Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Juni 2004
 

6.1. Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen | Standard Variations and Conceptions of Language in Various Language Cultures
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Rudolf Muhr (Universität Graz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Regionale und soziale Varianz im Translationsprozess - Funktionen und Lösungstrategien (am Beispiel des Sprachenpaares Spanisch/Deutsch)

Martina Emsel (Universität Leipzig, Deutschland)

 

Abstract

When regional and social varieties of a language are to be translated, they have to be considered in relation to their communicative function. In many cases speakers unconsciously tend to use a regionial variety of their first language (as a source language) if it is the only variety they know. In this case it should be translated (or interpreted) as well as an unmarked standard speach into the target language. The use of a regional variety in the target language, first of all would be identified with the translater. This cases have to be distinguished from the contrastive or permanent application of regional and social variety in literary textes.

 

1. Was sind moderne Fremdsprachen?

Für ein im Mai jeden Jahres in meiner Heimatstadt Halle (Saale) stattfindendes Kinderchorfestival werden immer Gasteltern gesucht und ich hatte mich vor einigen Jahren einmal bereit erklärt, zwei Jungen aufzunehmen, weil ich sie zusammen mit meinen eigenen Jungen unterbringen wollte, und hatte dabei noch vermerkt, dass bei uns eine Verständigung in mehreren Sprachen möglich sei. Ich war dann etwas enttäuscht, als ich erfuhr, dass zwei Jungen aus Österreich bei uns zu Gast sein sollten. Ein anderer gastgebender Vater tröstete mich mit den Worten: "Ist doch auch Ausland". Sprachlich war es das dann für uns tatsächlich, denn die Jungen kamen aus Dornbirn und sprachen untereinander die regionale Mundart, nur einer von beiden konnte problemlos "umschalten" und musste oft dolmetschen. Auf die Frage meiner Kinder, was sie den für eine Sprache in der Schule sprechen, bekamen sie als Antwort: "Wir sprechen deutsch, aber wenn der Lehrer nicht so spricht wie wir, hat er eben Pech".

Bereits in dieser "intralingualen" Anekdote wird deutlich, dass sprachliche Variation ein sehr vielschichtiges Phänomen ist, von dem für einen Darlegung im quantitativ begrenzten Rahmen nur einzelne Aspekte ausgewählt werden können, zu denen Teilergebnisse vorgestellt werden, die auch als Anregung zu weiterer Diskussion dienen können. Die Thematik wird deshalb auf das Spannungsfeld zwischen individueller Indentifikation und gesellschaftlicher Norm eingegrenzt und dies insbesondere unter dem Blickwinkel der Sprachmittlung - des Übersetzens und Dolmetschens- betrachtet. Der von mir gewählte theoretische Ansatzpunkt ist die Unterscheidung von sozial-kommunikativen Funktionen bei sprachlicher Variation.

 

2. Sprachräume des Deutschen im Vergleich zum Spanischen/ Französischen/Englischen

Die nachfolgend näher betrachteten Sprachräume bzw. Sprachgemeinschaften des Deutschen und Spanischen (mit teilweisem Bezug auf das Französische und das Englische) weisen einige grundlegende Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf, die ich hier nur kurz umreißen möchte.

Den Sprachen ist gemeinsam, dass sie in mehr als einem politisch-administrativen Raum gesprochen werden, der sich überwiegend im 19. Jahrhundert, manchmal auch erst im 20. Jahrhundert als Nationalstaat konstituiert hat. Gemeinsam ist diesen Sprachräumen innerhalb Europas, dass sie regional mehr oder weniger stark ausdifferenziert sind und dass dies - möglicherweise als Gegenpol zu Homogenisierungsbestrebungen innerhalb der EU - gegenwärtig stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückt, zunehmend auch in der Außendarstellung und der Außenwahrnehmung. Die außereuropäische Verbreitung der genannten Sprachen ist dagegen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Für das Deutsche kann sie für unsere Betrachtung vernachlässigt werden, da die Sprechergemeinschaften teilweise stark abnehmen ("Rückwanderungstendenzen" aus der ehemaligen Sowjetunion und Rumänien) und sie für die Sprachmittlung mit der Basissprache Deutsch kaum eine Rolle spielen.

Spanische und das Französische werden, ebenso wie das Englische, im Zuge der Kolonisierung in vergangenen Jahrhunderten in Afrika, Asien und Amerika und Australien verbreitet, und zwar schon als strukturell relativ gefestigte Sprachen mit einem durch die Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel zunehmend engeren Kontakt zur europäischen Zentralmacht. Die inzwischen (seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg 1450) in breitem Maße verbreitete schriftsprachliche Norm der Sprache der Kolonialmacht als generell oder zumindest in sozialen Teilbereichen dominierende Stratus-Sprache ist damit weniger den Einflüssen der lokalen Substrat- oder Adstratsprachen ausgesetzt als zum Beispiel das weit stärker mündlich verbreitete Latein während der Ausdehnung des Römischen Reiches. Ein wichtiger Faktor war und ist, welches Potential die lokalen Sprachen hatten und haben, und zwar vor allem hinsichtlich der Sprecherzahl und der räumlichen Ausdehnung.

Während in Asien und Afrika die ursprünglichen Sprachgemeinschaften sowohl quantitativ als auch geographisch immer dominierten, gibt es auf dem amerikanischen Doppelkontinent Länder, in denen indigene Sprecher zahlenmäßig überhaupt keine oder nur einer sehr untergeordnete Rolle spielen. Die jahrhundertelange Marginalisierung in allen Lebensbereichen wird nur langsam aufgebrochen, es werden unter anderem indigene Sprachen stärker in die offizielle Kommunikation einbezogen, z. B. durch die Einrichtung eines eigenen Fernsehkanals für die Maya-Akademie in Guatemala Ende November 2003 unmittelbar nach dem bürgerlichen Wahlsieg (Conferencia 2003). Bestandteil dieser Entwicklung ist der damit verbundenen Übersetzungs- und Dolmetschbedarfs (Lausberg 2003). Auch die wissenschaftliche Diskussion beschränkt sich längst nicht mehr auf Detailstudien, sondern ergänzt diese durch internationale Foren, auf denen neben der Bestandsaufnahme auch Probleme und Desiderata zur Sprache kommen. Dabei steht für alle diese Sprachgemeinschaften der Vorteil einer überregional einsetzbaren Verkehrssprache neben - aber nicht statt - der regionalen Sprache außer Frage, zumal wenn in dem jeweiligen Land ohnehin eine sprachlich-ethnische oder sprachlich-dialektale Vielfalt gegeben ist.

 

3. Entwicklung des Normbewusstseins beim Individuum

Ein Mensch verbringt die für seine sprachliche Entwicklung prägende Phase in der Regel in einer relativ kleinen und stabilen Sprechergemeinschaft, die für ihn Allgemeingültigkeit hat. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, in welchem Maße die Sprache dieser Sprechergemeinschaft sich unter linguistischem Aspekt von der benachbarter Gemeinschaften unterscheidet oder externen Einflüssen ausgesetzt ist. Durch "Gäste" in diesem Kreis, weitere Reisen und überregionale Medien kommt es zu ersten Kontakten mit anderen Sprachvarianten, bei denen die Unterschiede zwischen dem Eigenen und dem Fremden/Anderen zunehmend bewusster wahrgenommen werden. Das trifft sowohl auf den Vergleich mit Varianten der Muttersprache als auch mit Fremdsprachen zu und führt zur Entwicklung von Verhaltensweisen und Fertigkeiten, die sich wie folgt unterscheiden lassen:

1. Die regional markierte eigene Sprachvariante wird als einzige beherrscht bzw. als neutral angesehen und in jeder Kommunikationssituation beibehalten. Die Kommunikation mit Sprechern anderer Varianten ist behindert und im fremdsprachigen Gebiet stark eingeschränkt.

2. Es kommt zum Erwerb weiterer spezifischer Sprachvarianten und dem Wechsel des eigenen sprachlichen Codes in Abhängigkeit von den jeweiligen Kommunikationspartnern. Das tritt bei der heutigen überregionalen Kommunikation und Mobilität - bezogenen auf eine Sprache - graduell nur dan ein, wenn langfristig in einen anderen Sprachraum gewechselt wird und die Alltagskommunikation eine große Rolle spielt. Voraussetzung sind unter anderem ein entsprechend sensibilisiertes Gehör und artikulatorische Fertigkeiten. Für die Kommunikation in Fremdsprachen ist dies die dominierende Variante (Umstellung auf den Code der Kommunikationspartner), allerdings meist nicht auf eine regionale Variante, sonder als Zwischenform zwischen 2 und 3, über eine neutrale Variante, oder eine typische "Lernervariante", auch "Schulsprache", die die gleiche Funktion erfüllt.

3. Für kurzfristige Mobilität innerhalb eines Sprachraums ist das "Umlernen" bzw. der Wechsel zu einem anderen regionalen Code nicht nur ineffektiv, sondern es spielt auch eine Rolle, dass es sich dann meist um professionelle Kommunikationssituationen handelt, Sprecher mehrerer Varianten beteiligt sein können und eine der regionalen Varianten ggf. negativ konnotiert ist, ebenso wie eine mangelhafte Beherrschung des fremden Codes("gewollt und nicht gekonnt") eher komisch und damit kontraproduktiv wirkt. Für diese Situationen eignen sich die Sprecher eher zusätzlich eine möglichst unmarkierte Sprachvariante an.

In der internationalen Kommunikation entspricht dem sowohl das gute Beherrschen einer oder mehrerer Fremdsprachen in einer Standardvariante oder die Einigung auf eine für alle Kommunikationsteilnehmer zugänglichen Verkehrssprache. Für das Übersetzen und Dolmetschen sind im Rahmen der oft mehrsprachigen schriftlichen und mündlichen Kommunikation und ausgehend von konkreten Festlegungen in internationalen Vereinbarungen (Vertretung ausländischer Bürger vor Gericht usw.) alle drei Fälle von Bedeutung.

Begleitet wird diese individuelle Differenzierung von der Vermittlung von Erfahrungen und Bewertungen anderer Sprecher, meist aus dem näheren sozialen Umfeld. Sie dienen in der Summe als grundlegende Richtlinie für das Verhalten gegenüber dem sprachlich Neuen, das in der Folge durch eigene Erfahrungen verfestigt oder modifiziert werden kann.

Diese sozialisierte Werteskala ist Unter anderem einer Studie zu entnehmen, die an der Martin-Luther-Universität Halle im Zuge der Neuerarbeitung eines Phonetik-Handbuchs durchgeführt wurde und in einer Arbeitsgruppe auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik im Jahr 1993 zu Diskussion stand: Deutschland war in sechs Großräume unterteilt: Norden: Münster bis Neubrandenburg, Mitte: Köln bis Dresden, Süden: Freiburg bis Bayreuth. Das Verhältnis zwischen diesen Sprachräumen und ihrer sprachliche Strukturierung lässt sich mit wenigen Worten wie folgt charakterisieren: Norden: homogen mit natürlich gegenseitiger aber auch überregionaler Toleranz; Mitte: sehr heterogen, insgesamt überregional tolerant; Süden: insgesamt überregional tolerant, aber extrem starke gegenseitige Ost-West-Abneigung. Das dürfte genauso wenig sprachliche Ursachen haben wie die generell etwas negativere Bewertung für den Raum Berlin. Einig waren sich immerhin alle in der sehr positiven Bewertung der Sprecher aus dem Raum Hannover, die am ehesten mit der neutralen Standardvariante identifiziert werden.

Für unsere weiteren Betrachtungen ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass die sprachliche Varianz je nach Ausprägung eng mit einer sozialen Markierung verbunden sein kann und hiervon die Fragestellung abzuleiten wäre, inwieweit diese sprachlich-soziale Markierung für das Übersetzen oder Dolmetschen relevant ist.

 

4. Sprachvariation und soziale Markierung

Sprachvariation ist am deutlichsten in der gesprochene Umgangssprache ausgeprägt. Diese wird überwiegend in lokal geprägten Alltagssituationen verwendet oder in Kommunikationssituationen, in denen lokal geprägter Alltag suggeriert oder simuliert werden soll.

4.1. Kontrastive Verwendung von Sprachvarianten bzw. Umgangssprache

Die kontrastive Verwendung von Sprachvarianten bzw. Umgangssprache dient der expliziten sozialen Differenzierung und ist damit wertend. Sie bezieht sich zumeist auf einzelne Sprecher oder kleinere Sprechergruppen im Kontrast zu einer größeren Gemeinschaft Sprechern, für die eine positiv oder neutral markierte Standardvariante angenommen wird. Für die Übersetzung relevant ist die künstlerische Umsetzung dieser sprachlichen Konfliktsituationen in der Belletristik oder in Bühnenwerken. In den Liedtexten des Musicals My Fair Lady wird dazu der Text des die Ausspracheveränderung begleitenden Liedes so aus dem Englischen in andere Sprachen übertragen, dass bis auf den eigentlich auch irrelevanten Bezug zu Spanien auf den Sinn des Ausgangstextes verzichtete wird zugunsten einer sich möglichst reimenden Kombination von Wörtern, bei denen in den Zielsprachen analoge sozio-phonetische Varianten vorliegen, vgl.

Beispiel (1)

Englisch: Diphthong: The rain in Spain falls mainly in the plain.
Deutsch: Vokal: Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh'n.
Spanisch: Konsonant: La lluvia en Sevilla es una maravilla.

Die Einbettung der Handlung in ein konkretes historisch-geographisches Umfeld lässt nur ansatzweise eine Adaption der Sprechweise der Hauptperson an eine soziolektale Variante in der Zielsprache zu. In der Regel wird dazu auf vor allem phonetische Merkmale zurückgegriffen, die überregional als nicht normgerecht angesehen werden.

Beispiel (2):

In der Erzählung "En las lomas de El Purial" von Bel Juárez Fernández (Kuba 1962) sind zahlreiche Dialoge enthalten, in denen die soziale Charakterisierung der Personen auch über deren Sprechweise vorgenommen wird, z. B. in einer Begegnung des Knechtes Gustavo (G) mit einem Angehörigen der Rebellenarmee (R). Der jeweilige Sprecher ergibt sich im Original aus dem Gesprächsinhalt und ist, wie in der Belletristik üblich, nicht explizit vorangestellt. Für den Knecht Gustavo (G) wird Umgangssprache vom Autor mit typischen, vor allem phonetischen, Merkmalen im kubanischen Spanisch verschriftet: Unkorrekte Verbfom, Auslassung von intervokalischen Konsonanten, Abschwächung des Zugen-,R' zu ,L', allerdings wir auf die weit verbreitete Auslassung der endsilbischen ,S' zugunsten eines gesichterten Textverständnisses verzichtet.

R: ¿Cómo se llama, amigo? le preguntó.
G: (S. 12) Gustavo ...señol... contestó un poco nervioso.
R: ¿Esas reses son tuyas?
G: No señol... son del dueño d'esta finca, Don Polfirio, para quien trabajo desde hace un año.
R: ¿Es muy grande la finca?
G: Bueno, por ahí se dice que son ma'o menos unas seicienta caballería y casi toda ella llena de gana'o...
R: Gustavo. ¿tu sabes matar una res? Vaya, sin hacer mucho ruido...desde luego- indagó el desconocido pausadamente, pasándose una mano por sus revueltas barbas.
G: Si señol... en ocasiones yo ha ayuda'o a matarla y descualtizarla.
R: Bien... queremos que lo hagas con ésa que acabas de encontrar - dijo rotundamente.
G: Señol... A Don Polfirio no le va a gustal eso y de seguro que avisará a la gualdia - adujo Gustavo muy asustado.

Der Angehörige der Rebellenarmee (R) "spricht" normgerecht, d.h. der Text ist orthographisch korrekt, obwohl es eher wahrscheinlich ist, dass sich seine Sprechweise nicht wesentlich von der seines Gesprächspartners unterscheidet. Auffallend ist auch, dass er erst eine distanzierende unpersönliche Anrede wählt, bevor er konkrete Anweisungen in der Du-Form gibt.

Beispiel (3):

Analog dazu ist auch das Gespräch zwischen einem Bauern (B), seiner Frau (F) und seiner Tochter (T) durchgehend in Umgangssprache verfasst, d.h. mit phonetischen Veränderungen, Schimpfwörtern, Diminutive als Steigerungsform, teilweise der Anrede des Vaters in der Höflichkeitsform. In einer Übersetzung würde die soziale Varianz analog markiert - Defizite in der Phonetik werden in einer in der Zielsprache konventionalisierten Form für Nicht-Norm-Sprache verschriftet, wobei aber möglichst keine regionale Spezifizierung vorgenommen wird.

B: ¡Dime! Habla claro, polque si no te mato, ¡maldita! Condená lechuza! -gritaba desaforado . Y no te hagas la mosquita muelta.
T: ¡Ay, Santo Dios! Pero padre, ¿que le pasa?
F: ¡Pedro! ¡Suéltala¡ ¿Qué hizo la niña?
B: ¡Apártate tu, vieja! le espetó a su mujer ... ¡Dímelo¡ ¿Qué sabían tú y Gustavo? ¿Qué iba a pasal en el central, sinvelgüenzas?
T: Yo no sabía na' padre ... era un presentemiento de ...
B: ¡Qué presentimiento ni qué carajo¡ ¡Dímelo o te mato, degenerá¡
T: Yo no sé naíta .... Por favor que me haces daño...

4.2. Durchgehende Verwendung von regionaler Varianz

Die durchgehende Verwendung von regionaler Varianz im Text dient der sozialen Identifizierung und ist damit weitgehend wertfrei. Sind die mit Merkmalen regionaler Varianz produzierten Texte Ausgangstexte für die Sprachmittlung werden sie a priori als normgerechte korrekte Texte aufgefasst und dementsprechend in einen normgerechten Text der Zielsprache übertragen. Für den Sprachmittlungsprozess erleichternd wirkt sich aus, dass die meisten Phänomene der regionalen Varianz in der gesprochenen Sprache und hier wiederum bei Alltagsthemen anzutreffen sind und für die überwiegende Zahl der Übersetzungs- und Dolmetschsituationen nur eine untergeordnete Rolle spielen, z.B.

4.2.1. Anredeformen:

Die Unterscheidung zwischen formeller und vertraulicher Anrede im Plural, d.h. für mehrere Personen, wird zwar in Spanien, aber nicht in Lateinamerika unterschieden. Die meisten Dolmetschsituationen vollziehen sich allerdings auf einer formellen Ebene, wo diese Unterscheidung nicht relevant ist. Das trifft auch für dialogische Texte (Korrespondenz) zu. In den weitaus meisten zu übersetzenden Texten ist das Verbparadigma ohnehin auf die deskriptive 3. Person Singular/Plural beschränkt. Etwas anders ist die Situation bei Anredeformen in Werbetexten, vor allem wenn sie, wie in der Tourismusbranche, in mehreren Sprachen oder mehrsprachig in einer Druckversion am gleichen Ort herausgegeben werden. Die Divergenz liegt dabei nicht so sehr in der regionalen Varianz e i n e r Sprache, sondern in den unterschiedlichen Konventionen der spanischen und der deutschen Sprachgemeinschaften. Für Kundengruppen, die im (iberischen) Spanisch mit der Du-Form umworben werden, ist im deutschen Sprachgebrauch die höfliche Anrede mit der Sie-Form vorzuziehen oder zumindest zu erwägen. Die Grenzen sind allerdings fließend.

Beispiel (4): Ausschnitt aus einem Werbeprospekt zur Expo 92 in Sevilla:

El tunel del tiempo
Sevilla 92 te transporta de la América precolombina a Extremos Oriente ...
... ¿Prefieres surcar al mar a través de los siglos? ...
Puedes dar la primera vuelta al mundo con Elcano y viajar al Pacífico Sur con Cook. ...
En la isla de la Cartuja te esperan el esplendor de los faraones y la magnificencia de los inca ...

Da sich die Werbung in Deutschland eher an ein individuell reisendes älteres Publikum richtet, wären zu empfehlende Übersetzungslösungen für das Beispiel (4) entweder der Wechsel zur Höflichkeitsform im Deutschen oder adressatenfreie Konstruktionen vom Typ:

Sevilla 92 zeigt ...
Wie wäre es mit...
Wir laden ein zur ersten Weltumseglung mit ...
... beeindrucken/begeistern/ findet sich....

4.2.2. Regionale Lexik - Realienlexeme:

Für die als Realienlexeme bezeichneten Bestandteile des Wortschatzes gilt, dass sie Bezeichnungen für Spezifika eines Kulturkreises (innerhalb) einer Sprachgemeinschaft sind, dass aber diese Spezifik - analog zu allen anderen Besonderheiten - erst durch den Kontrast mit anderen Kulturen derselben oder einer anderen Sprachgemeinschaft als solche wahrgenommen wird.

Für die Übersetzung ist zu unterscheiden, ob diese Realienlexeme als Bestandteile der Aussage in ihrer Besonderheit markiert werden sollen bzw. müssen oder ob die Übersetzung mit Lexik für nicht regional-markierte Sachverhalte möglich ist.

Beispiel (5): Begleittext für ein einfaches Puzzle.

Das Bild zeigt einen Bauern/Jungen und eine Bäuerin/Mädchen mit einem kleinen Hund und Küken beim Kaffeetrinken im Grünen (Serrano 1993):

Los pollitos golosos
(Cuento: María Laura Serrano, Ilustración Raúl Stévano)
  • El gauchito Dositeo y la paisana Clorinda estaban tomando su matecito bajo los árboles. Hacía mucho calor y se estaba muy bien allí al fresco, en la tardecita de verano.
  • Míralo a Huesito - dijo Clorinda en voz baja para que el perro no se enterara ¿Sabes qué está esperando? ¡Que le dé bollitos! Mira si es pícaro...
  • ¡Bollitos! ¿Dónde hay bollitos? No los veo...
  • ¡Ah, ah! Pero él sabe que hay. ....
  • Dositeo siguió chupando la bombilla. ...
  • Y así pasaron un buen rato de charla, tomando mate y vigilando a Huesito.Pero cuando se levantaron para ir a la casa y empzaron a recoger las cosas, Clorinda lanzó un grito.
  • ¡Oy! -exclamó. Huesito no se ha movido de allí y sin embargo no queda ni un poquito de azúcar.
  • ¿Qué había pasado? Que mientras ellos tomaban su mate amargo sin dejar de vigilar a Huesito, los traviesos pollitos se habían comido toda el azúcar.

Für die Übersetzung bzw. die Bearbeitung des Textes sind zwei bis drei verschiedene Aufträge im Sinne der Skopostheorie denkbar:

I. Deutscher Zieltext für die Vermittlung des Deutschen in Argentinien: Spezifische Lexik wie gauchito, matecito, bombilla wird als bekannt vorausgesetzt und kann als unkommentierter Lehnwortschatz in der Übersetzung Verwendung finden, allerdings unter Verzicht auf die nichtlexikalisierten Diminutivbildungen: Gaucho, Mate, Bombilla.

II. Deutscher Zieltext für Export der Puzzle-Serie in deutschsprachige Länder (Europa):

a. Spezifische Lexik wird generalisierend übersetzt. Die regionale Spezifik bleibt auf die nonverbale Komponente (das Puzzle-Bild) beschränkt: gauchito => Hirte, matecito => Tee oder Kaffee, chupar la bombilla => an der Tasse nippen (wenn das Trinkröhrchen nicht zu sehen ist) bzw. auch Limonade trinken.

b. Spezifische Lexik wird als Lehnwort ggf. mit Erläuterung übersetzt. Der nonverbalen Komponente (Bild) kommt eine denotativ-instruktive Funktion zu: gauchito => Gaucho (aber nicht: Cowboy!), Mate-Tee, aber für 'bombilla' nur 'trinken', da Details nicht erkennbar sind und eine Erläuterung von der Geschichte ablenken würde.

Da das zum Text gehörende Bild schon eine sehr kindtümelnde Darstellung einer ländlichen Szene ist (Kindchen-Schema), wäre es nicht erforderlich, die im lateinamerikanischen Spanisch relativ zahlreichen Diminutivbildungen für die Übersetzung besonders zu berücksichtigen.

z.B. gauchito - Hirte, Gaucho
matecito - Mate (Tee)
tardecita - Nachmittag
Huesito - Bello (Standard-Hundename)

Ausgenommen davon sind bei möglichen deutschen Äuqivalenten jene Fälle, die bereits lexikalisiert oder konventionalisiert sind:

z.B. bollitos - Plätzchen,
pollitos - Küken,
ni un poquito de azúcar - kein Stückchen Zucker.

III. Auch für eine Vertrieb in Spanien könnte eine redaktionelle Bearbeitung vorgenommen werden, da die regionalspezifischen Begriffe meist nicht bekannt sind (z.b. gauchito => pastor, paisana => campesina, matecito + bombilla => tomar refresco, té, ect). In einer Diskussion mit spanischen und deutschen Seminarteilnehmern wurde angeregt, sowohl bei einer Bearbeitung als auch bei einer Übersetzung auch die Personennamen durch in der jeweiligen Sprache für Standardsituationen gebräuchliche zu ersetzen, z.B. Dositeo durch Pedro und Clorinda durch Juanita, was aber eindeutig die Erfordernisse für eine verständliche Textgestaltung überschreitet. Die Verwendung deutscher Namen in einer Übersetzung wurde in der Diskussion als inadäquat abgelehnt.

Im Rahmen dieses Beitrages können lediglich an einem kurzen Beispieltext die prinzipiellen Verfahren zum Umgang mit regionaler Markiertheit aufgezeigt werden, bei denen die Realienlexeme aufgrund ihres hybriden Charakters eine besondere Rolle spielen. Für die Übersetzung erleichternd kann sich der Umstand auswirken, dass es sich mitunter um mehrstufige Prozesse handelt, wenn z.B. der aus dem Spanischen ins Deutsche zu übertragende Text bereits eine Übertragung aus einer dritten Kultur bzw. Sprache darstellt, wie im Fall der von Lux (2001) untersuchten Märchen aus der Westsahara. Bereits in der spanischen Version wurde im Sinne einer denotativ-instruktiven Textfunktion bewusst Lehnwortschatz auch für Alltagsgegenstände mit z.T. erläuternden Appositionen verwendet, da bei dieser Ausgabe der regionalen Identifikation eine besondere Rolle zukommt. Für die Einbeziehung der Übersetzung aus dem Deutschen sei an dieser Stelle nur auf die von Ruzicka Kenfeld (2002) herausgegebenen Studien verwiesen, die Regionalisierung im Zielland Spanien, insbesondere in den zweisprachigen autonomen Regionen Baskenland, Galicien und Katalonien bei der Übersetzung und Rezeption deutschsprachiger Kinder- und Jugendliteratur zum Gegenstand haben.

4.2.3. Regionale Varianz in der Denomination

Unter regionaler Varianz in der Denomination verstehe ich im Unterschied zu den vorab behandelten Realienlexemen die Verwendung oder bewusste Bildung von regionalspezifischen - meist landesspezifischen Bezeichnungen für administrative, politische und ähnliche Strukturen oder Funktionen. Diese Bewegen sich an der Grenze zu Eigennamen und teilweise auch zu Realienlexemen, da es sich mitunter um singuläre Einrichtungen handelt, sowohl hinsichtlich der strukturellen Einbettung als auch der inhaltlichen Ausfüllung. Die Bezeichnungen können aber in Abhängigkeit vom Kontext analog zu Termini oder sogar analog zu allgemeiner Lexik eine kategorielle Bedeutung haben, wenn sie z.B. für mehrere Personen zutreffen bzw. analoge Strukturen auch anderenorts nur mit anderer Bezeichnung anzutreffen sind. So wird in Spanien terminologisch eindeutig unterschieden, ob es sich bei der Regierung um die nationale Ebene oder die Autonomen Regionen handelt:

Regierung. Gobierno - Junta (bzw. Xunta, Chunta, Generalitat)
Ministerium: Ministerio - Consejería (bzw. Consellería)
Minister: ministro - consejero (bzw.conseller)

Die die oben genannten Beispiele zeigen, wird zur Bezeichnung regionaler Spezifika mitunter auf Lexik aus dem Allgemeinwortschatz (consejero, eigentlich: Berater, Ratgeber) zurückgegriffen, die kontextabhängig um eine spezifische Bedeutungsvariante erweitert wird. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Substantive und die denotativen Bezüge im Text unterstützen die Monosemierung, z.B.

Beispiel (6) aus El País, 14/1/1999:

La Junta ve "prematura" el rechazo de Doñana a la rapertura de
Aznacóllar
... los dos consejeros con capacidad decisoria sobre la reapertura de la
mina, el de Industria y el de Medio Ambiente ...

Die Monosemierung wird auch unterstützt durch die Großschreibung von Verwaltungseinheiten (Junta) oder Ressorts (Industria, Medio Ambiente) oder entsprechende Textsynonyme (responsables del gobierno, el titular de Industria).

Bei überregionaler Berichterstattung ist ggf. eine Erläuterung bereits in der einsprachigen Kommunikation erforderlich, um sowohl die Adressenfunktion als die Assoziationsfunktion der Bezeichnung zu bedienen (Emsel 2001, im Druck) So beginnt ein Text über Mexiko in der spanischen Tageszeitung El País (25/10/1997) mit:

Beispiel (7):

"El procurador general mexicano (equivalente als ministro de Justicia), Jorge Madrazo, aseguró ayer ..."
Diese sprachlichen Erscheinungen sind über das Internet relativ gut recherchierbar. In der Übersetzung erübrigt sich im konkreten Fall die Erläuterung, wenn eine regional unspezifizierte Entsprechung (Justizminister) gewählt wird.

4.2.4. Regionale Varianz für unmarkierte Sachverhalte

Ein weitaus größeres Problem stellt regionale Varianz dar, wenn es sich - wiederum auf lexikalischer Ebene - um Einheiten handelt, die sich nicht auf Spezifika einer Kulturgemeinschaft beziehen, sondern einfach nur regionale Dubletten für die Bezeichnung allgemeiner Sachverhalte sind. Um diesen "Fallstricken" zu entgehen, sollte zumindest anhand einiger markanter Fälle auf dieses Phänomen in der Ausbildungen hingewiesen werden. Es geht dabei neben Lexik mit ausschließlich regionaler Verbreitung (überregionale Synonymie) vor allem um Lexeme mit überregionaler Verbreitung bei unterschiedlicher Bedeutung (überregionale Polysemie), z.B.

Die Wortgruppe perdió la guagua kann bedeuten:
Sie hat den Bus verpasst ODER Sie hat das Baby verloren

Die Unterscheidung dürfte allerdings in realen Kommunikationssituationen kein Problem sein. Ebenfalls durch den Kontext sollten sich auch Missverständnisse bei einer Wortgruppe wie la superación de la mujer vermeiden lassen, die (in Kuba) nicht passivisch als Überwindung der Frau zu verstehen ist, sondern aktivisch die Weiterbildung der Frauen bezeichnet.

Weniger eine Frage des Verständnisses als der Auswirkungen auf die Kommunikationssituation allgemein sind die Bedeutungsvarianten des Verbs coger, einmal eher vulgär für mit jemandem schlafen oder einfach nur umgangssprachlich für nehmen, ergreifen, benutzen, weshalb auf dieses Verb von Nicht-Muttersprachlern nach Möglichkeit verzichtet werden sollte.

4.2.5. Mündliche Kommunikation und Dolmetschsituationen

Für die Behandlung in mündlichen Translationssituationen gelten im Wesentlichen die gleichen Richtlinien wie für die schriftliche Kommunikation. Als ein erschwerendes Moment kommt hinzu, dass der Ausgangstext meist nicht in einer eindeutig nachvollziehbaren Version vorliegt, sondern dass vom Dolmetscher zusätzlich eine phonetisch-phonologische Dekodierung der individuellen Sprechweise der jeweiligen Sprecher vorgenommen werden muss. Mit anderen Worten, bei einem Dolmetscher wird vorausgesetzt, dass er nicht nur mehr als eine Arbeitssprache sondern ggf. auch deren regionale Varianten in der phonetischen Realisierung passiv beherrscht.

Regionale Varianz in der Muttersprache spielt in Kommunikationssituationen wie Verhandlungen oder Konferenzen eine Rolle, wenn sie für den Sprecher Normstatus hat. Dabei sind nach meiner Erfahrung die Abweichungen im Deutschen und Spanischen etwas weniger ausgeprägt als im Englischen oder Französischen. Die Sprecher beherrschen ihrer Sprache und sind in der Regel bestrebt, sich auf einen heterogenen Zuhörerkreis einzustellen.

Eine andere Situation stellt das Behördendolmetschen dar. Das hat seinen Grund nicht nur im Bildungsstand der ausländischen Gesprächsteilnehmer, sondern mehr noch in dem Umstand, dass für viele von ihnen die jeweilige Fremdsprache (insbesondere Französisch und Englisch) lediglich Verkehrssprache oder in einer sehr spezifischen Ausprägung Muttersprache ist (vgl. auch Torres Díaz 202 zur Basissprache Spanisch). Der Bildungsstand ist meist sehr viel niedriger, die Sprecher verfügen dann nicht über einen zusätzlichen neutralisierten Code, in den sie beim Kontakt mit Sprechern anderer Regionen oder Sprachen wechseln könnten. Ihre Sprache ist überdies unkontrollierter Interferenz durch die jeweilige Landessprache (z.B. Deutsch) ausgesetzt. Dabei können okkasionelle Lehnwörter durchaus in der Dolmetschsituation beibehalten werden, während die syntaktische Struktur der gedolmetschten Aussagen jeweils korrekt sein sollte.

Beispiel (8): B- Behördenangestellter, A- Ausländer, D - Dolmetscher

A: I go with her together to the Bahnhof.
D: Ich bin zusammen mit ihr zum Bahnhof gegangen.
B: Sie haben mir doch vorhin gesagt, dass sie sie am Bahnhof getroffen haben.
D: But before you told me that you met her at the Bahnhof.

Die Produktion des Zieltextes kann und muss allerdings in allen Fällen in einer nichtmarkierten Variante vorgenommen werden, da wiederum gilt, dass der Ausgangstext als korrekter Text anzusehen ist, während die regionale Markierung des Zieltextes oder sogar eine "Reproduktion" von sprachlichen Defiziten in dem Fall mit Dolmetscher identifiziert würde, nicht aber mit dem Sprecher des Ausgangstextes.

4.2.6. Sonderfall: Verschriftete regionale Varianz als Kunstform

Für den Umgang mit regionaler Varianz Phänomen beim Dolmetschen oder Übersetzen relevant ist die Unterscheidung zwischen realen Kommunikationssituationen und der künstlerischen Umsetzung von sprachlicher Varianz, insbesondere wenn diese, wie in den unter 3.1 beschriebenen Fällen, als Kontrast zu einer konventionalisierten Norm eingesetzt wird.

Darüber hinaus spielt die Verschriftung von regionaler Varianz immer häufiger eine Rolle bei der Ausprägung und Förderung einer regionalen Identität. Im Normalfall sind diese Mundartexte ausschließlich für einen mit der Sprachvariante mehr oder weniger vertrauten Empfängerkreis bestimmt und in ihrer konzentrierten Markiertheit nicht für die weitere Verbreitung oder gar Bearbeitung vorgesehen, z. B. die regelmäßig in der halleschen Lokalpresse erscheinenden Artikel zu lokaler Thematik

Beispiel (9): De scheensde Egge von janz Halle

...'s jing dadrum, in welcher Jechend von Halle läßt sich's am scheensdn lähm. De eene meende, Amm'dorf wäre 's scheensde Eggchen, wasde denn nuh ooch jlei 'n läbhfdestn Brodest dr beedn annern ausleesde. De annere wollde nuh nichts uff Wärmlitz gomm' lassn, weil des je derekt an dr Saale gelächn is, 'ne ahle ehrwärdche Gärche hat unn "viel Jrien mang de Heiser".... (Mitteldeutsche Zeitung, Halle, 20. 8.2003)

Unter didaktischem Aspekt können diese Texte jedoch eingesetzt werden, um bei angehenden Sprachmittlern am konkreten Beispiel die Sensibilität für sprachliche Variation und Code-Wechsel auf der Grundlage der Muttersprache zu entwickeln - hier durch die Übersetzung in eine normsprachliche Variante:

Beispiel (9): Die schönste Ecke von ganz Halle

... Es ging darum, in welcher Gegend von Halle es sich am schönsten leben lässt. Die eine Frau meinte, dass Ammendorf das schönste Eckchen wäre, was dann auch gleich den lebhaftesten Protest der beiden anderen auslöste. Die zweite wollte nun nichts auf Wörmlitz kommen lassen, weil dieses Viertel direkt an der Saale liegt, es dort eine altehrwürdige Kirche gibt und "viel Grün zwischen den Häusern". ...

In den Medien wird eine graduelle Bearbeitung von ursprünglich mundartlichen Texten praktiziert, wenn die Verbreitung überregional erfolgen soll. So unterscheidet sich zum Beispiel, wie mir eine Bekannte mitteilte, eine Aufführung des Ohnesorg-Theaters in Hamburg in Originalversion wesentlich von der sprachlichen Umsetzung der Aufführung für eine Fernsehaufzeichnung. Letztere wäre fast nur durch die Phonetik regional markiert, während die Lexik weitgehend auf die Normsprache umgestellt ist.

Bei den Mundarttexten muss es sich aber nicht nur um Originaltexte handeln. Viele Publikationen beziehen ihre anhaltende Wirkung gerade aus dem Bezug auf klassische Vorlagen, wie die "Säk'schen Balladen" oder die "Säk'schen Glassigger" in der Bearbeitung von Lene Voigt, bei denen es sich allerdings um mitunter sehr freie, fast interpretierende Nachdichtungen handelt.

Ist der Ausgangstext nicht nun in einem konkreten historischen-geographischen Kontext angesiedelt sondern auch noch mit nonverbalen Mitteln verbunden, wie im Fall der Asterix-Comics, dürfte es für die eine Übersetzung theoretisch kaum Spielraum für die regional-kulturellen Bezüge geben, zumal in belletristischen Übersetzungen die Tendenz dahin geht, die Spezifik der Ausgangskultur zu wahren bzw. zu vermitteln. Bei den Asterix-Comics hat der historische Hintergrund durch den Fortsetzungscharakter eine eher abstrakte politische Bedeutung und zuweilen mehr dekorative Funktion bekommen und tritt hinter die eigentliche Handlung, in der allgemein-menschliche Konfliktsituationen beschrieben werden, zurück. Das damit verbundene sprachliche Potential wurde und wird in den Übersetzungen in sehr unterschiedlicher Weise instrumentalisiert.

So zeichnen sich die ersten Übersetzungen ins Deutsche in den 60er Jahren durch eine vollständige geopolitische Verlagerung und wesentlich verstärkte "aktualisierende" Interpretation die Handlung aus, bei der der Bezug zu einem französischen Original weitgehend unterschlagen wird (Kaindl 2000). Die Neuübersetzungen in den 70er Jahren behalten den originalen geopolitschen Bezug, einschließlich der meisten Namen bei. Die Regionalität findet ihren Ausdruck inzwischen in der Herausgabe einzelner Bände in regionalen Varianten: Bayrisch, Kölsch, Pfälzisch, Saarländisch, Sächsisch, Schwäbisch, Schwyzerdeutsch, Weanerisch oder auch Platt, wie dem Internet- Angebot zu entnehmen ist.

Eine implizit weiter reichende Zielstellung war und ist mit der Übersetzung der selben Reihe zum einen im ehemaligen Jugoslawien und zum anderen mit der kroatischen und der serbischen Neuübersetzung nach dem Zerfall des Landes verbunden, wie Kadric in ihrer vergleichenden Analyse darlegt (Kadrid 2000).

Für die Sprachmittlung, insbesondere die Übersetzung, ergibt sich daraus der Sonderfall, dass die regionale Varianz weniger im Ausgangstext als vielmehr bei der Erstellung des Zieltextes zu beachten ist.

Für die Darstellung der Erscheinungsformen der regionalen Varianz wurde in den meisten Fällen auf literarische Texte im weiteren Sinn zurückgegriffen, die diese Besonderheiten in komprimierter Form, einschließlich der relevanten Kommunikationssituation enthalten. Sie können so neben ihrer eigentlichen künstlerischen Funktion auch als didaktisches Material in der Ausbildung vom Übersetzern und Dolmetschern - die überwiegend keine literarischen Texte zu übersetzen haben - eingesetzt werden, um sie für die entsprechenden Probleme zu sensibilisieren und um mit ihnen vorliegende Lösungsmöglichkeiten zu analysieren bzw. situations- und textadäquate Lösungsstrategien zu erarbeiten.

© Martina Emsel (Universität Leipzig, Deutschland)


BIBLIOGRAPHIE

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6.1. Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen | Standard Variations and Conceptions of Language in Various Language Cultures

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For quotation purposes:
Martina Emsel (Universität Leipzig, Deutschland): Regionale und soziale Varianz im Translationsprozess - Funktionen und Lösungstrategien (am Beispiel des Sprachenpaares Spanisch/Deutsch). In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/06_1/emsel15.htm

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