ABSTRACT:
Im Beitrag wird ein Versuch vorgenommen, einige Gesetzmässigkeiten im Verhältnis von Fachsprache und Kultur, Fachsprache und Interkulturalität, Fachsprache und interkulturelle Kommunikation aufzudecken.
Schon die soziolinguistischen Untersuchungen zu verschiedenen Wissenschaftssprachen in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen machen deutlich, dass die Kultur der Sprachgemeinschaft selbst auf die jeweiligen naturwissenschaflich-technischen Fachsprachen einen Einfluss hat. Erst recht zeigt sich die kulturelle Einbettung in anderen fachlichen Handlungsbereichen, wie etwa im komplexen Bereich der Wirtschaftskommunikation.
Inwiefern gewinnen Fachsprachen und fachsprachliche Kompetenz interkulturelle Bedeutung? Wir stellen heute eine zunehmende Mobilität von Menschen unterschiedlicher Kulturen fest, die geradezu globale Züge angenommen hat. Durch die vielfältigen Wanderungs-und Reisebewegungen ergeben sich quantitativ in einem bislang nicht gekannten Ausmass Kontaktsituationen zwischen Menschen verschiedenster Kulturen. Mögen sie im Bereich touristischer Begegnungen ein unverbindliches gegenseitiges Kennenlernen zur Folge haben, so sind sie in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Rechtswesen und Politik langfristig intendiert, um von dem Wissen und den Erfahrungen, den Normen und Werten, den Einstellungen und Lebensweisen, den materiellen und geistigen Leistungen der jeweils anderen Kultur zu lernen und dadurch eine grössere Handlungskompetenz zu gewinnen.
Internationale Geschäftsbeziehungen und die Möglichkeit, über elektronische Medien mit der ganzen Welt zu kommunizieren, steigern den Bedarf an internationalen Kompetenzen: Einkauf, Marketing und Vertrieb auf internationalen Mä rkten, Zusammenarbeit mit ausländischen Tochtergesellschaften,Verhandlungen mit ausländischen Geschäftspartnern,vor allem aber der Umgang mit ausländischen Gästen und Kunden sind typische internationale Tätigkeiten, die zum einen die direkte Kommunikation in einer fremden Sprache, zum anderen aber auch die Fähigkeit erfordern, fremde Kulturen zu verstehen und sich so auf sie einstellen zu können, dass geschäftlich erfolgreich ge- und verhandelt werden kann.
Über welche Fähigkeiten und Kenntnisse müssen Fachkräfte verfügen, um diesen mit der Internationalisierung des Wirtschaftens und der Globalisierung des Wettbewerbs um Arbeitsplätze und Betriebsstandorte verbundenen Herausforderungen entsprechen zu können? Dieser Frage ist das deutsche Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Zusammenarbeit mit der Sozialforschungsstelle Dortmund erstmals in einer umfangreichen empirischen Untersuchung nachgegangen 1, in der unter anderem Fallstudien in 15 international tätigen Betrieben und 500 Interviews mit ausgewählten Fachkräften durchgeführt worden sind. Die Untersuchung hat ergeben:
- Hohe fachliche Kompetenz ist im internationalen Kontext die entscheidende Grundlage und Basis der "internationalen Qualifikation".
- Fremdsprachenkompetenz ist die zweite, fur internationales berufliches Handeln selbstverständliche Fähigkeit, wobei die Beherrschung der englischen Sprache oberste Priorität hat. In bestimmten Branchen und Regionen sind auch Kenntnisse in Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Arabisch erforderlich. Je nach beruflicher Funktion können minimale Fremdsprachenkenntnisse vor allem bei eher "technischen" Aufgaben ausreichen; hier lässt sich fehlende Sprachkompetenz durch Fachkompetenz und auch Persönlichkeitskomponenten ersetzen. Im Bereich von Führungskräften jedoch gehen die Anforderungen bis hin zu hoher fremdsprachlicherVerhandlungskompetenz.
- Interkulturelle Kompetenz ist die dritte entscheidende Dimension internationaler Qualifikationen. Sie umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Fähigkeiten und Kenntnisse, die im Kontakt mit ausländischen Kollegen, Kunden und Geschäftspartnern erworben werden können. Herausragend ist dabei die Fähigkeit, mit ausländischen Partnern, Kollegen oder Kunden auf einer gemeinsamen Ebene kommunizieren und kooperieren zu können. Dazu kommen Kenntnisse der Märkte anderer Länder, Kenntnisse über die Kultur und Mentalität ihrer Bewohner, eine generelle Offenheit gegenüber neuen Eindrücken und Einflüssen sowie die Fähigkeit, sich auf eine fremde Kultur einlassen und in ihr bestehen zu können.
- In internationalen Zusammenhängen tätige Fachkräfte müssen über ein hohes Maß an 0ffenheit und Toleranz verfügen und bereit sein, eigene Verhaltensmuster in Frage zu stellen. Sie müssen ihre Aufgaben in dem Bewusstsein wahrnehmen, Vertreter nicht allein des Bertriebes, sondern der Wirtschaft ihres Landes insgesamt zu sein.
Gegenwärtig werden zwischen Österreich und Russland regelmässig Kontakte auf politischer und wirtschaftlicher Ehene gepflegt. Die |gegenseitigen Kontakte auf Wirtschaftsebene fussen auf der rechtlichen Vertragsbasis.
Zahlreiche österreichische Firmen, Unternehmen und Banken haben bereits ihre Niederlassungen in Russland, dasselbe gilt auch für RussIand. Dabei kann die mangelnde Kenntnis und ungenügende Berücksichtigung soziokultureller Unterschiede zu Reibungsverlusten in der Zusammenarbeit und zu den Konflikten im Umgang miteinander führen. Die Beziehungen zwischen Österreichern und Russen bilden hierbei keine Ausnahme.
Durch die Erfassung und Interpretation von Stereotypen, die sich, ausgehend von den als typisch erachteten Eigenschaften des russischen bzw. österreichischen Volkscharakters (Mentalitätsstereotypen), im Wertsystem, Arbeitsverhalten und in den konkreten Kooperationserfahrungen äuBern, soll - wie bereits dargelegt - der Einfluss soziokultereller Unterschiede а uf die geschäftliche Kommunikation n ае h ег betrachtet werden.
Zu diesem Zweck hat ein österreichisches Forschungsteam von der Wirtschaftsuniversität Wien neun österreichische Untemehmen, die Kooperationsbeziehungen mit Russland pflegen, sowie ihre russischen Partner nach ihren Erfahrungen mit russischer bzw. österreichischer Seite befragt 2. 34% der Russen und 44% der Österreicher bewerteten die Erfahrungen in der Zusammenarbeit als durchweg positiv, ca. 40% haben gemischte Erfahrungen mit der anderen Seite gemacht und nur etwa 10% schätzten ihre Erfahrungen als überwiegend negativ ein. Die Stereotypen entstehen aus der Überverallgemeinerung tatsächlicher Merkmale (sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht), sie ordnen diffuses Material, reduzieren Komplexität und bieten Identifikationsmöglichkeiten an, über die neue Realbezüge entstehen können.
Stereotypen bestimmen stark das Image einer Gemeinschaft. Bestimmende Faktoren für das Image sind, neben historisch bedingter Sympathie oder Antipathie, unter anderem die Religion und das Einkommen, wobei Letzteres eng mit dem Bildungsstand und der Mediennutzung zusammenhängt; Materialismus wird in der Regel als fortschrittlich eingestuft. Offenkundig hat auch die politische Orientierung Einfluss auf Images und Stereotypen.
Österreichisch-russischen Kooperationserfahrungen wurden von den Befragten überwiegend als positiv bewertet.
In den beschriebenen Untersuchungen ging es auch um eine Betrachtung des jeweiligen Wertesystems. Um tief verwurzelten, zum Teil unbewussten Kulturunterschieden auf die Spur zu kommen, wurde versucht, eine Auswahl und Interpretation bestimmter, für die russische bzw. österreichische Kultur typischer Sprichwörter vornehmen zu lassen. Die Befragten gaben 2-3 Sprichwörter ihrer Kultur an, die entsprechend ihrer Aussage einer von zehn begrifflichen Kategorien zugeordnet wurden. Es wurden solche Kategorien vorgegeben, wie "Fleiss, Anstrengung und Initiative lohnen sich", "Lebensgenuss und Liebe sind mehr wert als Geld und Macht","Moral und Ehrlichkeit zahlen sich aus" u.a.
Bei diesen 10 Kategorien ergaben sich 6 Fälle von Übereinstimmungen, d.h. die von den befragten Russen bzw. Österreichern zugeordneten Sprichwörter bezeichneten denselben sozialen Wert. Zu den sozialen Werten mit der haufigsten Übereinstimmung in beiden Kulturen gehörte die Aussage "Fleiss, Anstrengung und Initiative lohnen sich".
Für die Untersuchung soziokultureller Unterschiede und ihrer Einflüsse auf die geschäftliche Kommunikation sind dagegen die significant unterschiedlich besetzten Kategorien im sozialen Wertsystem| weitaus interessanter. Während lediglich 20% der befragten Österreicher Sprichwörter anführen, die sich gegen Übereifer, hohes Теmро, Voreiligkeit und Hast und für Gemächlichkeit in allen Lebenslagen aussprechen, wählten 52% der befragten Russen solche Sprichwörter, wie "Поспешишь - людей насмешишь" (Wenn du eilst, machst du die Leute lachen), "Тише едешь - дальше будешь" (Wer ruhig fährt, kommt weiter), "Москва не сразу строилась" (Moskau wurde nicht an einem Tag erbaut), "He говори гоп, пока не перепрыгнешь" (Schrei nicht "Норр", bevor du nicht gesprungen bist), "Семь раз отмерь - один раз отрежь", (Miss siebenmal, bevor du еinmal schneidest) und ordneten sie diesen Kategorien zu.
Weitere Unterschiede im sozialen Wertsystem betreffen die Einstellung zu "unmoralischem" Verhalten und RegelverstöBen, die Haltung zu Optimismus bzw. Pessimismus und die Frage nach den Prioritäten von Lebensgenuss, Liebe, Freude am Leben bzw. Geld, materiellen Werten und Macht.
Die gewisse Schwäche der in dieser Untersuchung verwendeten Methode, Wertstellungen mittels Sprichwörter zu erfragen, besteht darin, dass die Sprichwörter von den Befragten kontextfrei genannt wurden. Da sie jedoch wie alle sprachlichen Ausdrucksmittel situativ gebunden sind, können sie auch verschieden interpretiert werden. Was beispielsweise als (Zweck) Pessimismus intepretiert und damit negativ bewertet wurde, kann in bestimmten Situationen als Zeichen von Besonnenheit und zur Vermeidung unnötiger Risiken ausgelegt werden.
Fazit der Untersuchung ist, dass verstärktes interkulturelles Lernen sowie dieVermittlung interkultureller Basisqualifikationen in der Berufsausbildung die Voraussetzungen sind, um den Forderungen nach verstärkter internationaler Qualifizierung der Fachkräfte zu entsprechen.
LITERATUR:
- Handbuch Interkulturelle Kompetenz / Thomas Baumer. - Zürich: Orell Füssli, 2002, s.157.
- Baumgart A., Jänecke B. Russland - Knigge. München, Wien, 1977.
- Landeskunde - deutschsprachige Länder. Österreich. Berlin, 2000.
- Das Neue Wiener Journal, 2002. No.10 (82).
- Knapp-Potthoff A. Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit als Lernziel // Aspekte interkultureller Kommunikationsfähigkeit/ Hrsg.v. A. Knapp-Potthoff, M. Liedke, München, 1977.