Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Juni 2010 | |
Sektion 5.7. | Fachsprachen – Kreativität und Verstehensprobleme Sektionsleiterin | Section Chair: Olga A. Kostrowa (Staatliche Pädagogische Universität Samara, Russland) |
Sektionsbericht 5.7.
Fachsprachen: Kreativität und Verstehensprobleme
Olga A. Kostrowa (Staatliche Pädagogische Universität, Samara, Russland) [BIO]
Email: Olga_Kostrova@mail.ru
Gesellschaftliche Veränderungen gehen in die Sprache ein. In der modernen Informationsgesellschaft gewinnen die Fachsprachen immer mehr an Bedeutung. Die Ursachen dafür sind einerseits die stürmische Entwicklung von Wissenschaften und der darauf basierenden Technologien sowie Differenzierungen der Wissensbereiche, die zur Entstehung neuer Termini, wenn nicht neuer Fachsprachen führen, andererseits aber integrative transdisziplinäre Tendenzen, die aus der Notwendigkeit resultieren, komplexe Probleme in fachübergreifender Teamarbeit zu lösen. Dazu kommt noch die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, in der terminologische Nicht-Entsprechungen oft ein Hindernis sind. Auch eine zunehmende Kommunikation zwischen Experten und Nicht-Experten sowie didaktische Probleme der Wissensvermittlung bereiten zuweilen fachsprachliche Schwierigkeiten. Im Rahmen des globalen Kongressthemas wurde zum Diskussionsgegenstand der Sektion Fragen der Wechselwirkung von Fachsprachen und gesellschaftlicher Entwicklung:
In drei Sektionssitzungen haben 15 Vorträge der ReferentInnen aus Samara, Moskau, Minsk, Perm, Togliatti, Novosibirsk, Orenburg und Petrosavodsk stattgefunden.
In dem Vortrag der Sektionsleiterin, Professorin der Pädagogischen Universität Samara (Russland), Olga Kostrova, wurde eine neue Diskursart Fachdiskurs in der Kommunikationssphäre Bildungsprozessmanagement im Hochschulbereich zur Diskussion gestellt, die durch neue Bereiche der Fachkommunikation in Europa und Russland gefördert wurde. Das soziale Bedürfnis nach diesem Fachdiskurs erfordert Erläuterung der Bildungspolitik, die die Tätigkeit der Lehrenden und Studierenden im Hochschulbereich regelt, um das Lehr- und Lernprozess effektiver zu gestalten. Diese Aufgabe erscheint aus interkultureller Perspektive aktuell, besonders aus der Sicht Russlands, wo die Umgestaltung des Bildungssystems in Richtung auf die Kompetenzorientierung der Studierenden auf große Schwierigkeiten stößt. Dieser Prozess wird gehemmt einerseits durch das stabile von oben geregelte einheimische Bildungssystem, das sich jahrelang bewährt hat, andererseits aber dadurch, dass die Mobilitätsseiten des europäischen Bildungssystems in Russland noch nicht genug bekannt sind. Die Referentin meinte, die Erfahrungen der europäischen Hochschulen, die sowohl den Lehrenden als auch den Studierenden groβe Wahl- und Mobilitätsmöglichkeiten gewähren, könnten gesellschaftliche Transformationen in Russland begünstigen. Sie lieβ auch einige Mechanismen und Mittel einer flexiblen Steuerung des kompetenzorientierten Bildungsprozesses in Deutschland zum Vorschein kommen sowie interkulturelle Spezifik der Textsorten in der betrachteten Diskursart in Bezug auf Inhalt, Präsentationsformen und sprachliche Gestaltung durch Fachterminologie.
Nina Danilova, Professorin der Staatsuniversität Samara (Russland), widmete ihren Vortrag dem strategischen Sprachhandeln im literaturwissenschaftlichen Fachdiskurs, der einen wichtigen Teil der geistigen Kultur bildet. Es ging um das verbale Verhalten der sozialen Partner und die Wissensproduktion und Wissensrekonstruktion im Fachdiskurs. Anhand der Diskurs-Analyse der literaturwissenschaftlichen Texte von Virginia Woolf stellte die Referentin fest, dass das Sprachhandeln des Literaturkritikers als Subjekt des literaturwissenschaftlichen Diskurses von seinen Reflexionen nicht zu trennen ist. Die Schlussfolgerungen rücken die Subjektivität des literaturwissenschaftlichen Fachdiskurses in den Vordergrund und zeigen die Ansätze, mit welchen die Einstellung des Kritikers herausgefunden werden kann. Im Laufe der Diskussion kam hervor, dass die Bemühungen der Linguisten, kommunikative Strategien in der Fachkommunikation zu erforschen, dazu beitragen können, Verstehensprobleme - insbesondere bei der interkulturellen Fachkommunikation - zu beheben.
Im Beitrag von Nakhim Shekhtman, Professor der Pädagogischen Universität Orenburg (Russland), Creativity: process vs. state ging es um allgemeine Verstehensprobleme eines Fachdiskurses. Der Referierende interpretierte den Begriff der Kreativität als unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten vom theoretischen Wissen und sozial-praktischen Erfahrungen. Die Verstehensprobleme ergeben sich nach der Ansicht des Referenten aus Verschiedenheit der Wissenshorizonte und der praktischen Erfahrungen der Textproduzenten und Rezipienten. Die Diskussion zeigte, welcher Wert auf die Annäherung der beiden Positionen gelegt werden muss, um die Verständlichkeit der linguistischen Fachtexte den Studierenden zu ermöglichen.
Anatolij Gorlatov, Wissenschaftler aus Minsk (Belarus), äuβerte sich über die Rolle der Fachsprachen in Werbetexten. Aus seinem Referat kam deutlich hervor, dass Elemente der Fachkommunikation solche Bereiche des öffentlichen Lebens durchdringen, mit denen jeder Mensch in Berührung kommt – beispielsweise die Werbung. Der kreative Gebrauch der fachsprachlichen Elemente dient dabei dem Wecken/ Erzeugen von Kaufinteresse. Technische Eigenschaften werden aufgezählt, um den Qualitätsbeweis des beworbenen Produktes zu verstärken. Die Verleihung pseudowissenschaftlicher Autorität erfolgt neben dem Einsatz von Termini durch zahlreiche Grafiken, Fußnoten und “wissenschaftlich” klingende Produktnamen.
Die Referentin von der Karelischen pädagogischen Universität Petrosavodsk (Russland), Natalia Gorbel, stellte eine etablierte Fachkommunikationssphäre vor, die aber entsprechend neuen gesellschaftlichen Bedingungen neu profiliert wurde. Es ging um ein interkulturelles Eisenbahnprojekt der Siemens AG mit der Russischen Eisenbahn. Eine rege Diskussion entstand anlässlich des zweisprachigen Glossariums zu diesem Projekt, das von der Referentin zusammengestellt wurde und über 2000 Lexeme enthielt. Die Diskutierenden haben Probleme der linguistischen Einordnung der terminologischen Einheiten behandelt, was die Offenheit der lexikografischen Praxis im Bereich der Fachterminologie offenbarte.
Einige Referate widmeten sich der Beschreibung von linguistischen Merkmalen der Fachtexte im Allgemeinen und Funktionen von einzelnen sprachlichen Elementen in Fachdiskursen im Besonderen.
Anatolij Mirskij aus Minsk (Belarus) skizzierte allgemeine Merkmale der Fachlichkeit, der drei Systeme zugrunde liegen: ein System von erkannten und kausal geordneten Entitäten, ein System von Abstraktionsprodukten (Begriffen, Konstrukten) und ein System sprachlicher Zeichen. Im Gegensatz zum Beitrag von Danilova meinte der Referent, dass ein wesentliches Merkmal der Fachtexte ihre Sachlichkeit ist, wobei vor allem Argumente zählen und nicht die Person, die sie vorbringt. Hier kommt der Unterschied zwischen der humanitären und technischen Fachkommunikation an den Tag.
Diesen Unterschied bestätigte auch die Referentin von der Pädagogischen Staatsuniversität Moskau (Russland), Irina Schipowa, die den spezifischen Fachwortschatz und spezielle Normen für die Auswahl, Verwendung und Frequenz gemeinsprachlicher lexikalischer und grammatischer Mittel in der Fachsprache Wirtschaftsdeutsch erörterte. Aus ihrem Referat ging hervor: Ohne die relevanten Merkmale der Fachsprache Wirtschaftsdeutsch zu berücksichtigen, kann man weder die Lese- und Übersetzungsfertigkeiten noch die fachkommunikative Kompetenz vermitteln. Beides ist eine wichtige Voraussetzung für die systematische Erfassung und Einordnung der ökonomischen Wirklichkeit sowie für die bessere Verständigung der Wirtschaftler untereinander im Rahmen ihrer beruflichen Kommunikation.
Die Referentin aus Perm (Russland), Swetlana Schustowa, erläuterte die Rolle der kausativen Verben, mit deren Hilfe im deutschen und englischen wissenschaftlichen Fachdiskurs argumentiert wird. Zu solchen Verben zählte die Referentin die Verben mit der Semantik des Beweises, der Demonstration, der Bestätigung, des Widerspruchs und der logischen Schlussfolgerung. In der Diskussion wurde festgestellt, dass die kausative Situation unbedingt den Rezipienten des wissenschaftlichen Textes impliziert, den der Adressant zu überzeugen versucht. Somit kommt die aktive Einstellung des Produzenten wieder zum Vorschein.
Die Referentin der Staatsuniversität Samara, Ekaterina Bespalova, stellte in ihrem Beitrag das Gesamtbild der semantischen Relationen und des Funktionierens von Komposita im pädagogischen Fachdiskurs vor. Eine typologische Eigenschaft des deutschen Sprachbaus widerspiegelnd, bilden die Komposita eine wichtige kreative Ressource, die auch in Fachtexten gern benutzt wird. Die Referentin hob insbesondere solche Funktionen der Komposita hervor wie Metaphorisierung, Bewertung, Verallgemeinerung und intertextuelle Verweisung. Verstehensprobleme ergeben sich in der interkulturellen Kommunikation wegen der Unterschiede im Wissenshorizont, aber auch wegen der feinen Unterschiede in synonymischen oder lautlich ähnlichen Bestandteilen der Zusammensetzungen.
Zwei Beiträge waren der Metaphorik der Fachdiskurse gewidmet. Die Professorin der Service-Universität Togliatti (Russland), Swetlana Anochina, sprach über die Metaphorik der Person in verschiedenen funktional-semantischen Typen der man-Sätze. Die Referentin interpretierte diese Typen als eine Form der interdiskursiven Figur “des Anderen“. Infolgedessen bestimmte sie ihre pragmatischen Funktionen als Information, Objektivierung, Argumentation, Attraktion, Verschleierung der handelnden Person. Nach der Ansicht der Referentin werden durch diese Funktionen Taktiken der Höflichkeitsstrategie realisiert, deren Ziel eine positive Selbstrepräsentation des Autors ist. Also kommt auch durch grammatische Mittel die pragmatische Einstellung des Autors zum Vorschein.
Im Beitrag von Olga Makarova von Samaraer Filiale der Moskauer Pädagogischen Stadtuniversität hieβ es: die Sprache ist eine Art Indikator der gesellschaftlichen Veränderungen, die neue Realitäten ins Leben rufen. Die Referentin berichtete über ihre Forschung auf dem Gebiet der innovativen Metaphorik im politischen und ökonomischen Kontext Russlands, Groβbritanniens und der USA. Politische Metaphern zählte sie zu sprachlichen Mitteln der Steuerung und Manipulierung. Im Gegensatz dazu konnte sie feststellen, dass die Metaphern im ökonomischen Kontext dazu beitragen, die terminologischen Schwierigkeiten mit Hilfe von Bildlichkeit zu beheben.
In vier Beiträgen wurden fachdidaktische Probleme des Fremdsprachenunterrichts für Studierende behandelt, deren Hauptfach Nicht-Germanistik ist. Der Lehrer muss dabei besonders kreativ sein, um Studierende zum Erlernen der entsprechenden Fachsprache zu motivieren.
Didaktische Probleme des Englischunterrichts für Studierende mit dem Hauptfach Kulturologie stellte in ihrem Beitrag die Professorin der Akademie der slawischen Kultur in Moskau, Olga Orlova, zur Diskussion. Die Schwierigkeiten resultieren dabei aus der Komplexität der Referenzsphäre einerseits und dem Überfluss an mehrdeutigen, zuweilen schwer interpretierbaren Termini andererseits. Die Referentin zeigte, dass die Differenzen in der Semantik der sprachlichen Einheiten nicht selten auf kulturelle Differenzen zurückgehen. Im Fremdsprachenunterricht muss auch der verdeckte Sinn der terminologischen Einheiten zur Sprache kommen, der sich vor dem Hintergrund einer fremden Kultur offenbart.
Lilya Kovtun, Professorin derselben Akademie, erläuterte in ihrem Beitrag, wie man den Erwerb von linguistischen Kompetenzen mit ihrer kreativen Anwendung in der Businesssphäre vereinbaren kann. Die Referentin betrachtete dramatische Aktivitäten der Studierenden als ein Verbindungsmittel dazu. Erfolgreiches Business bedeutet, dass man sich kreativ in seine Rolle versetzen kann. Die Anwendung der Prinzipien der dramatischen Kunst entwickelt das Verwandlungsvermögen der Studierenden, verfeinert ihre Emotionswelt, schafft eine lernfreundliche Atmosphäre im Fremdsprachenunterricht. Dramatische Kreativität fördert sowohl die Persönlichkeits- als auch Berufsentwicklung der Studierenden.
Valeria Bondareva von der Pädagogischen Universität Samara referierte über die Kreativität der Projektarbeit mit zukünftigen Lehrern. Sie erzählte, wie sie das Projekt “English Goes out of the Classroom” realisiert und wie dieses Projekt autonomes Lernen fördert. Für eine Stadt wie Samara, die bis vor zehn Jahren eine „geschlossene“ Stadt war, die für Ausländer gesperrt war, ist die Motivierung zum Erlernen von Fremdsprachen besonders wichtig.
Ebenso wichtig ist die Motivierung für Studierende mitten in Sibirien. Darüber referierte Irina Archipova von der Pädagogischen Universität Novosibirsk (Russland). Die weite Entfernung von deutschsprachigen Ländern erschwert internationale Kontakte und macht die interkulturelle Kommunikation zu einem fast virtuellen Problem. Auf dem Wege zur internationalen Zusammenarbeit analysierte die Referentin mögliche lexisch-grammatische Schwierigkeiten, die im Umgang der Muttersprachler mit den Nicht-Muttersprachlern entstehen können.
In der Abschlussdiskussion haben die Teilnehmer auf die Aktualität der besprochenen Problematik hingewiesen und wichtige Ergebnisse zusammengefasst. Perspektiven der weiteren Forschung ergeben sich in folgenden Bereichen:
5.7. Fachsprachen – Kreativität und Verstehensprobleme
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-06-05