan zeigte bereits, daß ein Ultraliberalismus zu einem "illuminierten" Totalitarismus führt, in dem eine Technokratie den Untertanen vorschreibt, was zu tun und zu lassen ist und auch was zu gefallen hat. Die Intoleranz vergangener Zeiten macht Platz einer neuen Unduldsamkeit religiöser und auch weltlicher Art in Form wissenschaftlicher Dogmen, die sich in den Medien breitmachen und Anspruch auf Allgemeingeltung erheben. Die verrücktesten Ausgeburten kommen dabei zum Zug und werden sogar rechtlich geschützt. Dissidenten werden überwacht, wie von den human rights workers(24), die ermächtigt sind, Quertreibern gründlich das Handwerk zu verderben. Wahrscheinlich bekommt der 1998 ins Leben gerufene internationale Strafgerichtshof die nötigen Kompetenzen dazu. Konsensmitläufer wachen meistens erst auf, wenn es zu spät ist. Wie war das noch? Die Globalisierung, die nur eine verkappte Form amerikanischer Hegemoniebestrebungen ist, wird von der UNO nach Kräften unterstützt, die nur zu froh ist, ihrer Hausmacht Schützenhilfe leisten zu können, obwohl diese nicht immer gleichzieht und zahlt was sie schon lange schuldet, wenn sie nicht einen verrückten Angeber vorschickt, um mit einer Milliarde einzuspringen,

 

5. Die Diktatur des Konsens

Was in der Politik in unseren Demokratien grassiert, Konsens um jeden Preis, gilt auch für andere Bereiche des täglichen Lebens: ganz kraß im Sport mit seinen Preisen, Titeln, Meisterschaften und in der Mode, die wegweisend ist für die Konsensbildung außerhalb der organisierten Systeme, wie Recht und Wissenschaft. In diesen bildet sich ein Konsens heraus in Anlehnung an geltende Meinungen, die Autorität darstellen, z.B. die Rechtsfindung durch Gerichtsurteile oder der Grundkonsens, wonach die Welt in ihren Gesetzen verstanden werden kann, bzw. das Systemverständnis des Universums mittels der Erklärungsmodelle der Astrophysik. Der Instanzenzug sichert der Rechtsfindung ein abschließendes unanfechtbares Ergebnis; die Erklärungsmodelle gelten solange kein Widerspruch deren Wahrheitsgehaltentwertet. Die Rechtsordnung ist absolut in sich abgeschlossen, aber gilt letztlich auch nur solange sie nicht durch eine andere ersetzt wird. Wie ersichtlich, gilt die Relativität als Absolutes selbst in diesen vollkommenen Systemen: niemand kann über seinen Schatten springen.

Bei der Mode laufen die Dinge anders, weil sie ein offenes System darstellt, wo Autorität nicht genormt, sondern frei erworben wird. Die Verbreitung der Mode geht von einem Zentrum aus, das sich als Autorität herausgebildet hat (anerkannte Modeschöpfer, haute couture). Die Mode zeigt besser als jedes andere System, wie sich erstens Autorität bildet (Shows, Medien, Reklame) und zweitens wie dieser Schwerpunkt dann seine Gravitation in Bewegung setzt. Die Kraft dieser Gravitation stammt aus der Wettbewerbsenergie der Teilnehmer. Ein jeder will sich auf das maßgebende Zentrum beziehen. Seine Selbsteinschätzung und sein Prestige hängen davon ab, zumal der Nachbar sich schon an die neue Mode angepaßt hat. Das Geltungsbedürfnis führt zum Anpassungswettbewerb und begründet also letztlich den Konsens, dessen Dauer unbestimmt ist, im Gegenteil zur Politik, wo alles, d.h. das gesamte Gemeinwesen, auf ihm fußt und ein Wegfall des Konsens einer Implosion des Systems gleichkäme.

Was hier ausschlaggebend ist, ist der Beweggrund, das Geltungsbedürfnis, das immer die Wurzel allen Übels ist, wie man sagt, aber auch aller Selbstsuche, was letztlich damit zusammenhängt. Identifikationsbemühung macht einen wichtigen Teil menschlicher Aktivität aus, sowohl was das Individuum anlangt als auch die Gemeinschaft in der es lebt. Selbstbestätigung geht immer auf Kosten des andern. Deswegen ist Nächstenliebe dem natürlichen Hang so konträr. Und doch kann man Nächstenliebe nicht praktizieren, wenn man aus sich keine Liebe zu bieten hat. Diese kann von nirgendher kommen als aus seinem eigenen Ruhezentrum. Solange dieses nicht besteht, dauert die Suche nach ihm fort und da das Individuum für sich allein schwach und unsicher ist, braucht es seine Bestätigung in erster Linie durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die ihm Sicherheit und eine Ordnung gibt. Aber auch die Gruppe muß sich immer wieder in ihrer Weltsicht bestätigt finden, daß sie die richtige ist. Das geschieht durch gewisse Rituale, Feste, Kleidung, Merkmale. Das Individuum bekundet seine Zugehörigkeit zur Gruppe durch seinen unbedingten Konsens, seine Zustimmung zu all den Dingen, die der Gruppe als wichtig gelten.

Die Aufnahme in die Gruppe ist meist mit einem gewissen Ritual verbunden (Initiation, Taufe, Kraft- Furchtprobe usw.), das den Konsens festigt, denn wie jeder Konsens sind zwei Teile dazu notwendig: der Antragsteller und die Autorität. Bei Annahme profitiert das neue Mitglied von der Autorität der Gruppe. Der Konsens selbst legt nichts im einzelnen fest, was die weitergeltende Zugehörigkeit anlangt, außer den absoluten Gehorsam gegenüber der Gruppenautorität. Proteste führen zu gnadenlosem Ausschluß. Dies erklärt die Stärke des Zusammenhalts der Gruppe und das Wirkungsprinzip des Konsens. Es herrscht in der Folge eine stillschweigende Übereinkunft, deren Dauer unbefristet ist, aber jederzeit von beiden Seiten aufgesagt werden kann. Da der Einzelne sich mit dem Gruppenideal identifiziert und auch so in der Gruppe aufgeht, daß ihm jede Vergleichsmöglichkeit mit anderen Idealen mangelt, ist seine Abhängigkeit umso größer als sein Suchen nach innen (zum Autoritätszentrum, von dem er Stärkung erhält) und nicht nach außen geht. Informationsmangel über andere Existenzbedingungen betrübt ihn nicht, solange er nicht an Luftmangel erstickt, bleibt er glücklich verfangen in seiner abgesicherten Unsicherheit: cocu mais content, d.h. betrogen, aber zufrieden wie Droopy.

Daraus geht hervor, daß der Konsens um so zwingender wirkt als keine Alternative zu Gewohntem besteht (daher die ehrgeizlose Macht der Gewohnheit!). Gleichzeitig besitzt das Gewohnte eine ihm eigene Trägheit, die den darin Befangenen davon abhält, einen Wechsel zu suchen, solange er hat, was er braucht. Anreiz zum Wechsel entsteht erst aus einem empfundenen Mangel. Diese Überlegung bewegt Reklame, Mode, Handel und Industrie mit ihren Absatznotwendigkeiten dazu, Mängel aufzuzeigen, Reize zu schaffen, ständig Neues zu bieten und das Bestehende zu verdonnern. Das Bessere ist des Guten Feind. Fortschrittsdenken entspringt solchen Notwendigkeiten. Was hat die Menschheit bisher damit eingehandelt? Der Tanz ums goldene Kalb zieht immer mehr Tänzer in seinen Bannkreis. Diese empfinden Lust in ihrer Mitwirkung. Sie sind bereit, den geforderten Preis zu zahlen, obwohl sie noch nicht wissen, worin er besteht, noch wie hoch er ist. Das ist ihnen einerlei, Hauptsache sie dürfen mitmachen, mithin mitreden, mitteilen, mithalten, mitmischen, mitkönnen. Sie gelten etwas. Der Kult ist ein Opferkult der Freiheit ihrer Selbstbestimmung. Nichts zwingt sie genau besehen, und doch zwingt sie ihre Selbstgefälligkeit, ihre Zustimmung, ihren Konsens zu diesem Treiben unbesehen zu geben. Die Tanzveranstalter freuen sich darüber und erklären den Konsens selbst zum Kultobjekt. Niemand darf beiseite stehen. Hereinspaziert, hereinspaziert! Sie werden noch ihr bares Wunder erleben!

Der Konsenskult ist ein kultiviertes Mißverstehen und, als Machtinstrument, ist er absolutistischer Natur. Wie diese kennt er einen horror vacui, ein paradoxes Entsetzen vor der Leere, indem er alles Widerstrebende aufsaugt und dadurch Nichts (eine Leere) um sich bestehen läßt, was seine Anziehungskraft beeinträchtigen könnte. Dabei bietet er an zu geben, was er nicht hat und will dafür haben, was ihm nicht gebührt: Zustimmung zu seiner eigenen Leere, denn er besteht nur im beständigen Suchen nach mehr Macht. Unersättlichkeit aber löst sich auf in Leere, weil ihr Ziel nicht Fülle, sondern nur wiederum ein Danaidenabmühen, das Füllen eines durchlöcherten Fasses ist. Die Konsenswirkung verpufft im Nichts. Leere ist Chaos, Null Information, Null Potenz, Null Berechtigung. Die Entropie eines jeden Systems, auch des Konsens, erzwingt ein fortdauerndes Hinausschieben des Unausweichlichen als fatale Umkehrung des großen Knalls.

 

6. Konsens und Gehorsam

Man sollte meinen, daß Konsens und Gehorsam zusammengehören, daß beide einander bedingen; aber sie sind nicht deckungsgleich. Während Konsens Einwilligung bedeutet, d.h. eine "freiwillige" Willensbeschränkung, ist Gehorsam zwangsbedingt und kommt vor Rebellion wie Hochmut vor dem Fall, denn Gehorsam wird von außen gefordert und man fügt sich aus Angst vor Gewalt. Beim Konsens gibt es zwar auch eine Art Gehorsam aus Vernunft, wobei aber der Hintergedanke besteht, daß die gehorsamsfordernde Beschränkung nicht absolut ist, da sie notfalls weggeräumt werden kann, so meint man. Außerdem zieht der Einwilligende ja aus seiner Beschränkung gewisse Vorteile, die mit der Einwilligung Hand in Hand gehen. Damit wird klar, daß jeder Konsens aus einem Abwägen geschieht, von Interessen und Erlangung von Dingen, die nur auf diese Weise zugänglich sind. Gehorsam ist passiv und defensiv, vermeidet Schläge (wer nicht hören will, muß fühlen), wohingegen Konsens positives Handeln billigt und aktiv daran teilnimmt. Erst die gezeigte Verfänglichkeit läßt argwöhnen, daß diese positive Seite nicht das hergibt, was sie verspricht..

Darüber hinaus verfolgt Konsens eine Absicht, einen Plan, während Gehorsam sich auf Abwehr beschränkt oder blindlings einer Autorität stattgibt (einen Befehl ausführt) ohne zu wagen, Fragen zu stellen. Der Wille entscheidet bei Konsens und resigniert bei Gehorsam. Gehorsam und folgsam sind synonym, wo das eine aus dem andern folgt.

Es ist leicht, Beispiele anzuführen, um die Zwangslage des Gehorsams zu verdeutlichen, wie beim Militär, im Kloster, im Orchester, obwohl im Jazz der Zwang aufgelockert ist. Aber das ist ja auch keine Musik mehr, sondern Ansichtssache. Aus der Hörigkeit des Gehorsams winkt eine Freiheit, die eitel Versprechen ist. Dies gilt auch für den Konsens mit seinen leichteren Gehorsamsbedingungen.

Im Zentrum des Konsens steht eine Verantwortungsabgabe. Wir haben bereits gesehen, daß der Konsensschuldner (bzw. Konsensbegünstigte), d.h. das Kollektiv, zwar Verantwortungsträger wird, aber, abgesehen vom Rechtsstaat mit seiner sozialen Absicherung und dem Schutz vor Gewalt, keine echte Gegenleistung erbringt. Das einzige, was der Konsensgläubiger vom Kollektiv der Zivilgesellschaft erwarten kann für seine Freiheitsbeschränkung und Verantwortungsübergabe ist eine gewisse Anerkennung seiner selbst, solange er "mitmacht". Er ist gefangen im selbsterbauten (weil "mitmachen"-wollenden) Verlies seiner Lehnspflicht, die seinen Gehorsam (Treue) ebenso fordert, wie den Rest seiner Überzeugung. Ein Sich-daraus-befreien-wollen wäre Verrat am entsprechenden Kollektiv (Berufskollegium, Verein, Religionsgemeinschaft, Bürgerschaft, Familie) mit den unausweichlichen Folgen. Verrat ist schlimmer als Ungehorsam. Daraus erweist sich in aller Klarheit die Verfänglichkeit dieser Art von Konsens.

 

7. Erlkönigs Töchter

Darin besteht die Verfänglichkeit des Konsens, daß das Konsensangebot verlockend erscheint, gewisserart eine Versuchung darstellt. Es ist dies die Verlockung der Trägheit, denn ein bestehender Konsens, den ein Außenstehender sehnsüchtig erschnuppert, übt eine große Anziehungskraft auf die Umwelt aus und zwar aufgrund einer Art Gravitation, die ihre Kraft aus Neugierde und Wettbewerbsenergie zieht. Wie in der Physik, gilt auch in den gesellschaftlichen Beziehungen das Massegesetz: je größer die Masse, desto heftiger die Anziehung. Man sieht es ja an jeder Ecke. Stehen da ein paar Leute beisammen, gesellt sich flugs der eine oder andere Passant dazu, um zu sehen, was sich da tut. Der Sog wird stärker und immer mehr Moleküle kommen zusammen. Schreit dann einer, dann ist es nicht mehr auszuhalten vor lauter Andrang. Die Versuchung hat ihren Zweck erfüllt, sobald die Menge in Fluß kommt. Ein Zusammenhalt entsteht dadurch, daß sich eine gemeinsame Sicht entwickelt von einem gemeinsamen Standpunkt aus und daraufhin ein gemeinsames Handeln, wozu auch eine Diskussion gehören kann. Dies ist notwendig damit sich ein Konsens bilden kann. Man muß schon eine ungefähre Idee haben, um was es geht, denn allein eine Menge im Bus oder Bahnhof macht noch längst keine gerichtete Gruppe, die einen Konsens bildet. Einmal mitgerissen, braucht man keinen Anreiz mehr, sich in den Sog hineinzubegeben, wie ja der Ungläubige keine Versuchung kennt, denn er übt ja schon freiwillig, was eine Versuchung erst erreichen will. Konsens folgt der breiten Heerstraße der Konvention, des Hergebrachten, der Tradition, des Abgesicherten, der Routine, des Fraglosen, der insiders, die Macht und Wissen schwerlich teilen. Konsens bietet Zugang zur sicheren Hürde, Ruhe vor Verfolgung durch innere und äußere Wölfe. Man kann getrost die Augen schließen und dem süßen Drang nach unten stattgeben. Die Trägheit hat uns wieder! Das größte Unglück wäre, aus dieser Seelenruhe wieder aufgescheucht zu werden. Aber diese Gefahr besteht in höchstem Maße, wenn man einer Verschwörung unbesehen zustimmt und Konsense dieser Art sind nichts ungewöhnliches. Kommt es dabei zur Machtergreifung, dann wird man wohl oder übel aufwachen müssen.

Eine Versuchung stellt immer die Beständigkeit der Selbstsicherheit und Eigendynamik auf die Probe und verführt, indem sie den Probanden auf einen Holzweg führt, wo er zu beweisen hat, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Dieses Wegführen verdeutlicht das labyrinthische Eingeschlossensein dessen, der zu entkommen sucht aus der Gefahr, von seinem Schatten verschlungen zu werden. Rimbauds ne cherchez plus mon c_ur, les bêtes l'ont mangé (ihr sucht vergeblich nach dem Herzen, die Tiere haben's mir zerrissen) wirft ein Licht auf das Lauernde. In der Dunkelheit ist jedes Irrlicht willkommen. Fortkommen braucht, wie Widerstand, Licht und Kraft, das Licht der Selbsterkenntnis und die Kraft der Selbstverwirklichung. Die ehrliche Selbsterkenntnis zeugt Entsetzen und zeigt Ohnmacht auf. Da zieht ein mächtiger Sog von scheinbaren Gewißheiten vorbei, die von der Menge der Beteiligten bekräftigt werden. Suchen und Fragen wird angesichts solcher Deutlichkeit unnötig. Man schließt sich an und zieht fröhlich mit. Wie der Sog entstand erklärt die Gewohnheit(25), die ja die Tochter der Trägheit ist. Nun, das Geschilderte braucht kein hoch entwickeltes Bewußtsein. Es langt ein dumpfes Verlangen in den meisten Fällen. Wen kümmert schon sein Gewissen?

Diese Gretchenfrage zeigt, daß einfache Behauptungen genügen, wenn sie nur oft wiederholt und massiv genug ausgedrückt werden, um den Mann vom Mond herunterzuholen und mitlaufen zu lassen. Dem Anreiz zu gemeinsamer Lustbarkeit und gegenseitiger Anerkennung kann niemand widerstehen. Der Anreiz wirkt aber nur, weil eine Veranlagung, eine Bereitschaft, ein terrain, ein Mangel, kurzum eine Schwäche dazu vorhanden ist, und diese liegt in der Begierde, des Übels allen Übels, wenn sie aus dem Rahmen des Vernünftigen gerät. Niemand kehrt sich an Erheblichkeitserwägungen, sobald es darum geht, einem süßen Drang zu folgen. Die Begierde macht bereitwillig alle Anstalten, das Begehrte zu ergattern. Die Bereitwilligkeit zeigt sich im Preis, den sie zahlt, nämlich der Freiheit wie der Hoffnung zu entsagen, denn ein Spatz in der Hand ist sicherer als Computerspiele. Die Begierde ist zu jeder Konzession, zu jedem Konsens bereit. Dieser braucht eigentlich gar nicht verfänglich zu sein. Ventre affamé n'a point d'oreille (der Hungrige ist taub) und blind dazu.

Gleich und gleich gesellt sich gern. Am Anfang des abhängigen Konsens läuft ein Anführer, wenn's schlimm ist, ein Anstifter. Er findet leicht Beifall, Beihilfe, Beistand. So entsteht eine Bewegung, eine Partei, eine Organisation von Wohltätigkeitsbeflissenen oder Verbrechern. Konsens wirkt ansteckend.

Dazu ein Beispiel: Eine Fünfzehnjährige legt einen Säugling vor die Tür einer eleganten Wohnung im 5. Stock eines gutbürgerlichen Wohnhauses. Auf dem Zettel steht Paul. Die Jugendschutzbrigade fahndet nach der Mutter, verhört den 18-jährigen Sohn des Hauses namens Paul, der sich weigert, alle seine ehemaligen Sexpartner preiszugeben. Die Fahnder treffen auf einen Kumpel, der eine Adresse angibt, wo sich eine Bar befindet. In einem Hinterraum finden sie eine Videosammlung von Amateur-XX-Aufnahmen. Beim Abspielen zeigen sich wilde Szenen auf denen auch besagter Paul identifiziert wird, sowie drei Mädchen. Eine davon scheint die gesuchte Mutter zu sein. Sie wird vorgeladen; man zeigt ihr die Aufnahmen. Sie klagt ihren ehemaligen Freund an, sie mit einer Bande junger Männer vergewaltigt zu haben. Sie benennt sie. Die anderen ebenfalls minderjährigen Mädchen haben das gleiche Los geteilt. Die jungen Männer behaupten Einwilligung, doch die Beweise der Aufnahmen erlauben keinen Widerspruch. Die Überführten schieben sich gegenseitig die Anstiftung in die Schuhe. Sie müssen mit zehn Jahren Gefängnis rechnen.

Konsenskonsequenzen werden nicht immer richtig eingeschätzt. In der Politik verteilen sie sich auf eine Vielzahl. Es geht sowieso nur um Zahlen. Im Privatleben braucht es einige Erfahrung, bis man mit Zahlen richtig umgehen kann, denn die Wahrscheinlichkeitsrechnung geht nicht immer auf.

 

8. Die Fragwürdigkeit der Identitätssuche

Wir haben gezeigt, wie eine Gewohnheit entsteht. Kultur besteht aus Gewohnheiten. Gepflogenheiten bezeugen eine stillschweigende Übereinkunft. Sind die Pfleger gesellschaftlich hoch gestellt oder anderweitig einflußreich, dann dienen sie und ihre Art, sich zu zeigen, zu geben, zu reden, zu handeln als nachahmungswertes Beispiel, so wie die anderen davon erfahren, und ziehen desto mehr Anhänger in ihren Bann, je mehr dem Ruf folgen. Sie machen Schule. Und Schule brütet Kultur. Die Hinterlassenschaft hängt nicht von ihrem Eigenwert, sondern vom Zufall, bzw. ihrer Überlebenskraft ab und beeindruckt spätere Generationen. Das Gedächtnis und sein Inhalt spielen eine große Rolle. Museen, Archive, Baudenkmäler, Chroniken usw. bezeugen die Unzuverlässigkeit des kollektiven Gedächtnisses. Nur Bruchstücke werden vererbt und aus diesen wird dann ex post eine Kultur konstruiert, die es gar nicht gab. Selbst Bilder, Fotos, Filme, Texte(26) sind Konstrukte, aber, laut Konsens, gelten sie, für was sie nicht sind. Mit dem Konsens wandelt sich auch die Vorstellung vergangener Zeiten, denn deren Bedeutung ist wiederum eine Frage des Konsens. Auch hier gelten die lautesten Schreier, die Mehrheitsentscheide, die agilsten Publizisten. So kennt man heute noch einen Cicero, Petrarca, Goethe oder Victor Hugo. Das Unbekannte wird gemutmaßt und es bilden sich Konsensburgen, -wälle, -gräben, feindliche Lager und Fundstätten. Wie Öl, werden Erinnerungsstücke gefördert, transportiert, vermarktet. Manches versinkt und verpestet den Konsenshorizont. Ungleichzeitiges erscheint in gleichzeitigen Tageszeitungen, wenn die Zensur es zuläßt, denn auch sie, wie Scheiterhaufen, ist kulturbestimmend. Man besichtigt z.B. im Odenwald einen "dreischläfrigen" Galgen aus dem Jahr 1597, an dem 1804 die letzte Zigeunerin wegen Diebstahls von 2 Laib Brot und einem Huhn noch baumeln durfte(27). Ist das Jetzt genauso furchtbar wie der Bericht? Man erkennt daraus die Relativität der Konsensgewalt, doch selbst die konsensheischende Geste der kumpanen Menschenrechte heute verbirgt, wie wir gesehen haben, Absichten, deren Konsensscheuheit geheimes Vorgehen angezeigt sein läßt.

Die Guillotine hat den kategorischen Imperativ nicht erledigen können, wie Occams Razor. Der Konsens schlug hohe Wellen mit dem Umsturz der Brüder und brachte den Gedanken eine positive Welt. Doch wenn die Welt alles ist, was der Fall ist, wird die Kultur anfällig für die Zweideutigkeit von Würfel und Karten. Es mag schon stimmen, daß die Welt aus einem Fall entstand, darüber besteht jedoch noch kein Konsens, noch darüber, welcher Laut am Anfang war. Das Ende der Welt hingegen ist sprachlos.

In der Kultur, wie in der Politik, dauert ein Konsens nur eine Zeitlang. Es bildet sich meist sehr bald eine Gegenströmung, was bedeutet, daß Kultur mit der Zeit fließt. Wer das Rennen macht zeigt die Zeit, denn auch der Konsens folgt dem Pfeil - in welcher Richtung?. Wo bleibt da die Innovation, die Kreativität, die Relativität? Es gibt keine Wahrheit, heißt es, aber es hört sich so an als wäre es eine. Die Ausnahme wird zur Regel und leistet einem neuen Konsens Vorschub. Die Unruhe, das Wirkungsprinzip der Kultur, bricht sich Bahn als treibende Kraft auch des Konsens.

In der Kultur mag Konsens als ein Zeichen von Dekadenz gelten, weil das fraglose Alte dem fragwürdigen Neuen den Weg versperrt oder, zum Thema, das gleichzeitig Geltende der ungleichzeitigen Potenz einen Aufschub diktiert bis es an der Zeit ist. In jedem Fall ist in jeder Generation der Drang nach Geltung unwiderstehlich. So löst ein Konsens den andern ab im Verurteilen und Entmündigen des Gehabten. Wandel braucht keinen Konsens. Er ist gegeben; nur Meinungen sind konsensfähig. Die Kreise, die sie bilden, schwingen, breiten sich aus und verebben. Was bleibt von dieser Scheinturbulenz sind allenfalls Anekdoten und Berichte. Der pädagogische Anspruch der Geschichte entspricht dem der Todesstrafe - mit demselben Erfolg.

 

9. Die Zwangsordnung des Geltungsbedürfnisses als Grundkonsens der Kultur

Es besteht kein Zweifel darüber, daß in jeder Kultur die Beherrschung der Gewalt ausschlaggebend für ihr Überleben war und bleibt. Da einerseits die Gewalt nicht mit Gewalt aus der Welt geschafft werden kann und andererseits allein der Gewalttätigste sich durchsetzt, mußten und müssen noch immer Mittel und Wege gefunden werden, um. dem Drang nach Geltung, der einen jeden beseelt, zu steuern. Eines Tages entschied der Gewalttätigste auf Anraten seines weiseren, weil schwächeren, Bruders jede Gewaltanwendung mit Tabus zu belegen, damit einigermaßen Ruhe und Frieden in der Gemeinschaft herrsche. So entstanden die Verbote des Dekalogs, die Vorschriften der modernen Strafgesetzbücher, die die Ausübung von Gewalt genau regeln. In den Rechtsordnungen des modernen Staates haben dafür bestimmte Organe das ausschließliche Recht, notfalls gewaltsam Ordnung zu schaffen.

Der Drang nach Geltung besteht nach wie vor. Geltung bedeutet Macht, weil Autorität dahintersteht. Hier ist es einerlei, wer die Autorität formell verleiht, wie das Volk die Legitimität der Obrigkeit in der Demokratie (s.o.), sie entsteht aus der Anerkennung von seiten der andern, die sich nicht in einer Abstimmung oder Stimmabgabe zu zeigen braucht. Meist ist es eine stillschweigende Übereinkunft (Konsens), die in Würdigung seiner Verdienste, Stärke, Weisheit, Anmut oder anderer hervorstechender Eigenschaften besonders Reichtum den Ausgezeichneten mit Rang und Autorität belehnt. Diesen Konsens zu erringen bemühen sich seitdem ausnahmslos alle, in den meisten Fällen unter Beachtung der Tabus, obwohl sie zu Geld immer auf Kosten der andern kommen.

Die Eigenschaften, die einen von den andern unterscheiden können, werden herausgestrichen. Man soll ja ausgezeichnet werden, d.h. ein Zeichen tragen, das andere nicht haben, sich von der Masse der Konkurrenten abheben. Dabei gilt, da man immer wissen muß, wovon etwas abgegrenzt werden soll, der andere nichts. Doch die Null, die nichts bedeutet, gibt dem Vorausgehenden seinen Rang, schließt das Unvermögen vom Vermögen aus. Der andere ist der Mann ohne Eigenschaften. Die eigene Eigenart ist ausschließlich.

Es geht dabei wie mit der Definition eines Begriffs: es ist nicht die Genus(Art, Familie)zugehörigkeit um die es geht, sondern um die Unterscheidungsmerkmale. Diese identifizieren den einzelnen. Dieses Attributivbestreben steckte schon hinter dem Turmbau zu Babel: sie wollten sich mit dem Bau einen Namen machen, heißt es(28). Das war natürlich ein Erzfehler, denn einen Namen bekommt man nicht von sich aus und das Fiasko des Unternehmens ist bekannt. Es geht nur in Ausnahmefällen mit Gewalt, wie bei Königen, "den Großen", an deren Name viel Blut haftet. Nabukudrussur(29) gelang es, mit seinem Namen jeden andern Gott seines Kalibers zu verdrängen, aber solche Götter mußten ja die Konkurrenz dulden und später kam die Bedeutung des Namens abhanden. Dieser Ignoranz und vor allem der Einmeißelung des Namens in viele Steine ist seine Erinnerung zu verdanken.

Im Kampf um die Anerkennung dient ein Modell als Richtwert. Bonaparte trug ständig die Geschichte Alexanders bei sich und Rudolf Steiner zeichnete sich nach Goethe. Es besteht ja keine Konkurrenz (wiederum haben wir die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen!), denn, laut Leibniz, hat die Zeit die gute Idee gehabt, die Streithähne auseinanderzuhalten. Der andere, wenn er nicht als Modell übernommen werden kann, weil passé, ist immer ein Dorn im Auge. Damit blendet man sich bis der Dorn zum bekannten Balken auswächst.

In der Verblendung sieht man den andern scheel an. Was einen stört, ist dessen Gehabe. Wie er sich darstellt und was er hat! Was liegt näher als davon träumen, dem Bild, das der andere ausstrahlt, zu gleichen? So entsteht ein Verlangen, das zu besitzen, was der andere hat, denn es scheint dieser Besitz zu sein, der diesem das Prestige verleiht, das man beneidet. Diesem Verlangen stattzugeben, geht nicht an, weil der andere sicher nicht bereit ist, aus Nächstenliebe das Begehrte abzutreten. Außerdem ist eine solche Zumutung verboten: du sollst nicht nach dem Haus ..., nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Kind ... oder nach irgend etwas, das deinem Nächsten gehört.(30)

Wie Festungen Feinde anziehen, reizen Verbote zu ihrer Übertretung an. Darin besteht auch ein genereller Konsens und es braucht nicht lange ausgeführt werden, wie verfänglich dieser ist.

Die anfängliche Bewunderung des Nachbarmodells (das Fangen stellt sich schon im Anfang) reizt zur Frage, warum ich nicht auch?, stachelt (Dorn im Auge) die Begierde im Maß des Verbots, das man versucht (Versuchung) zu hintergehen ("hinter", weil man einen Vorwand braucht). So entsteht aus der Herausforderung des Gleichtuns ein erbitterter Konkurrenzkampf, denn der andere fühlt sich angesichts des Übernahmeangebots bestärkt in seinem Besitzwillen (seine Frau, deren er schon überdrüssig geworden war, gewinnt in seinen Augen einen neuen Reiz). Begierde steckt an wie Konsens im Geltungsbedürfnis. Der Besitzer veranschlagt seinen Besitz höher als zuvor, weil ein Verlangen erkannt wird, das jetzt auch in ihm gerade durch das Verlangen des andern geweckt und gesteigert ist. In friedlichen Zuständen entsteht so ein Markt (Angebot und Nachfrage). Hier entsteht eine Rivalität, die ihrerseits Nachahmung provoziert: der Anpassungswettbewerb geht los.

Das Gleichziehenwollen mit dem andern steckt Dritte an (wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte), aber er freut sich nicht lange, denn auch er wird hineingezogen in den Sog des Gleichgelten- und Habenwollens. Man ist sich über die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung einig (neuer verfänglicher Konsens). (Aus dieser Notwendigkeit macht Bush keinen Hehl.) Das Suchen nach einer Lösung wird gestört durch die Ausbreitung des Auseinandersetzungswillens. (Fehden und Kriege sind die Folgen einer solchen Konsensdynamik. Die Völkerwanderung, die Normanneneinfälle illustrieren dieses Phänomen. Heute erwarten uns ähnliche Vorkommnisse, wenn der Explosivstoff der ungeheuren Ungleichheit nicht entschärft wird).

Die Störung ist selbstinduktiv, indem sie Unduldsamkeit, Neid, Haß und Vergeltungswut schürt und damit einen Wiederholungszwang auslöst. In der Zivilgesellschaft führt dieses Treiben zu einem Skandal. Je heftiger der Gegensatz zwischen den Konkurrenten, desto gleicher und dadurch verbitterter werden sie in ihren Anstrengungen. Das wachsende Bewußtsein ihrer Angleichung im Haß führt zu paranoider Herauskehrung ihrer jeweiligen Unterschiede. Das gilt auch allgemein für unsere heutige mode-genormte, konsumneurotische Schablonengesellschaft, in der Unterschiede gesucht und gefeiert (Rekorde) werden, gerade weil es immer weniger gibt. Ruhm gedeiht auf Skandal und umgekehrt.

Ein Skandal fordert immer ein Opfer, einen Preis, den das Kollektiv zahlen muß, um die Störung des labilen Gleichgewichts des gesellschaftlichen Friedens zu beheben. Der einzelne entlädt seine Fehler mit seiner Wut auf den Störenfried (Sündenbock), der in der Massenparanoia (Wüste) gesteinigt wird.

Die Lösung aus diesem Teufelskreis liegt im Verzicht. Wer sich selbst Gewalt antut (anstatt sie nach außen zu tragen), um seine Begierde zu zähmen, der wird Meister der andern, weil er Meister seiner selbst geworden ist. Der Wille zur Macht muß nach innen, nicht nach außen gerichtet sein. Solange man das nicht erkannt hat (Selbsterkenntnis), fällt man unter das Gericht, d.h. der Eigenwille ist gerichtet nach der Begierde des Namens als Macht durch Haben. Geld und Geltung wachsen auf demselben Mist.

Das Sein kennt keine Begierde, weil ihm nichts fehlt. Es braucht auch keine Anerkennung. Ein Seinszustand liegt außerhalb der Materie, deren ganze Dynamik ausgerichtet ist auf einen Ausgleich (Konsens) nach dem Gesetz des ständigen Energieaustauschs zwischen gegensätzlichen Polen, unter denen eine dauernde Spannung besteht, jedoch kommt ein endgültiger Ausgleich nie zustande, weil er fortwährend hinausgeschoben wird.

Es ist dies das Unersättlichkeitssyndrom der materiellen Welt. Dies zu erkennen und eine anderweitige Sättigung zu suchen, ist der einzige Ausweg für den einzelnen, der dann durch sein bezwungenes Selbst verfügbar wird für den andern und ihm helfen kann, wenn dieser sich helfen lassen will. Bis dahin kann das Wissen um die Zusammenhänge der Kräfte und ihrer Wirkungen um uns, die Erkenntnis der Unerbittlichkeit der Kausalität, dabei helfen, Leiden zu lindern. Aber das ist ein langer Weg, den man nicht alleine gehen kann.

Diesen Weg haben sich die meisten verbaut, weil sie in der konsensuellen Unersättlichkeit hängen bleiben. Dazu verführt sie die geltende Meinung (Säkularisierung, Existentialismus, Nihilismus usw.), die von der Entzauberung der Welt (le désenchantement du monde) viel, wenn nicht alles, hält. Dieser Konsens verfängt sich im Widerspruch der Selbstaufgabe, denn er sprengt die Existenzgrundlage des Vertrauens. Ohne Vertrauen läuft jeder Konsens leer, wird sinnlos. Eine sinnlose Kultur ist undenkbar. An dieser Paradoxie stößt sich der geltende Kulturkonsens.

Die Verfänglichkeit der weichen Konsensformen erkennen, sollte den gesunden Argwohn vom Hegen zum Pflegen bringen, damit die meist kurzlebigen Konsensmuster rechtzeitig durchschaut werden können. Aber was nützt das Ganze?:

Willst du der getreue Eckart sein
Und jedermann vor Schaden warnen,
's ist auch eine Rolle, sie trägt nichts ein:
Sie laufen dennoch nach den Garnen.
(31)

Klugheit wie Bescheidenheit ist deswegen so wenigen gegeben, weil sie, gleich der Wahrheit, nicht mit-teilbar ist. Diese Aussage mag unklug erscheinen angesichts der Feststellung, daß jedes Konsensstreben letztlich der Trägheit huldigt, die mit dem Glück verwechselt wird, dem nämlich, eine persönliche Stellungnahme zu vermeiden, um aufzugehen in der schleichenden Ruhe der geltenden Ordnung - bis zur nächsten Sintflut!

Hans im Glück fehlt das Unterscheidungsvermögen. Nur im Unterscheiden wird Denken möglich. Man denkt in Bildern, Kategorien und Begriffen und spricht sie aus in Wörtern. Auf ein Wort, auf eine Zahl (Wahl) kann man sich einigen, auf ein Bild nicht. Daher die Bilderstürmer, die als Fanatiker einen Konsens erzwingen wollten. Die heutigen Dogmatiker gehen verkappt vor. Die Integrität der Person soll der Integration geopfert werden. Beinhaltet das Sollen hierbei ein Ziel oder bereits eine Norm?

Daß der Konsens verfänglich ist, scheint erwiesen. Wer hängt nun der Katze die Schelle um?!

© Herbert Eisele (Paris)

TRANSINST       Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14


BIBLIOGRAPHIE

Annan, Kofi: Les droits de l'homme, trame de notre existence.,I in Le Monde v. 9.12.1998

von Arnim, Hans Herbert: Der Staat als Beute, Knaur, München, 1993Bauer, Fritz: Auf der Suche nach dem Recht. Franck, Stuttgart, 1966

Burckhardt, Walter; Methode und System des Rechts, Polygr. Verlag, Zürich, 1936

Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte, Suhrkamp Verlag, Ffm, 2001

Dumont, Gérard-Francois: Le festin de Kronos. Fleurus, Paris, 1991 und

Eco, Umberto/ Martini, C.M.: Woran glaubt, wer nicht glaubt? dtv 2000

Encyclopédie des droits de l'homme. Fondation internat., L'Arche de la fraternité, Paris, La Défense, 1997

Giorgianni, S. Virgilio: Consenso universale. in Enciclopedia filosofica, Bd.I, coll.1195-1197. Rome, 1957

Girard, René: La violence et le sacré. Grasset, Paris, 1994

Girard, René: Je vois Satan tomber comme l'éclair. Grasset, Paris, 1999,

Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Fayard, Paris, 1987,

Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre. Deuticke, Wien, 1960, S.9,

Laing, R,D: The Politics of Experience. Penguin, Baltimore, 1967

Schooyans, Michel: La face cachée de l'ONU. Le Sarment-Fayard, Paris, 2000

Strigl, Anton, Das Problem der Willensfreiheit, Mayer & Co, Wien, 1926

Vollmer, Christine de: Is "Reinterpretation" making a travesty of Human Rights? Doc, Washington 1998


ANMERKUNGEN

(1) Sophokles: Antigone, Zweiter Akt. Erste Szene. http://www.altis-verlag.de/wg15/texte/Antigone,%2012345_%20Akt.rtf . Letzter Zugriff: 18.12.2002.

(2) consensio= Vereinigung; sentire=fühlen, wahrnehmen, meinen, urteilen, stimmen für

(3) s. Kelsenzitat FN 25

(4) Obwohl zwischen der bekundeten Absicht (Vorsatz) und ihrer Ausführung ein Abgrund liegt: il y a loin de la coupe aux lèvres. Der Grundkonsens bedarf einer Relativierung.

(5) Wenn es Kultur-Universalien gibt, dann wäre die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit im menschlichen Handeln Ausdruck einer solchen, doch auch diese gründet letztlich auf dem Vergeltungsprinzip: do ut des, ich gebe, damit du gibst (wiederum eine Gegebenheit der gleichzeitigen Ungleichzeitigkeit) ist nur die Sonnenseite der Norm Auge um Auge, Zahn um Zahn, welches die maßlose Eskalation der Rache auf Maß für Maß begrenzt; doch wer bestimmt das rechte Maß?

(6) La volonté a son secret qui consiste à préférer rien que ne rien vouloir, (Des Willen Geheimnis besteht darin, daß er lieber nichts will als nichts wollen ) La Boétie, Discours sur la servitude volontaire, 1574, in Réveille-matin des Français, Bruxelles, 1857, S.13.

(7) Wie Guy Béart sang: Il a dit la vérité: il doit être exécuté! (Er hat wahr gesprochen; er verdient die Todesstrafe!) Die Wahrheit kennt kein Vergeben.

(8) Wie unvorstellbar die Zucht sein kann, erhellt sich z.B. aus den Mißhandlungen und Morden hauptsächlich von Frauen "aus Ehre" in gewissen heutigen Gesellschaften (wie Jordanien), die nicht unbedingt fundamentalistisch ausgerichtet zu sein brauchen; ein furchtbares Beispiel von gleichzeitig Ungleichzeitigem.

(9) d.h. Schlüsse zulassend, nämlich den Schluß, daß ein wortloses Tun vertragsschließend wirkt, weil es eine Akzeptation bekundet, wie einen Artikel vom Regal nehmen und damit zur Kasse gehen.

(10) Siehe: von Arnim, der Staat als Beute. Knaur, München.,1993

(11) Ce n'est point qu'il juge ses croyances meilleures que d'autres. Simplement il y adhère sans partage. S'il vient en connaître d'autres, il considérera simplement qu'elles ne le concernent pas. Ses dieux lui appartiennent, il appartient à ses dieux. Il vit dans le soi ou le Tout, le soi et le Tout étant dans un rapport de réciprocité intégrale. EUCD, version 2.0 Consensus .

(12) Diese wird auch aktiv gesucht und offiziell gefördert. Der gestreßte Städter folgt dem Trend zur Ruhe auf dem Land. Die Masse sucht Abgeschiedenheit vom Alltag in den 100 Skizentren in Frankreich, wo es auch 2 Mio Zweitwohnsitze gegen nur 600 000 aktive Bauernhöfe gibt!

(13) Wie z.B. nichtige Gesetze machen, wie aus dem jüngsten dt. Bundesgerichtsurteil über das Ausländerzulassungsgesetz hervorgeht .

(14) Wie es damit steht, zeigt vernehmlich Otto Kronsteiner in seinem Beitrag, Ausprägungen von Eigenarten - eine Gemeinsamkeit der Kulturen

(15) angstlösend

(16) s. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Fayard, Paris, 1987.

(17) Giorgianni, S. Virgilio: Consenso universale, in Enciclopedia filosofica, Bd.I, coll.1195-1197. Rome, 1 957.

(18) s. Annan, Kofi: Les droits de l'homme, trame de notre existence, in Le Monde v. 9.12.1998.

(19) Encyclopédie des droits de l'homme; Fondation internat., L'Arche de la fraternité, Paris, La Défense, 1997 .

(20) in seinem Discours sur la Première Décade de Tite-Live, I, Florenz, 1527, S.58

(21) Vollmer, Christine de: Is "Reinterpretation" making a travesty of Human Rights? Doc, Washington 1998

(22) die Jugendlichen werden global eingestuft und verrufen; einer von ihnen protestierte heftig gegen diese Vereinnahmung in einem Leser e-mail an Telerama N2762, 52,2002: das Leben ist ein einsamer Kampf gegen die Verlockung der Masse und auf unsere Eltern ist kein Verlaß mehr, um uns davor zu bewahren. Der Konsens der Erwachsenen in der resignierten Verurteilung der Jugend steht immer gegen deren Konsens in der Rebellion .

(23) Dumont, Gérard-Francois: Le festin de Kronos. Fleurus, Paris, 1991 und Girard, René: La violence et le sacré, Grasset; Paris, 1994 und Schooyans, Michel: La face cachée de l'ONU, Le Sarment-Fayard, Paris, 2000

(24) op. cit. S.75-77

(25) Wenn Menschen, die gesellschaftlich zusammenleben, durch eine gewisse Zeit hindurch sich unter gewissen gleichen Bedingungen in gewisser gleicher Weise verhalten, so entsteht in den einzelnen der Wille, sich so zu verhalten, wie sich die Gemeinschaftsglieder gewohnheitsmäßig verhalten. Der subjektive Sinn der Akte, die den Tatbestand der Gewohnheit konstituieren, ist zunächst nicht ein Sollen. Erst wenn diese Akte durch eine gewisse Zeit erfolgt sind, entsteht im Bewußtsein des einzelnen die Vorstellung, daß er sich so verhalten soll, wie sich die andern zu verhalten pflegen, und der Wille, daß sich auch die andern so verhalten sollen. Verhält sich einer nicht so, wie sich die andern zu verhalten pflegen, wird sein Verhalten von den andern mißbilligt, weil er sich nicht so verhält, wie sie wollen. So wird der Tatbestand der Gewohnheit zu einem kollektiven Willen, dessen subjektiver Sinn ein Sollen ist. Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, Deuticke, Wien, 1960, S. 9.

(26) Aucun texte ne peut faire allusion au principe d'illusion qui le gouverne,(kein Text ist in der Lage, die ihm zugrundeliegende Illusion zu verraten) Girard, René:Je vois Satan tomber comme l'éclair. Grasset, Paris, 1999. S.227.

(27) Ashauer-Schubach, Marie, Odenwald + Bergstraße, Stürtz Verlag, Würzburg, 1998, S.26

(28) Gen.11.4

(29) die Schreibung ist nach Niebuhrs Geschichte Assurs und Babels, Magnus, Stuttgart,o.D. Die Bedeutung ist: kein Gott außer mir.

(30) Ex 20.17

(31) Goethe, Vergebliche Müh, Gedankenlyrik, Epigrammatisch, Birkhäuser, Basel, 1944, II. S.75.


For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Herbert Eisele (Paris): Über die Verfänglichkeit des Konsens. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/eisele_konsens14.htm.

TRANS     Webmeister: Peter R. Horn     last change: 23.12.2002     INST