Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Juni 2010 | |
Sektion 8.17. | Massenmedien und sozial-geistige Ökologie unserer Gesellschaft Sektionsleiterin | Section Chair: Maja N. Volodina (Lomonosov-Universität, Moskau) |
Sektionsbericht 8.17.
Massenmedien und sozial-geistige Ökologie unserer Gesellschaft
Maja N. Volodina (Moskauer Staatliche Lomonosov-Universität, Russland) [BIO]
Email: volodina@philol.msu.ru
Die Massenmedien konstituieren eine konkrete audiovisuelle Welt, eine bestimmte ideologisierte Audio-Ikono-Sphäre. Sie dienen der präzisen Konzeptualisierung der Wirklichkeit, in der ein heutiger Mensch lebt. Gerade die Sphäre der Massenkommunikation trägt dazu bei, dass die Gesellschaft als „Generator einer sozialen Hypnose“ funktioniert, unter dessen Einfluss wir zu einer lebenden Assoziation werden. Gerade in den Massenmedien tritt die einwirkende Funktion der Sprache besonders deutlich zutage.
Die Untersuchung von Faktoren, die die öffentliche Meinung eines jeweiligen Landes beeinflussen, ist ein vielseitiges Problem. Als einer der wichtigsten Ansätze zur Lösung dieses Problems kann eine kognitive Untersuchung von Methoden zur metaphorischen Rechtfertigung (und Verurteilung) des Kriges dienen, d. h. die Untersuchung der Mittel zur bildlichen Erklärung, warum die jeweiligen Kampfhandlungen vom Standpunkt der Moral notwendig und legitim oder - im Gegenteil - amoralisch und rechtswidrig sind (Tschudinow, 2005).Das informatorische Einwirken der Sprache auf den Menschen ist gewaltig. Je nach Ziel und Ausrichtung kann sie positiv oder negativ aufgeladen werden. Um so dringlicher erweist sich das Problem, für die moderne Gesellschaft eine Informations- und Sprachkultur zu entwickeln, die hohen Ansprüchen gerecht wird.
Maria Biryukova, Diplomandin der Philologischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität, hielt den Vortrag zum Thema Psycholinguistische Analyse der Wahlwerbung aus der Sicht des Produzenten. Bei der psycholinguistischen Untersuchung des sprachlichen Materials wurde die Hauptthese aufgestellt, nach der die psychische Existenz des Subjekts in einem stetigen Zusammenhang mit der Umwelt verläuft und eine enge Verbindung des Individuellen mit dem Sozialen in sich birgt. Als Ausgangspunkt jedes Sprechaktes gilt allgemein das Motiv. Der Produzent eines politischen Diskurses versucht dem Rezipienten ein aus seiner politischen Sicht richtiges System der Meinungen, Vorstellungen, Bewertungen zu suggerieren und ihn zum Handeln zu bewegen. Entscheidend für den Erfolg der Wahlkampagne wird demgemäß die Fähigkeit, das Ziel der Wahlwerbung maximal klar und äußerst durchsichtig darzustellen, wobei die Spitzenfrage jeder Wahlkampagne folgendermaßen lautet: „Was muss man tun, um die informationsüberlasteten Wähler zu gewinnen?“ In diesem Zusammenhang ist das Ziel der psycholinguistischen Analyse nicht nur den Entwicklungsprozess vom Gedanken anregenden Motiv bis zu seiner in eine selbstständige Idee verwandelten Gestaltung zu verfolgen, sondern auch die Verhaltensweise des Produzenten unter Berücksichtigung seiner Eigenart darzustellen.
Der Vortrag von Olga Kharkova, Doktorandin an der Philologischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität, war dem Thema Presselenkung im NS-Staat gewidmet. Zum Hauptproblem wurde dabei – die Mechanismen der Meinungsmanipulierung zu bestimmen, um sie rechtzeitig erkennen und ihr widerstehen zu können. In der Weltgeschichte gibt es Fälle manipulativer Änderung von Meinungen und Handlungen nicht nur einzelner Individuen, sondern ganzer Völker durch die Handhabung, bewusste Verheimlichung und Dosierung von Informationen. Eines der markantesten Beispiele dafür ist die Informationspolitik der Nationalsozialisten im faschistischen Deutschland. Zentrales Element dieser Politik war die Propaganda, deren Ziel es war – breite Bevölkerungsschichten zu beeinflussen. Die Nationalsozialisten setzten die modernsten Medien der damaligen Zeit ein, um ihre nationalsozialistischen Werte und Anschauungen zu verbreiten, die sie gleichzeitig als unbestritten erklärten. Das propagandistische System des Dritten Reiches muss gründlich erforscht werden, weil auch heutzutage in manchen Ländern und Bevölkerungsgruppen nationalistische Ideen vertreten werden, was eine Gefahr für die Erziehung zum humanistischen Bewusstsein in der modernen Gesellschaft bedeutet. Im Informationszeitalter werden wichtige Informationen zu einer wertvollen Ware, deren Eigentümer die Möglichkeit haben, sie nach ihren Wünschen zu verbreiten und zu interpretieren. Dennoch wird der Informationsfluss immer weniger kontrollierbar. Wo das heute noch versucht wird, entsteht sofort die Gefahr, dass die Medien nicht mehr den Pluralismus der Meinungen und Interpretationen ermöglichen, sondern zum Mittel der zielgerichteten Meinungsbeeinflussung werden.
Im Vortrag von Maria Stepanova (Dr.phil der MGIMO-Universität) „Der Spiegel“ und das Gespräch ging es um ein aktuelles Problem der Vielfalt und Vermischung von verschiedenen Textsorten, das heute im Mittelpunkt mehrerer interdisziplinärer wissenschaftlicher Studien steht. Es werden Romane im Zeitungsstil verfasst und von Sprachforschern unter die Lupe genommen. Mit Blick auf die Erweiterung der Grenzen von literarischen Genres und journalistischen Textsorten lassen sich daher unterschiedliche diskursive Formen gegenüberstellen und vergleichen. Aus der Perspektive eines modernen Mediendiskurses soll über die journalistische Textsorte „Gespräch“ diskutiert werden. Am Beispiel der ständigen Rubrik eines deutschen Nachrichtenmagazins („SPIEGEL-Gespräch“) wird die Verflechtung von Diskursformen gezeigt und auf die Merkmale der Textsorte eingegangen. Als Printmedium bestimmt das Magazin die textliche Gestaltung eines Gesprächs, das ursprünglich in mündlichem Diskurs existiert und als solches keiner textlichen Form bedarf. Das „SPIEGEL-Gespräch“ ist als gedrucktes Produkt der Marke SPIEGEL bekannt und besteht im Vergleich zur verwandten Textsorte „Interview“ seit langem als eine feste Rubrik in unveränderter Form.
Maria Krapivkina, Doktorandin an der Philologischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität, hat das Thema Werbung und ihre Einwirkung auf Bildung von Genderstereotypen (am Beispiel deutschsprachiger Frauen- und Männerzeitschriften) untersucht. In ihrem Beitrag geht es darum, dass alle internen Gesetze des Phänomens Werbung sowie seine Hauptidee an sich auf ein einziges Ziel orientiert werden, den Rezipienten ein Produkt/eine Dienstleistung akzeptieren und - im Endeffekt - es kaufen zu lassen. Dabei ist die Werbung nicht nur auf ein bestimmtes Produkt gerichtet, sondern auch auf die Lebensweise, deren Voraussetzung wäre, dieses Produkt zu erwerben. Damit repräsentiert die Werbung konkrete Vorstellung über einen typischen Verbraucher/eine typische Verbraucherin dieses Produktes. Da Werbesujets vorwiegend Alltagssituationen reproduzieren, werden sie vom Rezipienten als etwas natürliches und normatives wahrgenommen. Die Werbung, indem sie das jeweilige Produkt propagiert, beeinflusst die Wertorientierung des Publikums und schafft dadurch bestimmte Verhaltensmuster. Diese Verhaltensmuster und die Mittel ihrer Gestaltung unterscheiden sich je nach der Geschlechtsangehörigkeit der Adressaten bzw. Leser. Bei der Analyse einer Werbeanzeige spielen folgende Kriterien eine wesentliche Rolle: argumentative Strategien, Text- und Bildverhältnisse, semantische Felder, lexikalische und syntaktische Unterschiede.
Die Vorstellungen über Frauen und Männer und ihre Position in der modernen Gesellschaft, die durch Massemedien und insbesondere durch Werbung gebildet werden, sind vielfältig. Es lassen sich aber zwei generelle Genderstereotypen herausstellen: „eine typische Frau“ und „ein typischer Mann“. Das ist eine attraktive, karrierebewusste Frau, die sich gleichzeitig als eine vorbildliche Mutter und Frau erweist, einerseits, und ein erfolgreicher Mann, der Qualität und Luxus zu schätzen weiß, andererseits. Es ist fraglich, ob nur solche Frauen und Männer die betreffenden Magazine kaufen, aber gerade durch diese Stereotypen sind Denkmodelle der meisten LeserInnen der modernen Zeitschriften geprägt.
Elena Ivanova (Universität Bielefeld, Deutschland) hat in ihrem Vortrag das Problem Werbekompetenz bei Kindern: Werbung im Fernsehen analysiert. Der Begriff der Medienkompetenz gilt in der massenmedialen Gesellschaft als Schlüsselqualifikation, die für den kompetenten Umgang mit Medien erforderlich ist. Medien sind heute aus dem Alltag der Kinder nicht mehr wegzudenken. Die meiste medial verbrachte Zeit widmen die Kinder dem Fernsehen. Einen großen Teil dieser Zeit bilden die Werbesendungen. Im Fernsehprogramm für Kinder lässt sich eine Vielfalt von unterschwelligen und direkten Werbeformen finden. Nicht nur gewohnte Blockwerbung, sondern auch Sponsoring, Product Placement, Videocommercials, Merchandising und Lizensing kommen vor. Die Struktur des Programms zeugt davon, dass der eigentliche Programmteil zwischen den zahlreichen Werbeblöcken und zusätzlichen Informationen verloren geht. Studien, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass besonders die jüngeren Kinder zwischen dem Programm und der Werbung nicht richtig unterscheiden können, was das größte Hindernis auf dem Weg zum kompetenten Umgang mit Werbung ist. Für die Entwicklung der Werbekompetenz ist mediapädagogisches Engagement erforderlich. Schon im Kindergarten kann man den Kindern Werbekompetenz erfolgreich beibringen. Es wurde in der Praxis bewiesen, dass es Medienpädagogen gelingt, Kinder zu besserem Verstehen der Werbeintentionen und zur Trennung von Werbung und Programm zu bringen.
Svetlana Bartseva (Freie Universität Berlin / Moskau) hat das Thema Filmkritik – ein Marketinginstrument in der modernen Gesellschaft untersucht. In ihrem Vortrag hat die Referentin auf die Einstellungen von renommierten deutschen Filmkritikern wie Jonathan Rosenbaum, Enno Patalas, Cristina Nord u.a. hingewiesen. Es wurde hervorgehoben, dass die Grenze zwischen Filmkritik in Print- und Onlinemedien und Filmwerbung in den letzten Jahren verschwimmt. Im Feuilleton wird vorwiegend kommerzielles Kino besprochen. Das Autorenkino hat fast keine Chance in den grossen Medien ein Echo zu finden. Die Zahl der Rezensionen hängt direkt von Werbemitteln ab. Die Filmkultur erlebt dabei einen starken Aufschwung. Die Menschen stürmen in die Kinos und versuchen keinen einzigen Starttermin zu verpassen. Als Orientierung in diesem vielfältigen Angebot von Filmen dient ihnen die Presse, die diese Tendenzen akzeptiert und von denen auch zu profitieren versucht. Nicht umsonst wird jetzt bei mehreren Zeitungen und ihren Onlineversionen die Filmkritik vor den Literaturbesprechungen platziert. Die traditionelle Funktion der Filmkritik – das Kino zu kritisieren und zu interpretieren – verliert an Bedeutung. Stattdessen hat die Filmkritik die PR-Funktion übernommen und soll möglichst immer mehr Zuschauer in die Kinosäle bringen. Dabei bilden die Medien einen bestimmten Geschmack beim Publikum, das ihn naiv für seinen eigenen hält. Die Medien identifizieren sich selbst mit dem Markt und steuern dementsprechend die Kultur. Dieses Phänomen führt aber zu einem grossen Risiko, dass unsere Kultur zu kommerziell und primitiv wird. Die Prozesse der Vermarktung der Filmkritik werden am Beispiel von einigen deutschsprachigen Fachzeitschriften (epd Film, Schnitt, kolik Film, Revolver, Film-dienst), von großen deutschen Zeitungen (SZ, FAZ, TAZ) und Onlinemagazinen (jump-cut, filmtext, critic, filmzentrale usw.) dargestellt.
Zum Ergebnis der Abschlussdiskussion wurde die kollektive Feststellung, dass das Interesse an medienwissenschaftlichen Problemen, an Fragen der Produktion und Wahrnehmung von Werbungtexten, von Texten in Printmedien, Rundfunk und Fernsehen, das Interesse an Prozessen, die mit der Schaffung, dem Erhalt und der Verarbeitung von Informationen sowie mit dem Einfluss der Medien auf das öffentliche Bewusstsein zusammenhängen, in den letzten Jahrzehnten spürbar zugenommen hat. Die Sektionsvorträge zeigten eindeutig, dass die Medienforschung nur unter Anwendung von Methoden unterschiedlicher Wissensbereiche (wie der Philologie, Journalistik, Psychologie, Soziologie, Politologie u.a.) - d.h. auf interdisziplinärer Ebene - wirklich produktiv sein kann.
8.17. Massenmedien und sozial-geistige Ökologie unserer Gesellschaft
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-06-08