TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
September 2009

Sektion 2.5.

Übersetzung und Kulturtransfer
SektionsleiterInnen | Section Chairs:
Aleya Khattab (Universität Kairo) und Ernest W. B. Hess-Lüttich (Universität Bern)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Die Souveränität der Übersetzung als ein
transkulturelles und postmodernes Phänomen

Faruk Yücel (Izmir)

Email: faruk.yucel@deu.edu.tr

 

In einer globalen Welt, in der sich permanent alles verändert, wird es immer problematischer, manche Phänomene und Begriffe zu definieren, die seit langer Zeit als ein Bestandteil der Übersetzung angesehen werden. Das ist auch der Grund, warum vertraute Begriffe oder Kriterien wie „Äquivalenz“, „Treue“, „Ausgangstextorientiertheit“ und „Originalität“ am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts im Übersetzungsdiskurs entweder obsolet oder in Frage gestellt wurden. Stattdessen treten in der Übersetzung interdisziplinäre und kulturorientierte Diskussionsthemen wie „Transkulturalität“, „Fremdheit“, „Funktionalität“, „Kulturdifferenzen“ und „Machtverhältnisse“ in den Vordergrund. Die enormen Entwicklungen sowohl im kulturellen als auch im technischen Bereich haben nicht nur unsere Weltanschauung, Wertsysteme und Lebensweise, sondern auch unser Übersetzungsverständnis verändert. Als Ergebnis dieser Veränderung wurde es obligatorisch, manche Begriffe wie Leser, Text, Übersetzung und Übersetzer radikal einer Revision zu unterziehen und sie neu zu hinterfragen.

Mit dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, den Zusammenhang zwischen transkulturellen und postmodernen Eigenschaften der Übersetzung herzustellen, die in vieler Hinsicht auf gemeinsame Ansätze hinweisen. Dabei werden wir uns vorwiegend den philosophischen und kulturellen Aspekten widmen, um schließlich zu ersehen, wie diese Gemeinsamkeiten zustande gekommen sind, auf welchen Anhaltspunkten sie beruhen und wie der neue Übersetzungsbegriff zu verstehen ist. In diesem Rahmen werden wir Derridas dekonstruktivistische Sprach- bzw. Übersetzungsauffassungen und die Transkulturalität als ein neues Kulturkonzept, die beide mit den postmodernen Ansätzen in Zusammenhang stehen, auf theoretischer Basis diskutieren. Doch zunächst sollen die Hintergründe dargestellt werden, die die Transkulturalität und die Postmodernität geprägt haben.

Eines der relevantesten Phänomene, die beide Seiten miteinander verbindet, hat unmittelbar mit dem Globalisierungsprozess zu tun, der ein neues Kulturverständnis und somit eine andere Lebens- und Denkweise geschaffen hat. Dieser Prozess, der am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in vielen Bereichen zu einem Paradigmenwechsel geführt hat, beruht auf verschiedenen Faktoren: Die Migrantenbewegungen, die mit den Menschenrechten eine legitime Basis gefunden haben, die Suche nach Arbeitskräften aus anderen Ländern und der Massentourismus haben authentisch anerkannte, in sich geschlossene Strukturen und Wertvorstellungen wie z.B. nationale Identitäten und Kulturen anpassungsfähiger gemacht.(1) Die Öffnung der kulturellen und nationalen Grenzen, moderne Verkehrs- und Kommunikationssysteme, steigende Bedürfnisse der Menschen, ökonomische Abhängigkeiten und Interessen haben dazu beigetragen, dass sich in vielen Großstädten mit der Zeit immer mehr multikulturelle und transnationale Gesellschaften gebildet haben. Wie Wolfgang Welsch mit Recht betont, „(überschreiten) (d)ie neuen kulturellen Formationen die alten Festmarken, erzeugen neue Verbindungen. Dies bedeutet auch, dass die Welt im Ganzen statt eines separatistischen eher ein Netzwerk-Design annimmt.“(2) In diesen Netzwerk-Gesellschaften wurde es möglich, dass verschiedene Werte, Weltanschauungen und Normen nebeneinander ihre Existenz sichern konnten. Noch nie sind in der Menschheitsgeschichte so viele Kulturen und Sprachen zusammengekommen, die in gleichen Lebensbereichen, sowohl ihre Identität als auch ihre Andersheit ausleben und bewahren konnten. Jedoch hat die Globalisierung auch eine ambivalente Wirkung auf die Gesellschaften ausgeübt. Obwohl sie einerseits die Tendenz in sich trägt, die Vielfalt der Kulturen zu fördern, hat sie andererseits zur Zerstörung oder Unterdrückung einheimischer Kultur geführt, die keinen Widerstand gegenüber den globalen Kräften leisten konnte.

Ausgehend von diesen Auffassungen, die eine allgemeine Tendenz in unserem Zeitalter darstellen, kann zweifellos behauptet werden, dass die Übersetzung in der globalen Welt eine große Rolle spielt. Kein anderes soziokulturelles Phänomen als die Übersetzung kann eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Kulturen in und außer einer Gesellschaft effektiver herstellen. Doch es wäre verfehlt und nicht realistisch, die Bedeutung der Übersetzung nur auf ihre pragmatische Funktionalität zu reduzieren, weil sie viel zu komplex und vielseitig ist. Wie in dieser Arbeit dargestellt wird, ist die Übersetzung nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kulturelle bzw. philosophische Angelegenheit, die von ihrem Ursprung her dekonstruktivistische Eigenschaften reflektiert.

In diesem Bezug sollte auch beantwortet werden, inwieweit transkulturelle und postmoderne Eigenschaften für einen Paradigmenwechsel in der Übersetzung eine relevante Rolle spielen? Doch bevor wir mit der Analyse beginnen, soll zuerst geklärt werden, wann transkulturelle und postmoderne Anhaltspunkte zum ersten Mal in der Geschichte im Zusammenhang mit der Übersetzung zur Sprache gekommen sind.

Wie bekannt, erreichen Reflexionen über die Übersetzung in der Romantik einen Höhepunkt. Das hat auch damit zutun, dass die Übersetzung in dieser Epoche zu einem Leitbild der Epoche wurde. Wir werden hier auf die Fremdheitsproblematik in der Romantik kurz eingehen, die für den transkulturellen und postmodernen Übersetzungsdiskurs als entscheidend angesehen werden kann. Diese Problematik bildet eines der relevantesten Themen, die im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt der Diskussion standen. In der Romantik wurde eindeutig eine kritische Stellung zu den universalsprachlichen Übersetzungsauffassungen genommen, die eine dynamische und historische Perspektive gebracht haben. Wilhelm von Humboldt ist, wie Hirsch bemerkt, „vielleicht (der) erste Denker, der mit Nachdruck den Bruch mit einer Theorietradition betrieb, die das an(...) universeller Wahrheit gemessene universelsprachliche Ordnungskonzept aufgab“ (Hirsch 1999: 81). Humboldts intensive Auseinandersetzung mit der Fremdheitsproblematik in der Sprach- und Übersetzungsauffassung basiert allgemein auf zwei Gründen: Die historische Eigenschaft der Sprache, die jede Sprache anders gestaltet und die Abhängigkeit der Sprache vom Denken bzw. von der Kultur. Die Übersetzung wurde in dieser Hinsicht als eine Konkretisierung dieser Eigenschaften angesehen. Das erklärt auch, warum nach Humboldt jede „Übersetzung eine gewisse Farbe der Fremdheit an sich trägt“ (Humboldt 1973: 83). Diese Farbe verleiht der Übersetzung einen Sinn, indem sie in der Zielsprache eine neue ‚Texttradition’ schafft und vom Leser erwartet, dass er diesen, für ihn ‚eigentümlichen’ Text(3) anders rezipiert als die anderen Texte seiner Sprache.(4) Aus dieser Perspektive betrachtet, unterstreicht Hirsch, dass das Fremde in der Übersetzung nur erreicht werden kann, indem „die verschiedenen sprachlichen Schichten des Originals (...) differenzier(t) und extrapolier(t) (...)“ (Hirsch 1995: 61) werden.

Die Bewahrung der Fremdheit in der Übersetzung, auf die schon Humboldt und Goethe hingewiesen haben, wurde später von Schleiermacher im Rahmen der verfremdenden Übersetzungstendenz intensiver behandelt.(5) Ein wesentlicher Aspekt ist, dass der fremde Ton und der Geist der Sprache beim Übersetzen nach Schleiermacher erhalten werden soll (Schleiermacher 1973:  55-56). Diese schwierige Aufgabe konnte nur von einem „Dichter des Dichters“ (Novalis 1973: 33), wie Novalis den Übersetzer nannte, gelöst werden. Die Souveränität der verfremdenden Übersetzung für die Romantiker wurde als ein Merkmal der Progressivität und Kreativität angesehen. Das begründet auch, warum Humboldt der Auffassung ist, dass die Annährungsversuche(6) an das Originalwerk als eine „unmögliche Aufgabe“(7) (Humboldt zit.n. Stolze: 28) bewertet wurde. Die Unerreichbarkeit des Originals bildet paradoxerweise den Sinn für eine Übersetzung. Obwohl diese unmögliche Aufgabe einerseits eine Begrenztheit ausdrückt, kann nur mit dieser Aufgabe eine neue Literaturgattung geschaffen werden, deren Grenzen unbegrenzt bleibt. Schon Goethe hatte vor den Romantikern auf eine „Weltliteratur“ hingewiesen, die ohne eine transkulturelle Übersetzungstendenz nicht zu denken ist. (8)

Die Fremdheitsproblematik gewinnt am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nach der Romantik wieder an Relevanz. Auf kultureller Basis wird diese Problematik zu einem zentralen Begriff, der auch das neue Übersetzungsverständnis mitprägt. Daher ist es auch kein Zufall, dass dieser Begriff in diesem Jahrhundert häufig wieder auftaucht. Am deutlichsten kommt dieser Begriff als ein Bestandteil der postmodernen Philosophie vor, die wir im Zusammenhang mit Derridas Auffassungen noch analysieren werden.

Allgemein betrachtet ist es durchaus legitim, die Ansicht zu vertreten, dass die idealistischen Auffassungen der Romantiker, die die Übersetzung als ein geeignetes Medium,  ihre weltanschaulichen Reflexionen darzustellen, ansahen, am Ende des 20. Jahrhunderts einen realistischen Boden gewonnen haben. Wir werden nun versuchen, diese neue Situation mit der Transkulturalität zu erklären.(9)

An dieser Stelle wäre es angebracht zu erläutern, was man unter der „Transkulturalität“ versteht. Welche Eigenschaften hat die „Transkulturalität“ und womit unterscheidet sie sich von der „Multikulturalität“ und „Interkulturalität? Die Vorsilbe „trans-„, die – allgemein gesagt - einem Wort die Bedeutung ’über’- verleiht, bezieht sich auf eine neue Situation. Man transzendiert z.B. etwas, indem man die Grenzen einer Bezeichnung übersteigt.(10) Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint es hier relevant zu wissen, wie die Transkulturalität sich auf die Übersetzung reflektiert hat? Wolfgang Welsch, der sich mit den Begriffen Multi-, Inter- und Transkulturalität(11) auseinandergesetzt hat, ist der Auffassung, dass die Transkulturalität im Gegensatz zu den anderen Begriffen „ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen entwirft. Nicht eines der Isolierung und des Konflikts, sondern eines der Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit. Es fördert nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktion.“(12) Wie in diesem Zitat deutlich ausgedrückt wird, betont Welsch mit der Transkulturalität die Funktion des Dialogs zwischen den Kulturen. Obwohl interkulturelle und multikulturelle Bezeichnungen(13) auf eine Abgrenzung, Unterscheidung und Trennung gegenüber den anderen Kulturen hinweisen, hat die Transkulturalität verbindende und vereinigende Eigenschaften. Da hier jede Kultur gleichwertig, ohne eine Überlegenheitsposition einzunehmen, angesehen wird, kann hier von einer Hierarchieeinstellung nicht die Rede sein. Das hängt auch damit zusammen, dass „(d)ie Kulturen hochgradig miteinander verflochten (sind) (...).“(14) In diesem Rahmen erscheint es sinnvoll zu fragen, wie die Transkulturalität und die Übersetzung im postmodernen, genauer gesagt im dekonstruktivistischen Zusammenhang mit Derridas Auffassungen interpretiert werden kann.

Die Transkulturalität hat in der Übersetzung ein neues Konzept geschaffen, das wir ohne die Differenzproblematik nicht verstehen können. Die Differenzproblematik, die eines der zentralen Begriffe der Postmoderne ist, spielt hier eine große Rolle. Die miteinander vernetzten Kulturen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts haben ein dynamisches Kulturkonzept geschaffen, das sowohl die gegenseitige Offenheit zu anderen/fremden Kulturen ermöglicht als auch das Fremdenbild des Anderen verändert haben. Die Bekanntschaft und das Zusammenleben mit dem Fremden hat mit der Zeit die Fremdheit des Fremden/Anderen im kulturellen Sinne toleriert. Diese Entwicklung ist eine Folge der Globalisierung, die für eine geeignete Basis für ein verbreitetes Differenzverständnis sorgte. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend werden immer mehr Menschen in einer globalisierten Welt permanent mit Differenzsituationen konfrontiert. Das Zusammenleben verschiedener Kulturen in großen Städten hat die Welt in einen kosmopolitischen Raum verwandelt, wo es selbstverständlich wurde, dass duale Werte wie das „Eigene“ und das „Andere“, das „Globale“ und das „Lokale“, die „Differenz“ und die „Ähnlichkeit“ problemlos nebeneinander existieren können. Wie Welsch bemerkt, „entsprechen die heutigen Kulturen nicht mehr den alten Vorstellungen geschlossener und einheitlicher Nationalkulturen.“(15) Wir werden nun untersuchen, wie die Transkulturalität als eine neue Darstellung der Kulturen im Zusammenhang mit Derridas Differenz- und Übersetzungsbegriff zu verstehen ist.

Jacques Derrida ist einer der relevantesten Repräsentanten der Postmoderne, der die binär-hierarchischen Gegenüberstellungen des abendländlichen Logozentrismus in Frage gestellt und diese einer Dekonstruktion unterzogen hat.(16) Der Ausgangspunkt von Derridas Philosophie beruht auf einer Kritik an Saussures linguistischen Ansätzen, die mit der Verfahrensweise des Poststrukturalismus dargestellt wird. Wie allgemein bekannt hat Saussure die Sprache als ein Zeichensystem definiert, das aus einer Einheit und Abhängigkeit von Signifikat und Signifikant besteht. Derrida widerspricht dieser These, indem er betont, dass dieses Verhältnis nicht durch eine Einheit, sondern durch eine Gespaltenheit geprägt ist (Hirsch 1999: 85-87). Ein wesentlicher Aspekt des Strukturalismus ist, dass man sich auf die Oberflächenstrukturen eines Textes konzentriert und diese von seinen außersprachlichen bzw. historischen Eigenschaften abstrahiert hat. Dieser Tatsache zufolge wurde bei der Analyse des Textes eine sinnorientierte Auffassung vertreten. Die Suche nach einem einheitlichen Sinn(17) im Text hat zu einer einseitigen und geschlossenen Sprach- und Weltauffassung geführt. Derrida, der diese Geschlossenheit auflösen und die Sprache auf eine heterologische Offenheit appellieren wollte (Derrida 2003: 148), hat die „Differenz“ in den Mittelpunkt seiner Philosophie gestellt. Diesem Ansatz liegt die Behauptung zugrunde, dass nicht die Harmonie oder die Einheit, sondern die Widersprüchlichkeit und Andersheit des Textes gefragt ist,(18) die Derrida als eine Überschreitung der Grenzlinie bezeichnet (ebd.: 58). Diese Grenzlinie der Sprache hängt unmittelbar von der Übersetzung ab (ebd.: 113), die kein Abbild des Originals ist. Denn die Einheit der Sprache bzw. der Ausgangssprache ist nicht vergleichbar (ebd.: 127) mit der Zielsprache. Daher ist es auch verständlich, dass Derrida auf die ökonomische Äquivalenz verzichtet, die die Übersetzbarkeit verhindert (ebd.: 112). Die Ausscheidung der Äquivalenz aus der Sprache verleiht der Übersetzung in diesem Sinne neue Ausdrucksmöglichkeiten. Somit löst sicht die Übersetzung von der Ausgangssprache und wird als ein eigenständiges Werk unabhängig bewertet. Das erklärt auch, warum nach Derrida die Übersetzung „(nicht) an zweiter Stelle (kommt)“ (Derrida 1997b: 140). Anders ausgedrückt, nicht die Ursprungssprache, sondern die Ankunftssprache ist in der Übersetzung bestimmend(19) (Derrida 2003: 121). Diese Ankunftssprache, die im heutigen Übersetzungsdiskurs als Zielsprache bezeichnet wird, wird auch von zielorientierten Übersetzungstheorien wie in der Skopostheorie, in den deskriptivischen und polysystemischen Studien vertreten. Wenn man Derridas Sprachtheorie mit den anderen Theorien vergleicht, kann man manche Gemeinsamkeiten feststellen.(20) Um die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser Theorien hier vergleichend darzustellen, wäre eine ausführlichere Studie nötig, die die Grenzen dieser Arbeit überschreiten würde.

Derrida beabsichtigt mit seiner dekonstruktiven Philosophie die traditionellen Auffassungen über die Sprache bzw. über die Wahrheit mit einem Perspektivenwechsel zu überwinden. Im Mittelpunkt von Derridas Sprachauffassung stehen nicht die Versöhnungen, sondern die Konflikte und die Ambivalenz, die jede Sprache auszeichnet. Diese Sprache kann nur durch eine andere Sprache bzw. durch die Übersetzung erfasst werden, die nach Ansicht von Derrida als eine Objektivierung des Originals interpretiert wird (Derrida 2003: 42). Hirsch weist in diesem Bezug auf ein neues Übersetzungsverständnis hin, das er folgendermaßen formuliert: „Indem das Fremde der anderen Sprache – damit die radikale Differenz zwischen den Sprachen – zum zentralen Wert des Übersetzungsvorgangs wird, wird ein zugleich vereinheitlichendes und ethnozentrisches Übersetzugsdenken aufgegeben“ (Hirsch 1999: 82). Wie hier mit Recht betont wird, kann die Sprache bzw. ihre Identität nur durch die Differenz einer anderen Sprache gewonnen werden. Anders ausgedrückt, die Übersetzung als eine Dekonstruktion der eigenen Sprache verleiht ihr ihre dynamische Identität. Eine stabile Identitätsauffassung würde die Kreativität der Sprache hindern und ein falsches Bild der Wirklichkeit reflektieren. In diesem Zusammenhang bemerkt Derrida, dass eine Identität in der Sprache nie gegeben ist (Derrida 2003: 51).

Der Perspektivenwechsel, der Derridas Auffassungen in der Übersetzung verwirklicht, ist sowohl für die Ausgangskultur als auch für die Zielkultur relevant. Berücksichtigt man diese Tatsache, kann man die Ansicht vertreten, dass die Übersetzung einerseits für die Ausgangskultur ein Zeichen des Bedeutungswandels und der Dekonstruierbarkeit eines Textes, andererseits für die Zielkultur eine Möglichkeit ist, in der eigenen Sprache eine andere Welt wahrzunehmen. Die Doppelfunktion der Übersetzung, eine Distanz gegenüber beiden Kulturen darstellt und sie unabhängig von beiden macht, verleiht ihr eine spezielle Position. Die Übersetzung als eine neue Textgattung, die mit der Zeit ihre eigene Tradition in der Zielsprache bildet, befindet sich als eine Mischform in einer Kultur der Mischlinge,(21) wie Welsch es nennt und von Waldenfels als ein „Zwischenbereich, dessen niemand Herr ist“ (zit.n. Hirsch 1995: 290) bezeichnet wird. Dieser Bereich ist zugleich ein Zeichen der Transkulturalität, die weder ganz der Ausgangs-, noch der Zielkultur angehört. Daher ist es auch schwierig, diese Mischform zu definieren. Denn der Übersetzer gibt, so Derrida, weder ein Abbild des Originals wieder noch wiederherstellt er ein Original (Derrida 1997b: 145). In dieser Hinsicht kann behauptet werden, dass sowohl die Übersetzung als auch die Transkulturalität ein Konzept von mannigfaltigen Überschneidungen und Übergängen aufzeigen. Die Übersetzung wird zu einem neuen Text, der sowohl die Eigenschaften der beiden Kulturen in sich trägt als auch diese übersteigt bzw. transzendiert. Aus dieser Perspektive aus betrachtet, kann die Übersetzung nicht nur für die Zielkultur, sondern auch für die Ausgangskultur als eine Bereicherung aufgefasst werden. Entscheidend ist hier, dass mit dieser Bereicherung neue Interpretationsebenen in beiden Kulturen auftreten, die es vor der Übersetzung nicht gab.(22)

In seinem Buch „Die Einsprachigkeit des Anderen“, wo Derrida die Sprachproblematik thematisiert und diese mit der Übersetzung verbindet, wird die eigene Sprache in Frage gestellt (Derrida 2003: 34). Die Distanzierung von der eigenen Sprache macht diese Sprache zu einer „Sprache des Anderen“ (ebd.: 40, 46). Was für eine Bedeutung hat das, wenn Derrida die eigene Sprache von einer anderen Sprache aus definiert? Um sich von den Fesseln der eigenen Sprache zu befreien, stellt Derrida die andere Sprache in den Vordergrund. Diese Befreiung, die auf eine Art Distanzierung hinweist, wird von Derrida als eine Entfremdung angesehen, die auf Dauer nicht nur konstitutiv (ebd.: 50), sondern auch eine Chance ist (Derrida 2003: 90). Die andere Sprache, die Derrida für die Bestimmung der eigenen Sprache nimmt, ist nichts anderes als die Übersetzung. Indem ein Text in eine andere Sprache übersetzt wird, wird er unter einer anderen Sprachlogik zuerst dekonstruiert, danach aus der Perspektive einer anderen Sprache wieder konstruiert. Anders ausgedrückt, der Text wird dekonstruiert, um ihn wieder neu konstruieren zu können. Die Übersetzung wird als eine Folge der Dekonstruktion aufgefasst, die „das Unvollendete und Unvollständige der Konstruktion“ (ebd.: 120) darstellt. Derrida unterstreicht mit diesem Ansatz, dass die Übersetzung wie das Original auch „in einen Prozess der Veränderung einbegriffen“ (ebd.: 138) ist. Der Übersetzer muss die Veränderungen in beiden Sprachen berücksichtigen, weil er mit beiden Sprachen arbeitet. Diese Stellung verleiht dem Übersetzer eine spezielle Rolle. Das begründet auch, warum Derrida die Aufgabe des Übersetzers, der mit seiner Übersetzung sowohl den Ausgangstext als auch den Zieltext beeinflusst, als doppeldeutig ansieht. Der Übersetzer erlöst somit einerseits das Original, andererseits löst er es auf (Derrida 1997b: 145). Die Abhängigkeit des Originals von der Übersetzung macht die Übersetzung für die Existenz des Originals obligatorisch.(23) Derrida zitiert in diesem Rahmen Antoine Berman, der darauf hinweist, dass „das Eigene Zugang zu sich selbst nur durch die Erfahrung, das heißt die Prüfung des Fremden (erlangt)“ (zit.n. Derrida 1997a: 17). Welsch bringt eine parallele Ansicht aus transkultureller Hinsicht folgendermaßen zur Sprache: „Nur transkulturelle Übergangsfähigkeit wird uns auf Dauer noch Identität und so etwas wie Autonomie und Souveränität verbürgen können.“(24) In „Randgänge der Philosophie“ hebt Derrida hervor, dass er „Wert darauf leg(t), sein Anderes zu denken; sein eigenes Anderes, das Eigene seines Andren, ein anderes Eigenes“ (Derrida 1988: 14) zu erfahren. Auch Welsch setzt sich mit dieser Problematik auseinander und stellt fest, dass „die scheinbar stabilen Kategorien von Eigenheit und Fremdheit überholt sind, weil es „kein strikt Eigenes, sondern auch kein strikt Fremdes mehr gibt.“(25) Der geeignete Ort der Auflösung beider Seiten verwirklicht sich an der Grenze des Textes, wo sich die Konturen des Textes verwischen. Derrida bezeichnet diese Auflösung als eine „Überschreitung der Grenzlinie“ (Derrida 2003: 58), die zugleich Öffnung bzw. Kontakt beider Texte ermöglicht. Es wäre nicht falsch die Ansicht zu vertreten, dass das Original mit der Übersetzung grenzüberschreitende Konturen in der Zielkultur gewinnt. Die Auflösung der Grenzen ermöglicht zugleich auch, dass die eigene Fremdheit und Vielfältigkeit des Originals in der anderen Sprache zur Erscheinung kommt, die vor der Übersetzung nicht existierte. Grade diese Eigenschaft der Übersetzung macht sie für Derrida so interessant, weil mit ihr das „Unmögliche möglich“ (Derrida 1972: 21) gemacht wird.(26) Welsch ist der gleichen Auffassung, wenn er bemerkt, dass „Kulturen intern durch eine Pluralisierung möglicher Identitäten gekennzeichnet (sind) und extern grenzüberschreitende Konturen (aufweisen).“ (27)

Eine andere Funktion der Übersetzung ist, dass die versteckten und verhüllten Seiten des Originals mit der Übersetzung hervorgebracht werden. Anders ausgedrückt, das Original wird mit seiner Übersetzung bereichert, indem diese uns zeigt, wie anders das Original rezipiert werden kann. Die Übersetzung als die andere Seite des Originals ermöglicht auch ein besseres Verstehen des Originals. Denn das Original, so Derrida, „beginnt damit sich nach der Übersetzung zu sehnen, um das Vermisste zu trauern und zu flehen“ (Derrida 1997b: 140). Die Spur des Anderen kann nur durch die Übersetzung aufgezeigt werden. Die Symbolik der Spur, die mit der Differenz gleichgesetzt wird (Derrida 1988: 44) hat bei Derrida eine ambivalente Funktion. Die Spur ist einerseits ein Abbild des Gegenstands, das vorübergehend existiert, andererseits widerspiegelt sie für eine bestimmte Zeit manche Eigenschaften des Gegenstands. Hirsch ist der Ansicht, dass sie, „dasjenige (verbindet), was sie zugleich trennt“ (Hirsch 1995: 266). Derrida spricht von dieser Spur als etwas, das „(...) kein Anwesen, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst (...)“ (Derrida 1988: 49). Doch wenn man den hinterlassenen Spuren in der Übersetzung folgt, hat man auch die Möglichkeit, sich dem Original zu nähern. Die Spursymbolik kann auch auf die Kultur als ein transkulturelles Phänomen übertragen werden. Man kann die Spur als eine Berührung der Kulturen interpretieren, die auch zu einem Dialog mit dem Anderen führt, in dem man gegenseitig immer Spuren hinter sich lässt.

Der Dialog zwischen den Texten und Kulturen, der von der Übersetzung hergestellt wird, hat auch eine humane Funktion. Er ist ein Zeichen der Gastfreundlichkeit, die eine Bereitschaft zum Austausch ausdrückt.(28) Darüber hinaus stellt dieser Dialog eine intertextuelle Beziehung zwischen den Texten dar, deren Spuren in jedem Text zu sehen ist und die durch die Übersetzung noch intensiviert wird. Weil sich diese Spuren mit der Zeit verändern, kann die Übersetzung das Original niemals erreichen. Aus diesem Grund bleibt die Übersetzung immer eine ‚unendliche Annährung’, auf die schon F. Schlegel hingewiesen hat (Huyssen 1969: 170).

Abschliessend kann gesagt werden, dass es in der Übersetzung im transkulturellen und postmodernen Rahmen viele gemeinsame Anhaltspunkte gibt. Grenzüberschreitende Tendenzen in der Übersetzung, die mit der Problematik der Andersheit und der Fremdheit zur Sprache gebracht werden, spielen sowohl in der Transkulturalität als auch in den postmodernen bzw. dekonstruktivistischen Ansätzen eine relevante Rolle. Es wäre nicht falsch zu behaupten, dass das Andere als ein Bestandteil der Übersetzung für die Transkulturalität und für die postmodernen Ansätze unentbehrlich ist, die die Dominanz einer Kultur und eines ausgangssprachlichen Textes aufhebt. In beiden Auffassungen wird daher eine hierarchische Einstellung bzw. eine Überlegenheitsposition zwischen den Kulturen und zwischen den Texten abgelehnt. Dies ist auch eine Voraussetzung für eine gegenseitige Öffnung bzw. einen Dialog zwischen den Kulturen und den Texten, der nur mit Hilfe einer transkulturellen Distanz oder mit einer dekonstruktivistischen Verfremdung erreichbar werden kann. Das deutet auf eine neue Rezeptionsart einer Übersetzung. Diese Rezeptionsart ist nur möglich, wenn der Übersetzer sich nicht nur vom Ausgangstext, sondern auch von der Zieltexttradition distanziert, um die Andersheit der Ausgangs- und Zielsprache effektiver darstellen zu können. Somit wird auch der Übersetzung ein dialektischer Charakter verliehen. Eine normativ und formal orientierte Entsprechungssuche in der Übersetzung würde die Souveränität und das Potential der Übersetzung beseitigen. Die Übersetzung sollte nicht einseitig aus dem Blickpunkt des Ausgangstextes, sondern als ein transkulturelles Phänomen gesehen werden, das eine Art ‚Textsynthese’ bildet. Das erklärt auch, warum sowohl für den transkulturellen, als auch für den dekonstruktivistischen Ansatz Textveränderungen in der Übersetzung nicht zu vermeiden sind. Die dynamischen Eigenschaften eines Textes können nach einer Übersetzung expliziter in Erscheinung treten. Die Souveränität der Übersetzung beruht auf dem innovativen Konzept, das im transkulturellen und postmodernen Zusammenhang es ermöglicht, verschiedene Kulturen und Texte, ohne ihre Andersheit zu unterdrücken, zu verbinden.

 


Literaturverzeichnis

 


Fußnoten:

1 Andere Faktoren, wie die letzte EU-Erweiterung im Jahre 2004, dass einerseits mit dem Ende des ‘Kalten Krieges’ zusammenhängt, hat diesen Prozess beschleunigt. Die polare Weltpolitik hatte ein konkretes Fremdenbild geschaffen, das die Definition der eigenen Identität mitbestimmte. Eine feindliche Abgrenzung gegenüber dem Ostblock, das zwangsläufig zur Kommunikationslosigkeit geführt hat, war auch die Folge eines Desinteresses an ost-europäischen Sprachen und deren Übersetzungen. Es wäre aber nicht falsch zu behaupten, dass das Desinteresse gegenüber den außereuropäischen Sprachen und deren Übersetzungen heutzutage noch herrscht. 
2 Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007].
3 Die Übersetzung als ein ‚eigenständiger’ Text kann als Zeichen ihrer Treue zum Original interpretiert werden. Wie Hans-Jost Frey darauf hinweist, kann die Treue nur gelingen, „wenn sie (Übersetzung, F.Y.) das Fremde als solches in sich aufnimmt und sich in ihrer Differenz dazu zu erkennen gibt“ (Frey 1997: 60). Ausführlicheres über Humboldts Übersetzungsauffassung siehe: Hans-Jost Frey: Übersetzung und Sprachtheorie bei Humboldt. In: Alfred Hirsch (Hrsg.): Übersetzung und Dekonstruktion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 1997, S. 37-63.
4 Schleiermacher betont in diesem Sinne, dass der Leser für eine Übersetzung ausgebildet werden muss, um „neben dem Geist der Sprache auch den eigentümlichen Geist des Verfassers in dem Werk zu ahnden“ (Schleiermacher 1973: 57).
5 Einer der relevantesten von ihnen ist Schleichermacher, der mit seiner verfremdenden Übersetzungsauffassung die Fremdheit als ein unentbehrliches Element ansieht. In seinem berühmten Aufsatz „Über die Methode des Übersetzens“ weist er darauf hin, dass die Übersetzung nicht einheimisch klingen soll (Schleiermacher 1973: 57). Denn die Übersetzung, so Schleiermacher, „soll nicht als ein Original oder dessen Wiederholung wirken“ (ebd.: 51). Wie er hier bemerkt, soll die Übersetzung vom Leser bewusst als eine Übersetzung rezipiert werden, damit er den ‚anderen’ Geist der Sprache zu spüren bekommt. Gleichzeitig ist die verfremdende Einstellung ein Merkmal der Übersetzung als eine eigenständige Textform, die beide Kulturen übersteigt.
6 A.W. Schlegel spricht in dieser Hinsicht von der Übersetzung als einer ‚unvollkommener’ und ‚unendlicher’ Annährung (Huyssen 1969: 85, 92, 170). 
7 Derrida ist der gleichen Ansicht, weil für ihn die Übersetzung auch eine „unmögliche Aufgabe“ (Derrida 1997b: 126) ist, die „unerfüllt bleibt“ (ebd.: 138).
8 Gegenüber einem isolierten und geschlossenen Literaturkonzept fängt mit der Weltliteratur ein kultureller und literarischer Austauschprozess an, keine Ausgrenzung des Fremden darstellt.
9 In der Übersetzungsauffassung der Romantiker kann man von einer Transkulturalität im wörtlichen Sinne nicht sprechen. Das hängt damit zusammen, dass die Romantiker die Ausgangskultur von der Zielkultur deutlich unterschieden haben. Ein Beweis dafür ist die einseitige verfremdende Übersetzungstendenz, in der die fremden Elemente, obwohl man sie in der Übersetzung bewahren wollte, außerhalb der Ausgangssprache und -kultur angesehen wurden. Diese Einstellung deutet konkret auf die Trennung des Einheimischen von dem Fremden, die eine Art Hierarchisierung und Distanzierung der Wertsysteme unterstrichen hat. Im Gegensatz zur postmodernen Transkulturalität verweist diese Einstellung auf eine Multikulturalität hin, die wiederum idealistische Züge trägt.
10 Die Bezeichnung „Übersetzen“ wird meistens mit „Übertragung“ assoziiert, was manchmal zu falschen Vorstellungen führen kann. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Derrida das „Übersetzen“ mit dem Terminus ‚Transformation’ gleichsetzt (Derrida: 1997a: 22). Aus dieser Perspektive betrachtet, kann der Begriff „Translation“, den Otto Kades 1968 eingeführt hat und der seit 1978 von Vermeer im deutschsprachigen Raum eingebürgert wurde, (Vermeer: 1983: 48) in diesem Rahmen interpretiert werden.
11 ‚Multikulturalität’ wird oft als gleichberechtigt nebeneinander stehende Kulturen verstanden, wo homogene Kulturen in einer Gesellschaft zusammenleben. Im Gegensatz dazu geht auch das ‚Interkultur-Konzept’ von einem Verständnis in sich geschlossener, abgegrenzter Kulturen aus, wo aber die Betonung auf den Aspekten des kulturellen Austausches und der Kommunikation liegt. Ausführliches über die Kulturkonzepte von Welsch siehe Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007].
12 ebd.
13 Vermeer definiert den Übersetzungsprozess als einen interkulturellen Transfer (Vermeer: 1983: 52, 85). In seiner Skopostheorie wird mehr die Funktionalität der Übersetzung aus der Perspektive der Zielkultur als die Rolle des Kulturaustausches berücksichtigt (Vermeer: 1983: 86).
14 Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007].
15 ebd.
16 Derrida bemerkt in diesem Rahmen, dass in der westlichen Philosophie seit Aristoteles immer Kategorientafeln erstellt worden sind (Derrida 1972: 185). Eagleton ist der Ansicht, dass die Dekonstruktion eine kritische Vorgehensweise bezeichnet, die die binäre Opposition der klassischen Strukturalisten in Frage stellt. Er betont, dass diese Sichtweise typische ideologisch ist, die „gern strikte Grenzen zwischen dem Akzeptablen und Inakzeptablen, zwischen Selbst und Nicht-Selbst, zwischen Wahrem und Falschem, Sinn und Unsinn, Vernunft und Wahnsinn, Zentralem und Marginalem, Oberfläche und Tiefe (ziehen)“ (Eagleton 1994: 117).
17 Für Derrida ist „(d)er Sinn weder vor noch nach dem Akt” (Derrida 1972: 23). Die Suche nach einem Sinn wird somit auch sinnlos, weil die Übersetzung, so Derrida, „kein Wiedergeben eines Sinnes des Originals (ist)“ (Derrida 1997b: 146).
18 Um die Widersprüchlichkeit der Texte zu zeigen, werden sie so zerlegt, dass kein einheitliches Konzept mehr möglich wird. Dieses Konzept bringt die versteckten und unentdeckten Seiten des Textes hervor, die mit der binären Logik nicht aufzufassen wäre. In diesem Rahmen verweist Derrida auf Nietzsche, der die Logik als eine Sklaverei und als eine Gleichsetzung des Ungleichen ansieht (Derrida 1988: 176).
19 Derrida ist der Auffassung, dass die Sprache “sich selbst konstituieren (muss)”, ohne “Vorbild und ohne gesicherten Adressaten (zu) erfinden” (Derrida 2003: 104). Auch Benjamin ist der gleichen Auffassung wie Derrida. Er weist darauf hin, dass „keine Übersetzung möglich wäre, wenn sie Ähnlichkeit mit dem Original (…) anstreben würde“ (Benjamin 1973: 160).
20 Zum Beispiel kann behauptet werden, dass bei den Theorien keine festen Normen vorhanden sind, an die sich die Übersetzung halten muss; dass jeder Text bzw. jede Übersetzung authentisch und unabhängig bewertet und daher keine Hierarchie zwischen den Texten anerkennt wird; dass bei der Bewertung des Textes nicht der Autor, sondern der Text selbst und der Rezipient in betracht genommen wird; dass in der Übersetzung nicht Gemeinsamkeiten mit dem Original, sondern die Begründung der Unterschiede bestimmend sind; dass bei der Übersetzung die Relativität des Textes problematisiert wird; dass bei der Textanalyse die kulturellen Elemente im Vordergrund stehen; dass in den Texten keine Suche nach einem einheitlichen Sinn gefragt ist; dass im Text nicht die Rationalität, sondern die Subjektivität an Bedeutung gewinnt, die im Text auf eine Ausnahmesituation hinweist; dass nicht die Autorintention, sondern die Textfunktion bei der Übersetzung berücksichtigt wird. Ausführliches über die deskriptiven Übersetzungstheorien siehe Theo Hermanns: Deskriptive Tranlation Studies. (Übrs v. Klaus Kaindl) In: Mary Snell-Hornby u.a. (Hrsg.): Handbuch Translation. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 1998, S. 96-100 und Radegundis Stolze: Übersetzungstheorie. Eine Einführung. Tübingen: Narr Verlag, 2001, S. 149-173.
21 Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007]. Hirsch bezeichnet diesen Ort als ein ‚Niemandsland’ oder ‚Schwellenland’, (Hirsch 1995: 274) wo diese Sprache gesprochen wird. Es ist kein Zufall, dass Fritz Güttinger die Sprache des Übersetzens eine Zwittersprache (Güttinger 1963: 25) nennt. In diesem Rahmen verweist auch Popovič auf den „Mischlings-Charakter der Übersetzung hin,“ (Popovič 1981: 96) die er nach der Rezeptionsart des Lesers als einen „Metatext“ (ebd.) bezeichnet.
22 Benjamin betont in diesem Bezug die Veränderungseigenschaft der Übersetzung. In seinem berühmten Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ vertritt er die Ansicht, dass „die wahre Übersetzung durchscheinend (ist), sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht, sondern lässt die reine Sprache (…) aufs Original fallen“ (Benjamin 1973: 166). Die Aufgabe des Übersetzers ist diese „reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien“ (ebd.: 167). Mit dieser Übersetzung „erreicht das Leben des Originals seine erneute späteste und umfassendste Entfaltung“ (ebd.: 159).
23 Benjamin bringt die Abhängigkeit der Übersetzung vom Original mit der These des Fortlebens zur Sprache, die zu einer Wandlung, Erneuerung und Nachreife des Originals führt (Benjamin 1973: 160). Derrida vertritt die gleiche Ansicht, indem er bemerkt, dass “das Original in der Übersetzung (…) (sich selber) ergänzt und (sich) vervollständigt, indem es sich vergrößert” (Derrida 1997b: 145).
24 Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007].
25 ebd.
26 Das “Unmögliche möglich” machen, ist eine Eigenschaft und kann als ein Erfolg der Übersetzung angesehen werden, die sie, so Derrida, zu einem Wunder macht (ebd.: 138). 
27 Wolfgang Welsch: Kulturverständnis. Netzdesign der Kulturen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch. 1/2002. [Online: http://cms.ifa.de/index.php?id=welsch. Letzter Zugriff am 14.09.2007].
28 Doch dieser Austausch kann nur stattfinden, wenn der Gastgeber die Andersartigkeit oder die Fremdheit des Gastes toleriert und sie nicht assimiliert. Für Derrida beruht das Wesen der Sprache auf der Freundschaft und Gastfreundlichkeit (Derrida 2003: 108, 148). Aus diesem Grund ist es auch verständlich, warum der Übersetzer für Derrida eine Gegenstellung zum Patriotismus einnehmen muss (ebd.: 114).

2.5. Übersetzung und Kulturtransfer

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS
 Inhalt | Table of Contents | Contenu  17 Nr.
INST

For quotation purposes:
Faruk Yücel: Die Souveränität der Übersetzung als ein transkulturelles und postmodernes Phänomen. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-5/2-5_yucel.htm

Webmeister: Branko Andric     last change: 2009-09-03