Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Februar 2010 | |
Sektion 2.8. | Tourismusprospekte in Europa – Herstellung und Übersetzung im Zeitalter der Globalisierung SektionsleiterInnen | Section Chairs: Dagmar Neuendorff und Michael Szurawitzki (Universität Åbo Akademi, Germanische Philologie) |
In »fremdem Gewand«
Anmerkungen zum Problem der visuellen Gestaltung von Touristikprospekten
Jürgen F. Schopp (Universität Tampere) [BIO]
Email: jurgen.schopp@uta.fi
Abstract:
Die Textsorte Reise-/Touristikprospekt ist aus translatorischer Sicht nicht unproblematisch. Zum einen stellt sie die Übersetzer vor die Aufgabe, verbale und nonverbale Inhalte des Ausgangstexts bzw. ausgangskulturellen Mediums für völlig unterschiedliche Adressaten zu konzipieren und zu formulieren, zum anderen werden die zielkulturellen – in der Regel multimodalen – Medien („Textverbünde“) häufig in der Ausgangskultur hergestellt.
Letzteres führt dazu, dass nicht selten Gestaltungskonventionen der Ausgangskultur unreflektiert auf das zielkulturelle Medium übertragen werden, was sich sowohl im Bereich der Orthotypografie (dem zielkulturell korrekten Zeichengebrauch), dem typografischen Qualitätsniveau (z.B. durch Verstöße gegen typografische Gestaltungsmaximen) wie auch im Gesamtlayout (z.B. durch Auswahl und Qualität von Bildern) nachweisen lässt.
Ein anderer Aspekt ist der Einsatz „visueller Kulturspezifik“ als Mittel der Aufmerksamkeitserregung und Werbeelement. Dabei kann es sich sowohl um sprachspezifische typografische Zeichen handeln als auch um die „Translation“ charakteristischer grafischer Merkmale eines nicht-lateinischen Schriftsystems in periphere grafische Merkmale einer lateinischen Schrift sowie die Verwendung kulturspezifischer (lokaler) Bildmotive. Auch hier ist der bewusste Einsatz solcher Mittel, die geeignet sind Signalwirkung auszuüben, von der unreflektierten Anwendung abzugrenzen, die u. U. die Rezeption des Textes erschweren kann.
Der translatorische Umgang mit Reiseprospekten sollte sich daher nicht auf die Analyse des ausgangssprachlichen Materials und die Formulierung des Zieltextes beschränken, sondern den gesamten Herstellungsprozess des zielkulturellen Mediums umfassen –, sei es, dass die Übersetzer selbst die visuelle Gestaltung (z.B. durch Überschreiben der layoutformatierten Ausgangsdokument-Datei und deren Abstimmung auf die zielkulturelle Orthotypografie) vornehmen, sei es, dass sie zumindest bei der Konzeption des touristischen Werbeträgers und später noch in der Produktionsphase „Kundenkorrektur“ als Experten für zielkulturelle visuelle Gestaltungskonventionen beteiligt werden.
In kaum einem Kommunikationsfeld findet sich eine so hohe Dichte an Kulturspezifischem wie in Touristiktexten bzw. Reiseprospekten – gilt es doch, Angehörige einer fremden Kultur über das eigene Land, die eigene Region oder Gemeinde zu informieren und für diese zu werben. Unter dem Begriff Reiseprospekt subsumieren sich freilich die unterschiedlichsten Textsorten, jeweils in unterschiedlichster Aufmachung und Ausstattung, angefangen vom Umfang, über das Format, die Farben bis hin zur Typografie. Neben repräsentativen, anspruchsvoll gestalteten Orts- und Landschafts- bzw. Regionalprospekten in Broschürenform finden sich Faltblätter unterschiedlichen Formats mit Stadtplänen, Panoramadarstellungen ganzer Regionen sowie laientypografisch gestaltete Prospekte kleinerer Ortschaften. Und dies oft in zwei Versionen: als traditionelles Printmedium und als elektronisch-digitales Publikat.(1)
Reiseprospekte gehören zur Gruppe der sog. Image-Broschüren (vgl. Kristensen 2002:194), Druckerzeugnisse also, die nicht nur eine informative Funktion haben, sondern auch eine operative, indem sie die Zielgruppe veranlassen sollen, die Region, den Ort etc. zu besuchen, und eine repräsentative Funktion, indem sie das dargestellte Objekt in einem möglichst günstigen, attraktiven Licht erscheinen lassen wollen. Daher sollte von ihnen jener Grad an sprachlicher und visueller Qualität verlangt werden, der für repräsentative Texte in der respektiven Kultur üblich ist, d. h. sie sollten verbal und visuell die Merkmale aufweisen, die in der Zielkultur für „Botschaftsträger“ (Holz-Mänttäri 1984:23ff) dieser Art erwartet werden.
Wenn Probleme auftreten, sind diese in der Regel darauf zurückzuführen, dass es gerade im Tourismusbereich nicht unüblich ist, diese Informations- und Werbeträger in der Ausgangskultur herzustellen, d. h. dass dort vor allem Text und Layout konzipiert, die Übersetzungen angefertigt und die Druckvorlagen hergestellt werden. Dabei entstehen nicht selten defekte Translate, wenn z.B. bei der Konzeption des Textes (der „Tektonik“; s.u.) nicht berücksichtigt wird, dass der zielkulturelle Adressatenkreis nicht über das gleiche Voraussetzungswissen verfügt wie der ausgangskulturelle, dass er andere Interessen hat und andere Informationen sucht als die im Text an erster Stelle und aus lokaler Perspektive behandelten. Zudem wird der Translationsprozess oft von Übersetzern durchgeführt, für welche die Zielsprache B-Arbeitssprache ist, so dass die zielsprachliche „Textur“ (s.u.) erhebliche Mängel aufweist, da der Text ohne Kontrolle durch A-arbeitssprachliche Textexperten zum Druck gegeben wurde. Und schließlich werden nicht selten Gestaltungskonventionen der Ausgangskultur unreflektiert auf das zielkulturelle Medium übertragen, was sich sowohl im Bereich der Orthotypografie (dem zielkulturell korrekten Zeichengebrauch), dem typografischen Qualitätsniveau (z.B. durch Verstöße gegen typografische Gestaltungsmaximen) wie auch im Gesamtlayout (z.B. durch Auswahl und Qualität von Bildern) niederschlägt.
Für die translatorische Praxis sind Reise- bzw. Tourismusprospekte zweifellos eine wichtige Textsorte, an der sich zudem leicht demonstrieren lässt, dass traditionelle Vorstellungen vom Übersetzen als reine „Sprachmittlung“ bzw. bloßer Sprachtransfer zu eng greifen. Andererseits sind oft nur Translatorinnen und Translatoren(2) als Fachleute für transkulturelle Kommunikation (vgl. Kadric/Kaindl/Kaiser-Cooke 2007) in der Lage, tektonische, textuelle und typografische Defekte des Botschaftsträgers zu erkennen und zu beseitigen – zumindest sollten sie es sein, wenn sie vorgeben, professionell zu arbeiten.
2.1 Translatorische Vertextungsebenen
Jeder Text, besonders aber der in typografischer Gestalt präsentierte, ist ein Gewebe von Zeichen unterschiedlicher Ebenen, die einander bedingen, aufeinander Bezug nehmen, sich gegenseitig ergänzen und so zusammen die Botschaft an den Adressaten vermitteln. Dies veranschaulicht das von mir so genannte „TT+T-Modell“ (Schopp 2005:59–61) in Abb. 1, in dem ich die von Holz-Mänttäri (1984:126, 128, 131–135) auf Designtexte und Translate angewendete Dichotomie von Tektonik und Textur um die visuelle Dimension Typografie erweitert habe. Dies ist sinnvoll, da nicht selten alle drei Ebenen gesondert von betreffenden Fachleuten konzipiert und gestaltet werden.
Abb. 1: Typografischer Text
Aus translatorischer Perspektive und unter dem Blickwinkel der professionellen Gestaltung eines Zieltextes – genauer gesagt eines druck- bzw. publikationsfertigen Translats (vgl. Schopp 2005:398ff) – sind daher die folgenden drei Vertextungsebenen als konstituierend anzusehen:
Diese dritte Ebene fällt traditionell nicht in den translatorischen Aufgabenbereich, auch wenn dem Übersetzer nach Einführung von DTP als „Schreibwerkzeug“ zunehmend diese Leistungen von Auftraggebern abverlangt werden bzw. Übersetzer diese Leistungen als „Mehrwertdienstleistung“ anbieten (vgl. EN 15038). Welche Textebene als translationsrelevant angesehen werden muss, ist bei jeder Auftragsanalyse gesondert zu spezifizieren und hängt davon ab, inwieweit bei der Konzipierung der Tektonik, der Textur und des Layouts zielkulturspezifische Aspekte berücksichtigt worden sind.
Ob die sprachliche und typografische Qualität eines Translats auftragsadäquat ist, richtet sich nach dem Kommunikationsfeld, in dem der Text zum Einsatz kommt, dem Grad an Öffentlichkeit, der dem Text zugedacht ist, dem Repräsentationswert, den das Publikat haben soll und dessen vorgesehener Lebens- und Nutzungsdauer. Schließlich spielt es eine Rolle, ob das Translat in der Ausgangs- oder in der Zielkultur zum Einsatz kommt.
2.2 Vom translatorischen Umgang mit Tourismustexten
Wer sich aus dieser Perspektive mit Tourismustexten beschäftigt, wird unweigerlich die Erfahrung machen, dass sich Texte dieser Art nicht im traditionellen Sinn „übersetzen“ lassen. Oft sind die Ausgangstexte voll von Allusionen bzw. Anspielungen auf Lokales und ausgangskulturelle Phänomene, die bei einer reinen Wiedergabe des Ausgangstextes mit zielsprachlichen Mitteln (d.h. also einem translingualen Verfahren, das in der Öffentlichkeit und auch von manchem Übersetzungswissenschaftler als „Übersetzen“ verstanden wird) zu schlecht funktionierenden Botschaftsträgern führt. Hinzu kommt, dass die Verwendung bestimmter Inhalte ungewollte Vergleiche provozieren kann und vor dem Erfahrungshintergrund des zielkulturellen Rezipienten naiv bzw. übertrieben wirkt.
Ein Beispiel: Mitte der achtziger Jahre erhielt ich den Auftrag, das ins Deutsche übersetzte Manuskript eines Reiseprospekts für die Gemeinde Vammala im Südwesten der finnischen Seenplatte zu begutachten (damals wie heute rund 16.000 Einwohner, die sich auf einer meist ländlich geprägten Fläche von 655 qKm verteilten, davon knapp 10 % Gewässer – heute sind es 876 qKm, davon 72 qKm Gewässer). Der Ort besitzt seit 1965 die Stadtrechte. Das Stadtgebiet – vom Umfang eher einem deutschen Landkreis vergleichbar – ist geprägt von einem dorfähnlichen Ortskern und einer Reihe dörflicher Gemeinwesen, von denen zwei spätmittelalterliche Feldsteinkirchen besitzen; im Ortskern selbst befindet sich eine Kirche aus dem 19. Jahrhundert. Eine Besonderheit ist, dass der Ort über eine für finnische Verhältnisse relativ lange Buchdrucktradition verfügt: hier erschien 1775 die erste finnischsprachige Zeitung, und hier finden seit 1985 jeden Sommer „Tage zur alten Literatur“, verbunden mit einer kleinen antiquarischen Buchmesse, statt. Außerdem befinden sich auf dem Gemeindegebiet mehrere Lehranstalten des Sekundarbereichs. Der finnische Ausgangstext enthielt mehrere Slogans, die auf dem Prinzip der Alliteration basierten und sich auf die oben erwähnten Tatsachen bezogen:
Vammala – kirkkojen kaupunki
Vammala – kirjojen kaupunki
Vammala – koulujen kaupunki
Der deutsche Text war eine reine Sprachübersetzung:
Vammala – die Stadt der Kirchen
Vammala – die Stadt der Bücher
Vammala – die Stadt der Schulen (Vammala 1985)
Ist schon die starke Hervorhebung des Begriffs Stadt im deutschen Text problematisch (nach deutschen Vorstellungen würde man höchstens von einem Landstädtchen sprechen), so noch mehr die Verwendung des bestimmten Artikels und die Erweiterung mit den Genitivattributen, die einem Vergleich mit deutschen Maßstäben nicht standhalten, sondern naiv bis großsprecherisch wirken. Diese unreflektierte Präsentation von Lokalem ist aber typisch für viele in der Ausgangskultur konzipierten Tourismustexte. Außerdem beruht die Wirkung der Slogans zu einem wesentlichen Teil auf dem Stilmittel der Alliteration. Diese lässt sich in der Regel durch eine bloße Übersetzung auf der Benennungsebene, der Textur, nicht im ZT realisieren. Unter Umständen entsteht eine ungewollte Komik oder pathetische Aussage:
Turku – Hauskoja hetkiä ja isoja iloja
Turku – Lustige Augenblicke und große Freuden (Turku 2000)
Ein Übersetzen auf der Benennungsebene, ein rein lingualer Transfer, sollte sich daher von selbst verbieten. Dies erfordert bei vielen in der Praxis tätigen Übersetzerinnen und Übersetzern ein radikales Umdenken. Daher spricht Holz-Mänttäri in solchen Fällen auch nicht vom Übersetzen, sondern vom „translatorischen Handeln“ (1984) und meint damit nicht einen Sprachtransfer, sondern einen Botschaftstransfer, der die zielkulturell adäquate Konzeption des Botschaftsträgers, und die zielkulturelle Anpassung der Tektonik berücksichtigt.
Abb. 2: Seite 20 aus dem Regionalprospekt Kuopion alue kesä 2001 sowie Kuopio Region Sommer 2001
Im folgenden Beispiel aus dem Regionalprospekt Kuopio 2001 (vgl. Abb.2) ist dies zumindest für die folgende Titelzeilen und ihre Untertitel praktiziert worden. Heißt es im Ausgangstext:
Uppo-Nalle on lasten superjulkkis ([Teddybär] Uppo-Nalle ist der Superheld der Kinder) –
Kuopion alueella lapsilla on ihan omat jutut (In der Region Kuopio haben Kinder ihre
ganz eigenen Sachen]
so wurde in der deutschen Version daraus:
Piraten, Tiere, Teddybären – Ferienspaß für Kinder
Die Information über die in der finnischen Kinderkultur bekannte Teddybärfigur Uppo-Nalle wird in der deutschen Version zwar nicht weggelassen, da der Teddybär durch das für alle Sprachversionen verbindliche Layout dem Adressaten buchstäblich ins Auge fällt, aber sie wird verallgemeinert („delokalisiert“) und sinnvoll in den Text integriert.
Der translatorische Umgang mit Tourismustexten darf sich aber nicht auf Inhalt und Sprache beschränken, sondern muss alle Dimensionen des zielkulturellen Publikats berücksichtigen, d.h. auch die visuelle Gestalt, die Typografie – und zwar unter mehrfachem Blickwinkel: einmal als sprach(kultur-)spezifische Orthotypografie, d.h. der korrekten Verwendung typografischer Zeichen, aber auch im Hinblick auf das typografische Gestaltungsniveau und schließlich unter dem Aspekt der potentiellen Werbewirksamkeit kulturspezifischer typografischer Zeichen bzw. Elemente.
2.3 Translatorisches Handeln in der Ausgangskultur: Typografie & Layout als TranslationsproblemGerade in „kleinen“ translatorischen Arbeitskulturen wie Finnland ist es üblich, die zielkulturellen – in der Regel multimodalen – Botschaftsträger (Prospekte, Broschüren etc.) vollständig in der Ausgangskultur herzustellen: vom Textentwurf, der Übersetzung, dem Layout bis zum rezeptionsfertigen Druckerzeugnis. Nicht selten werden dabei ausgangskulturelle Gestaltungs-konventionen unreflektiert auf das zielkulturelle Medium übertragen, ohne sich um zielkulturelle Gestaltungskonventionen zu kümmern.
Wenn in einem solchen Fall der Übersetzer/die Übersetzerin nicht versteht, dass er/sie als Fachkraft für transkulturelle Kommunikation dafür zu sorgen hat, dass Layout und Typografie des Translats bzw. zielkulturellen Publikats den zielkulturellen Qualitätserwartungen und Konventionen folgen sollte, und dass dieses Ziel bei der Konzeption des zielkulturellen Layouts ebenso im Auge behalten werden muss wie bei der Einpassung der Textmenge in letzteres, und dass es schließlich zu seinen/ihren Aufgaben gehört, an der Kundenkorrektur (der letzten Korrekturphase des professionellen Herstellungsprozesses einer Drucksache) mitzuwirken, ist das Resultat nicht selten ein Text „im fremden Gewand“, d.h. in ausgangssprachlicher Orthotypografie und mit geringerem typografischen Gestaltungsniveau. Schlimmstenfalls enthält das zielkulturelle Publikat Layoutelemente, die irritierend oder provozierend wirken. Die Verwendung einer gebrochenen Schrift für die Titelzeile der deutschen Ausgabe des Stadtführers von Kairo ist offensichtlich auf die weltweit verbreitete Vorstellung zurückzuführen, gebrochene Schriften (vor allem Frakturschriften) seien „typisch deutsch“ (Abb. 3). In der aktuellen typografischen Kultur des deutschen Sprachraumes aber referieren Schriften dieser Art bei Textelementen, die sich thematisch auf Deutsches beziehen (in unserem Beispiel: „für Deutschsprachige“) auf den Bedeutungskomplex „(neo)nazistisch, NS-Zeit etc.“ (vgl. Schopp 2002).
Abb. 3: Stadtführer Kairo, deutschsprachige Ausgabe
Typografische Elemente können also durchaus Zeichencharakter annehmen, woraus folgt, dass sie kulturspezifisch eingesetzt werden bzw. dass kulturspezifische typografische Mittel existieren. Damit aber besteht die Möglichkeit, dass sie prinzipiell als „latentes Übersetzungsproblem“ (Schmitt 1989:53f) auftreten können, sei es aufgrund ihrer kulturspezifischen Ausprägung und ihrer Gebrauchsfrequenz oder aufgrund einer kultur- bzw. autorenspezifischen Verwendung. Ein weiteres „visuelles Übersetzungsproblem“ besteht darin, dass unwissentlich gegen typografische Gestaltungsprinzipien verstoßen und damit die Lesbarkeit des Textes erschwert wird. Und schließlich ist damit zu rechnen, dass Auswahl und Qualität nonverbaler Botschaftsträger in der Zielkultur nicht zu dem erwünschten Erfolg führen, da z.B. die präsentierten Bildinhalte einen zu starken ausgangskulturellen Bezug aufweisen, der in der Zielkultur nicht verstanden oder anders interpretiert wird.
Eine vergleichende Studie an einem Korpus von 120 deutschsprachigen Reiseprospekten – 60 in Finnland übersetzten und gedruckten (Kürzel: FD) und 60 original deutschsprachigen, in Deutschland hergestellten und sich auf dortige Objekte beziehenden (DD) – zeigt für den Bereich Tourismus deutlich die Tendenz, bei der Realisierung des zielkulturellen Layouts von den ausgangskulturellen Gestaltungskonventionen auszugehen.
Was das Verhältnis von Ausgangstext-Layout und Zieltext-Layout betraf, so lagen für 35 Exemplare des FD-Korpus finnischsprachige Parallelen mit voll oder größtenteils identischem Layout vor.(3) Belege zeigten teilweise Übereinstimmung. Für den Großteil des restlichen FD-Korpus läßt sich somit annehmen, dass auch hier den deutschsprachigen Versionen voll oder teilweise layoutidentische finnischsprachige Ausgaben zugrunde liegen. Dies spiegelt die weltweit vorherrschende Praxis wider, aus Kostengründen aufgrund einer ausgangssprachlichen und -kulturellen Fassung sämtliche Versionen in mehreren Zielsprachen mit identischem Layout (Bildauswahl, Bild- und Textplatzierung etc.) anzufertigen. In keinem der Fälle war nachweisbar, dass für die Zielkultur ein eigenes, adäquates Layout geschaffen worden war (vgl. Schopp 2005:321–334).
3.1 Ausgangskulturelle typografische Gestaltungskonventionen
Die in kleinen Translationskulturen vorherrschende Praxis, das zielkulturelle Publikat selbst herzustellen, spiegelt sich im visuellen Erscheinungsbild der Drucksachen wider, vor allem im orthotypografischen Bereich. Die eben beschriebene kontrastive Untersuchung an einem Korpus von Reiseprospekten, die Finnland konzipiert und hergestellt wurden im Vergleich zu einer gleichen Zahl von in Deutschland hergestellten Tourismustexten zeigt deutlich, dass es bei der Herstellung einer zielsprachlichen Drucksache in der Ausgangskultur fast die Regel ist, ausgangskulturelle Visualisierungskonventionen in das zielkulturelle Publikat zu übernehmen, was in gewissen Grade zu einem Verfremdungseffekt führt, der die Informationsaufnahme zwar nicht gerade verhindert, aber doch erschwert und u. U. die Ästhetik des Textbildes beeinträchtigt (vgl. Bokor 1998).
Die folgende Grafik (Abb. 4) zeigt anhand der Verwendung finnischer Anführungszeichen (A), der Gliederung von Telefonnummern (B), des Auftretens schwer lesbaren Versalsatzes (C) und der Tendenz zur Verwendung kleiner Lesegrößen (D), wie häufig die finnischen Gestaltungskonventionen unreflektiert in zielkulturelle Layout übernommen werden. So verwenden fast die Hälfte der FD-Prospekte (27 Belege) die finnischen Anführungszeichen – den deutschen Konventionen folgten lediglich 5 FD-Belege. Noch extremer verhält es sich mit der Gliederung der Telefonnummern: hier folgen 50 FD-Belege der finnischen Konvention, die Telefonnummer in Dreiergruppen (statt wie im Deutschen üblich in Zweiergruppen) zu gliedern. Auffallend ist auch die Bevorzugung von (schwer lesbarem) Versalsatz, also Textgruppen in Großbuchstaben: fast die Hälfte des FD-Korpus realisiert dieses typografische Mittel, das DD-Korpus dagegen weist keinen Beleg auf. Die Tendenz zur Verwendung kleinerer Lesegrößen für Mengentext (s. 3.4) findet sich im FD-Korpus mit 26 Belegen doppelt so häufig wie im DD-Korpus (13 Belege).
Abb. 4: Typografische Gestaltungskonventionen der Ausgangskultur im Zieltext
Für die meisten dieser Fälle kann angenommen werden, dass die betreffenden Übersetzer bzw. Übersetzerinnen die typografische Ebene nicht berücksichtigt bzw. es versäumt haben, sich an der Kundenkorrektur zu beteiligen.
Abgesehen von der unter Fachleuten immer wieder als „zu ehrlich“ kritisierten Bildqualität finnischer Reiseprospekte bilden ein weiteres Problem ausgangskulturspezifische Bildinhalte, die in der Zielkultur anders (meist negativ) interpretiert werden. Darauf wird in Kap. 4.3 noch näher eingegangen.
3.2 Differierendes Gestaltungsniveau
Die mechanische, unreflektierte Übernahme ausgangskultureller Gestaltungskonventionen oder -ge-wohnheiten bei der Herstellung eines Publikats in der Ausgangskultur lässt oft den adäquaten visuellen wie verbalen Qualitätsgrad außer Acht. Dies führt nicht selten zu einem Widerspruch zwischen äußerer (technischer) Ausstattung (Papier, Mehrfarbendruck) und (ortho-)typografischer Qualität. Verbindet sich dies mit der in vielen Fällen noch mangelnden sprachlichen Qualität der Übersetzung (s.o.), ist das Resultat ein Produkt, das – zumindest bei Rezeption in der Zielkultur – den zielkulturellen Standards und Normen nicht entspricht und „negativ“ auffällt.
Wird die zielkulturelle Drucksache in der Ausgangskultur oder in einer Drittkultur gesetzt und gedruckt, so kann – teilweise auch bedingt durch die immer häufigere translatorische Praxis des Überschreibens der layoutformatierten Ausgangstextdatei mit der Übersetzung – das handwerkliche Gestaltungsniveau des Layouts erheblich von den Qualitätserwartungen der zielkulturellen Adressaten abweichen, sofern dort andere handwerkliche Traditionen bestehen oder die visuelle Gestaltung im betreffenden Kommunikationsfeld vorwiegend durch Laientypografen ausgeführt wird. Daher ist damit zu rechnen, dass Fälle auftreten, in denen das typografische Niveau innerhalb der gesamten Kultur oder spezifischer Kommunikationsfelder nicht so hoch ist wie in der Zielkultur – eine Tatsache, die auch von selbstkritischen Fachleuten der betreffenden Kultur eingestanden wird:
Das in Suomen typografinen atlas [Typografischer Atlas Finnlands – JS] gesammelte Material unserer frühen Buchdruckereien erinnert daran, welch dünne Schicht die typografische Kultur in unserem Land hat. Vermutlich leiten sich das schillernde Wesen und die Qualitätsprobleme unserer heutigen typografischen Produktion zu einem kleinen Teil von dem schwierigen und verhältnismäßig späten Beginn der finnischen Buchkultur her. (Hinkka 2000; Übersetzung JS)
[Im Originalwortlaut:] ”Suomen typografiseen atlakseen tallennettu varhaisten kirjapainojemme aineisto muistuttaa maamme typografisen kulttuurin ohuudesta. Ehkä tämänhetkisen typografisen tuotantomme kirjavuus ja laatuongelmat periytyvät pieneltä osin tähän suomalaisen kirjakulttuurin vaikeaan ja suhteellisen myöhäiseen alkutaipaleeseen.”
So weisen – nach mitteleuropäischem Maßstab – viele der FD-Belege eine nicht unerhebliche Zahl von Verstößen gegen typografische Regeln oder gegen die Prinzipien der Lesbarkeit auf. Dies sei hier an folgenden typografischen Größen demonstriert (Abb. 5): der Häufigkeit englischer Anführungen im deutschen Text (A: FD 14 – DD 6), der Verwendung von Zollzeichen anstelle von Anführungszeichen (B: FD 22 – DD 2), der Verwendung des Bindestrichs („Divis“) anstelle des Gedankenstrichs (C: FD 31 – DD 11), dem Auftreten der Umbruchsünden „Hurenkind“ (D: FD 14 – DD 1) und „Schusterjunge“ (E: FD 16 – DD 2), dem Vorkommen von „erzwungenem Blocksatz“, d.h. von Zeile zu Zeile wechselnder Laufweite (F: FD 16 – DD 6) und schließlich dem Auftreten des Eszett als Versalbuchstabe (G: FD 7 – DD 1).
Abb. 5: Differierendes typografisches Gestaltungsniveau
Die Ursachen dafür mögen zumindest z.T. in unterschiedlich starker Nutzung von DTP durch Kräfte liegen, die ohne Fachausbildung typografisch tätig sind und ihre Dienstleistungen auch auf dem Translationsmarkt, in der Werbebranche und selbst im grafischen Bereich anbieten.
3.3 Translationsbedingte Verstöße gegen Leserlichkeitsfaktoren
Am folgenschwersten ist aber die Tendenz bei finnischen Reiseprospekten zu werten, dass die im Ausgangstext umfangreiche Textmenge bereits in einem relativ kleinen Schriftgrad (kleine Lesegröße oder gar Konsultationsgröße) präsentiert wird. Durch die translatorische Bearbeitung wächst das Textvolumen in der Regel nicht unerheblich, so dass nicht selten zu der Lösung gegriffen wird, über die Manipulation typografischer Parameter den Text auf der zur Verfügung stehenden, durch das Layout vorgegebenen Fläche (Schmitt 1999:310ff spricht in diesem Fall von „Flächenrestriktion“) unterzubringen – mit negativen Folgen für die Leserlichkeit des Textes.
Deutsche Typografen unterscheiden im Hinblick auf die Schriftgröße, in der Teiltexte bzw. Textelemente gesetzt sind, zwischen Konsultations-, Lese- und Schaugrößen (vgl. Luidl 1988:72f). Erstere betreffen Textelemente geringeren Umfangs, die kurz konsultiert werden, mit denen sich das Auge daher auch nur kurz beschäftigt. Die betreffenden Schriftgrade liegen zwischen 6 und 8 Punkt. Für größere Textmengen (man spricht von Mengensatz, Fließtext, Mengentext, Lesetext oder Grundtext), mit denen das Auge lange beschäftigt ist (Willberg/Forssman 1997:16–21: „lineares Lesen“) dienen je nach Schriftcharakter und Format die Schriftgrade von 9 bis 14 Punkt, eben die „Lesegrößen“. Was darüber hinaus geht (ab 14 Punkt) dient als „Schaugröße“ für Textelemente, die den Blick auf sich ziehen sollen, also Titelzeilen, Slogans u.ä.
Wird nun – wie zuweilen von laientypografisch argumentierenden Translatologen empfohlen – die Schriftgröße reduziert, kann es passieren, dass aus der Lesegröße des Ausgangstext-Layouts im Zieltext eine Konsultationsgröße wird, der Text als buchstäblich zum „Kleingedruckten“ mutiert.
Während im DD-Korpus die Schriftgröße fast immer konstant gehalten wird (A: FD 46 – DD 57), zeigen die betreffenden Daten für das FD-Korpus die Neigung, trotz gleichem Textniveau häufiger die Schriftgröße für den Mengensatz zu wechseln (B: FD 14 – DD 3). Zudem verwendet das FD-Korpus seltener als das DD-Korpus große bis mittlere Lesegrößen (C: FD 34 – DD 46), dafür häufiger kleine Lesegrößen (D: FD 25 – DD 13) oder sogar ausgesprochene Konsultationsgrößen (E: FD 13 – DD 3).
Dies lässt sich einerseits durch die typografische Tradition erklären (s.o.), könnte aber auch im höheren Anteil von Laientypografen liegen, die in den Herstellungsprozess eingebunden sind.
Abb. 6: Text in Konsultations- und Lesegrößen
Grundsätzlich gilt: Wenn der Zieltext sprachbau- und kommunikationsbedingt länger als der Ausgangstext wird, lassen sich die bei seiten- und flächenorientiertem Layout entstehenden Unterbringungsprobleme oft nur durch Eingriffe in den Text (z. B. unter Ausnutzung von sprachlichen Verdichtungsstrategien) und nur ganz selten und dann bis zu einer gewissen – durch den Faktor Lesegröße bestimmten – Grenze, durch Reduzierung der Schriftgröße bzw. der Laufweite lösen.3 Eine Reduzierung der Schriftgröße kommt nur in Frage, wenn sich diese innerhalb der Lesegrößen und der durch den Faktor optimale Lesbarkeit gesetzten Grenzen hält. Im Prospekt der Gemeinde Ilomantsi aus dem Jahr 1986 wies der Ausgangstext auf Seite 3 (Abb. 7, links) eine Schriftgröße von 9 Punkt auf – eine für diese Textsorte noch akzeptable Lesegröße. Dies änderte sich bei der deutschen Übersetzung: Offensichtlich wegen der größeren Textmenge wurde der Text in einer Größe von 7,5 Punkt, also einer typischen Konsultationsgröße gesetzt (Abb. 7 rechts).
Abb. 7: Von der Lesegröße (links) zur Konsultationsgröße (rechts)
Ist aus drucktechnischen und/oder Layoutgründen gegen eine größere Textmenge nichts einzuwenden (z. B. weil akzeptiert wird, dass mehr Seiten anfallen), können bei vorgedruckten Abbildungen durch die feste Platzierung der Abbildungen Zuordnungsprobleme entstehen und der Text-Bild-Bezug verloren gehen, indem z. B. der auf die Abbildung verweisende Text erst auf der nächsten Seite oder in einer anderen Spalte folgt.
Ein anderer Aspekt ist der Einsatz „visueller Kulturspezifik“ als Mittel der Aufmerksamkeitserregung und Werbeelement. Dabei kann es sich sowohl um sprachspezifische typografische Zeichen handeln als auch um die „Translation“ charakteristischer grafischer Merkmale eines nicht-lateinischen Schriftsystems in periphere grafische Merkmale einer Schrift des lateinischen Schriftsystems sowie die Verwendung kulturspezifischer (lokaler) Bildmotive. Auch hier ist der bewusste Einsatz solcher Mittel, die geeignet sind Signalwirkung auszuüben, von der unreflektierten Anwendung abzugrenzen, durch die u.U. die Rezeption des Textes erschwert werden kann oder unbeabsichtigte Interpretationen ausgelöst werden.
4.1 »Translation« charakteristischer grafischer Merkmale nicht-lateinischer Schriftsysteme
Die einzelnen Buchstaben einer Schrift („Grafe“) unterscheiden sich voneinander durch grafisch distinktive Merkmale wie z.B. bei den Grafen F/E, b/d/p/q, auch zentrale grafische Merkmale genannt (vgl. Jegensdorf 1980:19). Die einzelnen typografischen Schriften (heute meist nur Fonts genannt) unterscheiden sich durch periphere grafische Merkmale – zusätzliche Elemente, die zur Grundgestalt des Grafs hinzutreten (Abb. 8), diese in einigen Fällen sogar überlagern können (vgl. Schopp 2005:132f).
Abb. 8: Das Graf A mit unterschiedlichen peripheren grafischen Merkmalen
Gerade im touristischen Kommunikationsfeld finden sich Fälle, in denen charakteristische Merkmale von Schriften anderer Schriftsysteme als periphere grafische Merkmale auf die lateinische Schrift übertragen werden. Abb. 9 zeigt eine deutschsprachige Titelzeile im geschwungenen Charakter der arabischen Schrift. In Abb. 10, der Titelseite eines Prospekts für Alt-Ladoga, finden sich – bedingt durch die Verwandtschaft innerhalb des griechischen Schriftenkreises – einige identische Buchstaben (t, a, o) sowie der kalligrafischen kyrillischen Schrift nachgebildete lateinische Buchstaben (S, r, j, L, d, g).
Abb. 9 & 10: „Translation“ charakteristischer grafischer Merkmale nicht-lateinischer Schriften in periphere grafische Merkmale einer lateinischen Schrift |
4.2 Sprachspezifische typografische Zeichen
In vielen Sprachen ist man gezwungen gewesen, das lateinische Basisalphabet mit „Sonderzeichen“ zu erweitern, um bestimmte Laute der betreffenden Sprache wiedergeben zu können. Dazu haben sich in einigen Sprachen noch Varianten (Allografe) gebildet, die nicht-muttersprachlichen Lesern ebenfalls Schwierigkeiten bereiten (z.B. das lange s der gebrochenen Schriften und das Eszett im Deutschen, die skandinavischen Grafe Å, å und Ø, ø, die isländischen Grafe Ð, ð und Þ, þ etc.).
Prinzipiell bieten diese Zeichen die Möglichkeit, sie als Mittel der Aufmerksamkeitserregung und Exotisierung einzusetzen, doch kommen in meinem Untersuchungskorpus keine Fälle vor, abgesehen von der an sich schon exotisch wirkenden Verdoppelung einiger Buchstaben (ää, öö, yy)(4) in finnischen Ortsnamen. Denkbar sind:
4.3 Kulturspezifische Bildinhalte
Seit der Einführung von Desktop-Publishing und der damit verbundenen leichten Einbindung von Abbildungen in den Text, lässt sich in vielen Kommunikationsfeldern eine zunehmende „Ikonisierung“ der schriftlichen Kommunikation beobachten: die Dominanz des Bildes gegenüber dem Text, die teilweise dazu führt, dass der Text kaum noch leserlich präsentiert wird. Dies gilt auch und besonders für Tourismustexte.
Im Tourismuswesen scheint die Rolle des Bildes nicht unumstritten zu sein. Sager (1980) nennt ein Beispiel für die (damals gängige?) Praxis, anregende Fotos zu verwenden, auch wenn diese nicht aus dem betreffenden Ort stammen. Er schließt mit den Worten: „Touristische Werbephotos sollen nicht dokumentierten, sondern stimulieren. Es geht um die Wunschvorstellungen der Wirklichkeit, um die Wirklichkeit der Wünsche.“ Die österreichischen Experten für Fremdenverkehrsmarketing Zolles, Ferner und Müller fordern dagegen für Bilder in Reiseprospekten u.a.: „Nur Motive des betreffenden Betriebes, Ortes, der Region verwenden!“ und „Jede Darstellung überprüfen, ob sie für den Urlaub von Informationswert ist.“ (1981:183).
Ein bislang weniger beachtetes und reflektiertes Übersetzungsproblem sind kulturspezifische Darstellungsinhalte (vgl. Schmitt 1989:80f). Grundsätzlich geschieht die Interpretation von Bildinhalten vor dem Hintergrund der eigenen Kultur und individueller Erfahrungen (vgl. Bechtold/Scherer 1987:306ff).
Daraus ergibt sich beim kulturellen Botschaftstransfer das Problem, dass Abbildungsinhalte, die in ihrer Kultur einen bestimmten Symbolwert haben oder als „nationales“ Motiv in der Ausgangskultur allgemein bekannt sind, in der Zielkultur völlig fremd sind und u. U. gegensätzliche oder nicht beabsichtigte Assoziationen auslösen können.(5) So zeigte eine kleine Umfrage unter Angestellten der SAP in Waldorf bei Heidelberg, dass das in Abb. 11 dargestellte Motiv in erster Linie mit „Waldsterben“ in Verbindung gebracht wurde, während der abgestorbene Baum (fi. kelohonka, kelo) in der finnischen Kultur einerseits wertvolles Bauholz für Sommerhäuser ist, andererseits als Symbol freier, unberührter Natur gewertet wird. Daher gilt: „[U]nter Umständen muss auch die Bildinformation ,übersetzt‘, also an die kulturellen Normen der Zielkultur angepasst werden“ (Resch 1999:166).
Abb.11: Kulturspezifische Interpretation von Bildinhalten:
„Waldsterben“oder „freie, unberührte Natur“?
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich trotz der gemeinsamen europäischen Tradition im grafischen Bereich so etwas wie eine visuelle Kulturspezifik für die typografische Textgestaltung herausgebildet hat, die sich im translatorisch-transkulturellen Bereich vor allem durch die Wahl der Schriftgröße und im Einsatz bestimmter typografischer Zeichen sowie in der unterschiedlichen Gewichtung der visuellen Textästhetik und damit im typografisch-qualitativen Niveau äußert. Hinzu kommt in einigen Fällen die Kulturspezifik von Schriftcharakter, Farben und Bildinhalten, deren Auswahl nicht unreflektiert aus lokaler Perspektive erfolgen kann, da dann die Gefahr unbeabsichtigter oder gar unerwünschter Interpretationen besteht.
Die einzige Kontrollinstitution ist in solchen Fällen der Übersetzer und die Übersetzerin, die allerdings mindestens über eine typografische Basiskompetenz verfügen müssen (vgl. Schopp 2005:395f), in deren Rahmen sie typografische Vertextungsmittel und -prinzipien sowie die typografischen Konventionen von Ausgangs- und Zielkultur kennen. Zudem sollten sie ein weiteres Verständnis von „Translationsprozess“ haben als es leider oft noch der Fall ist: Der Prozess kann erst als abgeschlossen gelten, wenn der Text seine endgültige Gestalt erhalten hat. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Phase der Kundenkorrektur abgeschlossen und das „Imprimatur“ bzw. „Gut-zum-Druck“ erteilt ist.
Der translatorische Umgang mit Reise- bzw. Touristikprospekten sollte sich daher nicht auf die Analyse des ausgangssprachlichen Materials und die Formulierung des Zieltextes beschränken, sondern auch die visuell-verbalen (typografischen) und visuell-nonverbalen Ausdrucksmittel berücksichtigen. Zudem sollte er den gesamten Herstellungsprozess des zielkulturellen Mediums umfassen –, sei es, dass die Übersetzer selbst die visuelle Gestaltung (z.B. durch Überschreiben der layoutformatierten Ausgangsdokument-Datei und deren Abstimmung auf die zielkulturelle Orthotypografie) vornehmen, sei es, dass sie zumindest bei der Konzeption des touristischen Werbeträgers und später noch in der Produktionsphase „Kundenkorrektur“ als Experten für zielkulturelle visuelle Gestaltungskonventionen beteiligt werden.
Bibliographie
2. Bildnachweis
3. Sonstige Quellen
2.8. Tourismusprospekte in Europa – Herstellung und Übersetzung im Zeitalter der Globalisierung
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