Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 6. Nr. September 1998

Vernetzung oder Kurzschluss?
Warum wir eine europäische Philologie brauchen statt weiterhin etatistische Nationalphilologien *

Otto Kronsteiner (Salzburg)

Mögen täten wir schon wollen,
aber dürfen haben wir uns nicht getraut
Karl VALENTIN

Die Vernetzung aller traditionellen philologischen Universitätsinstitute, inklusive der sich imperialistisch gebärdenden Nationalphilologien wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, - die ministerielle Geldknappheit könnte diesen Prozess wohltuend beschleunigen. Keinesfalls sollten Sprachen eingespart werden. Solche Ideen entstehen gewöhnlich im Dunstkreis von Universitätsfunktionären wie der Rektorenkonferenz, - nicht im Ministerium. Der Autor ist davon überzeugt, dass die vorhandenen Gelder - möglicherweise nicht die intellektuellen Ressourcen - für eine Umstrukturierung ausreichen. Das weitere Beibehalten des derzeitigen Systems würde zu einem aus der Elektrizität bekannten Kurzschluss mit allen möglichen Folgen führen: die schlimmste ist die realitätsfremde Ausbildung. Sie ist für wissenschaftlichen Nachwuchs und nicht für Fähigkeiten im ausseruniversitären Bereich konzipiert.

Ziel jeder Universität muss sein: die Errichtung eines Zentrums für europäische Sprachen mit besonderer Beachtung von Übersetzen, Dolmetschen und Terminologie (für den WissensTransfer). Die Organisationsform muss inbezug auf Management wohl durchdacht sein. Das derzeitige Gesetz in Österreich mit "BasisDemokratie" bietet dazu keine Grundlage. Es würde nur zusätzliches Funktionärstum und KommissionsUnwesen evozieren. Jegliche Vernetzung würde durch inkompetente Bürokratie behindert.

Die historischen Ursachen der heutigen PhilologieInstitute

Die Motive zur Errichtung philologischer Institute waren Vorstellungen und Wünsche des 19. Jahrhunderts. Das Konzept der vermeintlichen genetischen Verwandtschaft der Sprachen war massgebend für die Aufgaben der nach 1848 errichteten Institute für Indogermanistik, Germanistik, Romanistik und Slawistik, inklusive der romantische Ausbau neuer Literatursprachen. Die aussereuropäischen Philologien (Turkologie, Arabistik, Sinologie, Afrikanistik) waren nur für Staaten mit Kolonien von Bedeutung. Wiewohl wichtig, es steht hier nicht zur Diskussion. In England und Frankreich gab/gibt es Institute für "Ostsprachen" (East European Studies, School of Slavonic and East European Studies, Centre d'études pour les langues orientales), wobei die Geographie nicht die genetische Verwandtschaft eine Rolle spielt. In Mitteleuropa (Österreich-Ungarn und den Nachfolgestaaten, Deutschland) dominierte das genetische Prinzip, was für  alle Sprachen, die nicht den drei grossen Familien (Germanisch, Romanisch, Slawisch) angehörten, den Nachteil hatte, dass sie nur von speziellen Liebhabern da und dort gepflegt wurden. Ungarisch, Finnisch und Baskisch blieben fast völlig unbeachtet.

Dieses Forschungs- und Ausbildungssystem hatte zur Folge, dass sich die einzelnen Institute immer mehr verselbständigten und jeglichen Kontakt zueinander verloren. Das Dictum von Hugo SCHUCHARDT "es gibt nur eine Sprachwissenschaft" (er selbst war Romanist und begeisterter Ungarist) blieb für die Universitätsphilologien ein frommer Wunsch.

Die Klassische Philologie (Latein, AltGriechisch) hatte sich als älteste europäische längst selbständig gemacht und zeitlich so abgegrenzt, dass schon das Latein des Mittelalters - immerhin für Jahrhunderte Literatursprache aller latein-schriftigen Europäer - nicht mehr dazugehörte, andererseits wurde auch das Griechisch des Byzantinischen Reiches ausgelagert und den verträumten ByzantinistikInstituten zur Betreuung überlassen. Es ist charakteristisch, wie wenig Latinisten mit Romanisten, und Gräzisten mit Byzantinisten und NeuGräzisten vernetzt sind: "klassische" KurzschlussPhilologien.
Während die Romanisten ihre Philologie mit grosser Offenheit betrieben und sich im Besitz von Latein nicht mit zeitraubenden Fragen nach der Urheimat und Ursprache aufgehalten haben, ist die Germanistik in eine Deutschistik (neuerdings auch Deutsche Philologie) ausgeartet, wobei das Germanische als mythischer Hintergrund figurierte, auf dem die reell existierenden Sprachen Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Isländisch, Jiddisch, Afrikaans kaum in Erscheinung traten, umso mehr dafür  Altnordisch, Altostniederfränkisch, Althochdeutsch, Spätmittelhochdeutsch und dgl.
Das Englische hatte als germanische Einzelsprache wegen seiner politischen Bedeutung schon früh das Privileg auf ein eigenes AnglistikInstitut, das dann noch um eine Amerikanistik erweitert wurde. Germanisten und Anglisten erlangten trotz eines in Relation zur Romanistik und Slawistik relativ kleinen Forschungsgebiets in deutsch-sprachigen Ländern wegen guter personeller Ausstattung die Funktion von FührungsPhilologien, die sich an vielen Uni-versitäten auch Kompetenz in allgemeinen sprach- und literaturwissenschaft-lichen Fragen arrogieren.
Die Slawistik spielte die eigenartigste Rolle, da sie sich von 1849 bis 1918 fast ausschliesslich dem Panslawismus, der slawischen Wechselseitigkeit - und dem Ausbau immer neuer Literatursprachen bis zum Makedonischen [1944] - verschrieb, was tatsächlich zu einer erstaunlichen gegenseitigen Annäherung und Angleichung geführt hat, die man üblicherweise für Urslawisch hält. Die Oktoberrevolution und der nach 1944 überall herrschende Kommunismus haben diesen Prozess um fast ein Jahrhundert prolongiert. Auf diese Weise ist die Slawistik zu einer schwer durchschaubaren monolithischen Geheimwissenschaft - mit der höchsten Anzahl einzelner Literatursprachen bei gleichzeitiger grösster Ähnlichkeit untereinander - geworden, die seit 1945 immer mehr unter dem alten Titel Slawistik zu Russistik mutierte, analog wie die Germanistik zu Deutschistik.

Die Motive für die Errichtung und die Existenz solcher Institute sind 1999 andere als 1849. Der letzte Slawistenkongress in Krakau (1998) hat aber gezeigt, dass die alten Motive unreflektiert noch weiter zugrundeliegen (Über den notwendigen Untergang der Slawistik alten Typs. Erscheint in der FS für Baldur PANZER, Heidelberg 1999.

Dem bisherigen InstituteSystem liegt die StammbaumTheorie zugrunde, nach der alle europäischen Sprachen mit ein paar Ausnahmen auf eine indo-germanische Ursprache zurückgehen. Dies entspricht nicht den Erfahrungen objektiver Sprachwissenschaft. Diese genetischen Klassifizierungen haben zu Kriegen geführt (E. von ERDMANN-PANDZIC, Von der Wissenschaft zum Krieg. DSS 50/1996: S.13-61 und O. KRONSTEINER, Sprachgeschichte, politische Geschichte, und ihre Ideologien. DSS 56/1998: S.5-15). Sie sind aber ohne irgendeinen Sinn.

Es ist Zeit, für ein friedliches Europa eine neue Sehweise und eine neue Terminologie einzuführen, wobei die Benennung nach reell existierenden Literatursprachen (von Albanisch bis Weissrussisch) zugrundegelegt werden muss. Die Sprachen der Mitgliedsländer sind als kulturelle Individuen und nicht als genetische Komplexe zu behandeln.

Der SprachenUnterricht

Dem SprachenUnterricht muss im europäischen Bildungswesen grundlegende Bedeutung zukommen, die der sprachlichen Vielfalt des Kontinents Rechnung trägt. Dies sollte durch ein Fach europäische Sprachenkunde - SCHMELLER [DSS 58/1998] hat eine europäische Sprachlehre vorgeschlagen - vorbereitet werden, in dem die Bedeutung von Sprachen überhaupt, die Vielfalt der europäischen Sprachen, und Grundbegriffe wie Muttersprache, Landessprachen, Nachbarsprachen, EU-Sprachen dargestellt werden.

  1. Muttersprache ist die Sprache, die jedem weiteren Sprachstudium zugrunde zu legen ist. Daher ist ihre solide Beherrschung für jede weitere Sprachkompetenz unerlässlich. In Fällen, wo ein Dialekt erste Muttersprache ist wie fast überall in Österreich, Deutschland und der Schweiz, ist vom Dialekt auszugehen und man hat in der Grundschule auf die Unterschiede gegenüber der zu erlernenden Schriftsprache (= Deutsch. Irreführenderweise auch Hochdeutsch oder Hochsprache genannt) hinzuweisen. Keinesfalls darf der Dialekt als verdorbene, schlampige Form der Hochsprache dargestellt werden. Der Ausdruck Hochsprache - von Hochdeutsch, ursprünglich als geographischer Terminus im Gegensatz zu Niederdeutsch - suggeriert, dass es neben der Hochform des Deutschen noch andere mindere Sprachformen gibt.
    In zweisprachigen Regionen von Sprachminoritäten wie in Kärnten, dem Burgenland oder in der Lausitz, - ebenso bei Kindern von Ausländern ist zusätzlich zur Muttersprache die offizielle Landessprache zu lernen. Ausnahmen bilden die Schweiz und Spanien mit ihrem Territorialprinzip gleichwertiger Landessprachen.

  2. Anmerkung

    Völlig widersinnig ist - ausserhalb Grossbritanniens - die Einführung von Englisch bereits am Anfang des Sprachunterrichts vor oder gemeinsam mit der Muttersprache, da es jedem Kind die Möglichkeit nimmt, sich zunächst mit etwas Vertrautem zu befassen und sich von dieser gesicherten Basis die Welt zu erschliessen. Der Erfolg ist bestenfalls ein halbkulturelles koloniales Sprach-Niveau, das besonders für  Kinder aus MinoritätenRegionen oder dem Ausland unzumutbar ist (DSS 41/1995: 27-50 English only. Eine Gefahr für Europa. Ursache für Fremdenfeindlichkeit, Fremdenhass und Nationalradikalismus).


  3. Landessprachen sind an erster Stelle die offizielle Staatssprache wie in Österreich Deutsch oder in Frankreich Französisch, daneben aber auch alle anderen Sprachen, die auf dem Staatsgebiet gesprochen werden. Darunter sind aufgrund des Territorialprinzips gleichberechtigte LandesSprachen zu ver-stehen, wie in Spanien Katalanisch und Baskisch oder in der Schweiz Französisch, Deutsch, Italienisch (und Rätoromanisch), aber auch sämtliche klei-neren nicht gleichberechtigten MinderheitenSprachen, die "nur" regional als Zweitsprache - für die Angehörigen Muttersprache - fungieren wie in Österreich Slowenisch, Kroatisch und Ungarisch.
    Bei gleichberechtigten Landessprachen sollen alle Bürger von den an-deren Sprachen Kenntnis haben, wie das in der Schweiz mit Deutsch, Französisch, Italienisch (und Rätoromanisch) normal ist.
    Bei einer nicht gleichberechtigten Minderheitensprache (wie z.B. dem Slowenischen in Kärnten, das darüber hinaus auch Nachbarsprache ist!) sollten die Kinder der Mehrheit in den Regionen, wo sie gesprochen werden, mit der MinderheitenSprache vertraut gemacht werden und natürlich auch als Erwachsene mit ihr vertraut bleiben.
  4. Nachbarsprachen sind die Sprachen der angrenzenden Länder. Diese zu unterrichten sollte eine Selbstverständlichkeit des friedenfördernden Bildungswesens sein, wobei regionale Interessen zu beachten sind. Am idealsten trifft dies auf die Schweiz zu, wo alle Landessprachen auch Nachbarsprachen sind. In Deutschland wären dies Französisch, Polnisch, Tschechisch, Niederländisch, Dänisch (auch Landessprache). Naturgemäss sind diese Sprachen in den GrenzRegionen zu fördern. Analog in Österreich Slowenisch (auch Landessprache), Ungarisch (auch Landessprache), Tschechisch, Slowakisch, Italienisch. Freilich spielt die EU-Funktion der Nachbarsprache eine Rolle. So sind in Deutschland Französisch und Polnisch überregional "wichtiger" als Tschechisch und Dänisch, - oder in Österreich Italienisch gegenüber Slowakisch.
  5. EU-Sprachen sind jene Sprachen der Europäischen Union, die durch ihre Grösse und Bedeutung von allen gebildeten Europäern beherrscht werden sollten. Man beachte hierzu die Anregungen von SCHMELLER (DSS 58/1998). Bei aller Ablehnung der genetischen Gruppierung der europäischen Sprachen ist es aus praktischen und kulturpolitischen, natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen empfehlenswert, je eine aus der Gruppe (1) Deutsch/ Englisch, (2) Französich/Italienisch/Spanisch, (3) Polnisch/Kroatisch/Russisch zu erlernen.
    Da dem Englischen international (= ausserhalb der EU) grosse Bedeutung zukommt, wird man damit eine grosse praktische Reichweite erzielen. Dies darf aber nicht dazu führen, die anderen EU-Sprachen zu vernachlässigen. Für Österreicher, Baiern, Slowenen und Kroaten empfiehlt sich aus Gruppe 2 Italienisch. In Gruppe 3 wäre für südliche Mitteleuropäer Kroatisch (damit erreicht man Serbisch und Bosnisch), für nördliche Polnisch (damit erreicht man Slowakisch, Tschechisch, Sorbisch und Ukrainisch) zu empfehlen. Wie weit Russisch als EU-Sprache an Bedeutung gewinnt, wird man sehen. Zur Zeit jedenfalls ist sein Prestige stark rückläufig.
    Die derzeitige EU-Praxis der Arbeits- und Verhandlungssprachen (Englisch, Französisch) ist zu ändern und um Deutsch, Italienisch und Polnisch zu erweitern.

Exkurs:

Der SprachUnterricht im Schulwesen

Von der Qualität des Unterrichts der Muttersprache hängt das gesamte Erlernen von weiteren Sprachen ab. Die Muttersprache bleibt in allen Stadien, besonders für Übersetzungen aus ihr oder in sie, die Basis. Im Deutschen gibt es verschiedene Standards: Norddeutsch und Süddeutsch. Dies ist den meisten Lehrenden, ebenso vielen Übersetzern und Verfassern von Wörterbüchern und Sprachlehrbücher nicht bekannt. Hier besteht ein unerträgliches Defizit im Sprachunterricht, das leider wieder von Germanisten ausgeht. Es ist erstaunlich, dass man die Unterschiede zwischen Englisch in Grossbritannien, den USA, Kanada, Australien, Indien, oder Südafrika, aber auch des Spanischen zwischen Spanien, Südamerika, Mittelamerika und Mexiko selbstverständlich zur Kenntnis nimmt, im Unterricht und in Wörterbüchern darauf hinweist, - die Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutsch aber nimmt man nicht zur Kenntnis. Gewöhnlich bezeichnet man (im DUDENland) den süddeutschen Standard als regional, dialektal oder österreichisch, wiewohl er ebenso in Bayern und in der Schweiz, also von ca. 25 Millionen Menschen verwendet wird.


Anmerkung

Einige Beispiele für Unterschiede

Süddeutsch Norddeutsch
Orange
Marille
Kasten
Polster
Glocke
Bub
Mascherl
Apfelsine
Aprikose
Schrank
Kissen
Klingel
Junge
Schleife
Schweinsbraten
Rindsbraten
Schweinebraten
Rinderbraten
der Einser
der Fünfer
die Eins
die Fünf
der Radio
der Butter
das Teller
das Radio
die Butter
der Teller
Der Vater sagt so.
Der Franz kommt.
Vater sagt so.
Franz kommt.
Gib mir's!
Sag ihm's!
Gib es mir!
Sag es ihm!
Sie hat schön gesungen
Er hat ,ja' gesagt.
Sie sang schönn
Er sagte ,ja'.

Fast überall in Europa wird die Muttersprache aufgrund eines nationalistischen Konzepts des 19. Jahrhunderts immer noch nationalistisch ausschliessend (= die schönste von allen, einmalig, von anderen unerreicht) und nicht europäisch (= als eine von vielen Möglichkeiten) unterrichtet. Hier muss man allmählich offener werden und sie mit anderen Sprachen als gleichwertige Möglichkeit vergleichen.

Ziel des muttersprachlichen Unterrichts soll Klarheit und Einfachheit sein. Das gilt nicht nur für das Französische [ce qui n'est pas clair n'est pas français]! Es ist für das Erlernen anderer Sprachen eine wesentliche Erleichterung. Die Pflege der Muttersprache muss auf allen Ebenen des Bildungswesens beachtet werden, auch von nicht "Germanistik" Studierenden. Jeder Übersetzer und Dolmetscher weiss das. Jeder Schreibende und Lehrende sollte es wissen!

Im Bildungssystem (allgemeine Grundschule [Volksschule], mittlere Schule [Gymnasium, Realschule, Fachschule], höhere Schule [Hochschule, Fachhochschule, Universität] ist immer die Lehre an den Universitäten massgebend. Daher haben dort die Reformen anzusetzen.

In der Grundschule soll das Erlernen anderer Sprachen vermieden werden, ausgenommen sind die Angehörigen von Minoritäten und Ausländer. Die Pflege der Muttersprache hat Vorrang. Der Unterricht anderer Sprachen - Fremdsprache ist ein negativer Terminus und zu vermeiden - hat in den mittleren Schulen zu erfolgen: In Österreich sind dies Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, wobei Englisch unangemessen vorherrscht. Italienisch, Slowenisch und Kroatisch werden regional unterrichtet, Slowenisch und Kroatisch als Unterrichtssprache in den Gymnasien für Slowenen (Klagenfurt) und Kroaten (Eisenstadt). Dies hat zur Folge, dass dort die slowenischen und kroatischen Kinder nur unter sich sind, während die deutschen ausgeschlossen bleiben und so keine Minoritätensprache erlernen. Diese Ghettoschulen müssen sich zum Wohl der Minorität für alle öffnen.

Unerlässlich für Österreichs Sprachenprogramm sind regional die Landes- und Nachbarsprachen, wobei Italienisch, Kroatisch (nicht Burgenländischkroatisch) neben Englisch als EU-Sprachen besonderen Vorrang haben. Wieweit Französisch und Russisch am Gymnasium unterrichtet werden sollen, ist zu überprüfen. Immerhin gibt es im Blue Danube Radio schon einen hervor-ragenden RussischKurs.

Der Sprachunterricht selbst ist von unterschiedlicher Qualitätn Die Titel der Lehrbücher (English for everybody, Russkij jazyk dlja vsech [Russisch für alle], Apprenons le français, Va bene, Zakaj ne po slovensko? [Warum nicht slowenisch?] lassen einiges an Ideologie erkennen. Grundsätzlich beherrscht ein ministeriell privilegiertes LehrbuchMonopol den Markt. Man kann Sprachen wesentlich effektiver unterrichten. So werden in Englisch die Eleven unsinnigerweise mit Massen von idiomatic phrases und Begriffen von hierzulande völlig unbekannten Sportarten gequält, was bewirkt, dass Viele Phrasen und nutzlose SportTermini beherrschen, nicht aber die Sprache. Der Erfolg von 8 Jahren EnglischUnterricht ist kläglich.


Anmerkung

Lateinisch und Griechisch sind Erbe unserer gemeinsamen europäischen Kultur, - und ein prägendes Element unserer Identitätn Sie dürfen in unserem Bildungssystem nicht fehlen. Gerade durch die europäische Idee gewinnen sie erneut an Bedeutung. Nicht nur die Antike sondern auch unsere mittelalterliche Vergangenheit war von beiden Sprachen beherrscht. Nur müsste man die Klassische Philologie sinnvoll in ein Zentrum für europäische Sprachen integrieren.


Der universitäre Sprachunterricht entspricht nicht den Bedürfnissen: weder derer, die selbst die Sprachen einmal an den Gymnasien unterrichten sollen, noch derer, die in verschiedenen Berufen ausserhalb der Universität Sprachen brauchen. Im Prinzip wird in den SprachLektoraten jede Sprache wie eine ausgestorbene unterrichtet. Die Ausbildung insgesamt ist für den wissenschaftlichen Nachwuchs (= zum LesenKönnen) bestimmt, und nicht auf aktive Sprachbeherrschung angelegt. Die Sprachenkenntnisse der Professoren (mittlerweile sind in Österreich alle Lehrenden ohne eigenen Leistungsnachweis über Nacht Professoren geworden) - ganz zu schweigen vom Beherrschen der Muttersprache - sind dürftig. An meiner Fakultät beherrscht ausser den Slawisten (mit einer Ausnahme) kein Professor eine slawische Sprache, selbst Sprachwissenschaftler nicht, - noch auch Historiker, die sich mit altösterreichischer (darunter slowenischer, tschechischer oder polnischer) Geschichte beschäftigen.

 

Neue Sprachausbildung, neue Studienpläne

Die Ausbildung muss in zweifacher Hinsicht geändert werden. Erstens durch Vernetzung der genetisch bestimmten InstitutsEinteilung zu einem Zentrum für europäische Sprachen, und zweitens: Die StandardAusbildung hat aus zwei Teilen (Studienabschnitten) zu bestehen:

1
Sprachausbildung

2
Kulturkunde
(Sprache, Literatur, Musik)
Landeskunde
(Geschichte, Politik, Bildungswesen, Medien, Wirtschaft)

Für den wissenschaftlichen Nachwuchs soll es nach der Standard-Ausbildung eine spezielle Ausbildung geben, das

3
WissenschaftsStudium
[Postgraduate Studies, Spezialisierung]

Die Sprachausbildung muss eine möglichst kompetente Beherrschung der Sprache zum Ziel haben. Die bisherigen Ausbildungsformen sind ineffizient, unökonomisch, realitätsfremd und für die Studierenden perspektivlos, weil: im Abschnitt I schlecht; Abschnitt II ist auf eine 2-stündige meist qualitätslose Miniveranstaltung (Landes- und Kulturkunde) reduziert; der neue Abschnitt III (derzeit II) ist vorherrschend und nur für  wissenschaftlichen Nachwuchs ausgerichtet, wiewohl 98% der Absolventen nicht weiter wissenschaftlich tätig sind.

Die derzeit übliche Spaltung der Ausbildung in Sprach- und Literaturwissenschaft, für die man sich gewöhnlich schon nach dem 1. Studienjahr zu entscheiden hat - die meisten entscheiden sich für Literatur, weil das "leichter" ist -, erweist als Ergebnis völlige Unkenntnis kultureller Zusammenhänge. Die Adepten der sprachwissenschaftlichen Richtung lesen keine Gedichte, die der literaturwissenschaftlichen lernen keine Sprache; sie benützen lieber Übersetzungen. So wird man in LiteraturRussisch (an meinem basisdemokratischen Institut) endlos belehrt über Gattungen, erfährt aber nichts über die Literatur des 19. oder die EmigrationsLiteratur des 20. Jahrhunderts. Sprache und Literatur sind eine Einheit, deren Anatomisierung ein kulturloser Akt ist.

Bei den gegenwärtigen ReformDiskussionen geht es nur um Stundenzahlen, oder eigentlich um die Lehrauftragsabsicherung gewisser Elemente des Mittelbaus. Nirgends werden Studienziele formuliert, von denen aus erst alles geplant und aufgeteilt werden kann. Statt Einführung von Basisdemokratie, Hierarchielosigkeit und GenderFundamentalismus sollte man nachdenken, wie ein basisdemokratisches, hierarchieloses, GenderSprachStudium funktionieren soll. Immerhin gibt es im ausseruniversitären Leben keine Beispiele, wo dies funktioniert.

 

Wo soll Mehrsprachigkeit ausserhalb der Schulen stattfinden?

Die Sprachen dürfen nicht auf den Unterricht beschränkt bleiben, sondern müssen zu einem integrierten Element unseres Lebens werden. Daher ist auf folgendes besonders zu achten: 

 

Europäische Sprachplanung oder die Annäherung der Sprachen

Statt English only ist es sinnvoll, die im 19. Jh. im nationalistischen Glauben an Sprachreinheit entstandenen Purismen zu europäisieren. Es ist sinnlos, wenn Basken und Slowenen für einen MiniKreis der eigenen Bevölkerung sich eine ganz eigene, reine WissenschaftsTerminologie ausdenken. Nicht nur Geschichte, Tonkunst und Erdkunde sollten überall als andere Möglichkeit auch Historie, Musik und Geographie haben, sondern vor allem Wörter wie UniversitätoHochschule sollen neben gr. Panepistimio, kr. Sveuèilište, poln. Wszechnica [daneben Uniwersytet], ung. Tudományegyetem allgemein verständlich sein. Es muss den nationalen Akademien klargemacht werden, dass puristische Sprachlenkung (wie zur Zeit noch immer in Kroatien) nur auf dem Boden nationalistischer, ausschliessender Ideologie gedeiht. Für  keine europäische Sprache wäre es ein Verlust, wenn die ohnehin nur einem winzigen Teil der Bevölkerung bekannte grammatikalische Terminologie wie Wesfall, Hauptwort, Zeitwort und dgl. zugunsten von gemeinsamem Genetiv, Substantiv, Verbum verschwinden würde. Also weg mit dem hinterwäldlerischen Nationalpurismus!
Auch auf viele nationale (ital. nazionale) "abendländische" Absurditäten der Orthographie (ital. ortografia) könnte man allmählich verzichten.

Ziel einer solchen Annäherung ist keineswegs eine einzige Sprache für  Europa. Es bleibt der Phantasie noch genug Raum, wenn sich die Sprachen in bestimmten terminologischen Bereichen (Administration, Geldwesen) annähern (europäisieren). Nationaler Widerstand bei völlig unsentimentalen termini technici ist wenig sinnvoll. Das ist nicht zu verwechseln mit verschiedenen SprachStandards wie Englisch/Amerikanisch oder Norddeutsch/Süddeutsch.

 

Die Nachteile der derzeitigen Institutsgruppierung

Die Gemeinsamkeiten [vulgo Verwandtschaft] von Nachbarsprachen wie Deutsch/Polnisch, Französisch/Deutsch, Rumänisch/Bulgarisch, Griechisch/ Bulgarisch, Kroatisch/Italienisch sind grösser als die vermeintlich genetischen Beziehungen zwischen Russisch und Slowenisch oder Rumänisch und Portugiesisch. Bei der InstitutsTrennung in Germanistik, Romanistik, Slawistik sind solche Erkenntnisse kaum möglich. Auch Latein hat mit den romanischen Sprachen typologisch nichts gemeinsam. Die angeblich genetische Verwandtschaft bezieht sich ohnehin immer nur auf den Wortschatz. Jede Sprache hat aber mindestens zwei Eltern. Wem nützen also diese pseudogenetischen Vergleiche?


Anmerkung

Die sonderbaren Ansichten serbischer, kroatischer und bosnischer Sprachwissenschaftler sind eine Folge dieses, die Umwelt nicht wahrnehmenden Autismus. Man glaubt noch immer - im Vertrauen auf die blindwütig andere ausschliessende eigene Wechselseitigkeit, dass es die Probleme von Dialektgrenzen, Sprachbenennung, Sprachentwicklung nur in Jugoslawien bzw. Exjugoslawien gibt. Sie sind allgemein europäisch, ebenso wie die in Serbien unterdrückten Sprachminoritäten! Im Irrgarten der Akzentologie bemerkt man nicht, dass es lange und kurze Vokale auch anderswo gibt.


Da leider die allgemeinen Sprachwissenschaftler kaum Kontakt mit den reel existierenden Sprachen haben - 50 Jahre nutzloses Theoretisieren müsste genügen - , und da die Nationalphilologen (in unserem Fall die Germanisten) sich inkompetenterweise in allen sprachwissenschaftlichen Fragen Kompetenz arrogieren (besonders verhängnisvoll in Fragen der Etymologie und Onomastik), kommen sie als übergeordnete FührungsInstitute einer neuen Einteilung nicht in Betracht. Da die Nationalphilologen an allen Universitäten unter den Philologen in der Mehrheit sind, hätte dies bei der derzeitigen "basisdemokratischen" Universitätsstruktur fatale Rückwirkungen auf die Denkungsart und Gestaltung einer intellektuell offenen Universitätn Es wäre verhängnisvoll, wenn Nationalphilologen, Anglisten oder die allgemeinen Sprachwissenschaftler alle anderen Philologien unter ihre Fittiche nähmen. Sie haben zu wenig und nur theoretische Erfahrung mit anderen Sprachen. Dies könnten nur multilingual (auch beim Übersetzen und Dolmetschen) erfahrene Institute.

Zum besseren Funktionieren der Zentren für europäische Sprachen könnte man die Kultur- und Wirtschaftsräume einer Neugliederung der Philologien zugrundelegen:

MittelEuropa
Deutsch, Italienisch, Friaulisch, Ladinisch, Rätoromanisch, Slowenisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch, Russinisch, Polnisch, Sorbisch

WestEuropa
Deutsch, Französisch, Englisch, Irisch, Kymrisch, Bretonisch, Niederländisch, Friesisch

Süd·estEuropa
Portugiesisch, Spanisch, Katalanisch, Baskisch

SüdostEuropa
Griechisch, Bulgarisch, Albanisch, Serbisch, Bosnisch, Rumänisch, Türkisch

NordEuropa
Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Färingisch, Isländisch, Finnisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch

OstEuropa
Ukrainisch, Weissrussisch

Russland ist ein eigener Bereich und nicht Europa. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass auch Arabisch, Türkisch und das Judentum (Hebräisch, Jiddisch, Judenspanisch) Jahrhunderte lang die europäische Geschichte bereichert und geprägt haben. Sie dürfen aus der europäischen Betrachtung nicht ausgeschlossen werden.

 

Die Vorteile einer vernetzten Neuordnung

Ich gehe aus von der Wiener Deklaration (DSS 57/1998). Das Zentrum für europäische Sprachen hat sich mit folgenden Sprachen zu befassen, von denen die eine oder andere je nach Wunsch und Ausdauer der Bevölkerung noch hinzukommen bzw. wegfallen könnte:

Die europäischen Sprachen

Albanisch Isländisch Polnisch
Baskisch Italienisch Portugiesisch
Bosnisch Jiddisch Rätoromanisch
Bretonisch Judenspanisch Romani
Burgenländisch-Kroatisch Kaschubisch Rumänisch
Bulgarisch Katalanisch Russinisch
Dänisch Kroatisch Russisch
Deutsch Kymrisch Schwedisch
Englisch Ladinisch Serbisch
Estnisch Lappisch Slowakisch
Färingisch Lettisch Slowenisch
Finnisch Litauisch Spanisch
Französisch Makedonisch Tschechisch
Friaulisch Moldauisch Türkisch
Friesisch Niedersorbisch Ukrainisch
Griechisch Norwegisch Ungarisch
Irisch Obersorbisch Weissrussisch

Alle diese Sprachen werden mit Ausnahme von Jiddisch, Judenspanisch, Kaschubisch, Moldauisch (nunmehr wieder Rumänisch), Niedersorbisch, Romani als Unterrichtssprachen (Schulsprachen) in Grundschulen verwendet.
An mittleren und höheren Schulen werden über die Ausnahmen hinaus folgende Sprachen nicht als Unterrichtssprachen verwendet: Burgenländisch-Kroatisch, Färingisch, Friaulisch, Friesisch, Kymrisch, Ladinisch, Obersorbisch, Rätoromanisch, Türkisch. An höheren Schulen (Universitäten) werden alle angegebenen Sprachen in irgendeiner Form in Sprachkursen für Liebhaber ohne besondere Wirkung unterrichtet.
Neben der Muttersprache sollen gleichberechtigte und nichtgleichberechtigte Landessprachen, Nachbarsprachen und EU-Sprachen nach regionalen Bedürfnissen unterrichtet und öffentlich benützt werden. Ihr Unterricht allein genügt nicht. Die Sprache muss öffentlich dokumentiert sein und benützt werden. Als Vorbild kann das kroatische Istrien dienen (Kroatisch, Italienisch). Die regionalen Erfordernisse sind je nach Standort verschieden. Die praktische Beherrschung der Sprachen und/oder ihre Kenntnis muss auch an mittleren und höheren Schulen, und zwar nicht nur bei den diese Sprachen Lehrenden, vor-ausgesetzt werden. Es ist unerträglich, dass an unseren Universitäten unsere Landes- und Nachbarsprachen völlig unbekannt sind.

 

Auf Österreich bezogen hätten folgende Sprachen aus der europäischen SprachenCharta beachtet zu werden:

Albanisch Isländisch Polnisch
Baskisch Italienisch Portugiesisch
Bretonisch Judenspanisch Rätoromanisch
Burgenländisch-Kroatisch Kaschubisch Romani
Bulgarisch Katalanisch Rumänisch
Dänisch Kroatisch Russinisch
Deutsch Kymrisch Russisch
Englisch Ladinisch Schwedisch
Estnisch Lappisch Serbisch
Färingisch Lettisch Slowakisch
Finnisch Litauisch Slowenisch
Französisch Makedonisch Spanisch
Friaulisch Moldauisch Tschechisch
Friesisch Niederländisch Türkisch
Irisch Niedersorbisch Ukrainisch
  Norwegisch Ungarisch
  Obersorbisch Weissrussisch

Natürlich haben Friaulisch, Ladinisch und Romani nur eingeschränkte Bedeutung, die im Fach Sprachenkunde zu beachten ist. Italienisch, Slowenisch, Kroatisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch sollten zu einem lebendigen, zumindest nicht völlig unvertrauten Element unserer österreichischen, mitteleuropäischen Kultur werden.

Würde man dieser Sprachenpolitik auch an den Universitäten den Vorzug geben, würde auch den österreichischen Germanisten oder den ungarischen, tschechischen, slowakischen, slowenischen und italienischen Nationalphilologen so manches Licht hinsichtlich Gemeinsamkeiten (vulgo fremde Einflüsse) aufgehen. Das gleiche gilt für alle anderen Staaten Europas. Dies ist aber nur möglich bei einer ungenetischen, der reell existierenden Nachbarschaft angemessenen InstitutsVernetzung, wie sie sich in anderen Ländern schon längst bewährt hat.

Conclusio

Politik und Wirtschaft haben mit der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung Bahnbrechendes geleistet. Warum sollten unsere Universitäten und die staatliche Bildungspolitik, die alle so stolz auf ihre Zeitgemässheit und Fortschrittlichkeit sind, es nicht fertigbringen, sich endlich von den 150-jährigen Nationalismen zu trennen? Wenn es den Philologien, die durch ihre Konzepte schuld sind an Fremdenfeindlichkeit und Kriegen, nicht gelingt, sich zu europäisieren, sind sie keinen Euro wert.

© Otto Kronsteiner (Salzburg)

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Anmerkungen:

erscheint auch in: DIE SLAWISCHEN SPRACHEN 58/1998

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Webmeisterin: Angelika Czipin
last change 25.11.1999