Das Dichterehepaar Baumberg-Batsányi und die Formen des Bonapartismus in der Habsburger Monarchie
Die abenteuerliche Lebens- und Beziehungsgeschichte des Ehepaares Baumberg-Batsányi entfaltete sich während der stürmischen Zeiten der Napoleonischen Kriege. Gabriele von Baumberg (1766-1839), die im josephinischen Jahrzehnt gefeierte "Sappho Wiens", und János Batsányi(1) (1763-1845), der zum Rebellen gestempelte, politisch engagierte ungarische Schriftsteller, kannten einander seit 1799, konnten aber - wegen familiärer und finanzieller Schwierigkeiten - erst 1805 heiraten. Zwischen 1811 und 1814 lebten sie in Paris, nachdem Batsányi mit den die Kaiserstadt räumenden französischen Truppen bereits 1809 aus Wien hatte fliehen müssen. Das Jahr nach dem Sturz Napoleons verbrachte er dann wieder allein im "Mittelpunkt der gebildeten Welt", in seinem geliebten Paris, während er auf das Ergebnis der Rettungsaktion seiner Frau in ihrem Heimatland wartete. Schon die früheren Ereignisse im Leben der beiden zeugen davon, daß sie sehr sensibel auf die politische Entwicklung reagierten, daß die historischen Geschehnisse ihre persönliche und künstlerische Laufbahn zutiefst beeinflußten, so daß sich die Frage nach "bonapartistischen" Zügen in ihren Werken als durchaus logisch und vertretbar erweist.
Die Veränderung des geistigen Klimas in Europa nach 1789 und besonders nach 1793 führte zur Stagnation im Schaffen der Dichterin Baumberg. Die bis dahin selbstsichere Autorin, die sich der Ausdrucksformen der Aufklärungs- bzw. Rokokolyrik Wiens in der josephinischen Zeit bedient hatte, geriet um die Jahrhundertwende in eine Schaffenskrise. Ebenso wie viele anderen Autoren schrieb nun auch sie patriotische Kriegsgedichte, obwohl deren Tonlage ihrem Talent überhaupt nicht entsprach. Mit der neuen Situation ihres Vaterlandes Österreich wurde sie innerlich nie ganz fertig. Intensivierende Impulse bekam sie erst später, von seiten Batsányis. Seit Dezember 1799, als sie einander auf einem Ball in Wien trafen, ist die künstlerische Entwicklung Gabriele von Baumbergs nur noch im Zusammenhang mit dem für beachtenswert gehaltenen ungarischen Dichter zu deuten und zu beschreiben. Für die Dreiunddreißigjährige, die früher im sogenannten Greinerschen Kreis (im Elternhaus der berühmten Karoline Pichler) durch ihre eigenartige Weise, "der Liebe Lust und Leid bald in kraftvollen, bald in weich-elegischen Lauten zu singen"(2), Aufsehen erregte, waren Begegnung und Verbindung mit dem unruhigen, in vielfacher Hinsicht frustrierten Batsányi geradezu verhängnisvoll. Der Ungar machte aus seiner republikanischen Überzeugung kein Hehl und erwartete auch von seiner - politisch eher indifferenten - Frau, daß sie sich diese zu eigen machen sollte. Den schon in die Martinovics-Verschwörung verwickelten und im Zusammenhang damit im ungarischen Jakobinerprozeß (1795) zu einjähriger Haft in Kufstein verurteilten Batsányi hatte man angeklagt, daß er die Ungarnproklamation von Napoleon im Jahre 1809 ins Magyarische übersetzt hätte.(3) Deshalb wurde er 1815 in Paris wieder verhaftet und 1816 durch kaiserliche Entscheidung bis zu seinem Tod nach Linz verbannt, wohin Gabriele von Baumberg ihn begleitete, die seit 1805 seine Frau war. Daß Gabriele von Baumberg nun fern von Wien, dem Schauplatz ihrer jugendlichen Erfolge, zu leben gezwungen war, bereitete ihr keine besonderen Schwierigkeiten und Leiden. Die Quellen der Inspiration waren bei dieser Dichterin ohnehin versiegt; wobei auch der von ihrem Mann sanft ausgeübte geistige Druck, ihre dichterische Arbeit in Bahnen zu lenken (welche Bestrebung ihrer eigentlichen Begabung nicht entsprach), dazu beitragen durfte, daß sie in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens fast nichts mehr schrieb. Frau Batsányi, nennen wir sie nun so, sah ihre Hauptaufgabe weiterhin darin, den Gatten zu unterstützen, der - obzwar niemals auf dem Niveau seiner früheren Werke - noch Wesentliches hervorbrachte.(4)
Was schrieb er und unter welchen Umständen? Die ungarische Fachliteratur über das Leben und Werk von János Batsányi hat ihren "Gegenstand" schon behandelt und erforscht. Die allgemeine Untersuchung, so auch die, die die verschiedenen Formen des Bonapartismus vor Augen hält, muß sich also in erster Linie auf das Werk Gabriele von Baumbergs konzentrieren.(5) Die vorliegende Arbeit geht zweifelsohne bereits durch ihre Existenz in diese Richtung, aber sie hält das Schaffen beider AutorInnen etwa gleichmäßig für interessant. Denn obwohl nur der Ungar Batsányi ein wirklich als bedeutend anerkannter Schriftsteller innerhalb seiner eigenen Literaturgeschichte sei, wäre sein Porträt ohne die Berücksichtigung seiner österreichischen Frau Gabriele von Baumberg unvollständig.
Im folgenden werden die Formen des "Bonapartismus" im Schaffen des Batsányi-Ehepaars näher betrachtet: der unleugbare Bezug dieser Werke - auf den Napoleonischen Hintergrund, anders formuliert: auf den Bonapartismus. Die Formen der sprachlichen Fixierung gehen dabei auseinander, der inhaltliche Wesenskern bleibt jedoch immer derselbe. In diesen literarischen Schöpfungen spiegelt sich Privates sowie Gesellschaftlich-Politisches; sie sind teils auf deutsch, teils auf ungarisch verfaßt bzw. ins Ungarische übersetzt und für unterschiedliche Leserschichten bestimmt. Ein Zug der geistigen Struktur der Habsburger Monarchie um 1800 ist in ihnen zu erkennen.
In dem hier auf thematischer Ebene "bonapartistisch" definierten literarhistorischen System der synoptischen Beschreibung von bestimmten Werken der beiden AutorInnen steht zweifellos das große lyrische Gedicht János Batsányis Der Kampf an der wichtigsten Stelle.(6) Auf andere deutschsprachige sowie nichtungarische Texte von Batsányi wird daher im aktuellen Rahmen nur hingewiesen, ebenso wie auf einige Werke Gabriele von Baumbergs. Im Vergleich zur ersten, von Batsányi noch völlig unabhängigen, Sammlung der Baumbergschen Werke(7), springt im zweiten Lyrikband der Dichterin(8) das Fehlen an politisch relevanten Stellungnahmen, an vom historischen Alltag geprägten Gedichten ins Auge. Im ersten Band aus dem Jahre 1800 sind noch fast ein Dutzend Texte zu finden, die die Ereignisse der Koalitionskriege behandeln und verschiedene Mitglieder des Hauses Habsburg verherrlichen. Nun trifft man auch im zweiten Gedichtband auf keine radikalen politischen Gedanken - wie im Werk von Batsányi -, doch werden darin auch keine patriotischen Töne angeschlagen, und traditionsverbundene poetische Deklarationen sucht man vergebens. Dieser Wandel ist mit Sicherheit auf Batsányis Einfluß zurückzuführen.
Allerdings verfaßte Gabriele von Baumberg wenig später doch, d. h. noch einmal Lieder, die die habsburgisch bestimmte Linie der österreichischen patriotischen Lyrik weiterführen. Zumindest zu einem provisorischen "Ausgleich" sollte es dann zwischen den Themenbereichen Patriotismus und Bonapartismus kommen, als Frau Batsányi die Vermählung von Marie Louise (der Tochter des Kaisers Franz) mit Napoleon besang und damit gleichsam ihrem "Pflichtbewußtsein" gehorchte. Im Jahre 1810 läßt sie die "Genien gebeugter Nationen" folgende Bitte an Gott richten:
Giebt einen Welttheil her zu Paradiesen
Und weyht zur Priesterin des Bunds - Louisen!
Und an dem Strand der Donau und der Seine,
Vernehmen frohe Völker dieses Wort
Und Gott besiegelt diesen Bund:
Die Kraft des Bündnisses, daß ich vereine,
Wirkt segensvoll auf Eure Enkel fort,
Wie Myrthe sich um Lorbeer schlingt, vermähle
Dem Höchsten Geiste, sich die Schönste Seele.(9)
Höchster Geist und schönste Seele der Welt: Napoleon Bonaparte und Erzherzogin Marie Luise sind natürlich damit gemeint, wobei der Name Luise bereits der französischen Rechtschreibung angeglichen wird. Handelt es sich dabei um den Ausdruck eines epochenspezifischen, um eine Art Detailbonapartismus? Oder war bei diesem Vers eher zeitgebundenes politisches Kalkül bestimmend? 1810 war Batsányi bereits in Paris. Was mag er wohl zu diesem letzten Endes wiederum habsburgisch-patriotisch geprägten Lied gesagt haben, das in seiner Abwesenheit geschrieben und gedruckt wurde?
Aus der Korrespondenz geht eindeutig hervor, daß dieses Ereignis die Eintracht der Batsányis kaum trübte. Die aus guter österreichischer Beamtenfamilie stammende Baumberg kehrte mit diesem Gedicht nur zu ihrer früheren Schaffensweise zurück und konnte darüber hinaus - was für die "Familie" sicherlich zu dieser Zeit wichtiger war - über die eigene Ehe nach wie vor mit dem gleichen Pathos dichten, mit dem sie 1810 die "Genien gebeugter Nationen" zu Wort kommen ließ. Was Batsányi selbst betrifft, muß erwähnt werden, daß er in den bewegten neunziger Jahren übrigens auch einige Werke in lateinischer Sprache schrieb, in denen er gegen Bonaparte Stellung bezog. Gegen Bonaparte, den damaligen General der Großen Französischen Revolution! In seinen Oden Ad Hungaros und Mantua tat er das.(10) Die Burg Mantua, die stärkste Festung des Habsburgerreiches in Norditalien, wurde am 2. Februar 1797 von Napoleon besetzt. Doch schon zwei Jahre später fiel sie in die Hand der Koalitionsarmeen. Das Gedicht von Batsányi feiert die Rückeroberung der Festung durch die österreichisch-russischen Truppen unter General Suworow. So seltsam es auch anmutet: Batsányi, der zu seiner Zeit vielleicht "linksradikalste" Revolutionär unter den ungarischen Literaten, schrieb diese Ode! "Man kann nicht ohne Bitternis daran denken" - schreibt Dezső Keresztury, Autor einer fundamentalen Überblicksstudie -
daß der Name Batsányi in der freien Gemeinschaft europäischer Schriftsteller, wo er nach der erlittenen Kerkerstrafe einen Neubeginn anstrebte, mit diesen sprachlich einwandfreien, dichterisch mittelmäßigen und zweifellos reaktionären lateinischen Werken bekannt wurde. Batsányi, der Dichter der nationalen Revolution in Ungarn, ist auch Autor von Gedichten, die die Habsburger verherrlichen; ja: das gehört mit zu den tragischen Momenten seines Lebens.(11)
In einer dieser eher allgemeinen "Revolutionsfreudigkeit" weniger zustimenden Literaturbetrachtung könnte man die Existenz der lateinischsprachigen und patriotischen Oden von Batsányi nicht unbedingt als "tragisches Moment" bezeichnen. Vielmehr als "pikant-realistisch"! Es ging auch Batsányi um Leben und Tod, um Lebensmöglichkeiten in der Zeit von Kaiser Franz, die er sich mit der Feder erkämpfen zu müssen glaubte. Es gibt allerdings ein Werk von ihm, in dem der charakteristische "Patriotismus" in der Habsburger Monarchie viel kritischer beschrieben wird als in den lateinischen Oden. Der Titel dieses Werkes lautet, wie bereits erwähnt: Der Kampf.(12)
Der Kampf ist ein Hauptwerk Batsányis, dieses traditionell für bedeutend gehaltenen Dichtergelehrten der ungarischen Aufklärung. Es gehört darüber hinaus zu den interessantesten Dokumenten der Napoleonischen Zeit. 1810 erschienen, blieb es über anderthalb Jahrhunderte hindurch verschollen, wozu die Anonymität des Verfassers wesentlich beitrug. Batsányis größter Rivale, Ferenc Kazinczy war es, der die spätere Forschung auf die Spur des verschollenen Werkes führte. Und zwar in seiner Korrespondenz, die sich auf 25 Bände beläuft und tiefe Einblicke in das ungarische Leben und die Kultur um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ermöglicht. Kazinczy war eine Persönlichkeit der ungarischen Aufklärung, der - ebenso wie Batsányi - mit Recht eine führende Rolle im damaligen Literaturprozeß anstrebte. Darüber entzweiten sie sich, die seit 1788 zusammen - der Dritte im Bunde war der ehemalige Jesuit und Dichter Dávid Baróti Szabó(13) - die erste ungarische Kulturzeitschrift von hohem Niveau Magyar Muzeum [Ungarisches Museum] herausgaben. Sowohl aus fachlichen als auch aus privaten Gründen kam es später beiderseits zu tödlichen Kränkungen. Kazinczy schrieb zornige Epigramme über Batsányi, und in einem Brief an einen "Gefolgsmann" warf er seinem einstigen Herausgeber-, Angeklagten- und Sträflingskollegen vor, daß er "zum Söldnerheer der Geheimen Polizey übergegangen sei", daß er sich nicht schäme, "eine von Somsics, einem bedeutenden ungarischen Politiker, in Wien verfaßte lateinische Ode als sein eigenes Werk auszugeben", und daß ihm seine deutschen Gedichte "von der bejahrten Jungfrau Gabriele von Baumberg eingeflüstert worden seien"(14). Diese und auch weitere Anschuldigungen, die dem guten Ruf von Batsányi erheblichen Abbruch taten, ermöglichten es den sich mit dem Nachlaß des Dichter-Revolutionärs befassenden Wissenschaftlern, auf die Spur des anonym erschienenen, verschollenen Gedichts zu kommen.
In der Hinterlassenschaft Batsányis befindet sich ein Exemplar der Zeitschrift Adrastea. In diesem berühmten Miszellen-Werk Johann Gottfried Herders sind Teile aus Der Kampf abgedruckt.(15) Das Manuskript ist durch Batsányis väterlichen Freund, den aus der Schweiz stammenden Historiker Johannes von Müller, bereits 1803 nach Weimar gelangt. Batsányi schrieb auch einen Begleitbrief zu dem Gedicht. Johannes von Müller konnte das Werk und den Brief nur Herders Sohn übergeben, der Vater war inzwischen gestorben. So fand Der Kampf Eingang in den postumen Band von Herders Adrastea. Dem Wunsch Batsányis entsprechend mit folgender Überschrift: Der Kampf, Fragment eines lyrischen Gedichts/ von unbekannter Hand und einem ungenannten Verfasser unter den Papieren gefunden. Das in der Adrastea erschienene Fragment enthält zwei Stücke einer größeren Komposition. Im ersten spricht der Dichter über seine Rolle, seine Situation und seine seelische Verfassung, bekundet sein unerschütterliches Selbstvertrauen und seinen Glauben an eine kommende bessere Welt. In der aus 50 Strophen bestehenden Ode führt der dem Untergang preisgegebene Dichter ein Zwiegespräch mit der Muse. Angesichts der unüberwindlichen Schlechtigkeit der Menschen verzagt jedoch der Dichter, er verleugnet seinen Glauben und fleht um Vernichtung. Tief erschüttert überläßt die weinende Muse ihn seinem Schicksal. Das zweite Stück des Fragments ist ein vielschichtiges philosophisches Gedicht, eine Zusammenfassung von Batsányis dichterischem Credo.
Batsányi selbst hielt viel von diesem Gedicht. Das erste Stück, die Ode mit dem Zwiegespräch des Dichters und der Muse, ist 1801 entstanden. Das Manuskript schickte Batsányi in Begleitung folgender Zeilen an seine geliebte Gabriele:
[...] die hier mitgehenden zwei Gedichte (die Ode und das Stammbuch) habe ich für dich doch mit dem herzerhebenden Gefühle abgeschrieben, daß du, Licht und Heil meiner Seele! Vergnügen daran finden dürftest. Beide sind mir jetzt außerordentlich lieb ... In diesen zwei Stücken ist aber nur der Gegenstand, und fast ganz allein, der mich so sehr interessiert. Die Ode ist jetzt in meinen Augen das vortrefflichste, was ich oder auch ein anderer je gemacht hat, denn die zärtliche Sprache der echten, fast übermenschlichen Liebe ist darinnen so unverkennbar, daß sie fähig war, sogar auf die erhabenste und schönste der Mädchen-Seelen zu wirken und sie zu rühren.(16)
Diese Superlative beziehen sich wahrscheinlich auf Gabriele von Baumberg. Der überschwengliche Stil der Briefe an Gabriele aus dieser Zeit hat übrigens viel Verwandtes mit dem Gedicht, und einige Gedanken des zweiten Teils werden auch in den Briefen geäußert. Allerdings kehren die Motive dieser Gedichte auch in Batsányis späteren, aber aus den gleichen geistigen Quellen schöpfenden ungarischen Werken wieder. So tritt z. B. die Muse als Personifikation der göttlichen Macht der Dichtung im Gedicht Déli György látása [Vision des György Déli] und Poétai elmélkedések [Poetische Gedankengänge] auf.(17) Batsányi sprach in diesen Gedichten tiefgründige Gedanken über Leben, Kunst und seine "Seherberufung" aus; und das große Gedicht Der Kampf ist eine Zusammenfassung seiner wichtigsten Anschauungen. Deshalb kann mit gutem Recht gesagt werden, daß Der Kampf - obwohl der ungarische Germanist Béla von Pukánszky mehrere Übereinstimmungen mit Werken von Klopstock und Schiller nachweist - zu den eigenständigen Schöpfungen Batsányis gehört und für das Verständnis seiner ganzen Laufbahn von größter Bedeutung ist.(18) Der Ungar Ferenc Kazinczy aber, der große Rivale von Batsányi, war völlig anderer Meinung. Er bezog sich auf das ganze, im Jahre 1810 erschienene Werk, als er am Schluß eines seiner zahlreichen Briefe vermerkte:
Ich habe ein aus 175 Blättern bestehendes, Der Kampf betiteltes Buch in der Hand. Das Buch gehört einem anderen. Ich möchte schwören, es ist von Batsányi. Fürchterlicher Schwulst und Nebel.(19)
János Batsányi, der nach Abzug der französischen Truppen aus Wien verschwunden war, wurde damals in Ungarn steckbrieflich verfolgt. Ein anonym gedrucktes Buch, dessen Autor man aber sehr wohl "erraten" konnte, bedeutete an sich schon eine Gefahr in Ungarn, anscheinend wagte es also niemand, das Buch aufzubewahren. So ging es verloren und fiel der Vergessenheit anheim. Auch in den großen deutschen Bibliotheken ist es nicht zu finden. Das Werk enthält Stellen, worin Napoleon, der Verkünder einer neuen Weltordnung, gefeiert wird. Besonders der Anhang trägt unverkennbare Züge einer solchen Auffassung; dieser Teil wurde 1809 in Wien verfaßt - die Stadt war zu jenem Zeitpunkt von der französischen Armee besetzt. Als diese Truppen Wien eroberten, kam Batsányi auch mit einem ehemaligen Kufsteiner Mitgefangenen in Verbindung, der inzwischen Minister unter Napoleon geworden war. Der Dichter hatte Anteil an der Abfassung der Proklamation des französischen Kaisers an die Ungarn, doch das war nicht der einzige Grund, weswegen er es als ratsam empfand, mit den abziehenden Franzosen aus Wien zu verschwinden und sich nach Paris zu begeben. In Tübingen machte er halt und gab dort die hier behandelte Flugschrift heraus. Die wichtigste dichterische Aussage des Werkes ist die Schilderung der Position eines Menschen, der sich, hoffnungslos angesichts der Unterdrückung in der Habsburger Monarchie, im Metternichschen Polizeistaat, der befreienden Macht Napoleons zuwendet. Dieser Gedanke war um 1810 in Deutschland, wo das Nationalgefühl der sogenannten Befreiungskriege bereits erwacht war, nicht mehr "modern". Batsányi sandte ein Exemplar des Büchleins dem jüngeren Bruder des inzwischen verstorbenen Johannes von Müller, der damals die Gesammelten Werke seines Bruders zur Herausgabe bei Cotta vorbereitete - bei Cotta, in dessen Buchhandlung auch Der Kampf des ungarischen Dichters erschien. Der jüngere Müller beschäftigte sich nicht eingehend mit dieser Arbeit. Ein ungarischer Wissenschaftler entdeckte 1963 in dessen Nachlaß das längst als verschollen geltende Werk.(20)
Batsányi charakterisiert in der Prosanachschrift zu Der Kampf die Situation des Untertanen in der Habsburger Monarchie. Vor allem der Kommentar zum "Patriotismus" ist aufschlußreich und kritisch:
Dieser sogenannte 'Patriotismus', diese ganz eigenthümliche Anhänglichkeit des armen gedankenlosen Gewohnheitstiers an sein Land und dessen Herrn, ist nichts anders, als höchstens die Neigung und Liebe des nach und nach systhematisch entmenschten Mönchs zu seiner Zelle und seinem Guardian, oder vielmehr (wie schon ein bekannter verdienstvoller Publizist treffend sagte), die Zuneigung der Kuh zu dem Stall, an den sie gewöhnt ist!(21)
Batsányi erwähnte später niemals sein Buch Der Kampf. Wohl auch deshalb konnte es so lange anonym bleiben. Was seine künstlerische Kraft aus aktueller Sicht anbelangt, darf festgestellt werden, daß es an Lebendigkeit eingebüßt hat und kaum noch genießbar ist. Als bedeutendstes Werk Batsányis und des ungarischen Bonapartismus insgesamt ist es allerdings von literaturhistorischer Relevanz.
Die "bonapartistischen" Positionen der Familie Batsányi ließen sich folgenderweise zusammenfassen: Gabriele Batsányi war vorrangig österreichisch-patriotisch eingestellt, der Mann dichtete eher bonapartistisch. Doch so einfach ist das nicht. Es konnten bei Batsányi zeitweilig Haltungen zur Geltung kommen, die seine Frau in ihren literarischen Werken nach wie vor vertrat. Andererseits konnte auch sie sich mitunter von dem traditionellen Patriotismus distanzieren. Aber diese unterschiedlichen Auffasungen, diese Schwankungen und Wendungen gefährdeten die gegenseitige Zuneigung, das eheliche Glück nicht.
Anmerkungen:
(1) Eine zusammenfassende Darstellung des Lebens und Schaffens von Batsányi bietet die Studie von Ferenc Bíró: A látó [Der Seher]. In: F. B.: A felvilágosodás korának rnagyar irodalma [Ungarische Literatur im Zeitalter der Aufklärung]. Budapest 1995, S. 333ff.
(2) Johann Willibald Nagl/Jakob Zeidler/Eduard Castle: Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Bd. I-lV. Wien 1899-1937. Zweiter Band, Dritter Abschnitt, S. 326.
(3) Es hat sich inzwischen erwiesen, daß diese Annahme durchaus begründet war. Vgl.: Bíró, A látó (Anm. 1).
(4) József Grudl: Die "Wiener Sappho". Einführung in die Forschung über die Dichterin Gabriele Baumberg. In: Jahrbuch der Ungarischen Germanistik 1993. Hrsg. Von Antal Mádl und Hans-Werner Gottschalk. Budapest, Bonn 1993, S. 139-152.
(5) Ein Beispiel für die allgemeine Untersuchung des Baumbergschen Gesamtwerks bietet der Beitrag von Wolfram Seidler in Ex libris et manuscriptis. Quellen, Editionen, Untersuchungen zur österreichischen und ungarischen Geistesgeschichte. Hrsg. von István Németh und András Vizkelety. Schriftenreihe des Komitees Österreich-Ungarn. Bd. 3. Budapest, Wien 1994, S. 79-90.
(6) Batsányi János Összes Művei [Sämtliche Werke von J. Batsányi]. Hrsg. von Dezső Keresztury und Andor Tarnai. Bd. IV: Der Kampf [A viaskodás]. Hrsg. von Endre Zsindely. Budapest 1967 (fortan: BJÖM).
(7) Sämtliche Gedichte Gabrielens von Baumberg. Wien 1800.
(8) Gedichte von Gabriele Batsányi, geb. Baumberg. Mit einer Abhandlung über die Dichtkunst von F. W. Meyern. Wien 1805.
(9) Zit. nach Lajos Horánszky: Batsányi János és kora. Eredeti levelezések és egykorú források nyomán. [János Batsányi und seine Zeit. Aufgrund ursprünglicher Quellen und zeitgcnössischer Briefe]. Budapest 1907, S. 294.
(10) BJÖM, Bd. I, S 236ff., S. 240.
(11) Dezső Keresztury: Der Kampf. In: Studien über ungarische Wirtschaft, Politik und Kultur. Budapest 1966. Bd. I, S. 185-194.
(12) Im folgenden stützt sich der Schreibcr dieser Zeilen weitgehend auf die Feststellungen und Formulierungen von Keresztury, Der Kampf (Anm. 11).
(13) Über Ferenc Kazinczy und Dávid Baróti Szabó vgl. Bíró, A látó (Anm. 1).
(14) Kazinczy Ferenc levelezése. [Die Korrespondenz von F. Kazinczy]. 23 Bde. + 2 Ergänzungsbände. Hrsg. von Jenő Berlász, Margit Busa und Géza Fülöp. Budapest 1960; László Z. Szabó: Kazinczy Ferenc. Budapest 1984, S. 302ff.
(15) Handschriftensammlung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest. Signatur: RUI 4-r. 82. sz.
(16) Zit. nach Ilona Vajda: Batsányi János és Baumberg Gabriella 1799-1809. Budapest 1938, S. 47.
(17) BJÖM, Bd. I, S. 107ff., S. 140ff.
(18) Béla Pukánszky: Herder intelme a magyarsághoz [Herders Mahnung]. In: Egyetemes Philológiai Közlöny [Philologischer Anzeiger für Weltliteratur] 1921, S. 35-39.
(19) Kazinczy Ferenc levelezése (Anm. 14).
(20) Endre Zsindely: Batsányi János párizsi levelei Johann Georg Müllerhez. [J. Batsányis Briefe aus Paris an J. G. Müller]. In: Irodalomtörténeti Közlemények [Literarhistorische Beiträge] 1964, S. 65-81, S. 216-229.
(21) BJÖM, Bd. IV, S. 78-79.
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