Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | April 2004 | |
5.14. "Den Kunstbegriff
gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst
als Raum der Kommunikation Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Thomas Mark (Galerist und Universitätslektor, Spital am Pyhrn / Linz / Salzburg)
Der Systemtheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann formuliert so: "Was für die Evolution der Gesellschaft die Evolution von Sprache bedeutet hatte, ist für die Evolution des Kunstsystems die Evolution des Ornamentalen."(1)
Diese Formulierung macht klar, welche Bedeutung das Ornament für die Bildende Kunst, für die Moderne, für die Kunst der vergangenen Jahrhunderte hatte und für die Gegenwartskunst hat. Als Galerist und Ausstellungskurator beschäftigt mich diese Thematik sehr, besonders der Einfluss des Ornaments auf die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts.
Ich will mich in diesem Referat im Speziellen mit dem islamischen Ornament beschäftigen und eine Ausstellung mit dem Titel "Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog" kritisch würdigen, die im Sommer 2001 in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel stattgefunden hat und die ich besucht habe.
Dass sich eine neue Lust am Ornament in der Kunst der Gegenwart zu verbreiten scheint, beweisen neben der Präsentation im Beyeler Museum auch zwei Ausstellungen im heurigen Sommer in München und in Wilhelmshaven, die sich unter anderem auch mit der Frage beschäftigen: Darf Gegenwartskunst dekorativ sein? Hatte doch der Wiener Architekt und Theoretiker Adolf Loos schon 1908 in seiner Schrift "Ornament und Verbrechen" vom Ornament als Verbrechen an der Kultur gesprochen und eben dieses aus den angewandten Bereichen von Architektur und Kunsthandwerk als überflüssiges und unzeitgemäßes Anhängsel verbannt: Ornamente verdecken laut Adolf Loos die klare Form und den reinen Gedanken eines Werkes.
Sowohl die Ausstellung "Ornament, Schönheit und Verbrechen" in der Kunsthalle Wilhelmshaven als auch die Ausstellung "Ornament - oder die neue Lust am Verbrechen in der zeitgenössischen Kunst" im Luitpolt Block im Zentrum Münchens beziehen sich auf das Verdikt von Adolf Loos. Nach der Diffamierung des Ornaments als Verbrechen und nach dem inzwischen auch bemerkbaren Rückgang des Geometrischen in der Bildsprache, sucht man heute nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten in einer gegenstandslosen Kunst, unbelastet von den Sinngebungen der Moderne. Durch die Reflexion traditioneller interkultureller Ornamentik, durch die Konzentration auf serielle Strukturen oder skripturale und geometrische Zeichen, versucht die zeitgenössische Kunst in den Meta-Bereich zu gelangen. Das Ornament wird heute als Ausdruck künstlerischer Sprache zum Transformer in eine oft nur mehr ahnbare Bedeutung, doch genauso findet man heute die Ornamentik in der Symbolik oder in der Ikonographie - als reine Form, aber auch als Dekoration.
These: Das Ornament wird zum integralen Bestandteil der Entwicklung der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts
Wesentlich weiter greift die Ausstellung in der Fondation Beyeler, die die Bedeutung der Ornamentik für die Formengeschichte hervorhebt und damit die gängigen Entwicklungsszenarien der abstrakten Kunst in Frage stellt. Hundert Jahre Geschichte der abstrakten Kunst und die oben angeführte Aktualität des Ornamentalen forderten den Chefkurator des Beyeler Museums Markus Brüderlin heraus, die Frage nach der Bedeutung des Ornaments für die Entfaltung der ungegenständlichen Kunst des 20. Jahrhunderts neu zu stellen: Er stellt die These auf, dass das Ornament zum integralen Bestandteil der Entwicklung der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts geworden ist, dessen Einfluss weit über die Steigbügelfunktion bei der Geburt des Jugendstils hinausreicht. Quasi als "blinder Passagier" (2) hat sich das Ornament in die Strukturgeschichte der modernen Kunst eingenistet und dort als Katalysator gewisse Entwicklungen weiterbewirkt.
Theoretische Voraussetzung für diese These ist die Befreiung des Ornaments von seiner nur schmückenden Funktion und die Anerkennung seines von Technik und Material unabhängigen, rein künstlerischen Wesens. Mit seiner Ausstellung versucht Brüderlin zu belegen, dass die Entwicklung der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts als eine Art Fortsetzung der Ornamentsgeschichte zu verstehen sei.
Zur Untermauerung seiner These stellt Brüderlin in der Ausstellung "Ornament und Abstraktion" anerkannte Werke der autonomen Kunst des 20. Jahrhunderts Objekten des Kunsthandwerks aus 3000 Jahren gegenüber, z.B. Artefakten der islamischen Kunst.
Brüderlin stellt folgende wichtige Fragen, wenn er nach der grundsätzlichen Bedeutung des Ornaments und der Dekoration für die Entstehung und Entwicklung der abstrakten Malerei fragt:
Fragen, die allein schon zu beweisen scheinen, dass das Ornament in der Kunstgeschichte der letzten 100 Jahre eine größere Rolle spielt und nicht nur Platzhalter für eine überlebte Tradition ist. Die wichtigste Frage, auch im Zusammenhang mit dieser Konferenz , ist für mich selbst: "Kann das Ornament eine Brücke zu einer neuen Weltkunst sein? Können wir über das Ornamentale das Fühlen und Denken anderer Kulturen besser verstehen?"
Der erste, der dem Ornament eine eigene Entwicklungsgeschichte gegeben hat, war der 1858 in Linz geborene und 1905 in Wien verstorbene Kunsthistoriker Alois Riegl, Mitbegründer der "Wiener Schule der Kunstgeschichte". Seine besondere Bedeutung in kunsttheoretischer und methodologischer Hinsicht liegt in der von ihm betriebenen Neubewertung bis dahin gering geschätzter Kunstepochen wie z.B. Spätantike, Frühmittelalter, Barock, also in der Überwindung einer ästhetisch wertenden Kunstbetrachtung. Auch seine Vorstellung von einer kontinuierlichen Entwicklung des "Kunstwollens" als zentralem Faktor künstlerischer Produktion prägt die Kunstgeschichte bis heute. Indem er dem Ornament in der Geschichte der mimetischen Malerei einen bestimmten Platz einräumte, trägt er zu dessen sukzessiven Entwicklung bei. Mit seiner Theorie des "Kunstwollens" postuliert er die sich unabhängig von äußeren (gesellschaftlichen) Einflüssen vollziehende, eigengesetzliche Entwicklung künstlerischer Formen. Er fordert die Anerkennung des von Gebrauchszweck, Technik und Material unabhängigen, rein künstlerischen Wesens des Ornaments. In seiner Schrift "Stilfragen" von 1893 weist Alois Riegl aufgrund reiner formaler Beobachtung nach, indem er Motiv und Hintergrund umkehrte, dass das orientalische Arabeskenmotiv des Mittelalters nichts anderes war als die Umwandlung einer griechischen Palmette. (Abb. 1) Er fand den Faden, der das ägyptische Lotuselement über die griechische Palmette und römische Akanthusranke mit der späteren Arabeske verband.
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Was ist nun die Arabeske?
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Abb. 2: Tor in der Alhambra, 13. Jh. |
Arabesken sind das Ergebnis höchst komplizierter mathematischer Formeln, die, wie es der Muslim wohl empfinden mag, auf den wunderbaren Aufbau der Welt hinweisen. Ernst Kühnel nennt die Arabeske "Befreiung von der Vergänglichkeit irdischer Bindungen"(4)
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Die arabische Wissenschaft war uns im Mittelalter weit voraus, besonders in der Astronomie und Mathematik. (Abb. 3) Rein wissenschaftlich gesehen wird bei der Bildung der Ornamente allgemein das Prinzip der Drehung und der einfachen und der Gleitspiegelung verwendet, das zur vollendet schönen Arabeske führt. Spanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass durch Drehung um 60 º, 90 º oder 120 º und durch Spiegelung, aus weniger als 15 geometrischen Figuren sich alle derzeit bekannten Motive der Ornamentik zusammensetzen lassen. Die Araber haben schon im Mittelalter die meisten gekannt. Das Spiegelmotiv spielt sowohl in der islamischen Mystik wie in der islamischen Kunst eine zentrale Rolle, erscheint doch, wie Annemarie Schimmel, die große Islamkennerin schreibt, "die Schöpfung als Spiegelung der göttlichen Namen auf dunklem Grund des Nichts", ebenso wie das Herz als immer neu zu polierender Spiegel gilt, der den Glanz der göttlichen Schönheit aufnehmen soll. Der Aufschwung des Ornaments im Islam erfolgte nicht zuletzt durch das in den Aussprüchen des Propheten (Hadith) begründete Verbot, lebende Wesen darzustellen, das allerdings nur in der religiösen Kunst strikt befolgt wurde. Es führte aber zur Entwicklung nicht figuraler Darstellungsformen wie der Schriftkunst (Kalligraphie) und der Ornamentik.
Über das Bilderverbot und die Kalligraphie verweise ich auf die Beiträge meiner Kollegen.(5)
Die Arabeske schleicht sich, wie es Brüderlin aufzeigt, bereits im 19. Jahrhundert in der neuartigen Konzeption des romantischen Bildes, wie z.B. bei Philipp Otto Runge, in die europäische Kunstgeschichte, in die Tafelmalerei ein und beginnt so die Entwicklung der abstrakten Kunst als formales und methodisches Element zu beeinflussen. Von dort wirkt die Arabeske über den Symbolismus eines Gauguin und besonders über den Jugendstil (Van der Velde, Hoffmann, Klimt) auf das "Abstraktwerden des Tafelbildes" ein (Kandinsky, Kupka) und konkretisiert sich einerseits als gegenstandsfreie, geometrische Linienstruktur wie bei Mondrian oder als kurvenlineare Formation wie bei Matisse und Pollock. Damit eröffnet die arabeske Abstraktion neben dem Kubismus einen zweiten Weg zur Welt des Ungegenständlichen.
Es war eigentlich immer klar, dass es die Abstraktion bereits gab, bevor sie die Moderne des 20. Jahrhunderts erfand oder wiederentdeckte, z.B. in der islamischen Arabeske. Trotzdem fürchteten die Pioniere der abstrakten Kunst wie Paul Klee, Wassily Kandinsky oder Piet Mondrian nichts mehr, als dass ihre revolutionären Errungenschaften mit Ornamenten verglichen würden. Insbesondere in München oder Wien, wo man sich vom Jugendstil absetzen musste, wurde das Ornament regelrecht geächtet. Denken wir nur an den bereits oben erwähnten Adolf Loos und sein "Ornament und Verbrechen".
Freilich gab es in der Kunsttheorie auch Gegenpositionen. Wilhelm Worringer schreibt in seiner in München ebenfalls 1908 publizierten Dissertation "Abstraktion und Einfühlung" davon, dass der Wille zur abstrakten Form seine Wurzeln stets in der Ornamentik habe. Worringer stellt in seiner stilpsychologischen Betrachtung dem Einfühlungsdrang, den er auch als Nachahmungstrieb beschreibt, den Abstraktionsdrang, der ursprünglicher sei, gegenüber.
Alle diese Theorien, die im Umfeld der Diskussionen um die Krise des Dekorativen entstanden sind, scheinen die These der Ausstellung zu verifizieren, die Entwicklung der Abstraktion sei eine Fortsetzung der Ornamentsgeschichte.
Brüderlin will aber als Kurator der Ausstellung das viel gescholtene Ornament nicht nur mit Theorie rehabilitieren, er will es auch mit der Gegenüberstellung von bildender und angewandter Kunst vom negativen Beigeschmack des überflüssigen Dekors befreien. Er blickt daher zunächst auf andere Kulturen, in denen das Ornament nie wie in Westeuropa geächtet war, vor allem in die islamische Welt, in der Ornament wie Kalligraphie die Funktion haben, kosmische und religiöse Inhalte symbolisch zu repräsentieren. Serielle ornamentale Struktur und Dekor sind mit spirituellen Qualitäten ausgezeichnet. Lassen Sie mich als exemplarischen Vergleich zwei Bildbeispiele aus der Ausstellung vorzeigen (Abb. 4 und 5):
![]() Abb. 4: Bogenfeld, 14. Jh., Herat, Afganistan, Fliesenmosaik, 118 x 145 cm, Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde |
![]() Abb. 5: Jackson Pollock, Untitled, um 1949, Stoffcollage, Papier, Karton, Email und Aluminiumfarbe auf Pavatex, 78,5 x 57,5 cm, Fondation Beyeler, Riehen / Basel |
Das erste Bildpaar zeigt zunächst ein Bogenfeld. Ein Fliesenmosaik aus dem 14. Jahrhundert, in der Größe 118 x 145 cm, das aus Herat, Afghanistan stammt und das man im Linden Museum Stuttgart, dem staatlichen Museum für Völkerkunde besichtigen kann. Eingerahmt von weißen, hellblauen, schwarzen und wieder weißen Mosaiksteinen, die auf 2 Seiten einen rechten Winkel bilden und auf der dritten Seite eine Bogenform, fast wie ein antikes Kapitell. Im Inneren dieses Bogenfeldes wird die Grundfläche von dunkelblauen Mosaiksteinen gebildet. Dadurch, dass die ornamentalen Linien von helleren Mosaiksteinen in hellblau, gold oder goldbronze und weiß gebildet werden, entsteht ein Tiefen- bzw. ein räumlicher Eindruck der sonst ebenen Fläche. In den Mosaiklinien erkennen wir den organischen Zweig, die pflanzliche Arabeske. Wir erkennen, die sich dauernd gabelnde Ranke, die ohne Anfang und ohne Ende ist, aus der Knospen, Blüten und Blumen sprießen. Drei Arabeskensysteme liegen übereinander, durch die verschiedenen Farben entsteht eine reizvolle Wirkung. Alles in allem ein Meisterwerk des Kunsthandwerks, das orientalisches Lebensgefühl widerspiegelt.
Im Vergleich dazu sehen wir ein Werk des amerikanischen Künstlers Jackson Pollock, ohne Titel, eine Collage mit Stoff, Papier, Karton, Email und Aluminiumfarbe auf einer Pevatex Platte, entstanden 1949, 78,5 x 57,5 cm, im Besitz der Fondation Beyeler, Riehen, Basel.
Verglichen mit dem Mosaikfeld links, zeigen sich verblüffende Parallelen zwischen dem islamischen Ornament und Pollock. Die verschiedenen dünnen Farblinien, die Pollock mit der Tropfkanne aus der Bewegung der Hand heraus an der Oberfläche der Collage zieht, weisen wiederum wesentliche Aspekte der Arabeske auf. Die Lineamente haben keinen Anfang und kein Ende, verdichten sich in seinem abstrakten Werk zu Spuren und füllen die oberste Schicht des Malgrunds genauso aus wie die Mosaiklinien das Bogenfeld. Obwohl spielerisch gesetzt und scheinbar zufällig entstanden, sind sie elementarer Bestandteil der den "dripping paintings" eigenen Bildsprache. Die Bearbeitung des Malgrundes in zwei Schichten und damit die Verwendung des Stilmittels der Collage scheint ihn stark zu beschäftigen, Pollock verwendet die verschiedensten Materialien, die er in mehr oder weniger arabesken Formen aufcollagiert. Zur gleichen Zeit entstehen ähnliche Werke, aus denen er bei zweischichtigem Malgrund arabeskenartige Lücken aus dem oberen schneidet. Der untere Malgrund wird zur Figur, zur tanzenden Arabeske. (Abb. 6) Im Aufeinandertreffen von "dripping and cutting" deutet eine abstrakte Struktur die andere.
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Neben der organischen Linie spielt die geometrische Form der Arabeske in der Geschichte von Ornament und Abstraktion eine wesentliche Rolle, in der islamischen und antiken Dekoration ebenso wie im autonomen Bild des 20. Jahrhunderts. So scheint der Weg vom außereuropäischen Ornament zur konstruktivistischen Linie eines Rodtschenko oder zu den reduzierten Abstraktionen der holländischen Gruppe De Stijl nicht mehr weit, auch wenn man Mondrians gitterartige Kompositionen nicht unbedingt als herausragendes Beispiel der geometrischen Arabeske darstellen sollte. Die Thematik der Ausstellung verliert dabei an Trennschärfe. Mondrians kurzzeitige Betätigung in der Wandflächengestaltung - seine Planung für das Arbeitszimmer der Dresdner Sammlerin Ida Bienert wurde im Museum Beyeler realisiert - dürfte kaum ausreichen, ihn unter die Ornamentalisten zu zählen.
Durch die Abstraktion schuf sich das moderne Tafelbild die Möglichkeit, auf neuartige Weise mit dem Umraum und der Architektur Verbindungen einzugehen. Die Arbeiten eines Van Doesburg, die wand- und raumgreifende Malerei von Henri Matisse , der die Arabeske als Wandgestaltung in seine Bildinhalte mit aufnimmt, sowie die Malerei der De Stijl Bewegung und des Bauhauses lassen sich durchaus auch als "Fortsetzung des Dekors mit abstrakten Mitteln" lesen.
Diese Grundtendenz erweiterter Malerei führt bis in die Gegenwart . Eine triumphale Wiederkehr scheint das Ornamentale in den neuen Medien zu feiern, deren innere digitale Logik viel mit den Bildungsgesetzen des Ornaments gemeinsam zu haben scheint. (vgl. Abb. 3 und Abb. 7)
Bei der zweiten Position handelt es sich um eine Installation von Peter Kogler, die er 1992 auf der documenta IX in Kassel realisiert hat. Seine Ameiseninstallation ist für die Ornamentik der Postmoderne bahnbrechend. An der Jahrtausendwende, im Zeitalter der Globalisierung und der neuen Technologien, kommt seiner Ornamentik große Bedeutung zu, im Hinblick auf die digitalen Strukturen virtueller Realitäten. |
Abb. 7: Peter Kogler, documenta IX, Kassel 1992, Installation (Ausschnitt) |
Auf den ersten Blick könnte man fast eine Verwandtschaft zur Jugendstilornamentik eines Josef Hoffmann feststellen. Doch Koglers digitale Muster gehen noch viel weiter - vor und zurück. Man vermag auch hier ganz klar die Bezüge zur geometrischen Arabeske, zum islamischen Flechtbandmotiv zu erkennen. Auch seine multiple Kunstproduktion erweckt den Eindruck eines Endlosbandes. Die Aneinanderreihung rhythmischer Linien über Wände und Decke umfangen den Betrachter mit der ihnen eigenen abstrakten Ästhetik. Gleichzeitig machen sie auch Angst, erwecken Assoziationen. Ich habe die Assoziation marschierender Massen, fleißiger, aber planvoll gesteuerter Massen. Die Ameisen gehen ja auch in der Natur nicht den kürzesten Weg. Wenn er zu steil wird und ihnen nicht ermöglicht, mit der Last auf direktem Weg den Zielort zu erreichen, gehen sie andere Pfade, machen Umwege. Über diese Umwege, aber nicht zu erschöpft für die Fortsetzung ihrer Arbeit, erreichen sie ihr Ziel. Wenn man die Augen zukneift, sieht man Wände und Decke überladen mit Ameisen oder doch ein geometrisches Arabeskenmuster? Das Ornament verselbständigt sich, führt in den Metabereich der abstrakten Kunst, wird zum Träger einer höheren Erkenntnisfunktion. Erst durch die Erfassung des Gesamtbildes, begreift der Betrachter das Ablaufen eines hintergründigen Prozesses. Die Ornamentik scheint Ihnen zwar vertraut, bewegen wir Menschen uns heute auch im selben Rhythmus. Ich gebe es gerne zu, beim Betrachten dieser digitalen Muster schwingt in meinem Inneren Angst mit, Angst, mich in der virtuellen Realität nicht so gut zurechtzufinden, wie in der mir inzwischen vertrauten Ornamentik der Arabeske. (Abb. 8)
Hier die Umwandlung von abstrakten Flächenmustern in naturalistische Ornamentmotive und zurück. |
Abb. 8: Peter Kogler, O. T., 2000, Installationsansicht im Kunsthaus Bregenz (Ausschnitt) |
Wie Brüderlin im Ausstellungskatalog schreibt - "Alois Riegl hat 1893 gezeigt, wie aus der flächigen Palmette der Griechen die plastische Akanthusranke der Römer herauswuchs, um sich bei den Sarazenen wiederum als Arabeske mit dem Grund zu verbinden. Der Kunsthistoriker hat daraus die fundamentale Erkenntnis gewonnen, dass die Ornamentmotive nicht von der Natur abgeschaut wurden, sondern sich aus einer internen Logik von Form und Fläche entwickelten. Heute erinnert die Computerästhetik, die aus der binären Gesetzmäßigkeit des Digitalen heraus hyperreale und abstrakte Welten generieren kann, an dieses Vermögen des Ornaments, das dem klassischen Kunstbegriff der Nachahmung entgegensteht. Die neue Technik des "Morphing" ist daher nichts anderes als digitalisierte Ornamentsgeschichte zwischen "Abstraktion und Einfühlung" (Wilhelm Worringer)" (6)
Wir sehen hier einen Raum, der vollständig mit einem projizierten Flechtbandmuster ausgestattet ist. Die Projektion vermittelt durch das Blau in allen Schattierungen und durch die Regelmäßigkeit der Gitterstrukturen eine kühle Ästhetik. Drückt sie nicht auch ein wenig Leere, Isolation oder gar Menschenfeindlichkeit aus? Die Endlosornamentik dieser Rohr-Linien vermittelt den Eindruck von Gefängnisstäben. Vor wem fürchten wir uns mehr? Vor den Menschen oder vor der technischen Revolution? Hier in der Mitte rechts gerät das festgefügte Gitter in Bewegung, zieht sich zusammen und verschwimmt in unseren Augen zu einem Schlierenmuster. Ein Schlierenmuster, das rechts oben wieder die organische Form einer Arabeske anzunehmen scheint. Bevor der Boden unter unseren Füßen ebenfalls zu schwanken beginnt, formt der blaue Lichtstrahl wieder ein neues Gewebe, das vor der unbestimmten Tiefe des Raumes unten schwebt. Die Technik des Computers macht es möglich, vom Chaos wieder in die Ordnung zurückzukehren, zu einem digitalen, aber bereits bekannten Ornament. Hier kann man wiederum eindrucksvoll bestätigt finden, dass die Entwicklung der abstrakten Kunst des 20. und vielleicht auch des 21. Jahrhunderts als eine Art Fortsetzung der Ornamentgeschichte zu verstehen sei, die These von der Ornamentalisierung der Gegenwart scheint bewiesen. Obwohl Peter Kogler, den Ausstellungsparcours im Beyeler Museum beschließend, konsequenterweise das Ornament zum sämtliche Wände des Ausstellungsraumes bedeckenden Weltsystem macht, indem sein computergeneriertes Flechtwerk den Betrachter hineinzieht in einen ornamentalen Strudel aus Organik und Geometrie, aus Ordnung und Chaos, fragt man sich, was ist eigentlich nicht Ornament - angesichts computergenerierter, globaler, sich dekorativ verästelnder Datenströme?
Kritik der These
Um schon im Ausstellungskatalog das weite Ausholen bei der Abarbeitung der Frage nach dem Einfluss des Ornaments auf die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts kritisch zu hinterleuchten, hat man einen Experten, den bereits emeritierten Professor für islamische Kunst an der Harvard Universität, Oleg Grabar eingeladen, kritische Anmerkungen zur Wahlverwandtschaft islamischer Ornamentik und westlicher Abstraktion zu tätigen.
Oleg Grabar begrüßt prinzipiell die gemeinsame Ausstellung von vorwiegend westlicher und doch weltumspannender zeitgenössischer Kunst zusammen mit Arbeiten, die vor vielen Jahren in der islamischen Kultur entstanden sind. Er findet es aufregend, weil dadurch auch einige kritische Fragen aufgeworfen werden, wie wir über Kunst im allgemeinen nachdenken können und vielleicht sogar nachdenken sollten. Andererseits können solche Nebeneinanderstellungen aber auch problematisch sein. So stellt er kritische Fragen in seinem Beitrag zur Diskussion, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängen.
Die Frage definitorischer Art zur Erklärung der Begriffe Abstraktion und Ornament möchte ich wegen ihres Umfanges eher vernachlässigen. Als Sukkurs nur soviel: "Das Ornament verwandelt alles, was von ihm erfasst wird, unabhängig vom Inhalt, in ein visuelles Vergnügen...... Dennoch ist es sinnvoll, Ornament und Abstraktion miteinander in Beziehung zu setzen, weil beide visuell anpassungsfähig sind und sich eher als Ideen, fast als Formeln definieren lassen denn als konkreter Bezug zu bestehenden Dingen. Problem ist, dass die Definitionen (Ornament, Abstraktion) durch bestimmte Denkweisen der zeitgenössischen Kritik geprägt sind, die sich innerhalb der westlichen Gedankenwelt und Kunst herausgebildet haben." (7)
Einen universellen Wert kann man ihnen daher nicht zusprechen.
Die zweite Kritik ist historischer Natur. Laut Grabar ist die Nebeneinanderstellung von Werken zeitgenössischer Kunst und islamischer Kunst insofern riskant, als sie impliziert, dass es zwischen den beiden einen Kausalzusammenhang geben könnte, dass z.B. die frühere die spätere beeinflusst hat. Es ist zwar richtig, dass einige Künstler des 20. Jahrhunderts wie z.B. Matisse, Kandinsky, Stella oder Philip Taafe offen zugeben, von der islamischen Kunst angeregt worden zu sein. Oft verdanken Künstler aber auch ihre Anregung einer Reise in orientalische Länder oder einer Ausstellung islamischer Kunst in einem Museum. Grabar findet es eher unwahrscheinlich, dass einer der angeführten Künstler islamische Kultur studiert hat oder sich darum bemüht hätte, etwas von der Kultur, die sie hervorgebracht hat, zu verstehen.
Es stellt sich die wichtige Frage: "Kann man Abstraktion vergleichen, ohne ihren sozialen und kulturellen Kontext einzubeziehen?"
Der soziale und kulturelle Kontext ist zugleich auch mein persönlicher Ansatz zur Kritik, den ich zusammen mit meiner persönlichen Beantwortung der Frage: "Kann das Ornament eine Brücke zu einer neuen Globalkunst sein? bzw. "Können wir über das Ornamentale das Fühlen und Denken anderer Kulturen besser verstehen?" an den Schuss meiner Ausführungen stellen möchte.
Auch die allerbeste theoretische Aufbereitung und die interessantesten Gegenüberstellungen islamischer Artefakte mit Werken der besten und bekanntesten zeitgenössischen Künstler, deren Einzigartigkeit auch in der didaktischen Ausführung der Ausstellung im Museum Beyeler ich hier würdigen möchte, hat für mich keinen endgültigen Beweis erbracht. Das islamische Ornament hat die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts angeregt, zum integralen Bestandteil der Entwicklung der abstrakten Malerei wurde es nicht. Das islamische Ornament im ursprünglichen Sinn ist fast immer mit der Religion verbunden. Bei den Arabern ist das Ornament nicht schmückendes Beiwerk, sondern immer Ausdruck des Lebensgefühls, Ausdruck metaphysischen Lebensgefühls. Der Araber erlebt aus seiner religiösen Tradition die Welt anders als wir Europäer. Das Ornament ist für den Islam mehr als nur ein Spiel mit reinen inhaltslosen Formen. Es ist Allegorie und Symbol und gewinnt auf diese Weise auch Inhalt.
Für die Künstler der Moderne ist das Ornament in erster Linie ein neuer Impuls, ein Formenreiz, eine Anregung. Wie Grabar glaube ich, dass sich die Künstler der Moderne kaum bemüht haben, jene Kultur, die das Ornament hervorgebracht hat oder vervollkommnet hat, zu verstehen. Nicht einmal mit Zeichnungen oder Skizzen, wie es Rembrandt seinerzeit getan hatte. Vielleicht ist auch Van Gogh eine Ausnahme, der das Ornamentale fast mit religiöser Inbrunst verwendet. Die Form hat die Moderne interessiert, der Inhalt, das Lebensgefühl war zweitrangig. Die Abstraktion im 20. Jahrhundert steht nicht als Sinnträger moralischer, sozialer oder religiöser Vorstellungen, eher schon als Seismograph neuer Denkweisen und als Katalysator für den Übergang in den Metabereich der Kunst. Schon weit vor dem 20. Jahrhundert in der Kunstdiskussion um Kant war man sich dieser Problematik bewusst. Kant spricht vom interesselosen Wohlgefallen an einer Form. Sehen soll nicht der Gier dienen, etwas zu besitzen, sondern interesselos, ohne Erregung erlebt werden. Eine Form für sich, in sich ruhend, ist nicht aufregend.
Können wir nun über das Ornamentale das Fühlen und Denken anderer Kulturen besser verstehen?
Die Entfaltung der modernen Kunst ist eng mit den ästhetischen Einflüssen fremder Kulturen verknüpft. Ein Dialog der Kulturen im Sinne eines gegenseitigen Gebens und Nehmens war damit noch nicht eingeleitet. Das ist der springende Punkt. Nur wenn wir auch geben, seien es mehr Toleranz, weniger Abgrenzung, mehr Interesse am anderen, weniger Vorurteile, nur wenn wir aufeinander zugehen, etwas beitragen zum besseren Verstehen, können wir unser Lebensgefühl austauschen, uns besser verstehen. Erst dann trägt auch das Ornamentale zum besseren Verständnis der Kulturen untereinander bei. Davon bin ich überzeugt.
"Wie es scheint kann der Abendländer, der Westeuropäer leichter Zugang zur islamischen Kultur durch das Medium der bildenden Kunst finden als durch die so wunderbare Literatur, weil infolge fast unüberwindlicher Sprachprobleme nur in seltenen Fällen ein echter Zugang zur islamischen Kultur und vor allem zu den ästhetischen Idealen des Islam möglich ist. Die Betrachtung eines Kunstwerkes aber führt fast unmittelbar in das Herz der Kultur - und hier kann die Arabeske als Quintessenz des künstlerischen Ideals der islamischen Welt gelten, denn wie einmal gesagt wurde 'sie berauscht Augen und Geist'."(8)
© Thomas Mark (Galerist und Universitätslektor, Spital am Pyhrn / Linz / Salzburg)
ANMERKUNGEN
(1) Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995, S. 349.
(2) Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, Dumont, 2001, S. 11.
(3) Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, Dumont, 2001, S. 19 u. 20.
(4) Kühnel, Ernst, Die Arabeske, Graz, 1977.
(5) Vgl. den Beitrag von Sabine Sobotka.
(6) Markus Brüderlin, Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, S. 228.
(7) Oleg Grabar, Islamische Ornamentik und westliche Abstraktion, Katalog Fondation Beyeler, S. 70-73.
(8) Annemarie Schimmel, Die Arabeske, aus Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, S. 35.
Abbildungen entnommen aus: Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog, hg.v. Markus Brüderlin, Fondation Beyeler, Basel/ Köln 2001: Abb. 1: S 18 oben (Abb.1); Abb. 2: S 76; Abb. 3: S 80 oben (Abb. 281); Abb. 4: S 95 oben (Abb. 257); Abb. 5: S 95 unten (Abb. 167); Abb. 6: S 161 oben ; Abb. 7: S 218; Abb. 8: S 227
5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
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For quotation purposes:
Thomas Mark (Spital am Pyhrn / Linz / Salzburg): Die Arabeske.
Ein islamisches Stilprinzip? - und ihr Stellenwert in der Kunst
des 20. Jahrhunderts. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für
Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/mark15.htm