Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Januar 2010 |
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Sektion 1.9. | Lachen und Ernst Sektionsleiter | Section Chair: Han-Soon Yim (Seoul National University) |
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Helene von Druskowitz:
Engagierte Intellektuelle und Satirikerin
gegen die Misogynie der Wiener Jahrhundertwende
Ester Saletta (Bergamo, Italien) [BIO]
Email: ester.saletta@tin.it
Donne care! Qui fra noi (aus Gaetano Donizettis Don Gregorio. Akt II, Sz.IX)(1) |
I. Weibliche Satire: Geschichte eines unholden Lachens
II. Helene von Druskowitz: Feministin „Wahnsinns“-Frau.
III. Zwei Beispiele aus Helene von Druskowitz’ satirischer Produktion:
Die Emancipations-Schwärmerin (Aspasia) und Pessimistische Kardinalsätze. Ein Vademecum für die freiesten Geister
Bibliographie
I. Weibliche Satire: Geschichte eines unholden Lachens
Es ist allgemein bekannt, daß die Geschichte der Satire nicht um die Jahrhundertwende und auch nicht in Wien ihren Anfang nahm. Die Habsburger Metropole nimmt aber nichtsdestoweniger, damals wie heute, eine ganz besondere Stellung im satirischen Diskurs ein. Es ist nicht zu übersehen, wie die Donaustadt, für die auch heute noch Satire, Ironie und beißender Witz bezeichnend sind, im Alltag mit dem intellektuellen Humor des „Wiener Schmäh“ korrespondiert, von dem noch nicht ganz bekannt ist, ob seine philosophisch-semantische Struktur tatsächlich etwas anderes ist als die in aller Welt vorhandene Bauernschläue. Das landläufige Rühmen des „Wiener Schmähs“ gehört jedenfalls auch zu jenen Wiener Selbstnobilitierungen, die aus lange tradierten Mittelmäßigkeiten eine besondere Auszeichnung machen. Von Ferdinand Raimunds und Johann Nestroys dramatischen Possen bis hin zu den scharfen politischen Sticheleien von Karl Kraus und Elfriede Jelinek ist die Geschichte und die Tradition des Wiener Witzes lang und ununterbrochen.
Georges Minois’ Studie Histoire du rire et de la dérision (2000) hat die klassische Herkunft der Satire dahingehend belegt, daß die Wiener Jahrhundertwende und die Stadt Wien selbst keine zeitlichen und räumlichen Koordinaten zur Geburt der Satire aufweisen. Das stimmt natürlich nicht, wenn man bedenkt, daß Wien eine entscheidende Rolle im Rahmen der literarischen Entwicklung dieser Gattung gespielt hat. Wien war Katalysator von inneren und äußeren Stimmungsdiskrepanzen im sozialen und historischen Umfeld.
Die satirische Kunstproduktion wurde schon vom italienischen Schriftsteller Luigi Pirandello in seinem Essay L’Umorismo (1908) als das ästhetische Resultat eines nicht zu unterdrückenden latenten kritischen Gefühls des Künstlers bezeichnet, der sich in einem Zwiespalt zwischen dem blinden Vertrauen in seine abstrakten Ideale und deren unmöglichen Konkretisierung in der Realität befindet.
Die ungelöste bzw. unüberwundene Gegenüberstellung zwischen Innerem und Äußerem sowie zwischen Traum und Wirklichkeit bildet den Hintergrund des Bedürfnisses eines jeden männlichen oder weiblichen Satirikers, die Realität zu sondieren und sie in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen. Gerade dies sind die typischen Elemente der Satire, die zu keiner Zeit und an keinem Ort in Frage gestellt werden können. So lässt sich auch nicht bestreiten, dass oft die allgemeine Tendenz bestand, den Dialog über die Satire(2) mit dem Vorurteil zu verbinden, es handle sich um etwas Unweibliches und Unseriöses.
Auf diese Weise wurde in der männlichen satirischen Tradition die Frau fast immer nur in der Rolle der Topfgucker-Schwiegermutter, der naseweisen Gelehrten, der frechen Klatschbase oder der Betschwester in der Kirche und im Haushalt gesehen. Deswegen hat die Geschichte der männlichen Satire die Frau nie als Subjekt, sondern immer nur als Objekt des Spottes, des Hohngelächters und der Zoten betrachtet.
In diesem Sinne nutzen männliche Autoren die Satire als scharfe Waffe aus, um die Überlegenheit des Mannes gegenüber dem weiblichen Geschlecht zu unterstreichen. Paradigmatisch sind hier Texte aus der lateinischen Literatur des 2. Jahrhunderts v. Chr. wie z. B. die von Juvenal. Besonders deutlich zeigt Juvenal diese Tendenz in der sechsten Satire: Er übt scharfe und unverblümte Kritik an der Institution der Ehe(3), an den emanzipierten Frauen-Soldaten, dem Symbol der Korruption traditioneller Werte(4), und an den weiblichen Gelehrten(5), die den Mann intellektuell und rhetorisch übertrumpfen wollen, ohne ein Blatt vor der Mund zu nehmen. Juvenals exemplarische satirische Produktion bestätigt, wie beliebt damals das Motiv der Misogynie war und wie sehr die Frau in einer stark klischeehaften männlichen Darstellung gesellschaftlich dem Mann untergeordnet war. Die Unterordnung der Frau dem Mann gegenüber liegt in der Tatsache, daß man die Frau entweder als ein minderwertiges oder zu emanzipiertes Wesen betrachtete. Juvenals satirische Botschaft, die Satire sei eine männliche Domäne und die Frau könne keine agierende Satirikerin im literarischen Panorama sein, bleibt auch um die Jahrhundertwende herum unverändert, weil die Satire den Menschen zum Lachen bringt(6), und „die Körperaktion des Lachens als solche der ins Korsett geschnürten bürgerlichen Dame unmöglich war“(7).
Dieses Zitat von Brigitte Spreitzer macht deutlich, daß es der Frau praktisch verboten war zu lachen. Der weibliche Humor war so offensichtlich zensiert, daß die satirischen Schriftstellerinnen wie z.B. die Wienerin Helene von Druskowitz gezwungen waren, ihre Satiren unter männlichem Pseudonym zu schreiben.(8) Die Folge war eine radikale Beschränkung der witzigen weiblichen Kreativität im Namen des misogynischen Systems der Jahrhundertwende, das eine Konsolidierung des traditionellen weiblichen Ideals, d.h. der folgsamen und untergeordneten guten Mutter und Ehefrau einerseits und andererseits aber auch nach einer Verstärkung der männlichen Ohnmacht anstrebte.
Die Männergesellschaft der Jahrhundertwende ist gegenüber einer von Frauen geschriebenen Satire aber auch deswegen skeptisch und feindselig eingestellt, weil der jahrhundertlangen Tradition des satirischen Humors nicht immer eine positive Bedeutung zugeschrieben wurde. Die meisten waren davon überzeugt, daß das Schreiben einer Satire unsittlich sei und deswegen keine Frauensache sein konnte. Dieser Volksglaube geht auf die griechische Mythologie und später auch auf die mittelalterliche Kultur zurück, die beide lehren, daß Lachen häufig mit Vulgarität und Wahnsinn verknüpft sind.
In diesem Zusammenhang sind die griechischen Dionysosfestspiele, die Bacchanalen und Saturnalien der alten römischen Zeit zu erwähnen, in denen sich Trivialität mit Bestialität der satirischen Darstellung mischte. Dazu gehört auch der christliche Volksglaube des Spätmittelalters, der das Lachen mit dem Dämonischen und dem Wahnsinnigen assoziiert. Trotz der vermutlichen negativen Natur der oben genannten satirischen Offenbarungen sind diese lustigen mythischen Lebensdarstellungen sowohl auf einem irdischen als auch auf einem überirdischen Niveau Grund eines „destruktiven/konstruktiven“ Chaos, dessen Ziel einerseits die Verstärkung und andererseits die Destabilisierung der Natur-Mensch-Ordnung ist.
Gruppen von betrunkenen Satyrn, die ihre tierhafte Natur auf der Straße durch einen Phallus und einen Pferdeschwanz zeigen, wechseln sich mit tanzenden und singenden Menschen ab. Sie sind Protagonisten eines orgiastischen Geschlechtsrollenaustauschs und verkörpern rätselhafte Gestalten, die auf die Passanten belästigend und obszön wirken können. Der trivialen Verkörperung der spielerischen volkstümlichen Vergnügung im Sinne des römischen Begriffs ludus steht die gebildete philosophische Argumentation eines Plato, eines Socrates und eines Aristoteles gegenüber, die die mythische zweideutige Natur des Dionysischen Lachens als Spiegelung eines unkontrollierten, tierischen und unvernünftigen Menschentriebs betrachten. Angesichts der griechischen und römischen Tradition, in der das unbeherrschte Lachen mit der Dekadenz und dem Präludium des Wahnsinns übereinstimmt, ist seine Bekämpfung nur durch eine sittliche Erziehung erreichbar, deren Ziel die Suche nach der universalen Wahrheit und dem menschlichen Selbstbewußtsein sein muß. Mit dieser Feststellung orientiert sich jetzt die Perspektive der folgenden Argumentation mehr in Richtung der Notwendigkeit, das Lachen in eine pädagogische Dimension zu setzen, in der die Vernunft die triebhafte dionysische Eigenschaft des Lachens beherrscht.
Man sieht hier, wie es bei der Satire nicht mehr nur um den traditionellen humoristischen Spott, sondern um eine neue Definition des Begriffs „Satire“ geht. Die Satire zeigt den „Ernst des Lachens“. Was unter der klassischen Bezeichnung des humoristischen Spotts als Satire verstanden wurde, verwandelt sich in eine Inszenierung bzw. in eine Parodie des Spottes selbst, dessen Erziehungsziel didaktische Eigenschaften in sich trägt.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Frau nicht mehr nur Objekt, sondern auch Subjekt der Satire. Wie bereits in der Klassik die Satire das Machtinstrument des Mannes für die Betonung seiner unbestrittenen Autorität gewesen ist, ist sie Mittel für die Frau geworden, ihren sozialen Status zu verbessern und zu konsolidieren, so daß man den Satirikerinnen eine gewisse Macht und Souveränität im Rahmen der Kultur- und Entscheidungsprozesse zuschreiben kann. Das satirische Schreiben von Frauen lässt sich betrachten als Selbstverteidigung gegen die weit verbreitete gesellschaftliche Misogynie.
Die Satire wird weibliches Mittel zur Aufdeckung beschwerlicher Wahrheiten und zur Demonstration von Stärke und Überlegenheit der selbstständigen Frau. Sie wird die weibliche Waffe zur Durchsetzung der so lange erstrebten und in der patriarchalen Gesellschaft der Jahrhundertwende noch nicht erreichten Selbstbefreiung der Frau, die über ihre begrenzte Situation nicht mehr lachen will - wie es der Mann ihr gegenüber immer getan hatte - sondern ernst genommen werden will.
Deutlich scheint hier die geschlechtsspezifische Komponente der Satire, deren Funktion in Richtung einer Gender-Charakterisierung des/der Satirikers/in zu verstehen ist. Schon Karl Kraus hatte in seinem Drama Die letzten Tage der Menschheit (1930) dem männlichen Satiriker die Rolle eines aktiven und lebendigen Seismographen der sozialen Widersprüche zugeschrieben, auch wenn er über fertige Lösungen langfristiger gesellschaftlicher Probleme, die er als Verhaltensmaxime übermitteln konnte, nicht verfügte. Grund dafür war, dass er dem modernen Fortschritt mit Skepsis entgegensah und für die Rückkehr zur Tradition plädierte. Er dämonisierte die Moderne und suchte so die alte soziale Ordnung wieder heraufzubeschwören.
Anders ist hingegen die Position der Satirikerin in Kraus’ Epoche. Für sie ist die Satire ein Mittel, ihre seit Jahren unterdrückte Stimme endlich erschallen zu lassen und ihren Wunsch nach Emanzipation und Selbstbestimmung zu verwirklichen. In diesem Sinne ist die Satire in den weiblichen Augen eine sprachliche Äußerung der eigenen inneren Sehnsucht nach Befreiung. Es ist die verbale Offenbarung der reaktiven Natur der Frau, die gegen Leid und Erniedrigung durch die Männer rebelliert. Modern und emanzipiert ist die Frau auch dank ihres satirischen Schreibens geworden, denn sie hat ihre Aggressivität, Rache und Bosheit dem Mann gegenüber durch sprachliche Gewalt demonstriert. Das bekannte Diktum von Simone de Beauvoir, „man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“(9) scheint in den Texten vieler Satirikerinnen der Wiener Moderne bereits vorweggenommen zu sein. Wenn die Jahrhundertwende dem weiblichen Geschlecht nur teilweise geholfen hat, Frau zu werden, so hat die Satire dies sprachlich möglich gemacht. Nicht mehr die Körperlichkeit der Frau ist jetzt ihr Verführungspotential, um den Mann opfergleich unter Kontrolle zu halten, sondern ihre satirische Sprache.
Durch die Satire schafft es die moderne Frau, das männliche Ordnungssystem der weiblichen Sklaverei in Frage zu stellen. Der Mann soll entkräftet, die Frau gestärkt und das Patriarchat durch das Matriarchat ersetzt werden. „Auch der Satiriker ist ein Komiker. Er hat das lebhafte, ja leidenschaftliche Bedürfnis, moralische Gebrechen, politische Mißstände, illiberale Regierungssysteme, literarische Impotenz in rücksichtsloser, möglich drastischer, oft übertriebener Weise unter Kundgebung der eigenen Animosität und Verachtung, die sich bis zur Äußerung des grimmigsten Hohns und Zorns steigern kann, anzugreifen und bloßzustellen. Also mit Haß und Hohn tritt der Satiriker gewissen Inkongruenzen entgegen; der Fluch bebt auf seinen Lippen und er stürzt sich dem Tiger ähnlich auf sein Opfer.“(10)
In diesem Sinne ist die Jahrhundertwende die Epoche, in der die Funktion und die Bedeutung der Satire eine radikale Veränderung in Theorie und Praxis erlebt. Das neue Motto ist die Zerstörung der alten Stereotype, mit denen man die Satire jahrhundertelang identifiziert hatte. Über die satirische Dekonstruktion kommt ein besonderer Erfahrungsaustausch in Gang, der gleichzeitig die konstruktive Funktion der Satire wesentlich bestimmt.
Ein spannungsvoller Prozeß ist erkennbar, der einerseits Alltagserfahrungen bestätigt, aber andererseits auch auflöst. Sich anknüpfende Verallgemeinerungen werden satirisch bekräftigt. Voraussetzung ist das Zuschreiben einer satirischen Valenz jener Bewertungen, die im traditionellen Kulturpanorama immer nur als das ernste menschliche Potential bezeichnet wurden. Schlüsselwort dieses Prozesses wird also die Wertumkehrung der seit langem unstrittigen Lebensprinzipien wie u.a. des Patriarchats.
Die Intention der weiblichen Satire stammt nicht aus einem unproduktiven Rachegefühl der Frau, sondern mehr aus ihrem inneren Wunsch nach Selbstbefreiung. Das Ziel der weiblichen Satire ist nicht eine in sich begrenzte Umwertung des männlichen Systems, sondern mehr die sprachliche Verwirklichung einer neuen Wertvorstellung. Durch das Angreifen falschverstandener oder verunglückter, somit letztendlich kontraproduktiver Realisierungsversuche dieser neuen Wertvorstellungen will die Satirikerin der Wiener Moderne nicht mehr das unbedeutende, lustige, selbstorientierte und unterhaltende Lächerliche als Parodie der Realität zeigen, sondern das ernste, erziehende satirische Lachen gegen besondere objektive Lebenshandlungen, die Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freund theoretisiert haben, und die die Wienerin Helene von Druskowitz literarisch konkretisiert hat.
Im ersten Band von Die Welt als Wille und Darstellung (1819) entwirft Schopenhauer eine Theorie des Lachens, indem er die „paradoxe Natur“ von Situationen beschreibt, die an sich nicht witzig sind, die aber durch eine satirische Präsentation witzig werden. Dies ist der größte Ausdruck der epochalen menschlichen Unsicherheit, der Destabilisierung von traditionellen Werten und der Explosion von radikalen Veränderungen im Rahmen des konventionellen Lebenssystems der Menschheit. Deswegen postuliert Schopenhauer wie auch später Pirandello, daß „der Ursprung des Lächerlichen allemal die paradoxe und daher unerwartete Subsumption eines Gegenstandes unter einen ihm übrigens heterogenen Begriff“(11) ist und daß „das Phänomen des Lachens allemal die plötzliche Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen einem solchen Begriff und dem durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Abstrakten und dem Anschaulichen“ besteht.
Diese philosophische Sichtweise verweist auf die Diskrepanz zwischen dem Gegenstand des Gedankens und dessen Darstellung in der Realität sowie mit dem Selbstbewusstsein überein, vernünftig und ernst sein zu müssen. Und gerade diese Nicht-Korrespondenz zwischen Imagination und Sachlichkeit des Gegenstandes wird von der Satire ins Lächerliche gezogen, so dass die ernsthafte konkrete Lebenssituation sich in eine imaginierte satirische Lebensinszenierung verwandelt. „Das Gegentheil des Lachens und Scherzes ist der Ernst. Demgemäß besteht er im Bewußtseyn der vollkommenen Übereinstimmung und Kongruenz des Begriffs, oder Gedankens, mit dem Anschaulichen, oder der Realität. Der Ernste ist überzeugt, daß er die Dinge denkt wie sie sind, und daß sie sind wie er sie denkt.“(12)
Schopenhauers Vision einer durch die rationale Beobachtung der Inkongruenzen der äußeren Welt aufgebaute Theorie des Witzes wird von Friedrich Nietzsche in Also sprach Zarathustra (1883-1892) widersprüchlich behandelt. Nietzsche schreibt der Satire zerstörerische, aber auch lehrreiche Eigenschaften zu: „wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste. […] Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man!“(13) In Nietzsches Augen stellt das Lachen ein Mittel zum Überleben dar, das dem Menschen helfen sollte, die existentiellen Schwierigkeiten des Alltags bzw. den kosmischen Pessimismus besser ertragen zu können. Die gleiche Funktion betont auch Sigmund Freud in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), wo er die Bedeutung des Lachens als soziale Kraft des Kollektiven versteht. Das Lachen ist ein Gegengift für das Böse, so Freud, und der Schutzprozeß gegen das Leiden. Die äußere Schwäche des Ich wird durch eine innerliche Stärke ersetzt, damit das Subjekt fähig ist, die Negativität des Lebens mit einem Lachen zu ertragen.
II. Helene von Druskowitz: Feministin „Wahnsinns“-Frau
„Seit deiner Kindheit warst du ein Gegenstand der Auszeichnung und der Stolz deiner seligen Eltern. Du warst noch ein ganz kleines Püppchen, als es keinen Berg noch Fluß mehr gab, der nicht zugleich in deinem schwarzgelockten Haupte existiert hätte. Sämtliche Helden und Heldinnen der Geschichte lebten in demselben fort, Schlachten tobten weiter und zugleich warst du souveräne Kennerin des Tiers-, Pflanzen- und Mineralreiches. Alle nannten dich Wunderkind.“(14) So spricht Sidonies alte Tante Amalie in Druskowitz’ 1889 erschienenem dramatischem Scherz mit dem Titel Unerwartet. Diese Worte scheinen eine unzweideutige Entsprechung im Leben der Wiener Satirikerin zu finden.
Es stimmt, daß die Literaturwissenschaft sich nicht besonders viele – und wenn, dann meistens nur klischeehafte – Gedanken über diese lesbische Autorin gemacht hat. Man stempelte sie oft für ihre Verfassung des polemischen Pamphlets Pessimistische Kardinalsätze (1905) als „wilde Emanzipierte und Männerfeindin“(15) ab.(16) Dieses Schicksal teilte sie mit vielen anderen intellektuellen Frauen der Wiener Moderne. Druskowitz selbst schrieb: „Die gesamte Historie ist, mit geringen Ausnahmen, einfach ‚Männergeschichte’.“(17)
Trotzdem aber kann man die Bedeutung von Helene von Druskowitz’ feministischen Schriften nicht so einfach übersehen, denn sie stellen einen entscheidenden Beitrag für das Verstehen der Frauenfrage um die Jahrhundertwende dar. Sie sind die weibliche literarische Antwort einer intellektuellen Frau, die Männern und Frauen gleichermaßen zugetan war, und die ihre Rechte und ihre Würde immer stark und selbstbewußt verteidigt hat. Es wäre falsch, Druskowitz’ Werke als Ausdruck eines generellen und unmotivierten weiblichen Männerhasses zu betrachten, denn diese sind der Versuch, dem Mann sachlich und konkret die Augen im Hinblick auf die Situation der Frau zu öffnen, die einer legitimierten gesellschaftlichen Haussklaverei gleichkam.
Druskowitz ist davon überzeugt, daß man nicht nur die Frau, sondern auch den Mann neu erziehen muß. Die Welt ist anders geworden, seitdem die Frau begann, sich zu emanzipieren. Die Geschlechterbeziehung hat eine tiefe Modernisierung in ihrer Auseinandersetzung mit der Sexualität erfahren. Die Konventionalität der Mann-Frau Beziehung wurde mit der Einführung neuer Liebesformen in Frage gestellt. Eine menage a trois war genauso wie lesbische und homosexuelle Beziehungen in den 20er und 30er Jahren kein Tabu mehr.(18) All diese Elemente bewegten den Menschen und insbesondere die Kulturwelt rund um die Wiener Moderne dazu, die alten und tradierten, aber für die Epoche bereits zu veralteten gesellschaftlichen und ideologischen Positionen gegenüber der Frau von neuem zu diskutieren. Theoretikerinnen wie Rosa Mayreder und Betty Paoli einerseits, Romanschriftstellerinnen wie Veza Canetti, Mela Hartwig und Gina Kaus andererseits sowie Satirikerinnen wie Maria Janitschek und Helene von Druskowitz engagierten sich unermüdlich, um die neue Frau objektiv zu beschreiben und die männliche Überzeugung, die Frau sei nur Gegenstand für die Befriedigung der männlichen Sexualität, zu revidieren.
Helene von Druskowitz wurde 1856 in Hietzing, damals noch bei Wien, geboren. Sie ist das jüngste von drei Kindern. Im Alter von zwei Jahren stirbt ihr Vater an einer Lungenentzündung, der Stiefvater nur wenige Jahre später, 1863. Ihre Mutter ist nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes offensichtlich vermögend genug, um nicht nur den beiden Söhnen eine Ausbildung zu ermöglichen, sondern auch der begabten Tochter Helene, was damals gar nicht so einfach war, denn weder die Gymnasien noch die Universitäten standen in der k.u.k Monarchie den Frauen offen.
Helene widmet sich dem Klavierstudium und absolviert 1873 am Wiener Konservatorium eine Ausbildung als Pianistin. Sie übt diesen Beruf aber nie aus. Beherrscht von einem unstillbaren faustianischen Wissensdurst erhält sie Privatunterricht und darf als Externe 1874 die Matura am Wiener Piaristen-Gymnasium ablegen. Noch im gleichen Jahr übersiedelt sie mit ihrer Mutter nach Zürich, wo sie von 1874 bis 1878 ein Universitätsstudium absolviert. Sie schließt ihre akademische Ausbildung mit einer Dissertation über Byrons Don Juan ab und wird als erste Österreicherin und zweite Frau überhaupt Doktor der Philosophie.
Sie versucht zunächst eine wissenschaftliche Karriere an verschiedenen Universitäten und lebt bis 1881 abwechselnd in Wien und Zürich in der Gesellschaft ihrer Mutter, als sie Marie von Ebner-Eschenbach bei einem Kuraufenthalt in Bad Reichenhall kennenlernt. Durch diese neue Bekanntschaft wird Helene in den Kreis von Louise von François(19), Conrad Ferdinand Meyer und Betty Paoli(20) eingeführt.
Gerade in diesem Jahr schreibt sie ihr erstes Trauerspiel mit dem Titel Sultan und Prinz. Die Aufführung erweist sich jedoch genauso wie bei den späteren Stücken als schwierig. Die Jahre zwischen 1884 und 1889 sind der philosophischen Tätigkeit gewidmet und zeigen sowohl Helenes Interesse für die englischen Dichter Percy Bysshe Shelley (1792-1822), Joanna Baillie (1762-1851), Elisabeth Barrett-Browing (1806-1861) und George Eliot (1819-1880)(21).
Im Jahr 1884 entsteht Druskowitz’ Shelleys Monographie, in der die Autorin den englischen romantischen Dichter nicht nur in seinem Privatleben, sondern auch im Rahmen seiner lyrischen Tätigkeit porträtiert. Shelleys Bild als Mensch ist durch die typischen Kennzeichen der Romantik verbunden: eine besondere Leidenschaft für die Natur, ein starkes inneres Bedürfnis nach Toleranz, Rechtverteidigung und Schutz der Schwachen sowie eine rauschhafte lyrische Kreativität.
Druskowitz’ Entscheidung, gerade Shelley als Vertreter der englischen Romantik und gleichzeitig auch als Objekt ihrer Monographie zu wählen, ist auf ihre persönliche Begeisterung für dessen Fähigkeit, Altes mit Neuem zu verbinden, zurückzuführen. In Shelleys Kunst hat Druskowitz eine besondere thematische und sprachliche Kombination von poetologischen Elementen der Klassik und der Moderne entdeckt. Diese Koexistenz von Vergangenheit und Gegenwart hat die Wiener Satirikerin fasziniert, weil sie gerade diese zeitliche Mischung als die optimale Darstellungsmethode ihrer Epoche betrachtet hat. Dazu kommt die Tatsache, daß er der Schwiegersohn von Mary Wollstonecraft (1759-1797) war. Shelley hatte ihre Tochter, Mary, 1816 geheiratet.
Mary Wollstonecraft ist die Autorin von A Vindication of the Rights of a Woman (1792), einer Schrift, die im Kontext der kulturellen Debatte über die Menschenrechte im Zeitraum der Französischen Revolution erschienen ist. Der Text, der als Antwort auf Edmund Burkes Reflections of the Revolution in France (1790) und auf Emile Rousseaus Emile (1762)(22) zu sehen ist, kann als Fortsetzung von Wollstonecrafts Rights of Man (1791) gelesen werden. A Vindication of the Rights of a Woman kämpft gegen Burkes negative Meinung über die Französische Revolution als Grund für die Destabilisierung der Tradition und als Ursache der politischen Instabilität der zentralen Macht.
Wollstonecrafts Studie stellt Tayllerand-Périgords Überzeugungen über die Legitimität eines niedrigeren Erziehungsniveaus für die Mädchen auch angesichts der sozialen Begrenztheit der Frauenwelt und des ideologischen Denkens, die Frau sei nicht so begabt wie der Mann, in Frage. Ausgangspunkte von Wollstonecrafts Argumentation, deren Ziel der Wunsch nach einem sozialen Kollektiv und einem männlichen Selbstbewusstwerden ist, sind die Feststellungen, daß die Frau dem Mann nicht mehr untergeordnet sein muß, - „I wish to persuade women to endeavour to acquire strengh, both of mind and body, and to convince them, that the soft phrases, susceptibility of heart, delicacy of sentiment, and refinement of taste, are almost synonymous with epithets of weakness […]“(23) -, daß die Menschenrechte keinen Geschlechtsunterschied kennen und daß der Mangel an Erziehung die Sklaverei der Frau verstärkt. „One cause of this barren blooming I attribute to a false System of education, gathered from the books written on this subject by men, who, considering females rather as women than human creatures, have been more anxious to make them alluring mistresses than rational wives.“(24). Sowohl in Wollstonecrafts Erziehungspostulat als auch in ihrem Kampf für die Frauenwürde und für die Selbstbewußtwerdung der Männer sieht man eine vollkommene Übereinstimmung mit Rosa Mayreders(25), Betty Paolis(26) und Druskowitz’(27) Theorien über das Weibliche. Das theoretische Argumentieren solch engagierter Frauen greift auch auf religiöse Themen über. Beispielhaft dafür ist die konfliktreiche und satirische Polemik zwischen Druskowitz und Nietzsche.
Druskowitz’ Begegnung mit Friedrich Nietzsche, den sie persönlich 1884 im Kreis von Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé(28) kennenlernte, ist sofort von zunehmenden zwischenmenschlichen Schwierigkeiten charakterisiert, die in einem radikalen gegenseitigen Unverständnis münden. „Meine Begeisterung für Nietzsches Philosophie hat sich nur als eine passion du moment, als ein armseliges Strohfeuer erwiesen. Nietzsches Propheten-Miene kommt mir nur recht lächerlich vor. Wer wollte dem Manne Geistesfülle und großes Formtalent absprechen? Seine Begeisterung reicht aber doch nur dafür aus, sich über dies und jenes in Form von Reflexionen feinsinnig auszusprechen; nicht aber, wie er glaubt, für die großen philosophischen Probleme, die er ohne wahren Ernst und recht oberflächlich behandelt.“(29)
Dieses Zitat stammt aus Druskowitz’ Werk Moderne Versuche eines Religionsersatzes (1886), das außer Nietzsches Untersuchung auch die philosophischen Argumentationen von Auguste Comte (1798-1857), Ludwig Feuerbach (1804-1872), John Stuart Mill (1806-1873) und Karl Eugen Dühring (1833-1921) in Betracht zieht, um die Bedeutung der Religion für den Menschen einerseits zu betonen und anderseits gleichzeitig zu demontieren.
Druskowitz stellt zwar fest, daß die Religion ein Grundbedürfnis der Menschheit ist, sie behauptet aber auch, daß diese nicht mit dem Christentum, Ursache des menschlichen Weltpessimismus, zu identifizieren sei. Die Weltanschauung der Autorin, die keine Lösung beinhaltet, keine Alternative zum Christentum bietet und die nur begrenzt die Versuche der oben genannten Philosophen kommentiert und kritisiert, gründet auf reiner Erkenntnis und Nichtreligiösität beim Aufbauen einer Verbindung und Versöhnung zwischen Wissen und Empfindung. Dies erscheint ihrer Ansicht nach möglich durch die Entwicklung einer festen Beziehung der Menschen mit der Natur, durch das menschliche Vertrauen in die eigene Potentialität und durch die Verdrängung von abstrakten und absoluten Weltprinzipien.
III. Zwei Beispiele aus Helene von Druskowitz’ satirischer Produktion:
Die Emancipations-Schwärmerin (Aspasia) und Pessimistische Kardinalsätze. Ein Vademecum für die freiesten Geister
Diese beiden in den Jahren 1889 bzw. 1905 erschienenen Arbeiten Helene von Druskowitz’ sind nicht mit den inhaltslosen komödiantischen Spielereien vergleichbar, mit denen auch Frauen sich am Theater durchsetzen konnten. Sie behandeln das Frauenstudium mit Hilfe von subtilen, fast unspürbaren Scherzen sowie die Eitelkeit und Unfähigkeit der von der Gesellschaft höchst geehrten und geschätzten Universitätsprofessoren, die die Vertreter der unbestrittenen Macht der Männerwelt sein sollten. Beide Texte werden unter einem Pseudonym – Adalbert Brunn im ersten und Erna im zweiten Fall – veröffentlicht. Dies ist aber nicht ein Zeichen für Druskowitz’ Wunsch, unter einem Inkognito zu schreiben, sondern es ging ihr vielmehr darum, den Lesern ein Sprachspiel anzubieten.(30)
So wie in ihrem dramatischen Scherz in drei Akten Die Pädagogin (1890), in dem das Bestreben des Grafen Waldemar von Kastrow und seiner Gemahlin Adelheide, ihren Töchtern Alma und Gertrude eine solide Bildung zu geben, als Farce entlarvt wird, demaskiert die Autorin auch in dem Lustspiel Die Emancipations-Schwärmerin (1890) – zunächst 1889 unter dem Titel Aspasia gedruckt(31) - den gelehrten Redeaufwand der beiden Hanswürste als Deckmantel ihrer sexuellen Bestrebungen. Herr Dissen, deutscher Konsul in New York, schickt seine Frau Alwine - auch Aspasia genannt - und seine Kinder zu einem alten Zürcher Bekannten, in der Hoffnung, daß die Reise nach Europa die Emanzipationsleidenschaft seiner jungen Frau stillen würde. Er ahnt aber nicht, daß gerade Zürich kein idealer Ort dafür ist. Bei der Familie von Jordan und Luise begegnet Aspasia Herrn Teichert und Herrn Werent, zwei Universitätsprofessoren, die Abbild einer dekadenten und falschen Wissenschaft verkörpern. Aspasia, die nicht gleich die Idiotie beider Professoren erkannt hat, wird später vom Maler Moro, dem Verlobten von Jordans Tochter Zelia, aufgeklärt. Sie entscheidet sich für eine Rückkehr zu ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter.
Während Aspasia in traditioneller Manier wieder ihren alten Namen „Alwine“ annimmt, ist Jordans Frau Louise immer fester davon überzeugt, daß Jordan sich in die damalige emanzipierte Aspasia verliebt hat und entscheidet deswegen, eine Namensänderung zu unterbinden und sich weiter zu emanzipieren. Sie, die ihr Leben immer unter dem Motto des Patriarchats geführt hat, wird kurioserweise eine Emanze wie es Aspasia war. Gleichermaßen widersinnig satirisch ist auch der Schlußakt des dramatischen Scherzes Er dozirt! (1890), wobei Helene von Druskowitz die Haltungen der beiden männlichen Protagonisten des Stücks verdreht. „Am Ende wollen Sie sich von Oswald scheiden lassen. Originell wäre es immerhin, Redseligkeit des Ehemannes als Scheidungsgrund anzuführen.“(32)
Adas Bekannter Eduard von Dörbling, der nie mit seinem Wissen geprahlt hat, beginnt genauso wie Adas Mann von Alstädt zu „dozieren“, wobei Herr von Alstädt seinerseits meint: „es ist zu schrecklich, wenn Jemand auch im alltäglichen Leben dozirt und den Professor spielt.“(33) Druskowitz, die hier mit dem für die Satire konstitutiven Mitteln des Angriffs auf gesellschaftliche Normen und deren rücksichtsloser Bloßstellung arbeitet, unternimmt Angriffe gegen Vertreter der Kunst und der Wissenschaft ihrer Zeit ohne aber dem Leser eine Kritik in Form der Invektive anzubieten. Sie legt mehr Wert auf eine spöttische Darstellung witziger Figuren.
Das, was der Leser vor Augen hat, ist ein lustiges Kasperltheater der akademischen und familiären Welt, ein Zirkus der Intellektuellen und des Paares, das so aufgeblasen ist, daß sie bald zu explodieren drohen. Zentrales Mittel der Verspottung dieser männlichen Figuren, die Helene von Druskowitz als Vertreterin der Männlichkeit ihrer Epoche sieht, ist kein Kraus’sches sprachliches Wortspiel, sondern vielmehr eine lächerliche Demontierung der traditionellen männlichen Eigenschaften wie z.B. Rationalität, knappe Sprache, Aktivität und Macht.
Professor Werent und sein Kollege Teichert aus Die Emancipations-Schwärmerin sowie Oswald von Alstädt und Eduard von Dörbling aus Er dozirt! sind nur entwertete Schablonen eines vergangenen Ideals der Männlichkeit, leere Behälter eines oberflächlichen Wissens, verblaßte Erinnerungen an den Prototyp der dominanten traditionellen Männlichkeit.(34) Die sarkastische Ironie und der satirische Humor Druskowitz’ sind insbesondere im fünften Auftritt des dritten Aufzugs von Die Emancipations-Schwärmerin spürbar, wenn Aspasia von Maler Moro über die einzige und dazu noch lächerliche Publikation Professor Wernets informiert wird. Moro im Gespräch mit Aspasia: „Es ist hier zu lesen, daß jenes Heftchen nicht nur des Professors und Ethikers einzige Geistesthat, sondern obendrein noch eine der wenigst gelungenen Bearbeitungen eines vielfach erörteten Themas ist. Hier, bitte, lesen Sie selbst.“(35) Und dann Aspasia im Gespräch mit Professor Wernet: „Die Bekanntschaft dieses Ihres Werkes. Nun begreife ich, welch’ einen Einfluß Sie haben müssen, Professor! Nicht wahr, Gegner haben Sie wohl nie gekannt, angegriffen sind Sie niemals worden?“(36)
Druskowitz’ satirische Angriffe treffen nicht nur den Mann, sondern auch die Frau und insbesondere die falsche Emanze, also diejenige, die genauso wie die beiden Professoren glaubt, eine Vertreterin der Wahrheit bzw. der Frauenfrage zu sein. Die Rede ist hier von Aspasia selbst, von der Emanzipationsschwärmerin, die mehr das Sprechen bzw. das Plaudern und Schwatzen als das Tun und Handeln liebt. Es ist die Studentin und Doktorin Dora Hellmuth – Personifizierung von Helene von Druskowitz - , die Aspasia die Augen öffnet, indem sie ausspricht, daß „Jede, die Talent für ein bestimmtes Gebiet besitzt, suche es zu bethätigen, denn nur dadurch, daß die Einzelne Talent zeigt, kann die Meinung von der Befähigung der Frauen im Allgemeinen eine höhere werden. Das Talent allein kann Beweise schaffen. Lassen Sie einer Aertzin eine schwierige Operation, die Diagnose und Beseitigung einer komplicierten Krankheit gelingen, und sie wird die Frauenfrage mehr fördern, als es hundert öffentliche Reden zu Gunsten unseres Geschlechts thun werden.“(37)
Aspasias Bekehrung zur traditionellen Ehefrau konkretisiert sich, als sie sich von ihrer einstigen Schwärmerei distanziert. „Ich war eine Schwärmerin, doch Schwärmerei ist noch nie ein Hebel im wirklichen Leben gewesen. Für eine Sache sich begeistern, heißt eben noch lange nicht, eine Sache fördern. […] Ich habe an fremdes Wohl gedacht und darüber das meiner Liebsten, meiner nächsten vernachläßigt, ja das Leben meines Sohnes auf’s Spiel gesetzt. Doch ich bin Euch zückgegeben, meine Lieben! Aspasia hat aufgehört zu bestehen. Du sollst wieder zufrieden sein mit Deiner Frau, theurer Emil, Eure Mutter wird Euch nun erst eine Mutter sein, meine Kinder. Ich suchte Lorbeeren anderswo, statt stolz darauf zu sein, Eure Mutter zu heißen.“(38)
Auf den ersten Blick scheint das Hauptmotiv von Die Emancipations-Schwärmerin mehr das Plädoyer für die traditionelle Frau und nicht so sehr für die emanzipierte Frau zu sein. Das wirft folgende Frage auf: Kann Helene von Druskowitz noch mit dem Begriff „Feministin“ bezeichnet werden? Die Antwort ist sicher „ja“, wenn auch nicht unter Berücksichtigung des oben genannten Zitats, sondern mehr im Sinne des von Druskowitz 1905 verfaßtem Meisterwerks Pessimistische Kardinalsätze. Ein Vademecum für die freiesten Geister. Die Radikalität und Absolutheit dieses Werks spürt man schon im Untertitel, in dem die Autorin die zwei zentralen Punkte ihrer Arbeit fokussiert.
Es handelt sich um ein „Vademecum für die freiesten Geister“ d.h. um ein Handbuch für Frauen bzw. Männer. Die Frauen sollen ihrerseits die Männer besser kennen lernen und sich von ihnen schützen, während die Männer ihrerseits ihre Natur mehr unter Kontrolle haben sollen. Beide Geschlechter müssen für eine Modernisierung offen sein, die der Frau mehr Wert und Selbständigkeit als Individuum und dem Mann weniger Macht und Autorität gibt. Das Pamphlet, das auf ironisch destruktive Weise die philosophische Logik benützt und sie ad absurdum führt, wird mit Druskowitz’ Darstellung der negativen Eigenschaften Gottes und mit seiner Beschuldigung als Hauptbild der Männlichkeit eröffnet.
Autoritär, egoistisch, gleichgültig und Mann-orientiert ist Gott in Druskowitz‘ Augen. Er wird als Grund der Erniedrigung der Frau betrachtet. „Das Gesamtbild von Gott ist ein erbärmliches männliches Machwerk, voll von Schädlichkeit, insbesondere für die Frauenwelt, deren Entwicklung dasselbe stets ungemein gehemmt hat.“(39) Gott ist als Weltschöpfer für die untergeordnete Natur der Frau verantwortlich und gerade deswegen proklamiert die Autorin die Notwendigkeit der Überwindung der tradierten Feststellung „Gott ist das einzige Urweltprinzip“ und die Rückkehr zum Platonismus.
Zwischen der Proklamation der Existenz eines in der Übersphäre positionierten hohen Prinzips, Symbol für die Perfektion, und der Materie, die sich dann durch eine deterministische Evolution entwickelt, führt die Wienerin Autorin das Motiv des Mannes „als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt“(40) ein. Mit der „Niederkritisierung des Mannes“(41) als dem ostentativ behaupteten Zentralanliegen ihrer Kardinalsätze nimmt die Autorin die zynisch-parodistische Umkehrung einer philosophischen Tradition vor, – u.a. der Schopenhauers – die die Minderwertigkeit der Frau seit jeher biologisch begründet und im Ton der verachtenden Geringschätzung vorgebracht hat.
Durch die satirische Übertreibung dessen, was von den männlichen Philosophen und Theoretikern der Wiener Moderne durchaus ernsthaft behauptet wird, erfolgt der Appell zur Revision des androzentrischen Weltbildes, dessen Demontage und Parodierung das Anliegen des gesamten Textes bildet. Das worauf Arthur Schopenhauer mit dem Pessimismus der Kardinalsätze anspielt, ist „das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht“(42), das „nur [dem] vom Geschlechtstrieb umnebelte[n] männliche[n] Intellekt“(43) einfallen konnte. Das entspricht Druskowitz’ Satire der „Spottgeburt“(44) des Mannes, dem „die Natur […] durch übermäßig auffallende Entwicklung seiner Genitalien eine schlappe, ein Brandmal ohnegleichen aufgedrückt“(45) hat. Die Satire gegen den Mann verstärkt sich, als die Wiener Satirikerin ihn durch tierische Merkmale beschreibt. „Denn er ist grausig beschaffen und trägt sein schlumpumpenartiges Geschlechtszeichen wie ein Verbrecher voran. Die flache Brust, die häßliche Bartung mit ihren dicken Wülsten und fliegenden Haarfetzen, die im Gegensatze zu der geckenhaften Ausstattung der meisten Tiere einen niederen Charakter verrät, und endlich das durchschnittlich über alle Maßen abscheuliche und gemeine Stimmorgan, voll von uralten und anstößigen Gurgeltönen, weisen ihm in Wahrheit eine sehr tiefe Stufe im Reiche der Lebewesen zu. Er erscheint wie eine Spielart.“(46)
Betrachtet Schopenhauer „die Weiber als eine art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne“(47), so zeigt Helene von Druskowitz parallel dazu eine abgrundtiefe Häßlichkeit des männlichen Aussehens, so daß er „überhaupt nicht in den Rahmen der vernunftbegabten Welt“(48) passt.
Lüge, Falschheit, Treulosigkeit, Verrat, Undank, Verschwendungssucht und Eitelkeit sind die Charakteristika von Schopenhauers Frauenbild. Druskowitz setzt ein Männerbild mit ebenso negativen Merkmalen entgegen: Habgier, Neid, Streitsucht, Rauflust, Arroganz, Vergnügungssucht, Machtgier und Geschlechtslust. Druskowitz’ Erklärung, daß die bösartige, gewalttätige und falsche Natur des Mannes sich insbesondere dort verwirklicht, wo er die Frau durch eine Machttat erobern will, unterscheidet den Mann vom Tier,(49) da der Mann das einzige Wesen ist, „der sein Weib schlägt und in raffiniertester Form martert, fremde Frauen verfolgt und zu Sklavinnen seiner skandalösen und lächerlichen geschlechtlichen Ausstattung macht.“(50) Geboren unter dem Zeichen des Dämonischen und des Bösen ist der Mann, „das gefährlichste aller Lebwesen, […] die Furie der Furien, die Megäre der Megären […] Erzeuger und Impresario der niedrigsten Dinge, wo es gilt, tierische Gelüste zu befriedigen und den vulgärsten Antrieben zu schmeicheln.“(51)
Wenn die Welt wertlos und dekadent geworden ist – so Druskowitz –, ist nur der Mann dafür verantwortlich da er „durch seine schrankenlose Geschlechtslust, durch Mangel an echter Vernunft in jeder Beziehung […] ein Prokrustesbett voll grausiger Streckungen, eine Agonie ohne Ende gemacht [hat], die in zwei Schwingungen sich vollzieht, von welchen die eine die Subjekte zu Sklaven der rohesten und gewagtesten Arbeiten degradiert […], die andere zu Polypen der üppigsten und unsittlichsten Genüsse stempelt.“(52)
Anders ist hingegen Druskowitz’ Darstellung der Frauennatur, die „nicht nur würdigere und holdere Wesen [sind], sondern von vollkommenerer und adeligerer Stammung.“(53) Die Frau erscheint in Druskowitz’ Weltanschauung als die Retterin der Welt, deren Ehrung in der Anerkennung der eigenen Superiorität besteht. Leider aber sind die Frauen fast immer nur Opfer der eigenen unkontrollierten Instinkte, die sie in den Augen der Männer kindisch, naiv und unreif erscheinen lassen. Deswegen „muß die Frauenwelt eben nur gereinigt, durch eine freie und kühne Erziehung, durch frühe Berufswahl ermutigt und durch Teilung der Städte nach den Geschlechter, durch Beschränkung der Anzahl der Heiraten, die schließlich eine Eliminierung der Ehe herbeiführen wird, separiert werden. […] Der Feminismus muß mit Feuer und Glanz ausgestattet werden. Er ist das heiligste Ideal der modernen Zeit.“(54)
Mit diesem letzten Satz schließt der erste Teil der Pessimistische[n] Kardinalsätze und beginnt der zweite Teil, d.h. das Vademecum sowohl für die Männer als auch für die Frauen. Ratschläge, Hinweise und Maxime bilden den Inhalt der Frauen-Männertafeln, deren Ziel die weibliche Ermutigung einerseits und die männliche Triebkontrolle andererseits betont. In der Überzeugung, daß der Mann „kein annehmbares Bild“(55) ist, und daß die Frauen sich „von den Männern nicht imponieren lassen“(56) müssen, empfiehlt die Autorin den Frauen, die Männer und die Institution der Ehe zu hassen, „einen heiligen Kampf gegen die männlichen Welt“(57) zu führen, „um die verlorene Ehre und Freiheit wiederzugewinnen.“(58) Die Männer hingegen weist sie darauf hin, daß sie „in einem hartnäckigen Kampfe zu euch selbst und zu eurer Natur leben, nicht aber ihrem Zuge folgen“ sollten.“(59) Während die Frauen sich selbst mehr vertrauen sollten, sollten die Männer die „Eigenliebe und Selbstbehauptung“durch „ein pessimistisches Urteil“ revidieren“(60), damit sie die eigene Natur und Existenz überwinden.
Druskowitz empfiehlt dem Mann die Akzeptanz des männlichen Zerfalls und damit die Superiorität der Frauenwelt. „Ihr habt nämlich das Primat der männlichen Erscheinung verloren. Eure Gefährtin vielmehr ist die Krone der Schöpfung. […] Prüft euch innerlich, und ihr findet ein Subjekt voll von Grundirrtümern, voll von Torheiten und Narreteien, voll von schwerfälligster und mühsamster Umständlichkeit, bei jedem Schritte strauchelnd […]“(61) Druskowitz’ Plädoyer für eine männliche Introspektion als entscheidendes Bedürfnis für das Wiederaufbauen der Weltordnung und deren Rettung mündet in den Versuch, den Mann Opfer eines Schuldgefühls werden zu lassen – „Daher nenne ich es eure Pflicht und Schuldigkeit, der skandalösen Despotie, die im ganzen Wesenreiche einzig dasteht, ein Ziel zu setzen.“(62) –, dessen Akzeptanz dem Mann seine wahre Würde wieder schenken wird und gleichzeitig die Frau aus dem männlichen System der Sklaverei befreit. „Gebt den Frauen all ihr Recht zurück, lebt nicht länger von ihrer Ehre, sucht nicht bei ihnen die Erlösung von euren Naturfehler. Begehrt sie nicht zur Ehe, befreit sie von eurer unmittelbaren Gegenwart, seid ihrer Gesundheit nicht mehr schädlich, laßt sie ganz für sich sein, laßt sie in eigenen Stadthälften als Priesterinnen ihres Geschlechts wohnen! Laßt die Frauen ihre eigene Sphäre gänzlich durch sich selbst ausfüllen!“(63) Nur positive Wirkung können die Männer aus Druskowitz’ Ratschlägen gewinnen. „Als Lohn winke euch die Annehmlichkeit der Pflege eigener Gewohnheit, ein reines Gewissen, […] am Ende wie Philosophen der gediegensten Rasse gedacht und gehandelt zu haben, ein Ruf, von dem ihr wohl selbst kaum geträumt habt!“(64)
Obwohl man diese Untersuchung von Druskowitz’ dramatischen und essayistisch-philosophischen Werken, die die völlige Abqualifizierung des Mannes, die teils romantische und teils realistische Aufwertung der Frau als Beweis der Grundinkompatibilität der Geschlechter und der Verstärkung des Separatismus zwischen Mann und Frau sehen könnte, bleibt Druskowitz’ satirischer Schreibstil der entscheidende Schlußpunkt für das Verständnis ihres scheinbaren Männerhasses. Die Angriffe der Autorin gegen die Misogynie ihrer Zeit sind keine Angriffe gegen den Mann als Individuum, sondern gegen seine falsche und heuchlerische Haltung. Es ist Druskowitz’ Art zu sagen, daß nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer sich emanzipieren müssen und ihre reziproke Auseinandersetzung revidieren müssen. Die Satire scheint – so Brigitte Spreitzer - „weniger im Ideologischen befangen als eine feministische Anklageliteratur, die die distanzierende Ironisierung des eigenen Wertsystems scheut und damit eher Gefahr läuft, sich im didaktischen Anliegen zu erschöpfen.“(65)
Diese Aussage weist darauf hin, daß die noch immer von vielen Satire-Theoretikern vertretene Ansicht, die Satire betreibe stets Schwarz-Weiß-Malerei und ziele vor dem Hintergrund einer statuierten Norm in didaktischer Absicht auf Eindeutigkeit, für die moderne Ausformung des Genres nicht generell zutrifft, da auf diese Weise Bedeutungsspielräume geöffnet und Polyvalenzen zugelassen werden.
Bibliographie
Fußnoten:
1.9. Lachen und Ernst
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