Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Februar 2006 | |
9.3. "Eins Bleibt Eins?" - Der Einfluss der audiovisuellen Medien auf das kollektive Gedächtnis und die Reproduktion kultureller Erfahrungen | "One remains one?" - The Impact of Audio-visual Media on Collective Memory and on the Reproduction of Cultural Experiences |
Marie Elisabeth Müller (Nairobi)
[BIO]
Die Erfindung des (analogen) Films am Ende des 19. Jahrhunderts und die Weiterentwicklung des digitalen Videos und Fernsehens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörpern eine sukzessive Revolution der reproduktiven Techniken und Mittel, die insbesondere in den Medien benutzt werden. Die Entwicklung der globalen kommerziellen Mediennetzwerke seit den 1980er Jahren, die häufig eine Sammlung der immer selben Bilder und Berichte weltweit verbreiten, markiert eine rasante Revolution der Bilder, Zeichen und Bedeutungen im kollektiven Gedächtnis über kulturelle und politische Grenzen hinweg. Heute - am Beginn des 21. Jahrhunderts - schauen Menschen weltweit Nachrichten und Geschichten mit Hilfe von Fernsehen, Video und DVD an. Oftmals werden Erfahrungen nicht mehr (zuerst) in der Realität gemacht, sondern gleich als virtuelle, in der Realität der Bildschirme. Dabei wird die überwiegende Zahl der Bilder und Geschichten, die weltweit verbreitet werden, in westlichen Mediennetzwerken produziert und international verbreitet. Diese Art der virtuellen Erfahrungen sind also westlichen Ursprungs und sie werden weltweit in Wohnzimmern empfangen, egal an welchem geo-politischen Ort und gleichgültig, welchem Kulturkreis ihre Bewohner und Rezipienten angehören.
In der Sektion 9.3 wurde der Einfluß der audio-visuellen Medien auf das kollektive Gedächtnis (die Erinnerungsarchive der Menschen)und auf die Reproduktion kultureller Erfahrungen im Rahmen von Arbeiten über Literatur, Film und bildende Kunst diskutiert.
Marie Elisabeth Müller (Kenia, University of Nairobi) präsentierte ein Referat zum Thema: "Erinnerung und Performanz - das ewige Spiel und seine Fortsetzung in audio-visuellen Medien. Eine interkulturelle Verstehensstrategie". Der Beitrag betrachtet die Darstellung von Fremden, von fremden Kulturen und der "Figur des Dritten" im analogen und Film und im digitalen Video. Es wird die Frage bearbeitet, welche Strategien in Bezug auf "Fremdes" analoge und digitale Medien offerieren und auf welche Art Filmemacher und Videokünstler darauf zurückgreifen. Diese Strategien lassen sich auch mit Modellen zum Umgang mit Fremden aus Architektur und Anthropologie vergleichen (s. Zygmunt Bauman und Claude Lévi Strauss).
Aoussine Seddiki (Algerien, Université d’Oran) präsentierte ein Referat mit dem Titel "Sprachpluralistische Medienstrategien: Möglichkeiten für multilinguale Gesellschaften und ihre Informationskultur". Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Umgang mit Mehrsprachigkeit in den Zeitungen in Algerien, einem traditionell mehrsprachigen und jahrhundertelang immer wieder dem Spracheneinfluß durch Kolonialherrschaft ausgesetzten Land. Es wird diskutiert, wie ethnische Minderheiten in den Medien vertreten sind und nach welchen Kriterien die Journalisten von Zeitungen, die in zwei oder mehr Sprachen erscheinen, ihre Artikel für welchen Sprachteil jeweils aussuchen.
Helga Schröder (Kenia, University of Nairobi) behandelte das Thema "Integration und Desintegration von Globaler Information. Eine interkulturelle Betrachtung". Der Beitrag bezieht sich wesentlich auf die "Relevanztheorie" und diskutiert universale Konzepte in Bezug auf kulturelle Normen. Es wird diskutiert, wie sich Zeitsysteme in afrikanischen Kulturen und in westlichen Kulturen entwickelt haben, und wie "cultural clashs" wirken.
Thomas Wägenbaur (Deutschland, International University Bruchsal) präsentierte zum Thema "Hyper-Hitler: Hitlerfilme der letzten Jahre". Der Beitrag diskutiert anhand ausgewählter aktueller Hitlerfilme der letzten Jahre, daß es nicht um eine Auseinandersetzung mit der historischen Figur, sondern mit seiner medialen Rezeption geht. Hitler ist zu einem medialen Konstrukt geworden, an dem keine Ideologiekritik geübt wird. Es wird diskutiert, dass das kollektive Gedächtnis dekonstruierbar und die Reproduktion kultureller Erfahrungen zu unterbrechen ist.
Alexandra Tacke (Deutschland, Humboldt Universität zu Berlin) machte eine Präsentation zum Thema: "Eine Bibliothek aus Asche: Rebecca Horns Konzert für Buchenwald". Der Beitrag diskutiert die dezentrale Installation der Künstlerin Rebecca Horn, die diese 1999 an zwei Orten in Buchenwald errichtet hat. Die Arbeit wird als Gegenmonument analysiert, die die "Leerstelle Weimar/Buchenwald" rahmt. Die Arbeit mit Asche wird als eine Form des "anderen Gedächtnisses" diskutiert, es ist radikal, abwesend, unzerstörbar und permanent.
Silke Roesler (Deutschland, Universität Regensburg) machte eine Präsentation zum Thema: "Representing the city - Mediale Stadtansichten". Der Beitrag arbeitet vor allem mit der Theorie "Die Kunst des Handelns" von Michel de Certeau, die auf verschiedene Stadtfilme angewandt wird. Die bipolare Gegenüberstellung von vertikaler und horizontaler Perspektive wird im Hinblick auf die Zuschauersicht und die Sicht der Protagonisten untersucht. Die Stadt entfernt sich entweder und wird monolithisch oder sie löst sich in Nähe auf und wird chaotisch. Beide Verfahren werden mit ihren Bezügen auf das kulturelle Gedächtnis diskutiert.
© Marie Elisabeth Müller (Nairobi)
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