Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | März 2010 | |
Sektion 3.2. | Transcontinental Transfer of Literature and Arts to Transform Traditional Societies Sektionsleiter | Section Chair: Hsia Adrian (McGill University, Canada) |
Susanna oder la vergogneuse nature de dames(1)
Katerina Karakassi (Universität Athen) [BIO]
Email: katerina.karakassi@googlemail.com
I.
Horkheimer und Adorno notieren in ihrem epochenmachenden Schrift Dialektik der Aufklärung zur Morallehre des aufklärerischen Projektes: „Die Morallehren der Aufklärung zeugen von dem hoffnungslosen Streben, an Stelle der geschwächten Religion einen intellektuellen Grund dafür zu finden, in der Gesellschaft auszuhalten, wenn das Interesse versagt. Die Philosophen paktieren als echte Bürger in der Praxis mit den Mächten die nach ihrer Theorie verurteilt sind.“(2) Setzen dabei Adorno und Horkheimer den Akzent auf die Beherrschung durch Demoralisierung und sehen sie die totalitären Ordnungen der Moderne bzw. den Faschismus als eine zwangsmäßige Entwicklung des aufklärerischen Devisenkomplexes, so liefert Kondylis von der selben Feststellung ausgehend eine differenzierte anthropologisch- geschichtsphilosophische Deutung der aufklärerischen Denkbewegung und ihrer Morallehre. Indem er die Aufklärung als den mannigfaltigen Versuch deutet, „die Frage nach den Beziehungen von Geist und Sinnlichkeit zu beantworten“(3), schafft er eine Interpretationsfolie, die ihm erlaubt die Aufklärung in ihrer Multidimensionalität zu erfassen.
Kondylis räumt zwar ein, daß diese Dualismus-Problematik zentral für alle Philosophie ist, stellt aber auch gleichzeitig fest, daß in der Aufklärung das Problemfeld der Sinnlichkeit auf einer besonders dringlichen Weise in den Mittelpunkt rückt. Auf die ontologische und moralphilosophische Abwertung der Sinnlichkeit in der platonisch-christlichen Tradition antwortet nämlich die Aufklärung mit der Rehabilitation der Sinnlichkeit.
„Weltanschaulicher Rationalismus und Rehabilitation der Sinnlichkeit verbinden sich zunächst in polemischer Absicht miteinander; die Aufbietung der Sinnlichkeit bildet die Waffe eines Intellekts, der ein Denksystem errichten will, das sich unter anderem gegen die Wertskala einer anderen Weltanschauung wenden soll... Mit der polemischen Absicht hängt auch die erwähnte Vermählung von Rationalismus und Ablehnung der Askese unter dem gemeinsamen Nenner der existentiellen Intensität zusammen: wie beim Gegner Autorität und Askese die beiden Bestandteile der Heteronomie ausmachen sollen, so besteht hier die Autonomie einerseits in der Loslösung der Denktätigkeit des Gegners und andererseits in der Berücksichtigung der menschlichen Sinnlichkeit auf der Ebene der Moral.“(4)
Die implikationsreiche Umwertung der Sinnlichkeit und die damit verbundene Aufwertung des Körpers resultiert aus der Polemik der Aufklärer gegen die theologische Moral und Ontologie und liefert als Grundbestandteil eines Argumentationsarsenals ein zwar effizientes, so doch auch problematisches Mittel für den Entwurf einer neuen Weltauffassung, die den Menschen als ein souveränes Subjekt und gleichzeitig als privilegiertes, sowie prekäres Objekt präsumiert.
Effizient insofern, daß die Sinnlichkeit sich neben der Rationalität als ein besonderer strategischer Stützpunkt zur Abgrenzung der aufklärerischen Position erwies. Gegen die metaphysisch- ontologische Doktrin der Theologie und ihre Beharrlichkeit auf Askese werden die Autonomie der Natur und der Selbstwert der Sinnlichkeit als Argumente benutzt, die die Anklage gegen die dem nicht aufgeklärten Mittelalter zugeschriebene Heteronomie unterstützen. Die Rehabilitation der Sinnlichkeit im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus stellt aber die Aufklärung vor enorme logische Probleme. Es ist nicht nur das paradoxe Bündnis zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, das sich für Antinomien und symptomatische Verstrickungen in hierarchischen Fragen sorgt, sondern auch die Gefahr, die konsequenten Extrempositionen, wie der Nihilismus und die radikale Skepsis, darstellen. So kann Kondylis die „Aufklärung“ folgendermaßen definieren:
„...einerseits sind unter „Aufklärung“ die geistigen Strömungen zu verstehen, die an Stelle der traditionellen theologischen eine säkulare Weltauffassung bzw. eine möglichst immanente Welterklärung setzen wollen, und andererseits – im engeren Sinne – jene Strömungen, die ein normativ-moralisches Ideal, was das auch jeweils bedeuten mag, nicht nur gegen die traditionelle Theologie, sondern auch gegen den bei bzw. aus dem Säkularisierungsprozeß selbst entstehenden Skeptizismus und Nihilismus verteidigen.“(5)
Der Versuch aber ein normativ-moralisches Ideal festzulegen und mit den Mitteln der Vernunft zu begründen hatte folgenreiche Implikationen, die sich nicht so einfach beseitigen ließen. Die Einsicht in den Machtbereich der Affekte und der Triebe, sowie die daraus resultierende Notwendigkeit die menschliche Sinnlichkeit zu zügeln, verschärften die Beziehungen zwischen Sein und Sollen und erforderten nicht nur eine neue Moralphilosophie, die das Projekt der Aufklärung dringend benötigte, sondern auch eine differenzierte Stellung des Körpers im zu elaborierenden Diskurs.
Die Frage, wie dies auf den Körper und seine Repräsentationen in der Kunst wirkte, kann nicht eindimensional beantwortet werden. Man sollte nämlich davon ausgehen, wie auch Kondylis suggeriert, daß die Einheit der Aufklärung vielmehr auf einem gemeinsamen Fragenkomplex beruht, als auf den Antworten darauf. Und in Tat es gibt kein einheitliches Verständnis oder Konzept für die menschliche Sinnlichkeit in der Neuzeit. Im Gegenteil: man sollte eher von einer spannungsreichen und nicht gerade friedlichen Koexistenz antinomischer Positionen und individueller Lösungen ausgehen. Die verschiedenen Repräsentanten aufklärerischen Denkens zu denen so verschiedene Persönlichkeiten und Denker gehören, wie Rousseau und La Mettrie, Fichte und De Sade um nur ein paar hier zu nennen, bezeugen dies. Doch es existiert eine Konstante, die das ganze Zeitalter durchzieht: die radikale Problematisierung der Sinnlichkeit, sei es um den Preis ihrer Ablehnung oder Anbetung, ihrer Beherrschung oder Instrumentalisierung
Am Beispiel einer prekären Situation, nämlich der voyeuristischen Neugierde wird, im folgenden die tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Sinnlichkeit im Kontext gewaltsamer Umstürzungen von Werthierarchien in der Neuzeit aufgezeigt. These dieser Arbeit ist, daß die Rehabilitation der Sinnlichkeit, die Kondylis feststellt, nicht nur neue Freiheitsräume und neue Disziplinierungsaufgaben für den Körper in seiner äußeren und „inneren“ Sinnlichkeit mit sich brachte, sondern auch eine Gegenbewegung hervorgerufen hat, die für den Körper, als Schnittstelle zwischen Sinnlichkeit und Geist, als ein besonders verwundbares und gleichzeitig resistentes Objekt, eine Gefährdung bedeutete, die in der Kunst nachdrücklich modelliert wurde.
Die Geschichte der Heiligen Susanna und ihre malerischen Darstellungen werden dabei als Beispiel dienen. In einer breit entfächerten zeitlichen Achse aufgelegt, wird die allmähliche Entwicklung dieses Topos ans Licht gebracht. Während die reichhaltige kunstgeschichtliche Forschungsliteratur sich auf die ikonographischen Transformationen des Stoffes konzentriert hat, wird hier versucht die narrative Brisanz des Themas zu erhellen.
II.
Eine nackte Frau beim Baden zu beobachten, ist ein sehr alter Topos. Als Artemis von dem Jäger Aktaion beim Baden überrascht wurde, verwandelte sie ihn voll Zorn in einen Hirsch und ließ ihn von seinen Hunden zerfleischen. Im Alten Testament verläuft eine ähnliche Geschichte freilich ganz anders.(6) Susanna, die schöne und fromme Frau von Joachim, wird, als sie von zwei Lustgreisen des Ehebruchs angeklagt wird, nachdem sie ihre obszönen Angebote abgelehnt hat, von einem jungen Mann namens Daniel, dem späteren Propheten, gerettet. Die Geschichte kommt zuerst in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments vor, im 13. Kapitel des Buches Daniel, und ist eindeutig profaner Herkunft. Der alttestamentarische „Kriminalfall“, der leicht variiert in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht zu lesen ist, beginnt damit, daß Susanna von zwei alten Richtern beim Baden im Garten ihres Hauses überrascht wird.
Und es geschah, während sie einen geeigneten Tag ausspähten, (da) kam sie (wieder) einmal wie gestern und vorgestern mit nur zwei Mädchen herein und hatte Lust, ein Bad zu nehmen im Park, weil Hitze herrschte. Und es war dort niemand außer den zwei Ältesten, die sich versteckt hatten und sie beobachteten. Und sie sagte zu den Mädchen: Bringt mir nun Öl und Salben und schließt die Tore des Parks, damit ich baden (kann). Und sie taten, wie sie gesagt hatte, und verschlossen die Tore des Parks und gingen zu den Nebentoren hinaus, um das ihnen Aufgetragene zu holen; und sie sahen die Ältesten nicht, weil sie versteckt waren.
Und es geschah, sobald die Mädchen hinausgegangen waren, da standen die zwei Ältesten auf und rannten auf sie zu und sagten: Siehe, die Tore des Parks sind geschlossen, und niemand schaut uns zu, und wir sind in Begierde nach dir. Deshalb sei einverstanden und verkehre mit uns! (7)
Die lüsternen Alten, die noch zudem Richter sind, und die die junge Frau begehren, drohen ihr an, daß, wenn sie ihren sexuellen Wünschen nicht entgegenkommt, sie sie einer Affäre mit einem jungen Mann beschuldigen würden. Obwohl der Ehebruch mit Todesstrafe geahndet wurde, entscheidet sich Susanna für ihre Keuschheit:
Und Susanna seufzte auf und sagte: Eng (ist es) mir von allen Seiten; denn wenn ich dieses tue, ist es mein Tod, und wenn ich (es) nicht tue, werde ich euren Händen nicht entkommen. Es ist für mich vorzuziehen, ohne (es) getan zu haben, in eure Hände zu fallen, als zu sündigen vor JHWH.(8)
Daniel, der damals jung war, erahnt durch eine göttliche Erleuchtung das Komplott der Alten und es gelingt ihm, sie separat zu verhören. Dieses Kreuzverhör bringt die Wahrheit ans Licht und hilft Susanna der ruchlosen Verleumdung zu entkommen. Zwischen dem moralischen Tod, den die Sünde des Ehebruchs bedeutet, und der öffentlichen Entehrung, die tödlich enden würde, wählt Susanna den realen Tod und wird somit zum Vorbild der Keuschheit und der Tugend. Sie verkörpert folglich die asketischen Ideale der weiblichen Keuschheit im Christentum und fungiert als allegorische Zuweisung gegen die Gefahren der Sinnlichkeit und die Macht der Begierde.
Diese Geschichte, die höchstwahrscheinlich einen orientalistischen Ursprung hat, wird vor dem 15. Jahrhundert eher selten abgebildet und wenn, dann immer im etablierten kultischen Zusammenhang, in dem Susanna als Präfiguration Christi interpretiert und deshalb als ein Schaf zwischen zwei Wölfen dargestellt wird. (Abb. 1)
Die typologischen Abbildungen entsprechen oft den drei wichtigen Momenten der Erzählung, nämlich dem Überfall im Garten, der Szene im Gericht und dem Triumph der Keuschheit bzw. der Anbetung Gottes und sind als narrative Sequenzen gedacht, die die Geschichte deskriptiv veranschaulichen.(9) Die festgelegten, fast kodierten Darstellungen, beginnen im 15. Jahrhundert zu variieren, so werden in pittoresken, illustrativen Abbildungen verschiedene, neue Details beigefügt, wie z.B. im Manuskript von Jean Mansel de Hesdin La Fleur de Histoires.(10)
Erst vom 16. Jahrhundert an wird die Zahl der Darstellungen erheblich zunehmen. Sie lösen die Geschichte allmählich aus ihrem religiösen Rahmen und „erzählen“ sie kreativ. Die Szenen im Gericht und die Anbetung Gottes werden fast kaum mehr abgebildet; es bleibt die Szene des Überfalls übrig, die nun ins Zentrum des Interesses rückt und mit neuen Elementen geschmückt wird. Lorenzo Lotto gibt wahrscheinlich als erster der christlichen Märtyrerin eine Venusgestalt(11) und markiert somit den Wandel in der Susanna-Ikonographie. Seine Susanna-Darstellung respektiert zwar den sakralen Inhalt der Geschichte, erneuert aber gleichzeitig das ikonographische Muster (Abb. 2). Das antike Vorbild, die hockende Venus schöpferisch kopierend, bricht Lotto mit der Tradition, die Susanna mit den beiden Alten allein im Garten wollte. Indem er neben den zwei Alten zwei weitere männliche Figuren zeigt, die als ein hineineilendes, schauendes Publikum fungieren, das von der Schönheit der Frau angezogen ist, verbildlicht er innovativ die narrative Sequenz des Überfalls, der hier auf keine Art von Bedrohung, Nötigung oder Gefahr hindeutet. Mit ihrer erhobenen Hand scheint Susanna die Männer zurechtzuweisen, die Situation in ihrer Gewalt zu haben und eine weitere Annährung zu verbieten. Die ruhige Haltung ihres fast nackten Körpers(12) steht im Gegensatz zu den affektgeladenen Gestikulationen der Männer und schreibt ihrer Sinnlichkeit eine Macht zu, die den Bildbetrachter genauso fesseln will, wie die begehrenden Männer auf dem Bild. Von den früheren Bildkompositionen des Themas abweichend, schaut Lottos Susanna nicht mehr zu den Alten oder zum Himmel empor, sondern sie wendet sich an den Betrachter, dem sie ihren Körper ohne Scham zur Schau stellt.
In der folgenden Zeit wird langsam die Figur der Frau die Figur der Heiligen ersetzen und die Welt der Kunst über die Welt der Kirche kleine Triumphe feiern können. Das Sakrale und das Geistige räumen ihren Platz zugunsten des Profanen, sowie Sinnlichen, und die Heilige Susanna wird immer öfter in der Malerei der Renaissance abgebildet, meistens als Venus, und immer ihre Sexualität demonstrierend. Die notwendige Präsenz der zwei Alten begünstigt dabei die libidinöse Atmosphäre der Bilder und führt dazu, daß der Bildbetrachter als Voyeur in seinen abgebildeten Pendants reflektiert wird.(13) Der Moment, der das sexuelle Begehren dramatisiert, konzentriert sich somit auf den Blick der männlichen Begierde, schließt das spätere Eintreten der Gewalt zwar nicht aus, bildet es aber in den meisten Fällen nicht ab. Der weibliche Körper in seiner Souveränität spielt dabei die zentrale Rolle in der Dialektik der Triebhaftigkeit. Er ist der unbekümmerte Drehpunkt, bei dem die Blicke zusammengebündelt auf die befreiende Ästhetisierung des Leibes hindeuten.
Das Gemälde von Johann Rottenhammer (Abb.3) profitiert beispielhaft von dem einladenden, verführerischen Blick der schönen Susanna, die zwar mit der Begierde der Alten kokettiert, sich aber an den Betrachter richtet. Sie versucht kaum, ihren Körper zu verhüllen, sondern nimmt eine Pose ein, die ihre leiblichen Reize noch begehrenswerter erscheinen läßt.
Die Scham der Entblößung, die Angst vor der Entehrung, die Modellierung der Keuschheit und der Tugend, die ursprünglich die Eckpfeiler der Geschichte waren, scheinen nun unwichtig zu sein. Susanna, die männliche Begierde hervorrufend, steht in ihrer sinnlichen Leiblichkeit im Vordergrund, ihre eigene Geschichte dementierend. Entfernt von moralischen Vorschriften figuriert nun ihr Körper als ein autonomes Gebilde, als ein ästhetischer Wert, der keine transzendente Legitimation braucht. Die Rehabilitation der Sinnlichkeit wird durch die sakrale Herkunft der Geschichte Susannas unterstrichen und impliziert somit die Aufwertung des Körpers. Die Begierde der Alten wird abgemildert dargestellt, eine natürliche Begierde, die der schöne nackte Körper evoziert.
Tintoretto(14) (Abb.4) liefert Mitte des 16. Jahrhunderts ein weiteres Paradigma der manifesten Erotisierung des Körpers und seiner allmählichen Abkoppelung von dem asketischen Gebot der christlichen Weltauffassung, allerdings mit einer entscheidenden Differenzierung. Seine nachdenkliche Susanna wird in ihrem Spiegel reflektiert. Im Hintergrund ist eine üppige Landschaft zu sehen, die aber ihren Blick nicht lockt. Sie nimmt auch keine Notiz von den lüsternen Greisen, die durch ihr identisches Äußere entindividualisiert erscheinen und zunächst keine Gefahr darstellen. Zwar ist dieser Moment der Ruhe vor dem Überfall kein Novum, er wurde immer wieder abgebildet; die Reflexion der in sich versunkenen Susanna ist aber ein neues und hier zentrales Element, dessen metaphorischer Gehalt von der Lichtinszenierung des Körpers und der gedankenvollen Miene unterstrichen wird. Die somit hervorgerufene Evokation der Geistigkeit kontrastiert mit dem nackten Körper, ohne mit ihm zu konkurrieren. Sinnlichkeit und Geist koexistieren friedlich in einer graziösen Figur, die eher die Selbstbehauptung des Subjektes reklamiert, als auf die Virulenz des Begehrens hindeutet, die im Bild fast annulliert wird. Der Blick der Alten läßt jedoch den Körper als Objekt erscheinen und höhlt somit die vordergründige Harmonie aus.
Verkörpert die Susanna von Tintoretto eine Macht, die aus dem Amalgamieren von Geist und Sinnlichkeit herrührt, und präsentiert sie somit eine später häufig abgerufene Wunschvorstellung der Aufklärung, so schafft Anfang des 17. Jahrhunderts eine Frau, Artemisia Gentileschi, mehrere Varianten des Susanna-Themas (Abb.5) und setzt dabei eine modifizierte Pointe ein. Selbst Opfer einer Vergewaltigung durch einen älteren Mann, inszeniert sie die Tragik des sexuellen Angriffs und stellt dabei die Gewalt in den Vordergrund. Ihre Figuren sind nicht venusähnlich, sondern realistische Abbildungen von Frauenkörpern, verzweifelt und gequält, entsetzt und beschämt. Sie nimmt somit die Gewaltszenen und die Illustration von komplexen Gefühlen voraus, die im 17. und 18. Jahrhundert in der Ikonographie Susannas vermehrt auftauchen. So malt auch Rubens (Abb.6) eine bedrohte Susanna, voll Scham und ängstlich, die der Gewalt der Alten ausgeliefert ist. Sie versucht vergeblich, ihren Körper vor dem lüsternen Angriff der Männer zu schützen, die sie entblößen und schon anfassen, während die leidenschaftliche Macht der Triebe und der Affekte hier den Ausgang des Konfliktes zu bestimmen scheint. Kurz vor dem Moment der Vergewaltigung erscheint die bestürzte Susanna überrascht von der Brutalität der Alten, deren Charakteristika Rubens so nuanciert abbildet. Der voluminöse Körper Susannas, eher zu bemitleiden als begehrenswert, betont die zügellose Begierde der Männer. Die Leiblichkeit in Gefahr verbunden mit der Triebhaftigkeit läßt eine hochdramatische Komposition entstehen, die die Affektdarstellung individualisiert und den Schrecken und die Aggression in den Vordergrund stellt.
Ebenso beängstigt und schockiert ist auch die Susanna von Van Dyk (Abb.7). Auch sie versucht, ihren Körper zu verhüllen, während einer der Männer ihr Tuch wegzieht und der andere sie berührt. Ihren finsteren Blicken und ihren gierigen Ansprüchen entgegen setzt Susanna, die nicht mal zu fliehen wagt, ein beschämtes Gesicht, das ihre verzweifelte Lage widerspiegelt. Die Gefährdung der Sinnlichkeit avanciert somit allmählich zum eigentlichen Thema der Susanna-Ikonographie und modelliert den fürchterlichen Schrecken des bedrohten Körpers, der durch den modalen Aspekt der Plötzlichkeit in Entsetzen, Grauen und Abscheu mündet. Die Demonstration der Bedrohung findet aber bei Rembrandt (Abb.8) ihre faszinierende, obskure Zuspitzung. Seine Susanna, noch fast ein Kind, dürftig und schutzlos, wird in einer dunklen, unheilschwangeren Landschaft von den zwei Männern überrascht. Im Zentrum der Bildkomposition wirkt ihr kleiner Körper durch seine gekrümmte Haltung noch fragiler. Dabei weisen die roten Kleidungsstücke, die dem finsteren Bild ein warmes Licht verleihen, unmißverständlich auf das bald ausbrechende Drama hin. Der enigmatische Blick der jungen Frau, halb flehend, halb fragend, richtet sich an den Betrachter, der als einziger das Ausmaß der Gefährdung sieht. Die Geschichte der Susanna wird hier in einen Alptraum verwandelt, der zu einem ewigen Moment der Bedrohung erstarrt.
Die Abbildung der Gefährdung, der drohenden Existenzvernichtung Susannas, nimmt als inhaltliche Stellungnahme im 17. und 18. Jahrhundert zu (Abb.9). Die Männer werden handgreiflicher und gewalttätiger. Susanna, die längst ihre Sakralität eingebüßt hat, bekommt als Opfer der grausamen Begierde der Alten eine neue Würde, einen neuen Wert. Sie wird zum Modell eines Körpers, der als Objekt des Begehrens in Gefahr ist und nun Entsetzen, Schrecken und Abscheu veranschaulicht. Der Kontrast zwischen der Triebhaftigkeit und der Scham(15) wird dabei in grellen Farben scharf dargestellt und läßt den Körper als ein Spannungsfeld erscheinen, in dem Sexualität, Gewalt und Vulgarität mit Bestürzung, Angst und Bedrohung korrespondieren. Die Geschichte der tugendhaften Susanna hat kein „Happy End“ mehr. Es gilt nicht nur, daß längst die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr über die Gerechtigkeit der Menschen gestellt ist und kein Daniel die Unschuldige retten kann, sondern auch, daß der Körper Susannas, auch wenn nicht mit Gewalt, so doch mit Geld zu haben ist. So stellt z.B. Pompéo Batoni seine Susanna dar (Abb.10). Der käufliche Körper ist jedoch nicht gleichsam der verfügbare Körper, sondern ein Körper, der als Ware angesehen wird, als ein in ökonomischen Machtverhältnissen eingebettetes Verhandlungsobjekt.
Doch auch in seiner absoluten Materialität bleibt im Ort des Körpers das Korrelat der Geistigkeit virulent. So hat schon Rubens den Überfall Susannas nach dem formalen Muster von der Kreuzabnahme Christi gestaltet (Abb.11), und somit auf die prekäre Stellung des Körpers hingewiesen, der nun als Ort der Ambivalenz figuriert: im Moment seiner Gefährdung und seines Autonomieverlustes, im Moment seiner Enteignung und seiner Auslieferung bekommt er quasi sakrale Züge, die zwar keinen transzendenten Sinn mehr haben, aber die Immanenz der Geistigkeit postulieren. Die Ambivalenz gegenüber dem Körper wird somit sichtbar. Nachdem aber die aggressive Lust am Körper befriedigt wird, schwindet die Begierde. Der einst begehrte Körper kann somit zum Körper des Opfers stilisiert werden.
Losgelöst von ihrer sakralen Verankerung wird Susanna in der weltimmanenten Logik der Neuzeit zu einem Paradigma der Sinnlichkeit in ihrer Ambiguität. Rehabilitiert und suspekt, widerstandsfähig und fragil, scheu und schamlos, unterwürfig und souverän bekommt der Körper allmählich die Züge eines Sündenbocks, der alte Muster braucht, um sich zu zeigen. Die Geste der Kreuzabnahme, die als Geste der Vergewaltigung dargestellt wird, gehört nämlich zum religiösen Vokabular jedoch mit einer entscheidenden Differenz. Susanna liefert nämlich in der Neuzeit auch das Modell zur Beschreibung der Heteronomie des Menschen, der dem Menschen schutzlos ausgesetzt ist.. Delacroix wird später das Muster adoptieren, um dieses Mal schon auf die fehlende Selbstverständlichkeit der Repräsentation des Körpers und seiner zunehmenden Fragmentierung in der Moderne hinzuweisen. Die Gewalt und der Körper, das Profane und das Sakrale sind nun im Dienst einer selbstreferenziellen Rhetorik, die ihr Abbildungsrepertoire als Mittel benutzt, um die Selbstgewissheit des Subjektes in Frage zu stellen. Susanna und ihr Körper schwinden. Von der keuschen jungen Frau bleibt nur ihr Spiegel übrig und der ist leer (Abb.12).
III.
Susannas Geschichte scheint in ihren bildlichen Darstellungen den Modulationen der Moral, den verändernden Einstellungen zum Körper und zur Sinnlichkeit zu folgen. In der weltimmanenten Logik der Neuzeit entkleidet sie die Aura ihres Heiligtumsund spiegelt somit die Rehabilitation der Sinnlichkeit in der Neuzeit wider. Sie deutet aber auch auf die Gefahr hin, die die Sinnlichkeit bedeutet. Dabei handelt es sich, nicht nur um die biologische Sinnlichkeit bzw. den Körper in seiner funktionellen und substantiellen Beschaffenheit und seiner Wahrnehmungsapparatur, sondern auch um die „innere Sinnlichkeit“, die Affekte, die Triebe, die Leidenschaften und ihre komplexe Beziehung zur Vernunft und zur Moral. Diese gravierende Konfrontation mit der faktischen Mehrdeutigkeit der Sinnlichkeit hatteradikale Konsequenzen für die malerische Repräsentation des Körpers, wie ich hier am Beispiel des Susanna-Sujets aufzuzeigen versucht habe.
Eine latente Aggression potenziert sich nämlich entscheidend im Laufe der Neuzeit und äußert sich in Gewaltphantasien und Verführungsszenarien, die als eine Reaktion auf den „unmöglichen“ Status des Körpers gedeutet werden können. Der Mensch bleibt nämlich, soviel er sich auch bemüht, über die Natur zu herrschen, in seiner Kreatürlichkeit verhaftet. Das Paradoxon, das darin mündet, daß der Mensch sich selbst unterwerfen müsse, während er gleichzeitig sich als Herrscher behaupten will, untergräbt jede emanzipatorische und befreiende Intention und erweist sich als ein enormes Legitimationsproblem der neuen Autoritäten. Weder die Reglementierung der Moral in der Ordnung der Vernunft, noch die konträren Strömungen, die dem Körper eine totale Präsenz zusichern, oder ihm jegliche Geistigkeit absagen, vermögen in ihren polemischen Durchsetzungsmanövern ihre Achillesferse zu verbergen: nämlich daß die Heteronomie, gegen die sie kämpfen, im Körper manifestiert wird, eine Heteronomie, die in der biblischen Ordnung als Segen verstanden wird.
Wenn aber die grundlegenden Fragen, die sich dabei stellen, die Fragen nach dem „erlaubten“ Umfang der Sinnlichkeit und dem „korrekten“ Umgang mit ihr sind, so stellt der Anspruch nach ihrer Aufwertung bzw. Umwertung sie immer in eine der jeweiligen Konstellation angepaßte Relation zum Geist. „Je nach dem Umfang des Geistes schwankt auch der Umfang der Sinnlichkeit“(16), apostrophiert Kondylis. Daß es sich bei der antagonistischen Beziehung zwischen Geist und Sinnlichkeit um eine hierarchische Frage handelt, liegt auf der Hand. Die Aufklärung hat versucht, eine neue moralische Ordnung zu etablieren und „an Stelle der geschwächten Religion einen intellektuellen Grund dafür zu finden“, sich an moralische Vorschriften zu halten. Sie wurde dabei von polemischen Positionen innerhalb der aufklärerischen Bewegung selbst, wie die Skepsis oder der Nihilismus sie darstellen, angefochten. Das Resultat war ein gewaltiger und zugleich zögernder Versuch, die Sinnlichkeit zu manipulieren und zu beherrschen.
Abbildungen
Anmerkungen:
3.2. Transcontinental Transfer of Literature and Arts to Transform Traditional Societies
Sektionsgruppen | Section Groups| Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 17 Nr. |
Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-03-20