Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Mai 2006 | |
7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz |
Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) [BIO] / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin) [BIO]
Das Thema "Innovation" besetzt mit einer beeindruckenden Vehemenz öffentliche, politische und wissenschaftliche Diskursarenen. Aber die Begeisterung für Innovation kann einige mittlerweile etablierte Verkürzungen nicht verdecken. Ins Auge fallen semantische und strukturelle Asymmetrien.
Der erste Vortrag "Denkweisen von Innovationen" von Kendra Briken (Universität Frankfurt/M.) nahm sich auf der Basis diskursanalytischer Überlegungen dem Problem einer auf zwei Ebenen laufenden wissensbasierten Organisation von Innovation an. Festgehalten wurde, dass Innovation Produkt ihrer Gesellschaft ist, d.h. sie selbst zieht kulturelle, soziale, strukturelle Veränderungen nach sich. Im zweiten Beitrag von Astrid Ziegler (WSI; Böckler-Stiftung) wird die national und regional für unabdingbar gesetzte Strukturpolitik thematisiert, die aktuell als Innovationspolitik verstanden wird. Schnell wurde deutlich, dass noch immer die Frage unbeantwortet ist, wie Innovationsförderung überhaupt funktioniert und wie man diese Anstrengungen aus beschäftigungspolitischer Hinsicht bewerten kann.
Der Beitrag von Ralf Wetzel & Tino Vordank zeigte semantische Implikationen auf, die sowohl den Nachhaltigkeitsdiskurs als auch den Innovationsdiskurs charakterisieren. Die gesellschaftliche Voreinstellung ist deutlich in Richtung "Pro Innovation" gerichtet. Eine Nebenfolgendiskussion findet nicht statt. Auch der Ungleichheitsaspekt wird nicht bedacht. Auch im Vortrag von Jana Rückert-John ging es um Nachhaltigkeit, und zwar um Nachhaltigkeit der Ernährung als Innovation. Ausgangspunkt ist hier die Überlegung, dass Innovationen hinsichtlich ihrer Qualität überschätzt werden, weil immer Basisinnovationen gemeint sind. Sie werden aber in ihrer Quantität unterschätzt. Deutlich wurde, dass Innovationen als temporäre Unterscheidungen von Strukturänderungen zu konzipieren sind. Sie kommen folglich in allen sozialen Systemen vor, nicht nur in der Wirtschaft.
In allen Beiträgen wurden der dominierende Technikbezug und der dabei zum Tragen kommende moralrelevante Status der Innovationssemantik herausgearbeitet. Der sich hier aufspannende Widerspruch von ökonomisch/wissenschaftlich rationaler und einer wertbezogenen Kommunikation deutet auf ein spannendes Feld kommender sozialwissenschaftlicher Reflexionen. Damit ließe sich auch ein Ausblick für die Relevanz der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie erkennen. Die Diskussion um den gesellschaftlichen Stellenwert dieser Wissenschaft, kann sie nur für sich positiv beantworten, indem sie Wege in die außerwissenschaftlichen Debatten findet. Das kann auch dadurch erreicht werden, wenn die gesellschaftlich relevanten Begriffe, die ja zum großen Teil der Soziologie enteignet wurden, von dieser wieder mit einer höheren Komplexität ausgestattet werden, wovon die Debatten insofern profitieren, als sie entgegen moralischer Schließungen für weitere Anschlüsse geöffnet werden, die eben auch die Temporalität scheinbar unverzichtbarer Begriffe wie Innovation aufzeigen. Nebenbei ließe sich dann auch die Bedeutung der Soziologie als Selbst-Reflexion der Gesellschaft unter Beweis stellen.
© Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin)
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