TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 6.8. Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive
Sektionsleiter | Section Chair: Oliver Ruf (Universität Trier)

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Der Normalzustand als Ausnahmezustand.

Moderne, Langeweile und Krieg in Musils Mann ohne Eigenschaften

Sebastian Hüsch (Universität Basel) [BIO]

Email: sebastian.huesch@unibas.ch

 

I. Einleitung

Der Begriff des „Ausnahmezustandes“ spielt in der neueren Philosophie wie etwa bei Giorgio Agamben (1) eine ganz entscheidende Rolle. Dabei wird der Begriff bei Agamben in erster Linie in Anlehnung an die juristische Wortbedeutung verwendet. Ich möchte im Folgenden eine weiter gefasste Verwendung vorschlagen, in der ich den Begriff seine potentielle Vieldeutigkeit entfalten lasse und in der ich ihn dann auf Robert Musils Mann ohne Eigenschaften anwenden werde – und zwar in der ihm inhärenten dialektischen Spannung mit dem Begriff des „Normalzustandes“. Eine solche Gegenüberstellung des „Ausnahmezustandes“ mit einem angenommenen „Normalzustand“ könnte es erlauben, Merkmale besonders spannungsreicher gesellschaftlicher Konstellationen zu identifizieren und konzeptuell fassen. Während in diesem Sinne der Begriff des Normalzustandes auf eine Gesellschaft in relativem Gleichgewicht angewendet werden könnte, würden mit dem Begriff des Ausnahmezustandes besondere spannungsreiche gesellschaftliche Zustände gefasst werden können.

Eine besonders spannende, da spannungsreiche Form eines solchen gesellschaftlichen Zustandes wiederum wäre in diesem Sinne ohne Frage eine Vorkriegszeit – die vermutlich ohne große Schwierigkeiten als eine Ausnahmesituation begriffen werden kann. Es liegt nahe anzunehmen, dass eine auf einen Krieg zulaufende Zeit bzw. Gesellschaft sich durch besondere, in irgendeiner Form intelligible Merkmale auszeichnet und es wäre selbstverständlich aus vielerlei nahe liegenden Gründen ein zentrales und wichtiges Anliegen der Wissenschaft, solche Merkmale zu identifizieren – nicht nur, um retrospektiv Vorkriegssituationen zu analysieren und so begreifen zu lernen, sondern natürlich auch besonders prospektiv, indem die Identifikation derartiger Spannungszustände möglicherweise vorbeugende Eingriffe in die Entwicklung ermöglichen könnte.

Was nun aber in der Theorie wünschenswert wäre, erweist sich selbstverständlich einmal mehr in der Wirklichkeit als überaus schwierig – und das ganz besonders in Gesellschaften mit einem hohen Grad an Komplexität, kurz: besonders in modernen Gesellschaften. Gerade und insbesondere unter den Bedingungen der Moderne, so möchte ich argumentieren, scheint die Attribution eines Ausnahmezustandes letztlich nicht prospektiv, sondern allein retrospektiv möglich zu sein; und zwar da wir es in diesem Falle mit einem doppelten, einander überlagernden Problemkomplex zu tun haben. Die Frage nach konkreten Ausnahmezuständen im Sinne spannungsreicher Konstellationen wie in einer Vorkriegszeit wird hier nämlich überlagert von dem Phänomen, dass in der Moderne in einem gewissen Sinne der Normalzustand bereits als eine Art kontinuierlicher Ausnahmezustand begriffen werden kann.

Um zu erläutern, wie ich dies meine und um diese Annahmen zu untermauern, werde ich mich auf zwei zentrale Argumentationslinien stützen, die ich dann abschließend zusammenzuführen versuchen werde:

Beginnen möchte ich damit zu zeigen, inwiefern die Bedingungen der Moderne bereits einen sich perpetuierender psychologischen Ausnahmezustand schaffen. Die Besonderheit dieses permanenten Ausnahmezustandes lässt sich anhand zweier zentraler Schlagworte begreifen. Das ist erstens das für die Moderne in neuartiger Weise aufbrechende Problem der Sinnhaftigkeit der Existenz (2) und zweitens ist dies das – in dieser Form ebenfalls moderne – Phänomen existentieller Langeweile. Dass es sich hierbei um einander überlagernde Problemfelder handelt, möchte ich illustrieren anhand eines soziologischen und eines philosophischen Konzeptes: zum einen stütze ich mich auf Gerhard Schulzes soziologisches Konzept der Erlebnisgesellschaft (3) und zum anderen auf Sören Kierkegaards Konzept einer ästhetischen Existenz.

In einem zweiten Schritt zeige ich dann anhand von Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften, dass diese moderne existentielle Langeweile, die Kierkegaard sichtbar macht, mit Lothar Pikulik als „Krankheit zum Kriege“ (4) betrachtet werden kann. Diese Analyse wird dann wiederum zurückführen auf die Frage der prospektiven bzw. retrospektiven Erkennbarkeit eines Vorkriegs-Ausnahmezustandes.

 

II. Moderne und Langeweile

Erlebnisgesellschaft und Langeweile

Gerhard Schulze hat in den 90er Jahren ein sehr spannendes und instruktives soziologisches Modell moderner Gesellschaften entwickelt, das tief greifende philosophische Implikationen nach sich zieht. In seiner Studie Die Erlebnisgesellschaft stellt Schulze die These auf, dass die Moderne durch einen fundamentalen Wandel der gesellschaftlichen Problemperspektive geprägt sei. Während für traditionelle Gesellschaften der Mangel und damit die Konzentration auf das Sichern der Existenz prädominant gewesen sei, zeichne sich die moderne Gesellschaft durch Überfluss aus (5). Die durch die Suspendierung des Überlebenskampfes freigestellten Energien würden in neue Richtungen kanalisiert. Schulze fasst dies begrifflich, indem er sagt, dass die traditionelle Überlebens-Gesellschaft abgelöst worden sei durch eine moderne Erlebnis-Gesellschaft. Wesentliches Merkmal der Überlebensgesellschaft sei die Außenorientierung gewesen, das heißt, da Ausrichten nach äußeren, das Überleben sichernden Faktoren, während die Erlebnisgesellschaft innenorientiert sei (6). Mit anderen Worten steht in der erlebnisorientierten Gesellschaft die Frage nach dem individuellen Erleben im Mittelpunkt, woraus gegenüber früheren Gesellschaften eine fundamental neue Problemperspektive des Lebens entstehe. Man frage nicht mehr „Wie erreiche ich x?“, sondern es stelle sich nunmehr mit aller Dringlichkeit die Frage „Was will ich eigentlich?“ (7) Und diese Frage wird in der Moderne dann laut Schulze wie folgt beantwortet: „Man will ein schönes, interessantes, angenehmes, faszinierendes Leben.“ (8)

Wir bewerten in diesem Sinne die Umwelt in der Moderne nicht mehr nach ihrem Gebrauchswert, aber auch nicht nach moralischen Aspekten, sondern nach ihren ästhetischen Qualitäten, das heißt, inwieweit etwas uns dabei hilft, das Projekt eines spannenden Lebens zu realisieren. Für unseren Kontext wichtig ist weniger die Opposition von Überleben und Erleben als vielmehr eine genauere Analyse einiger der ontologisch-existentiellen Implikationen dieser neuen Innenorientierung. Es zeigt sich nämlich, dass die erlebnisorientierte Gesellschaft eine tendenziell prekäre Gesellschaft ist, oder mit Musil: Die Menschen leben in ihr „ständig im Gefühl der unzureichenden Gründe der eigenen Existenz“ (9), womit man zugespitzt sagen kann, dass die moderne Gesellschaft eine Gesellschaft ist, die sich gleichsam in einem permanenten Ausnahmezustand befindet. Die Gründe hierfür überschreiten soziologische Fragestellungen, denn es schleicht sich hier eine metaphysische Dimension ein. Wenn nun Gerhard Schulze diese zwar nicht näher expliziert, so ist deutlich, dass er sie dennoch klar erkennt; denn immer wieder evoziert er die Sinnproblematik als zentrales Problem der Moderne:

„Was soll schon schwierig daran sein“, so fragt er beispielsweise rhetorisch, „sich ein schönes Leben zu machen, wenn man halbwegs die Ressourcen dafür hat? Man meint, Erlebnisorientierung sei der Anfang vom Ende aller Schwierigkeiten. In Wahrheit setzen sich die Schwierigkeiten auf einer neuen Ebene fort. Bedroht ist nicht mehr das Leben, sondern sein Sinn.“ (10)

Und um zu begreifen, worum es genau geht bei dieser Sinnfrage, dazu ist ein Blick auf die Philosophie Sören Kierkegaards überaus instruktiv; denn Kierkegaards Reflexionen zur ästhetischen Existenz antizipieren zum einen in beeindruckender Weise die von Schulze postulierte Erlebnisorientierung der Moderne und zum anderen helfen sie zu begreifen, dass und warum sich der Mensch in der erlebnisorientierten Gesellschaft in neuartiger Weise mit der Sinnproblematik konfrontiert sieht.

Kierkegaards Konstruktion der ästhetischen Existenz

In seinem Erstlingswerk Entweder/Oder entwirft Sören Kierkegaard das Konzept der ästhetischen Existenz, einer allein in der Immanenz wurzelnden hedonistische Lebensform. Er entwickelt dort theoretisch und praktisch die zentralen Kategorien, nach denen sich eine an ästhetischen Kriterien orientierte Existenz auszurichten hat und die in verblüffender Weise mit dem zusammenpassen, was Gerhard Schulze als „Ästhetisierung des Alltagslebens“ (11) von einem soziologischen Standpunkt aus observiert. Für die ästhetische Existenz nämlich ruft Kierkegaard als Leitkategorie das „Interessante“ auf; und der Kampf des Ästhetikers ist der Kampf nicht ums Überleben, sondern gegen Langeweile, womit eigentlich schon bei Kierkegaard die Transition von der Überlebens- zur Erlebnisgesellschaft konzeptuell vorgedacht ist. Die von ihm explizierte Kunst der Langeweilevermeidung (12), die sich auf der Suche nach einer erlebnisreichen Existenz einer Dialektik von „Interessantem“ und „Langeweile“ verschreibt, scheint den Wunsch des modernen Menschen nach einem „schönen, angenehmen und faszinierenden Lebens“ (13), wie ihn Schulze observiert, vorwegzunehmen.

Die Pointe bei Kierkegaard ist freilich der Nachweis, dass eine „erlebnisorientiert“ ausgerichtete Existenz letztlich essentiell unbefriedigend bleiben muss. Und zwar gelingt ihm dies, da er, anders als Schulze, dessen Intention eine deskriptive Gegenüberstellung von „Überlebensgesellschaft“ und „Erlebnisgesellschaft“ ist, eine normative Opposition instauriert: der ästhetischen Existenz, die analog zu einer erlebnisorientierten Existenz konzipiert ist, stellt er antithetisch die ethische Existenz entgegen, wobei er diese Gegenüberstellung zugleich anbindet an zwei philosophische Schlüsselkategorien: die der Relativität und des Absoluten. Nach Kierkegaard können nur ethische Entscheidungen absolute Relevanz für sich beanspruchen während ästhetische Entscheidungen letztlich beliebig sind (14). Keine der ästhetischen Entscheidungen ist schlechterdings notwendig oder geboten und mit der Anzahl der Möglichkeiten wie der Anzahl der ästhetischen Entscheidungen, wie sie vom einzelnen in der Moderne angetroffen werden, nimmt zugleich der ihnen zuschreibbare Wert immer mehr ab. Letztlich ruft die unendliche Zahl beliebiger ästhetischer Entscheidungen Langeweile hervor (15). In der immer mehr zunehmenden Vielzahl der Möglichkeiten, gewandelt in eine Vielzahl von Erlebnissen bzw. möglichen Erlebnisse wendet sich letztlich die Vielzahl gegen die Bedeutung, um so die Erlebnisse in ihrem Erlebnischarakter auszuhöhlen und Leere zurückzulassen. Gerade durch das inflationär zunehmende Erlebnisangebot droht so die Einsicht in die zugrunde liegende Beliebigkeit und Willkürlichkeit der Bedeutungszuschreibung. (16)

Die Ausrichtung an ästhetischen und damit letztlich im Relativen verbleibenden Entscheidungskategorien im Versuch, ein erlebnisreiches und spannendes Leben zu realisieren, wird so zu einem Generator fundamentaler Langeweile für den einzelnen.

Die Implikationen der Kierkegaardschen ästhetischen Existenz gehen aber noch tiefer: Die Langeweile, die im ästhetischen Spiel mit gleich-gültigen Möglichkeiten zutage tritt, ist letztlich die existentiell-metaphysische Langeweile nicht nur des einzelnen; sondern in der Tatsache, dass eine solche Existenz möglich erscheint, spiegelt sich letztlich die fehlende transzendentale Verankerung einer jeden Gesellschaft ohne metaphysisch-religöses Fundament – und damit tragischerweise einer jeden aufgeklärten Gesellschaft. Die metaphysische Langeweile ist das ungeplante und ungewollte Kind der Emanzipation von einem theozentrischen Weltbild, da diese Emanzipation notwendigerweise mit der Entlassung aus absolut-ethischen Kategorien einhergeht, die ihrerseits wiederum den Boden für die für die Moderne charakteristische Ästhetisierung der Alltagswelt bilden. Nun reißt also der Verlust einer absoluten Sinn- und Erkenntnisgewissheit, den die Abkoppelung vom absoluten göttlichen Gebot nach sich gezogen hat, scheinbar unausweichlich jenen Abgrund existenzieller Langeweile auf, der als der Normalzustand der Moderne betrachtet werden kann. Der permanente Ausnahmezustand, um den es hier auf einer ersten Ebene geht, ist mithin der einer Gesellschaft ohne metaphysische Verankerung, die ohne das traditionelle metaphysische Fallnetz in der Hinwendung zum eigenen Erleben um eine rein immanente Sinnkonstruktion bemüht ist.

Von hier aus möchte ich nun zur näheren Analyse eines konkreten „Ausnahmezustandes“ übergehen, zu jenem nämlich, als der sich die Vorkriegszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts präsentiert und der auch den Hintergrund für Robert Musils Romanuniversum Der Mann ohne Eigenschaften darstellt, um zu zeigen, wie dort das Paradox eines doppelten, einander überlagernden Ausnahmezustandes illustriert wird.

 

III. Langeweile und Krieg

Die Vorkriegszeit: Zwischen Langeweile und Neurose

Seit der Jahrhundertwende und bis zum Ersten Weltkrieg lässt sich gerade bei Schriftstellern und Intellektuellen eine eigentümliche Grundstimmung antreffen. In besonders drastischen Worten wird diese beispielsweise von dem deutschen Schriftsteller Georg Heym auf den Punkt gebracht, wenn er notiert: „Ach, es ist furchtbar. […] Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen wollte, was nicht diesen faden Geschmack von Alltäglichkeiten hinterlässt. [...] Würden einmal wieder Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, dass man einen Krieg begänne. Er kann ungerecht sein.“ (17)

Diese Exklamation ist, wie gesagt, keinesfalls eine Ausnahme, sondern ähnlich verzweifelte Zeugnisse einer fundamental empfundenen Langeweile finden sich durchaus zahlreich (18). Die Jahrhundertwende bildet gewissermaßen den Kulminationspunkt ebenjenes vom Ende der Metaphysik aufgerissenen Abgrundes, der zunehmend die Sinnhaftigkeit untergräbt (19). Diese Leere war dabei selbstverständlich weder eine deutsche oder österreichische Leere, sondern eine gesamteuropäische, wie bereits einige Zeit zuvor Friedrich Nietzsche, anders als Heym, aus der Betrachterperspektive, konstatiert:

„Denke ich an die Begierde, Etwas zu thun, wie sie die Millionen junger Europäer fortwährend kitzelt und stachelt, welche alle die Langeweile und sich selbst nicht ertragen können, - so begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas zu leiden, sein muss, um aus ihrem Leiden einen probablen Grund zum Thun, zur That herzunehmen.“ (20)

Robert Musil: Seinesgleichen Geschieht und Parallelaktion
Diagnostik eines Widerspruchs

Das Gefühl von Belanglosigkeit und Beliebigkeit, die Sehnsucht nach Bedeutung, nach einer großen Tat, nach einer not-wendigen Handlung – diese Schlagworte bezeichnen auch recht treffend jene Grundkonstellation, wie sie dem Leser im Mann ohne Eigenschaften in der Parallelaktion entgegentritt. Die Ereignisse im Rahmen der Parallelaktion sind dabei in einem gewissen Sinne Musils Allegorie auf die Reaktion Europas auf jene metaphysisch-philosophische und identifikative Krise, die um die Jahrhundertwende einen Höhepunkt erreicht. Spätestens seit Nietzsche explizit den Tod Gottes hat verkünden lassen (21), ist klar, dass die europäischen Gesellschaften auf metaphysisch dünnem Eis stehen und damit eine ideelle Reaktion auf diese fundamentale Krise essentiell wäre. Aber in Europa, exemplarisch illustriert durch die Parallelaktion, ist die einzige Reaktion die, so zu tun, wie es im Roman heißt, „ als sei nichts gewesen“ (22), d.h. als gebe es keine philosophisch-metaphysische Krise. Dies wird im Mann ohne Eigenschaften ironisch kommentiert, wenn der Erzähler im Roman die von Kakanien applizierte Strategie vortrefflich und vielsagend als „Fortwursteln“ (23) bezeichnet. Dieser Begriff trifft ziemlich genau den Sachverhalt, dass eigentlich eine neue und klare Richtungs- oder vor allem Bewusstseinsänderung vonnöten wäre, um dem Ausmaß der Krise gerecht zu werden, dass aber niemand dazu in der Lage zu sein scheint, hier das Heft der Handlung in die Hand zu nehmen. Vielmehr manifestiert sich die Krise als ein mehr oder weniger unspezifisches Unbehagen, das der Erzähler im Roman anhand verschiedener Analogien illustriert. Besonders treffend ist für die bezeichnete Krise das der Reise, und zwar einer Reise, bei der sowohl das Transportmittel zu schnell als auch die Richtung falsch zu sein scheint: So ist „eines Tages [...] das stürmische Bedürfnis das Aussteigen! Abspringen! Ein Heimweh nach Aufgehaltenwerden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben, Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt“ (24). Die Zeit entspricht dem Menschen nicht mehr und zwar ironischerweise genau aus dem Grunde, dass der Mensch die Zeit beherrschen will. Diese paradoxe Einsicht kommt auch darin zum Ausdruck, dass die „Zeit“ auch als historische Zeit ein immer wiederkehrendes Motiv ist (25). In der Beschleunigung der chronometrischen Zeit verliert die Zeit als historische Zeit an Bedeutung.

Der Roman macht also deutlich, dass um die Jahrhundertwende tatsächlich ein Bewusstsein darüber vorhanden ist, dass, wenn man so sagen darf, metaphysisch etwas „nicht stimmt“, dass etwas verloren gegangen ist, was eigentlich unentbehrlich ist, das nämlich, was der Existenz einen Sinn verleiht. Und so verstanden ist die Parallelaktion eine Art Prototyp vorkrieglicher Aktivität nach der Jahrhundertwende. Sie ist der Versuch der Konstruktion von Sinn, der Konstruktion eines bedeutenden und sinnhaltigen Ereignisses. In diesem Versuch spiegelt sich der moderne Kampf gegen die metaphysische Leere, der sich in Musils bereits zitiertem Kommentar spiegelt, dass die Menschen sich irgendwie nur noch mitmachten, immer „im Gefühl der unzureichenden Gründe der eigenen Existenz“ (26).

Das Bemühen der Parallelaktionäre, eine „große patriotische Idee“ zu finden, die das 70-jährige Thronjubiläum des österreichischen Kaisers in würdigem Rahmen feiert, enthüllt letztlich das Fehlen eines tragfähigen Fundamentes für Idealismus überhaupt. Und es ist eine sehr subtile Ironie, wenn der Erzähler Graf Leinsdorf, den Verantwortlichen der Parallelaktion, beim ersten Aufeinandertreffen mit Ulrich gerade eine Passage von Johann Gottlieb Fichte lesen lässt, die von jenen „absoluten Wahrheiten“ (27) fabuliert, die von Nietzsche zwei Generationen später endgültig ins Reich des Metaphysikzaubers verabschiedet worden waren (28).

Wie Graf Leinsdorf sucht die Parallelaktion etwas nicht (mehr) Existentes. In der Beliebigkeit und Belanglosigkeit der Vorschläge zu einer „großen Idee“ spiegelt sich das Ende der großen metaphysischen Modelle. Je bedrohlicher aber die Leere ist, desto betriebsamer werden die Sinnsuchenden. Die Parallelaktion demonstriert so eine im wahrsten Sinne des Wortes verzweifelte Suche nach Sinnhaftigkeit, nach einer notwendigen Handlung. Aber letztlich entfesselt die Kluft zwischen metaphysischem Sinnanspruch oder Sinnbedürfnis und dem metaphysischen Schweigen der Welt – um einen Gedanken von Camus zu paraphrasieren – zunächst nur einen Aktionismus der zugleich völliger Stillstand ist.

Nun geht aber interessanterweise aus diesem Nichts nicht nur Nichts hervor, sondern, ganz im Sinne des Prinzips des unzureichenden Grundes, auch Etwas. Aber ein Etwas, das gleichsam auf „Nichts“ gebaut ist. Warum letztlich aus dem leeren Aktionismus der Parallelaktion tatsächlich Etwas entsteht, das wiederum erklärt sich psychologisch, wie schon Nietzsche sehr klar gesehen hat. So führt er jene bereits zitierte Stelle, an der er die Langeweile und das Tatbedürfnis der jungen Europäer konstatiert, fort, indem er schreibt:

„Noth ist nötig! Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten übertriebenen ‚Nothstände’ aller möglichen Classen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben.“

Da diese „Not“ nicht wirklich existiert, muss sie erzeugt werden, weshalb Nietzsche die „Notstände“ – sprich Ausnahmezustände – als „erdichtet“ bezeichnet. Wenn Musils Erzählung von der Parallelaktion deren literarische Mise en scène ist, dann hilft ein Blick auf Peter Sloterdijks Werk Kritik der zynischen Vernunft zu erkennen, wie diese erdichteten Ausnahmezustände in der Realität entstehen; und nicht zufällig beruft sich auch Sloterdijk hier auf den Ausnahmezustand vor dem Ersten Weltkrieg. Sloterdijk postuliert, dass sich Vorkriegsgesellschaften gleichsam „neurotisch aufladen“, bevor sie sich dann enthusiastisch in die Apokalypse stürzen. „Woran“, so fragt er, „erkennt man eine Vorkriegszeit? [...] Hauptsymptom ist eine Verschwülung der gesellschaftlichen Atmosphäre, die sich bis zur Unerträglichkeit mit schizoiden Spannungen und Ambivalenzen auflädt“. (29)

Nun scheint mir die Schilderung der Formierung und des Fortschreitens der Parallelaktion und der durch sie ausgelösten Ereignisse genau so begriffen werden zu können: als eine künstliche, oder mit Sloterdijk, eine schizoide Aufladung. Interessanterweise erfolgt diese sowohl im Innern wie auch von Außen. Im Innern, da irgendwann und ohne erkennbaren Grund von den Parallelaktionären, die des Diskutierens überdrüssig sind, die „Parole der Tat“ (30) ausgegeben wird; und von außen dadurch, dass die Parallelaktion irgendwann, ebenso ohne erkennbaren Grund, „Aufruhr“ (31) auslöst – wozu, wenn man ihre innere Nichtigkeit betrachtet, selbstverständlich keinerlei Anlass besteht.

Die Parallelaktion erzeugt also aus dem Fehlen von Inhalt reale Konsequenzen – die freilich im Roman selbst noch ins Leere laufen. Aber selbstverständlich werden sowohl das Ausrufen der „Parole der Tat“ als auch das Auslösen von Aufruhr im Kopf des Lesers bereits mit jener ultimativen Tathandlung in Verbindung gebracht, die letztlich der einzige gangbare Weg aus der Krise der Parallelaktion ist – und das heißt in Analogie, aus der Leere und Langeweile der Moderne : mit Krieg.

Das Bewusstsein des Lesers spielt aber nicht nur in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle bei der Sinnkonstitution, sondern noch auf einer anderen Ebene. Denn wenn der Leser hier in der „Parole der Tat“ eine ironische Vorwegnahme der Ereignisse des Jahres 1914 sieht, so erkennt er auf der allgemeineren Ebene des Seinesgleichen geschieht einen im Zusammenhang mit unserer Fragestellung entscheidenden Widerspruch. Die Parallelaktion als Abbild der damaligen gesellschaftlichen Ereignisse zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass sie sich endlos in die Zukunft hinein fortzusetzen scheint. Zugleich ist sie aber auch zentrales Element bei der Entstehung von „Aufruhr“. Sie wird so der zentrale Schauplatz jenes Paradoxes der Gleichzeitigkeit von Normal- und Ausnahmezustand, das für eine moderne Vorkriegszeit kennzeichnend ist.

Denn es gibt ein paradoxes Nebeneinander von „Seinesgleichen geschieht“ und neurotischer Aufladung, das notwendig ist, damit aus einem Normal- ein Ausnahmezustand wird. Zunächst einmal ist in der Parallelaktion der Stillstand prägend – was maßgeblich deutlich wird dadurch, dass es alle zur Handlung drängt und auch die „Parole der Tat“ diese nicht auszulösen vermag. Bewusstseinsprägend ist also hier das sich perpetuierende Immergleiche, mit anderen Worten ein Gefühl metaphysischer Langeweile, wie es auch bei Heym oder Nietzsche zum Ausdruck kam. In Bezug auf den Roman bleibt im „Seinesgleichen geschieht“ zunächst offen, woher die neurotische Aufladung und das Erleben der Situation als „Ausnahmezustand“ kommen soll. Diese Spannung löst sich auf, wenn auf das Kommunikationsmedium Roman reflektiert wird. Denn der leere Aktionismus spielt sich nur innerhalb der romaninternen Wirklichkeit in eine ungewisse Zukunft hinein ab. Es ist das vom Leser romanextern hinzugetragene Bewusstsein, das die Situation entbirgt als eine, die der Zuschreibung des Seinesgleichen geschieht diametral entgegenläuft: dass nämlich nicht nur die Zeit, sondern auch die Aktivitäten, die innerhalb der Parallelaktion unternommen werden, unausweichlich auf Krieg zusteuern. Während die Parallelaktionäre noch überlegen, wie sie das Thronjubiläum ihres Friedenskaisers gebührend feiern können, weiß der Leser, dass dieser Friedenskaiser, gestützt auf den rivalisierenden deutschen Friedenskaiser Wilhelm II. die Donaumonarchie schon kurze Zeit später in ihren Untergang führen wird.

Der Leser mag hierin zunächst einmal vor allem den Spott des Autors erblicken für einen Staat, der nicht erkannt hat, dass seine letzte Stunde geschlagen hat, aber das ist nur eine erste Lektüreebene, die sich aus dieser Spannung zwischen der „Unwissenheit“ der Zeitgenossen, die hier in Form literarischer Figuren auftreten, und dem „Wissen“ des Späteren, d.h. des Lesers ergibt. Genau besehen spottet Musil aber keineswegs. Die Ironie, die aus dieser Spannung entsteht, erfährt nämlich eine wesentliche Vertiefung daraus, dass hier im eigentlichen Sinne eine tragische Konstellation zutage tritt. Die Akteure nämlich können nicht wissen, dass sie sich in einer Art Ausnahmezustand befinden. Und der Leser kann nicht nicht wissen, dass es sich um einen solchen Ausnahmezustand handelt. Aber der Leser hat damit keinesfalls einen Erkenntnisvorsprung, weiß es im eigentlichen Sinne nicht besser, sondern lediglich anders, d.h. er hat eine andere Perspektive auf die Ereignisse. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Musilsche Ironie nicht eigentlich satirisch ist, sondern sie ist, im Sinne des französischen Philosophen Vladimir Jankélévitch, „kompassionell“ (32). Sie entsteht aufgrund der Tragik der menschlichen Unzulänglichkeiten. Dass die Parallelaktionäre sich auf Krieg zubewegen, will ihnen der Mann ohne Eigenschaften nicht als Ignoranz ankreiden. Und wenn der Leser bzw. Historiker für das Jahr 1913 eine „typische“ Vorkriegssituation erkennt, dann ist diese Diagnose auch nur historisch, d.h. ex post richtig. Genau an diesem Knotenpunkt zwischen zeitgenössischem und historischem Bewusstsein treffen sich auch Normal- und Ausnahmezustand. Um es anders auszudrücken: mit Sicherheit gab es Anzeichen für Kriegsgefahr, die von den Zeitgenossen hätten erkannt werden können bzw. auch erkannt wurden. Dass es aber zum Krieg kam, ändert letztlich quasi rückwirkend die Vorkriegsereignisse, so dass man sich eigentlich der historischen Ursachenattribution nur ironisch annehmen kann. Was bezeichnenderweise ja auch Ulrich tut, zum Beispiel im Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Seinesgleichen geschieht oder warum erfindet man nicht Geschichte (33). Ulrich beschreibt dort die Entstehung von Geschichte analog zu einer Erfahrung aus seiner Militärzeit:

„Die Eskadron reitet in Zweierreihen und man lässt „Befehl weitersagen“ üben, wobei ein leise gesprochener Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wird; befiehlt man nun vorne: ‚Der Wachtmeister soll vorreiten’, so kommt hinten heraus, ‚Acht Reiter sollen sofort erschossen werden’ oder so ähnlich,“ um lakonisch zu konstatieren: „Auf die gleiche Weise entsteht auch Weltgeschichte“ (34).

So entlastet der Roman gleichsam ironisch die Zeitgenossen von dem Vorwurf der Ignoranz, ohne dass dadurch freilich seine Beschreibung der Parallelaktion an historischer Pertinenz verlöre.

 

IV. Schluss

Abschließend möchte ich versuchen, die verschiedenen Ebenen meiner Überlegungen zusammenzuführen. So erscheint der Kriegsausbruch als jene Schnittstelle, an der sich Normal- und Ausnahmezustand in beiden hier ausgeführten Bedeutungen treffen bzw. untrennbar ineinander mischen. Denn hier treffen sich die Probleme der Zuschreibung bezüglich Erlebnis und Langeweile auf der einen und krisenhafter Zuspitzung gegenüber dem Seinesgleichen geschieht auf der anderen Seite. Denn wenn die Erlebnisorientierung in letzter Konsequenz eine langweilige Welt erzeugt, so wendet sich die Erlebnisorientierung im Krieg auf ein authentisch-ultimatives Urerlebnis. Diesem wird seinerseits durch die neurotische Aufladung der Gesellschaft psychologisch der Boden bereitet. Allerdings ist die Langeweile noch immer das Fundament dieser neurotischen Aufladung und ob diese Aufladung sich eruptiv Bahn bricht oder wieder in sich zusammenfällt, dies bleibt eine offene Frage, die sich eben gerade nicht prospektiv, sondern erst retrospektiv bewerten lässt, so dass auch erst ex post erkennbar wird, dass die scheinbare Normalität einer langweiligen Vorkriegszeit, wie sie im Seinesgleichen geschieht erzählerisch dargestellt wird, eigentlich ein Ausnahmezustand ist, wobei auch hier der Zeitpunkt eines eruptiven Losbrechens recht eigentlich willkürlich zu sein scheint. Und diese Diagnose einer Unprognostizierbarkeit bestätigt unfreiwillig, aber in trefflichster Weise, Sloterdijk selbst, der nämlich in seinem 1983 erschienen Buch die zeitgenössische Gesellschaft als eine eben solche schizoid aufgeladene und damit als eine Vorkriegsgesellschaft deutet (35). Wenn nun die Katastrophe, die für Sloterdijk in den 80er Jahren quasi in der Luft zu liegen scheint, nicht eingetroffen ist, dann bedeutet dies nach dem bisher Gesagten aber eben gerade nicht, dass die Diagnose falsch war, sondern dass ein Philosoph kein Prophet ist, ein Prophet aber nötig wäre, um aus einem Normalzustand wie 1913 oder 1983 prospektiv einen Ausnahmezustand im Sinne einer Vorkriegszeit herauszulesen. Glücklicherweise gibt es aber zumindest die von Friedrich Schlegel so bezeichneten „rückwärtsgekehrte Propheten“ (36), die in der Lage sind, Normalzustände als Ausnahmezustände zu identifiziere – mit anderen Worten: Historiker. Erst im retrospektiven Zugriff wird letztlich aus jenem Ausnahmezustand, der der Normalzustand der Moderne ist, jener andere Ausnahmezustand, der für eine Vorkriegszeit charakteristisch ist. Diese Einsicht in die Beschränktheit unseres historischen Erkenntnisvermögens mag unbefriedigend sein. Aber man kann sich vielleicht abschließend zumindest mit folgender ironisch-resignativer Einsicht Ulrichs darüber hinwegtrösten:

„Würde man eine Generation heutiger Europäer im Alter der frühesten Kindheit in das ägyptische Jahr 5000 v. Ch. versetzen und dort lassen, so würde die Weltgeschichte noch einmal beim Jahr 5000 beginnen, sich zunächst eine Weile lang wiederholen und dann aus Gründen, die kein Mensch errät, allmählich abzuweichen beginnen.“ (37)

 


Anmerkungen:

1 Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt am Main, 2004.
2 Die moderne Frage nach dem „Sinn des Lebens“ scheint sich seit der Frühromantik immer mehr aufzudrängen und findet sich selbstverständlich implizit auch bei Kierkegaard, wird aber erstmals bei Nietzsche explizit nachgewiesen (Vgl. Volker Gerhard, Friedrich Nietzsche, München, 1992, S. 168).
3 Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main, 1993.
4 Lothar Pikulik, Langeweile oder die Krankheit zum Kriege, in: Zeitschrift für deutsche Philologie, 1986, Vol. 105, n° 4, S. 593-618.
5 Vgl. Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S. 67 ff.
6 Ebd., S. 37f.
7 Ebd., S. 33.
8 Ebd., S. 22.
9 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek bei Hamburg, 1980, S. 35 (im Folgenden als MoE).
10 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S. 68 (meine Hervorhebung).
11 Ebd., S. 33.
12 Vgl. den Essay Wechselwirtschaft, in Sören Kierkegaard, Entweder/Oder, Teil I und II, hg. von Hermann Diem und Walter Rest, München, 1988, S. 329ff. (im Folgenden als EO).
13 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S. 22 (vgl. Anm. 8).
14 Vgl. EO, S. 711ff.
15 Vgl. Vetter, Helmuth, Stadien der Existenz. Eine Untersuchung zum Existenzbegriff Sören Kierkegaards, Wien, 1979, S. 57.
16 War dies zu Kierkegaards Zeiten noch eine Möglichkeit, die wohl vor allem für eine kleine wohlhabende Minderheit Realität werden konnte, wird dies in der Massengesellschaft auch zu einem Massenproblem Dass dies auch Schulze erkennt, zeigt sich sehr deutlich etwa in der folgenden semiologischen Reflexion über Warenwelt und Bedeutungszuschreibung: „Nicht nur die Neuartigkeit der Zeichen erschwert die Konstruktion von Erlebnissen, sondern auch ihre enorme Zahl an sich. Erst dann können die Konsumenten die unübersehbar vielen Artikel und Dienstleistungen ästhetisch nutzen, die der Erlebnismarkt bereithält, wenn es ihnen gelingt, sie überhaupt noch aufzufassen und mit Bedeutungen in Verbindung zu bringen“ (Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S. 116).
17 Georg Heym, Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe, hg, von Karl Ludwig Schneider. Bd. 3: Tagebücher Träume, Briefe. München, 1960, S. 138f.
18 Auch Musil äußert sich in diese Richtung. Der Krieg sei Zeichen des „Mangels eines höheren Lebensinhaltes“. (Robert Musil, Essays und Reden, Gesammelte Werke Bd. 8, Reinbek bei Hamburg, 1980, S. 1343).
19 Mit Kierkegaard könnte man die beschrieben Langeweile als auf dem „Nichts“ beruhend beschreiben, „das sich durchs Dasein schlingt“ (vgl. EO, S. 338).
20 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München, 1988, S. 418, Erstes Buch, Aphorismus 56. Beleg dafür, dass es sich um ein gesamteuropäisches Übel handelt ist, dass beispielsweise in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein geflügeltes Wort erneut in Umlauf, das zuvor auf die vorrevolutionäre Zeit von 1848 gemünzt war, nämlich „La France s’ennuie“, Frankreich langweilt sich. Und im 19. Jahrhundert, das ja bekanntermaßen ein „langes Jahrhundert“ war, das von 1789 bis 1914 dauerte, wird der ennui in Frankreich zu einem veritablen „mal du siècle“ (vgl. dazu die Arbeit Valentin Mandelkow, Der Prozess um den ‚ennui’ in der französischen Literatur und Literaturkritik, Würzburg, 1999.
21 Vgl. Nietzsches Aphorismus über den „tollen Menschen“, in dem dieser ausruft „Wohin ist Gott? [...] Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich!“ (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, S. 481, Drittes Buch, Aphorismus 125.
22 MoE, S. 34.
23 MoE, S. 34.
24 Ebd., S. 32.
25 Wie auch in der Kapitelüberschrift „Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit“ (MoE, S. 56ff.) oder in einer Reflexion Ulrichs darüber, dass man seiner Zeit nicht böse sein könne, ohne selbst Schaden zu nehmen (vgl. MoE, S. 59).
26 Ebd. S. 35, vgl. Anm. 9.
27 Ebd., S. 87.
28 Hinzu kommt freilich, dass Leinsdorf die Passage letztlich ablehnt, weil die Passage „zu protestantisch“ sei (vgl. ebd., S. 87).
29 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Bd. I, Frankfurt am Main, 1983, S. 238f.
30 MoE, S. 807.
31 Ebd., S. 625.
32 Vgl. Vladimir Jankélévitch, L’Ironie, Paris 1960. wie ja auch Musil selbst konstatiert, wenn er sagt: „Ironie muß etwas Leidendes enthalten (sonst ist sie Besserwisserei), Feindschaft und Mitgefühl“ (Robert Musil, Tagebücher, Essays und Reden, Aphorismen, hg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg, 1955, S. 500
33 MoE, S. 37ff.
34 Ebd., S. 361.
35 Vgl. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, S. 244 f.
36 Friedrich Schlegel, in Kritische Freidrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler, Paderborn 1958 ff, Athenäum, I, 2, 20.
37 MoE, S. 361.

6.8. Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive

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Sebastian Hüsch: Der Normalzustand als Ausnahmezustand. Moderne, Langeweile und Krieg in Musils Mann ohne Eigenschaften - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/6-8/6-8_huesch17.htm

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