Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

7.5. Frauen und Universitäten
Herausgeberinnen | Editors | Éditeurs: Mzia Galdavadze (Universität Tbilissi) / Sabine Prokop (Wien) (http://www.vfw.or.at)

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Frauen im Bildungsbereich des heutigen Georgiens

Mzia Galdavadze (Staatliche Ilia-tschawtschawadze-Universität für Sprache und Kultur Tbilisi, Georgien)
[BIO]

 

Der Bildungsbereich ist in Georgien einer der wenigen Lebensbereiche, wo der Frauenanteil ziemlich hoch zu sein scheint. Die statistischen Angaben der in letzten Jahren durchgeführten soziologischen Forschungen sind auf den ersten Blick ziemlich beeindruckend: ca. 98 % der im Grundschulbereich beschäftigten Lehrkräfte sind Frauen, im Mittelschulbereich sind das ca. 65%, in den Fachhochschulen und Universitäten - ca. 45 %. Wenn man sich einerseits daran erinnert, dass Gehälter in diesem Bereich, besonders in den Grund- und Mittelschulen am niedrigsten sind, versteht man sofort, warum Männer an diesem Job nicht interessiert sind. Andererseits spielt hier die Traditionsgebundenheit und im Allgemeinen die Mentalität des georgischen Volkes eine besondere Rolle. Im Laufe der ganzen Geschichte Georgiens, auf allen Etappen der Entwicklung der georgischen Gesellschaft wurde der Frau, genauer gesagt, der Mutter eine ganz besondere, konkrete Funktion zugemessen, die Funktion einer Erzieherin, einer Wissensvermittlerin. Es war in Georgien immer eine starke Tradition, dass die Frau in der Familie bleiben, sich mit der Erziehung und Ausbildung eigener Kinder beschäftigen und dem Mann den Vorrang einräumen sollte. Diese Aufgabe wurde immer als eine natürliche Rolle der Frau, als ihre angeborene Verpflichtung der Familie bzw. der Gesellschaft gegenüber empfunden.

Dieses Stereotyp ist heute noch so stark, dass es auch die Frau selbst für ihre Pflicht hält, sich vor allem um die Erziehung eigener Kinder zu kümmern und sich erst dann um den beruflichen Fortschritt zu bemühen. Die Statistik zeigt, dass die meisten Frauen in Georgien auf einer bestimmten Etappe ihres wissenschaftlichen Werdegangs auf ihre Karriere verzichten und letztlich doch der Familie den Vorzug geben. Es ist selbstverständlich nicht leicht, mit einer jahrhundertlangen, im Bewusstsein des Volkes tief verwurzelten Tradition zu brechen. Sogar in unserer zivilisierten und emanzipierten Gesellschaft gelingt das nur wenigen. Eine überwiegende Mehrheit der jungen Frauen, die ihr Hochschulstudium mit "Gut" oder "Sehr gut" abgeschlossen haben und allen Grund haben, sich um eine höhere Qualifikationsstufe zu bemühen bzw. einen Baustein zur eigenen wissenschaftlichen Laufbahn zu legen, verzichtet selber darauf: "Wozu denn, ich heirate ja doch!" Dass die Frauenkarrieren an den Hochschulen wegen Heirat bzw. Familiengründung gebremst werden und dass die meisten georgischen Professorinnen keine Familie und keine Kinder haben, ist kein Geheimnis. Auch wenn man deren wissenschaftliche Laufbahn genauer betrachtet, sieht man ganz deutlich, dass sie im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen später promoviert, habilitiert und entsprechend auch viel später ihren ersten Ruf erhalten haben. Es stellt sich die Frage: Woran liegt das? Sind die georgischen Wissenschaftlerinnen schlechter als ihre männlichen Kollegen? Ist ihre Zielstrebigkeit schwächer? Oder werden die Frauen weniger unterstützt und gefördert, einerseits von ihren Professoren und andererseits von ihren eigenen Familien? Diese Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten und bedürfen einer gründlichen Erforschung und Analyse. Eines ist aber klar: obwohl ca. 50 Prozent der Hochschulangehörigen der georgischen Universitäten weiblich sind, sinkt der Frauenanteil bei jeder höheren Qualifikationsstufe dramatisch, je höher der wissenschaftliche Status, desto weniger der Anteil von Frauen.

Wenn man die heutige Situation im Wissenschaftsbetrieb mit der in der georgischen Familie vergleicht, bekommt man fast das gleiche Bild: Die meiste Arbeit in der Familie übernimmt in Georgien die Frau, das entscheidende Wort gehört aber dem Mann. Die Frau in Georgien sollte sich damit immer abfinden. In dieser Hinsicht hat sich bis heute praktisch nichts geändert. Dieses Phänomen spiegelt sich nicht nur im Bildungs-, sondern in allen anderen Lebensbereichen des heutigen Georgiens wider. Die meiste Last wird von Frauen getragen, Entscheidungen werden von Männern getroffen. Das kann man auch am Beispiel des heutigen Bildungssystems sehr deutlich sehen: ca. 98 % der in den untersten Strukturen Beschäftigten sind Frauen, in den obersten Verwaltungsstrukturen ist gerade das Gegenteil der Fall: der Bildungsminister, sowie vier von seinen 5 Stellvertretern sind Männer. An dieser Stelle sollte noch, wie oben schon erwähnt, darauf hingewiesen werden, dass die überwiegende Mehrheit von o.g. ca. 45 % der im Hochschulbereich beschäftigten Frauen weder promoviert noch habilitiert haben, sondern einfach als Hochschullehrerinnen an den Universitäten unterrichten. Auch dieses Bild zeigt deutlich, dass viele Frauen in Georgien, die sich nach ihrem Studienabschluss für wissenschaftliche Arbeit entschieden haben, auf einer bestimmten Etappe der Karriere auf ihr Ziel verzichten und sich statt Wissenschaft ihren eigenen Familien widmen müssen. Traditionsgebundenheit ist hier natürlich einer der entscheidendsten Faktoren. Diesen "emotionalen Kult der Tradition" dürfte man aber keinesfalls als "eine Form der geistigen Faulheit" verstehen. Auf dem Wege zur Erreichung eines wissenschaftlichen Titels erwarten Frauen im Vergleich zu Männern viel mehr Hindernisse und Barrieren, die sie ausgehend von verschiedenen Faktoren nur in seltenen Fällen überwinden vermögen. Es ist schwer, genaue Daten anzuführen, es kann aber mit Sicherheit gesagt werden, dass die Mehrheit der georgischen Wissenschaftlerinnen die Frauen sind, die sich zwischen Familie und Karriere für letztere entschieden haben.

Dass der Lehrerberuf in Georgien als typischer Frauenberuf gilt und für eine natürliche Aufgabe der Frau, nicht aber für ihre soziale Rolle gehalten wird, hat seine Gründe. Das historische Schicksal des georgischen Volkes, dessen ganze Geschichte als ein langer Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit bezeichnet werden kann, hat die georgische Frau für die geistige Erziehung bzw. Ausbildung der jüngeren Generationen verantwortlich gemacht. Diese besondere Mission der Frau wurde und wird in Georgien weit und breit anerkannt und hochgeschätzt. An dieser Stelle könnte man zahlreiche Beispiele anführen. Historische Quellen beweisen, dass schon im frühen Mittelalter viele Frauen in Georgien schriftkundig waren. Sie wirkten vor allem in verschiedenen Frauenklöstern sowohl in Georgien als auch im Ausland. Im 14. und 15.Jahrhundert wunderte sich niemand mehr darüber, dass es in Georgien Frauen gab, die gut lesen und schreiben und viele literarischen Texte auswendig konnten. Es ist sehr interessant, dass es unter alten Handschriften aus dieser Zeit sogen. Mitgiftlisten gibt, auf denen viele Büchertitel der damaligen Zeit stehen.

Im 19. Jh. wurden Frauen in Georgien besonders aktiv. Die erste georgische Frauenorganisation ist Ende des 19. Jh.s gegründet worden. Sie hieß "Georgische Frauengesellschaft". Dominika Eristavi, Begründerin dieser Organisation schrieb damals: "Die größte schöpferische Energie entsteht dort, wo die Frau keine Sklavin sondern ein freier Mensch ist". Die Mitglieder dieser Organisation gründeten Schulen sowohl in den Städten als auch in den Dörfern Georgiens. Es ist bemerkenswert, dass die Priorität der ersten georgischen Frauenorganisation gerade mit Bildung und Erziehung zusammenhing. In dieser Organisation bildete sich eine Übersetzerinnengruppe, die sich die Übersetzung der besten Werke der europäischen Literatur ins Georgische zum Ziel setzte. Im Jahre 1874 ist der erste Sammelband herausgegeben worden. Diese Frauen sorgten außerdem dafür, dass auch die Werke georgischer Autoren in andere Sprachen und vor allem ins Russische übersetzt werden könnten. Dass in den 1890er Jahren die Zeitschrift "Georgische Bibliothek" erschien, ist auch dieser Frauenorganisation zu verdanken.

1906 gründete Sophie Amiredshibi den "Verband der georgischen Lehrerinnen und Erzieherinnen". Über die besonders positive Rolle dieser Frauenorganisation und ihren Beitrag zur Entwicklung des Bildungsprozesses der georgischen Gesellschaft könnte man lange sprechen. Anhand der angeführten Beispiele wird nur gezeigt, dass die georgischen Frauen immer wieder versuchten, nicht nur in der Familie, sondern auch im öffentlichen Leben eine wichtige Rolle zu spielen, d.h., sich von Fesseln alter Traditionen zu befreien. Diese Versuche waren natürlich nicht immer erfolgreich, aber dennoch von besonders großer Wichtigkeit.

Dass viele Frauen (auch im Bildungsbereich) nicht berufsadäquat beschäftigt sind und meistens in beruflichen Positionen arbeiten müssen, die ihrem Ausbildungsniveau gar nicht entsprechen, ist ein anderes, aber nicht weniger seriöses Problem.

Zeichen der Frauendiskriminierung sind in allen Lebensbereichen und Gesellschaftsschichten des heutigen Georgiens - besonders nach dem Zerfall der Sowjetunion - zu merken. Abgesehen davon spricht man nicht gern darüber. Das betrifft sowohl die Männer als auch die Frauen. Das passt in das historisch geprägte Bild irgendwie nicht hinein. Man könnte sogar sagen, dass dieses Thema bis heute zum Teil tabuiert bleibt. Andererseits sieht man aber, dass die Zahl der in Georgien wirkenden, nichtstaatlichen Frauenorganisationen Jahr für Jahr wächst. Heute gibt es in ganz Georgien über 100 Frauenorganisationen, die sich mit Frauenproblematik, insbesondere mit der Frage der Frauendiskriminierung beschäftigen. Diese Verbände werden von internationalen Frauenorganisationen unterstützt und größtenteils auch finanziell gefördert. Das Tätigkeitsfeld einzelner Frauenorganisationen beschränkt sich meistens auf einen bestimmten Personenreis oder auf eine konkrete Region. Die von diesen Organisationen entwickelten Projekte finden zwar keine besonders große Resonanz, aber die Wichtigkeit ihrer Tätigkeit dürfte keinesfalls untergeschätzt werden. Eines der besonderen Anliegen dieser Organisationen ist die Förderung des georgischen wissenschaftlichen weiblichen Nachwuchses.

Es wurde angefangen, über Fragen der Frauenproblematik bzw. -diskriminierung offen zu sprechen. Ein wichtiger Prozess hat begonnen, der in seiner Entwicklung nicht mehr zu hemmen zu sein scheint.

© Mzia Galdavadze (Staatliche Ilia-tschawtschawadze-Universität für Sprache und Kultur Tbilisi, Georgien)


VERWENDETE LITERATUR

Antelawa, Liana: Kultur und Gender, (georg.), in: Genderproblematik in Georgien, Sammelband, Tbilissi, 2002.

Gaprindaschwili, Lela: Georgische Frauen im öffentlichen Leben: Veragangenheit, Gegenwart, Zukunftsperspektiven, (georg.), in: Genderproblematik in Georgien, Sammelband, Tbilissi, 2002.

Matschabeli, Kita: Die historische Rolle der georgischen Frau, (georg.), in: Genderproblematik in Georgien, Sammelband, Tbilissi, 2002.

Surmanidze, Lali: Einige Aspekte der Frauenproblematik, (georg.), in: Genderproblematik in Georgien, Sammelband, Tbilissi, 2002.

Nadaraia, Lika,; Maisuradze, Giorgi: Das Genderproblem im Bildungsbereich Geirgiens, (georg.), in: Genderproblematik in Georgien, Sammelband, Tbilissi, 2002.

Studienmaterialien der "Assoziation der Genderentwicklung", (georg.), Heft Nr. 8, Tbilissi, 2001


7.5. Frauen und Universitäten

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For quotation purposes:
Mzia Galdavadze (Universität Tbilissi): Frauen im Bildungsbereich des heutigen Georgiens. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/07_5/galdavadze16.htm

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