Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Juni 2004
 

9.1. Kulturtourismus Kultur des Tourismus: eine Verbindung von Kulturen?
Herausgeber | Editor | Éditeur: Ingo Mörth (Universität Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Bericht: Kulturtourismus - Kultur des Tourismus: eine Verbindung von Kulturen?

Ingo Mörth (Linz)
[BIO]

 

Hintergrundüberlegungen zum Sektionsthema

Beim Aufruf für Sektionsveranstaltungen im Rahmen des Generalthemas "Das Verbindende der Kulturen" drängte sich die Thematik des Verhältnisses von Kultur und Tourismus unmittelbar auf. Kultur verbindet und trennt zugleich, und dies wird kaum so deutlich wie in den Phänomenen der Kulturbegegnung und Kulturdifferenzierung, die sich beim Reisen und seiner modernen Ausprägung, dem Tourismus, ergeben. Die Begegnung mit "Fremdem" faszinierte, erstaunte und "befremdete", regte an und bereicherte die eigene Kultur seit der Antike(1) und brachte auch immer wieder spezifische zusätzliche Facetten von "Kultur"als besondere Form menschlicher Tätigkeit und symbolischer Tradierung(2) hervor.

Schon in der frühen Neuzeit begannen immer mehr Menschen, zusätzlich zu den nach wie vor wesentlichen geschäftlichen, religiösen, gesundheitlichen oder kriegerischen Zwecken auch mit der Absicht zu reisen, die Kultur und Lebensart einer "fremden" Gegend kennen zu lernen (ein Reisemotiv, das im modernen Tourismus zentral wurde). Und wenn man schon nicht selbst reisen konnte, so verschlang man (= die gebildete Schicht der Adeligen, Stadtbürger und Kirchenmänner) schon zu Luthers Zeiten begeistert Reiseberichte mit der Schilderung fremder Kulturen, ebenso wie heute Fernsehfilme des Typs "Länder, Menschen, Kontinente" hohe Einschaltquoten erreichen.

In der modernen (Arbeits-) Gesellschaft hat sich der Tourismus als einer der weltweit wichtigsten Wirtschaftszweige etabliert; zur Begegnung und Konfrontation mit fremder Kultur sind viele Funktionen hinzugetreten, die mit der Lebensführung als moderner Arbeits- und Freizeitmensch verbunden sind. Die Erholungsbedürftigkeit als wichtige Dimension des Tourismus ist heute zunehmend nicht mehr durch physische Ermüdung, sondern durch psychische Sättigung gegeben, so dass die Erholung im Sinne von Abwechslung gegenüber der Erholung im Sinne von Ausruhen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Hier können gerade die kulturellen Eigenarten einer Ferienregion zur gewünschten Abwechslung beitragen, Kultur wird zunehmend auch zur kaum verzichtbaren "Würze" im Tourismusgeschehen.

Im Tourismus wird daher weltweit immer stärker (auch) auf Kultur gesetzt. Auf Kultur, also auf Sehenswürdigkeiten und Kunstschätze, auf Folklore und Kulturveranstaltungen setzt man in Bayern wie im Salzkammergut, an griechischen Küsten wie an der Loire; Kulturinteresse ist das Stimulans für Reisen nach Florenz genauso wie nach Kyoto, London oder Budapest, und die Liste ließe sich in beliebiger Länge erweitern. Kultururlauber sind einerseits Reisende, für die das Kulturmotiv im Zentrum ihres Urlaubs steht, also die Studien- und Bildungsreisenden, die nach wie vor wissensdurstigen Entdecker naher und ferner Länder und Kulturen, andererseits aber auch Erholungsreisende, die ihren Urlaub mit Besichtigungen und kulturellen Veranstaltungen würzen - die "Auch-Kultururlauber".

Der Tourismus ist darüber hinaus auf einer über den spezifischen Kulturtourismus hinausreichenden Ebene unweigerlich ein Kontakt von Kulturen - jene der Reisenden und jene der Bereisten. Reisende bringen, ob sie es wollen oder nicht, ihre Heimatkultur mit in die Ferienregionen, und die Bereisten sehen sich wachsenden Anforderungen der touristischen Inszenierung ihrer eigenen Kultur gegenüber. Dies wirft Fragen der kulturellen Identität und ihres drohenden Verlustes ebenso auf wie Fragen der Sozial- und Kulturverträglichkeit des Tourismus überhaupt.

Im Tourismus haben sich verschiedene Muster dieser Begegnung unterschiedlicher Kulturen entwickelt, die im Spannungsfeld eines "Reisekolonialismus" einerseits und einer selbstbewusst gelebten Gastfreundschaft andererseits spezifische "Kulturen des Reisens" (und des "Bereist-Werdens") ergeben.

Die Sektion sollte sich der ganzen Bandbereite der hier angerissenen Problematik widmen:

 

Themen und Verlauf der Sektionsarbeit

Aus den Reaktionen und Vorschlägen für Beiträge und thematische Vertiefungen im o.a. Rahmen kristallisierten sich letztendlich 3 konkrete Arbeitsbereiche für die Sektion heraus:

 

Eine "Kultur des Reisens" als Umgang mit Grenzen von Kultur(en)

Grundfragen einer modernen Kultur des Reisens wurden einleitend durch Andreas Obrecht(3) (Thema "Zeitreisen-Reisezeiten") innerhalb einer generellen Kulturanalyse der Moderne aufgeworfen, die Obrecht als Geschichte einer globalen territorialen und "kognitiven" Vereinnahmung deutet: dem kolonialen Überschreiten der Räume folgten die Verwissenschaftlichung der "ganzen Welt", eine "Psychologisierung und Anthropologisierung" des Menschen- und Kulturbildes, sowie schließlich auf Basis dieser "grenzenlosen" Erweiterung des europäischen (angloamerikanischen) Herrschaftsbereiches eine Universalisierung von "Zeiten". Es gebe, so Obrecht, anscheinend keine Orte mehr, in die nicht jederzeit interveniert und "vaziert"(4) werden kann: Politik, Wirtschaft, Tourismus scheinen im wahrsten Sinne des Wortes "grenzenlos" geworden zu sein, die zeit- und raumübergreifende Kultur der Moderne erscheint damit als "transkulturelle" Verbindung aller bisherigen Kulturräume. Obrecht stellte dieser umfassenden Rationalisierung der Moderne die seit dem 18. Jahrhundert sichtbare Sehnsucht nach "Natur", "Wildheit", "Unentfremdetheit" gegenüber, die Reisende aller Art nach "Orten" Ausschau halten lässt, die noch von Magie, Mythen und den "Irrationalismen" der "Archaik" bevölkert sind und Zeitreisen in eine "vormoderne" Welt ermöglichen. Solche "magischen Überschreitungen" der entgrenzten Räume der Moderne finde man gefahrlos in den "Games" der virtuellen Welten, in Reisen ins eigene Selbst mit Mitteln der Esoterik, und Obrecht betonte abschließend, dass auch Reisen zu jenen "exotischen" Destinationen (die von uns – den Europäern – schon vor geraumer Zeit "entzaubert" worden sind) von diesem Mythos eines "Jenseits der Moderne" getragen werden.

Exotistische Projektionen auf Fremdes stellten auch eine wichtige Facette beim Beitrag von Ingo Mörth(5) (Thema "Fremdheit, wohldosiert") dar, der die Kultur des Reisens als kontrollierten Umgang mit kulturellen Grenzen und Differenzen näher analysierte. Die Möglichkeit, Fremdes aus erster Hand kennen zu lernen, war, so Mörth, ein zentrales Motiv, das die Kulturgeschichte des Reisens durchzog und auch das Tourismusgeschehen der Gegenwart wesentlich beeinflusst. Doch diese Begegnung mit "Fremdem" wurzelt auch wesentlich in der Konstituierung von Fremdem und Eigenem in der eigenen Kultur und Psyche, weswegen sich gerade auch im Getriebe des heutigen organisierten Massentourismus eine Reihe von sozialen Formen entwickelt hat, die die Begegnung mit Fremdem "zähmen", kanalisieren, kontrollieren, mit Verhaltensmustern und Rollenstrukturen gestalten. Auf Basis von verschiedenen Modi des Fremdverstehens (Fremdes als Variante des Eigenen, Fremdes als Bedrohung, Fremdes als Lernfeld, Fremdes als schlicht Anderes) versuchte Mörth im touristischen Kontext verschiedene Muster der Konstituierung von "erfahrener" Fremdheit zu identifizieren, wie bestimmte Stereotypen, Grundlagen und Phasen von Kulturschocks, xenophobe Verhaltensformen, aber auch die Sehnsucht nach der Erfahrung des "authentisch Anderen". Die Kultur des heutigen Massentourismus hat, so die abschließende These Mörths, vor allem drei Modelle der sozialen, kommunikativen und kognitiven Kontrolle der Begegnung mit Fremdem entwickelt: (1) das "Modell der Einverleibung", bei dem "Heimat" in die Fremde exportiert wird, und (2) das "Modell der exotischen Verklärung", bei dem Fremdes zur einer stereotypen Gegenwelt stilisiert wird. Dieser Kontrolle von Fremdheit durch die Reisenden stehen Strategien der Bereisten gegenüber, die ihre Erfahrung und Begegnung durch das (3) "Modell der Trennung von Vorder- und Hinterbühne" (Goffman) zu bewältigen versuchen.(6) 

 

Fragen der kulturellen und sozialen Nachhaltigkeit von Tourismus in die Dritte Welt

Die Grundlagen und Wirkungen von Tourismus in Länder der Dritten Welt standen dann im Mittelpunkt einer Sitzung, die das Thema aus drei unterschiedlichen, aber komplementären Blickwinkeln aufarbeitete. Als Fazit der Diskussionen rund um die anschließend skizzierten Beiträge kann vorweg festgehalten werden, dass pauschale Thesen über negative Akkulturationswirkungen oder positive Wirtschaftsbedeutungen des Tourismus in die Dritte Welt nicht haltbar sind. Nur eine differenzierte Sichtweise konkreter Kontexte mit ihren jeweiligen symbolischen, kulturellen, sozialen, politischen und ökonomischen Besonderheiten und den sich daraus ergebenden (partnerschaftlichen) Gestaltungsmöglichkeiten der touristischen Handlungsträger kann weiterführen. Nachhaltigkeit als Zielvorstellung für den Tourismus muss dabei neben den Beziehungen zwischen Reisenden und Bereisten gleichrangig auch die sozialen und ökonomischen Strukturen der Zielregionen berücksichtigen.

Christian Baumgartner(7) analysierte "Entwicklungszusammenarbeit und Tourismus" aus grundsätzlicher und praktischer Perspektive. Im Sinne einer ökonomischen Entwicklungschance wurde, so Baumgartner, der Tourismus lange nur als wirtschaftlicher Hoffnungsmarkt gerade für Entwicklungsländer gesehen. Aufgrund von negativen Erfahrungen und Problemen haben jedoch die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) in den letzten Jahren begonnen, Tourismus als privatwirtschaftliche Aktivität nicht mehr zu forcieren und neue Konzepte zu entwickeln, die den Tourismus nicht mehr isoliert betrachten, sondern als möglichen Beitrag zu umfassenden Entwicklungsimpulsen im Interesse der Entwicklungsländer sehen. Da grundsätzlich jede Form von Reisen die lokalen Gegebenheiten verändert, geht es im entwicklungspolitischen Kontext heute, so Baumgartner, um die Minimierung der negativen Auswirkungen und Veränderungen durch den Tourismus im Interesse der Betroffenen und der lokalen Bevölkerung, und um gleichzeitige Maximierung positiver Effekte. Die Organisationen der EZA haben dabei eine nachhaltige "Multifunktionalität des Tourismus" als (1) Unterstützer ökologischer Sicherung, als (2) Bekämpfungsinstrument der Armut, als (3) Beitrag zu Bildung und zu mehr "Gendergerechtigkeit" sowie als (4) potentiellem Träger und Verstärker kultureller Identität im Auge. Die Devise heißt "Nachhaltiger Tourismus" als integrierter Teil nachhaltiger Regionalentwicklung der Entwicklungszusammenarbeit.

Mit der Minimierung von problematischen kulturellen Auswirkungen des Tourismus auf indigene Kulturen, also einem Teilbereich des von Baumgartner aufgespannten Rahmens touristischer Nachhaltigkeit, beschäftigte sich schwerpunktmäßig Arnold Groh(8) (Thema "Minimierung touristischer Invasivität in indigenen Kontexten"). Groh ging davon aus, dass im Zuge des (auch von Obrecht angesprochenen) hegemonialen Globalisierungsprozesses Personen aus indigenen Gesellschaften grundsätzlich einem starken sozialen Druck hinsichtlich der Aufgabe der bisherigen Kultur und einer Übernahme globalisierter Identitätsmerkmale ausgesetzt sind. Groh betonte vor allem die Destabilisierung indigener Kultur durch "Induktion identitätsrelevanter Merkmale" und Modifikationen der Zugehörigkeitsdefinitionen, die insbesondere auch über körperbezogene Elemente wirken. Daher sah er es für wichtig an, bei einer auf kulturelle Nachhaltigkeit abzielenden Intervention an genau diesem Punkt anzusetzen. Mit interessantem Bezug zu eigenen Felduntersuchungen(9) hinsichtlich konkreter Umsetzung "minimal invasiver Begegnung" führte Groh abschließend aus, dass es vor allem darum gehen müsse, das Verhalten und die Selbstdarstellung der Besucher in indigenen Territorien kulturverträglich, d.h. ohne Betonung dominanter industriekultureller Symbolik zu gestalten. Davon verspricht sich Groh positive Effekte sowohl für die in der touristischen Begegnung involvierten Indigenen als auch für die TouristInnen, die von den neuen "gleichrangigen" Begegnungssituationen ebenfalls profitieren würden, da dieser integrative Zugang zur anderen Kultur(10)für die Besucher ein konkretes Gegengewicht zu der seit der Neuzeit erfolgten Problematisierung des Körpers darstellen kann.

Harald Friedl(11)schließlich lieferte eine weitere Facette in der Diskussion um soziale und kulturelle Wirkungen des Tourismus in indigenen Gesellschaften und Kulturen (Thema "TouristInnen – Kulturschänder oder Retter in der Not?") am Beispiel eigener Forschungen und Felderfahrung als Reiseleiter bei den Tuareg im Aïr (Niger, Region Adadez). Gegenwärtig erlebe, so Friedl, der Tourismus dort einen neuen Boom (2001 ca. 3000 (Pauschal-) Touristen jährlich, mehr als 70 lokale Agenturen, die Führungen und andere touristische Leistungen anbieten), nachdem dessen erste Blüte in den 80ern durch die Rebellion junger Tuaregs für Jahre unterbrochen worden war. Von der durch Dürren und Krieg verarmten Bevölkerung begrüßt, hätte dieser Tourismus zu den Dünen der Sahara und zu Tuareg-Festen das Potenzial, zur wirtschaftlichen Stärkung und damit zur sozialen Stabilisierung der Region beizutragen. Friedl sah daher die möglichen kulturverändernden oder gar -zerstörenden Wirkungen des Tourismus unter den gegenwärtigen sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen der grundsätzlich im Umbruch befindlichen und vom Klimawandel bedrohten Region als weniger gravierend an. Mit vielen Details zu gegenwärtig sichtbaren positiven sozialen und ökonomischen Wirkungen des Sahara-Tourismus in der Region Agadez belegte Friedl die grundsätzlichen Chancen durch Tourismus(12), dessen Gefahren er eher in einer ungeregelten und sozial unverträglichen Expansion sah: Phänomene wie Dumping und Monopolisierung und damit der Ausschluss weiter Bevölkerungsteile, verbunden mit wachsenden sozialen Spannungen und daraus resultierenden Konflikten innerhalb der Tuareg-Gesellschaft trügen, so Friedl, wesentlicher zur soziokulturellen Bedrohung der Tuareg bei als sog. "Akkulturationseffekte" wie die Verteilung von Geschenken an Nomaden.

 

Kulturtourismus als Verbindung von Teilkulturen der Moderne

Der letzte Teil des Sektionsgeschehens thematisierte die Beziehung zwischen zwei Teilkulturen entwickelter Gesellschaften: die Sphäre der "Kultur", also der Hervorbringung, Pflege und Tradierung kultureller und künstlerischer Güter einerseits (vgl. Anm. 2), und dem Tourismus als Sektor der modernen Wirtschaft mit seinen Strukturen und ökonomischen Anforderungen andererseits. Kulturtourismus als Teil des Massenphänomens "Tourismus" hat sich seit den ersten (im Wesentlichen kulturtouristischen) Pauschalreisen von Thomas Cook zu englischen Schlössern, nach Paris und nach Ägypten (ab 1885 auch bis Indien) in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts als interessantes, aber nicht unproblematisches Feld der Begegnung und Kooperation dieser Sphären etabliert. Dieses Feld wurde in zwei Beiträgen näher beleuchtet, die einerseits schwerpunktmäßig die "Nachfrageseite", also die gegenwärtigen spezifischen Formen touristisch akzentuierten kulturellen Konsums, und andererseits die "Angebotsseite", also insbesondere die diffizilen Fragen der Kooperation von Kultureinrichtungen und Tourismusorganisationen bei der Erstellung kulturtouristisch bedeutsamer Angebote, in den Mittelpunkt stellten.(13)

Christian Steckenbauer(14) referierte über "Kulturtourismus und kulturelles Kapital" und stellte dabei die Konzepte "Distinktion", "kulturelles und symbolisches Kapital" sowie "Kapitalumwandlungen" im Sinne von Pierre Bourdieu in den Mittelpunkt seiner Analysen. Kulturell motivierter Tourismus ist für Steckenbauer eine Abfolge von Kapitalumwandlungen. Dies betreffe die Seite des kulturellen Angebots genauso wie die kulturtouristische Nachfrage. Kulturelles Angebot im Allgemeinen und kulturtouristische Produkte im Besonderen entstehen zunächst aus der Konvertierung ökonomischen Kapitals in objektiviertes kulturelles Kapital (z.B. Architektur, Kulturstätten ..., aber auch Kunstwerke im engeren Sinn). In der touristischen In-Wert-Setzung kultureller Angebote treffen sich dann nach Steckenbauer die Interessen der Kulturanbieter mit denen der Tourismuswirtschaft zumindest im Bereich der gemeinsamen Vermarktung. Auf Seite der kulturtouristischen Nachfrage findet Steckenbauer den Touristen, der sich durch den kulturellen Konsum einen Zuwachs spezifischer Kapitalsorten erhofft – insbesondere einen Zuwachs an kulturellem und symbolischem Kapital. Kulturtourismus ist daher für ihn wesentlich prestigeträchtiger Tourismus und erzeugt ein Prestige, das auf den Touristen "abfärben" kann, ihn zum klassischen "Reisenden" in der Tradition einer adeligen "Grand Tour" oder bürgerlichen Bildungsreise macht und über "den Massentouristen" erhebt. Steckenbauer zeigt abschließend, wie - abhängig von der jeweiligen touristischen Erfahrung - dieses Streben nach Distinktion Reisemotive, die Reiseentscheidung und das Verhalten eines Kulturtouristen während der Reise beeinflussen. Die Rolle der Kulturanbieter und der Tourismuswirtschaft in diesem Prozess der Kapitalumwandlungen ist für ihn die Rolle von "Vermittlungsagenturen".

Edith Kriegner(15)beschäftigte sich mit "Museen und Tourismus" und den Chancen, Problemen und Potenzialen einer kulturtouristischen Kooperation am Beispiel einer Analyse zu Museen und Tourismus in Oberösterreich. Wie Steckenbauer sieht sie eine wesentliche Schnittmenge gemeinsamer Interessen der Kultureinrichtungen und des Tourismus: Kultur wertet das touristische Angebot auf und erhöht die Attraktivität von Destinationen, und Tourismus liefert Geld für (die oft finanziell nicht so gut gestellten) Kultureinrichtungen. Durch Kulturangebote können, so auch die von Kriegner befragten Touristiker, insbesondere zahlungskräftigere Gäste angezogen werden, die für ein breites Feld an touristischen Anbietern Nutzen bedeuten. Dazu können die Kultureinrichtungen selbst durch den Tourismus eine Chance nützen, ein breiteres Publikum (als die einheimische Bevölkerung) anzusprechen und damit auch besser und kostendeckender – wenn nicht sogar gewinnbringend – arbeiten. Doch nicht immer gelingt es, im Zuge von erfolgreicher und populärer Präsentation von Kultur, deren Authentizität oder die kulturellen Kernaufgaben der Kultureinrichtung (im Falle der Museen: Sammeln, Bewahren, wissenschaftlich Bearbeiten) zu wahren. Edith Kriegner legte dar, wie Experten und jeweilige Brancheninsider der Museen und des Tourismus solche Chancen und Vorteile – aber auch die Risiken und Nachteile von Kooperationen zwischen dem eigentlichen "Non-Profit"-Bereich Kultur und dem grundsätzlichen "For-Profit"-Bereich Tourismus sehen. Nach einer Analyse der wechselseitigen Anforderungen (Museen an den Tourismus, Tourismus an die Museen) verwies sie auf konkrete Möglichkeiten der Zusammenarbeit und auf Vorgehensweisen für die weitere Entwicklung und Organisation solcher – für beide Seiten vorteilhafter – Kooperationen. Die Vision eines als Kultur- wie Tourismusangebot erfolgreichen "Erlebnismuseums" stand abschließend zur Diskussion.

© Ingo Mörth (Linz)


ANMERKUNGEN

(1) Einer der ersten, der als "Tourist" ferne Länder bereiste und seine Erfahrungen und Erkenntnisse über fremde Länder und Völker systematisch aufzeichnete (und damit auch "tradiert" wurde), war der Grieche Herodot von Halikarnassos (um 450 v. Chr.). Er bereiste Ägypten, Mesopotamien, Skythien und Phönizien. Mit seinem geschichtlichen und ethnologischen Werk wurde Herodot olympischer Preisträger in Literatur, und seine Darstellungen dienten im Laufe der nächsten Jahrhunderte anderen Schriftstellern der klassischen Antike als Referenz und waren bis zur Renaissance als konkrete Informationsquelle bedeutsam. In Athen hat Herodot um 445 v. Chr. auf der Agora aus seinen Werken öffentlich vorgelesen; dabei erfuhr die athenische Öffentlichkeit bislang Unerhörtes aus der Welt der "Barbaren", also aller nicht-griechischsprechenden Völker. Diese Vorträge waren so gelungen, daß Herodot je Vortrag über fünf Talente (nach heutiger Kaufkraft etwa 500 Euro) bzw. für den ersten sogar 60.000 Drachmen (10 Talente, nach heutiger Kaufkraft etwa 1.000 Euro) erhalten haben soll (vgl. zu den Auftritten Herodots http://www.sungaya.de/schwarz/griechen/herodot.htm, online; zur Kaufkraft: http://www.gnomon.ku-eichstaett.de/LAG/misthos.html, online; Zugriff jeweils 29. 5. 2004)

(2) Wir schließen uns hier dem Kulturkonzept von Herbert Arlt an, das für den gesamten Kongress einleitend skizziert wurde: "Unter Kultur wird ... all das verstanden, das der Mensch bei der Umwandlung der Welt an sich in eine Welt für uns hervorbringt. Diese Definition ist eine sehr breite Definition und schließt alles ein, das produktiv ist. [...] Diese Definition ist (aber, I.M.) ... keine weite Definition in dem Sinne, dass sie Beliebiges als Kultur definiert, sondern sie betont ein Kulturverständnis, das Tätigkeiten, Arbeiten als konstituierende Elemente ansieht, die sich (selbst, I.M) auch historisch konstituiert haben. Grob formuliert können die Tätigkeiten, die Kultur hervorbringen, in folgende Bereiche eingeteilt werden: einen tradierenden, einen reproduzierenden und einen kreativen Bereich. [...] Eine zentrale Stellung nimmt in diesem Prozess ... die Tradierung ein. Erst mit Bildern, Numerik, Schrift beginnt sich der Reichtum zu entfalten, die Vielfalt zu entwickeln. [...] Kultur ist ... in ihrer Konstituierung etwas Verbindendes. Sprache, Schrift, Reproduktion, Kreativität stellen keine (prinzipiellen, I.M) Probleme zwischen den Menschen dar (nicht einmal mangelnde Verständnismöglichkeit). Erst die Verteilung, der Zugang zum Wissen , die Instrumentalisierung von Kultur im Dienste einer Machtpolitik scheinen aus ihr ein ständiges Konfliktpotential zu machen. [...] Gegenkonzept ist Ermöglichung von Kreativität und Offenheit gegenüber kulturellen Prozessen." (http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/arlt15DE.htm, online)

(3) Obrecht, Andreas, Dr., a.Univ.-Prof., Soziologe und Ethnologe; Forschungen zu Problemen der Modernisierung in Ozeanien, Ostafrika, südliches Afrika (derzeit: Zimbabwe, Nepal); Projektmanager des Interdisziplinären Forschungsinstituts für Entwicklungszusammenarbeit der Universität Linz und Gastprofessor für den Schwerpunkt Außereuropa (subsaharisches Afrika und Südpazifik) an der Karl Franzens Universität Graz; Schwerpunkte: Ethnosoziologie, Akkulturation, Technologieimplementation; neben wissenschaftlichen auch literarische Bücher, Dokumentationen für den ORF.

(4) "Vazieren": frei  oder dienstlos (lat.: vacuus) sein, auch: das Herumziehen und Herumstreifen fahrenden Volkes, übertragen auch: freies Bewegen durch Räume.

(5) Mörth, Ingo, Dr., a.Univ.-Prof. am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz mit dem Schwerpunkt Soziologische Theorie, Kultur- und Mediensoziologie, Alltagsforschung. Dazu Vorstand des Instituts für Kulturwirtschaft und Kulturforschung der Universität Linz. Zahlreiche Forschungen, Veröffentlichungen und Projekte im Bereich der Kultur-, Freizeit- und Tourismustheorie und –forschung.

(6) Leider konnte infolge einer plötzlichen Erkrankung von Mörth keine grundsätzliche Diskussion vor Ort mit Bezug zu den auch von Obrecht angesprochenen Perspektiven einer "Kultur des Reisens" als Verbindung oder kontrollierte Trennung von (Teil-)Kulturen einer zunehmend "grenzenlosen" Moderne geführt werden.

(7) Baumgartner, Christian, Dr., Landschaftsökologe, leitet das Institut für Integrativen Tourismus und Freizeitforschung (IITF) in Wien und koordiniert das Zentrum für Tourismus und Entwicklung »respect«. Zahlreiche Projekte und Publikationen zu Aspekten eines sozial- und umweltverträglichen Tourismus.

(8) Groh, Arnold, Dr., studierte Psychologie, Literaturwissenschaft und Linguistik und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Arbeitsstelle für Semiotik der TU Berlin. Ausgedehnte Feldforschungen, dabei Leitung mehrerer Expeditionen (u.a. Borneo, zentrales Afrika, Neuguinea); Forschungsschwerpunkte: Erfassung der Mechanismen von Kultur und Kulturwandel mit dem Ziel der Intervention in Problembereichen; Herausarbeitung der Faktoren kulturellen Verlustes, Erarbeitung von gegensteuernden Strategien.

(9) Bei den Punan auf Borneo, bei den Bambuti im östlichen Kongobecken, bei den Matakam in Nordkamerun, bei den Bassari im Südsenegal und bei den Dani auf Neuguinea.

(10) Groh liefert folgendes Beispiel: "Da für Bewohner wie Besucher gleiches Recht zu definieren ist, müssten alle Besucher vor Betreten des Territoriums jene Kulturelemente in Schließfächern deponieren, von denen wir aufgrund bisheriger Forschung sagen können, daß sie kulturell destabilisierend wirken. Dies sind in erster Linie die Sachen, die ein anderes Körperkonzept – und damit eine modifizierte Identität – induzieren, als es in der indigenen Kultur vorliegt. Wenn in der traditionellen Kultur ein Lendenschurz getragen wird, so sollten Besucher nicht mehr verhüllen, als es der Lendenschurz tut. Prinzipiell bedeutet eine solche Integration nichts anderes, als in symmetrischer Interaktion dieselbe Akzeptanz zu erweisen, die indigene Besucher unserer Kultur erweisen." (http://www.inst.at/trans/15Nr/09_1/groh15.htm, online)

(11) Friedl, Harald A., MMag., freier Publizist und Wissenschaftsjournalist, Vortragender an der FH für Tourismusberufe Bad Gleichenberg; Studien in Graz und Caen/F (Rechtswissenschaften, Philosophie/FB Soziologie, Politologie, Ethnologie); Forschungen zu Problemen des Dritte Welt-Tourismus; zur praktischen Tourismusethik; häufigere und längere Forschungsaufenthalt bei den Tuareg in der Region Agadez, Niger; dissertiert dzt. am Grazer Institut Philosophie über "Nachhaltige Tourismusentwicklung in der Region Agadez/Air, Republik Niger, als Ansatz zur Armutsbekämpfung."

(12) So verwies Friedl auf die Chancen für die durch schwindende ökonomische Rentabilität bedrohten berühmten Salzkarawanen durch die Teilnahme von TouristInnen am großen "Salz-Trekk".

(13) Infolge der bereits erwähnten plötzlichen Erkrankung des Sektionsleiters wurden die Referate leider nur elektronisch zirkuliert und nicht vor Ort vorgetragen und diskutiert.

(14) Steckenbauer, G. Christian, Dr.; absolvierte ein Diplomstudium der Soziologie an der Johannes Kepler Universität Linz, arbeitete als Forschungsassistent am Institut für Kulturwirtschaft und Kulturberufsforschung der Universität Linz an kulturtouristischen Projekten und ist derzeit bei der SalzburgerLand Tourismus GmbH für Marktforschung und Projektentwicklung zuständig. Dissertation zu theoretischen und empirischen Fragen der Beziehung von Kultur und Tourismus. (zurück)

(15) Kriegner, Edith, Mag., absolvierte ein Diplomstudium der Internationalen Wirtschaftswissenschaften an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, arbeitet im Marketingbereich eines Industriebetriebes und verfasst eine interdisziplinäre Dissertation zu kulturtouristischen Synergien und Problemen bei Museen in Oberösterreich.


9.1. Kulturtourismus Kultur des Tourismus: eine Verbindung von Kulturen?

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For quotation purposes:
Ingo Mörth (Linz): Fremdheit, wohldosiert. Tourismus als Kultur der kontrollierten Begegnung mit dem Fremden. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/09_1/moerth15.htm

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