Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

S E K T I O N E N

 
Lachen und Ernst

SektionsleiterInnen/Vorschläge, Abstracts an:

Han-Soon Yim (Seoul National University, Korea) [BIO]

Email: yimhansn@snu.ac.kr

 
ReferentInnen / Speakers   >>
 

ABSTRACT:

In Korea – wie wohl auch bei vielen anderen Völkern – ist es noch üblich, dass bei Begräbnis- und Totenfeiern nicht nur Trauer und Ernst herrschen, sondern nebenbei auch getrunken, (ortsweise sogar theatral) gespielt und gelacht wird. Diese Tradition erinnert an Bachtins These, dass der mächtigste Feind des Lachens der Tod sei, der aber das Lachen der Menschen nie ersticken könne. Ob das Nebeneinannder von Ernst und Lachen bzw. Lachen gegen Ernst eine typisch orientalische Erscheinung ist? „Im Unterschied zum abendländischen Theater“, so konstatiert Otto C. A. zur Nedden jedenfalls, „fehlt“ in der alten Theaterkunst Indiens „das Tragische“. Hier dürfe der Held nicht untergehen, ein tragischer Ausgang sei sogar verboten. Die aus der Abneigung gegen das Tragische zu erschließende Vorliebe der Inder für das Lustspiel, in der wohl ihre Neigung zum Optimismus zum Vorschein kommt, scheint in gewisser Hinsicht auf ganz Asien übertragbar zu sein. Man nehme etwa das sogenannte „orientalische Lächeln“ zusätzlich zum Ausgangspunkt, mit dem gemeint ist, dass die Asiaten selbst auf einen ernsthaften Fehler ihrerseits mit einem Lächeln reagieren, der bei Europäern gar Entsetzen hervorrufen würde. Unfähig zum raschen Wechsel des Gesichtsausdrucks, der die Europäer kennzeichne, dauere das Lächeln der Asiaten auch länger als bei diesen. Nicht alle, aber viele alte und neue Buddhafiguren in den fernöstlichen Tempeln bestätigen gleichsam dieses Phänomen, indem sie mehr oder weniger gnädig lächeln, und zwar im Unterschied zu den christlichen Altarbildern, in denen sehr häufig der schmerz- und trauervolle Passionsweg des Gottessohnes im Mittelpunkt dargestellt ist. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich aus diesen Erscheinungen eine tragfähige These der asiatischen Vorliebe für das Lachen und für das Lustspiel ableiten und womöglich auch anthropologisch begründen ließe.

Die hohe Wertschätzung des Lächelns im Alltag legt nahe, dass das Lachen und Lächeln samt Komik und Komödie zu den Universalien des menschlichen Handelns gehört. Sie berührt nichts Anderes als Bachtins Begriff der „Dialogizität“, der in Verbindung mit dem der volkstümlichen „Lachkultur des Karnevals“ eine entscheidende Wende im Diskurs über Komik und Komödie herbeigeführt hat. Selbst in dem vermarkteten Lächeln ist nämlich ein Moment der Emanzipation enthalten, das über die traditionelle Überlegenheits- oder Kontrasttheorie des Lachens hinausgeht und etwa die verbindende Wirkung des Lessingschen „wahren Lustspiels“ bzw. jene von Schiller der Komödie zugesprochene „höchste Freiheit des Gemüts“ suggeriert. Denn das Lächeln sucht Kontakt und will somit - ähnlich wie das Lachen mit dem bekannten Ansteckungseffekt - das Sich-Abgrenzen wie die Ausgrenzung des Anderen überwinden. Das universal Verbindende wäre also sowohl im Phänomen des Lachens selbst als auch im letzten Stadium der bisherigen Forschungen zu suchen, um daraus womöglich eine für Ost wie West verbindliche Tiefenstruktur des Lachens zu konzipieren. Ein viel versprechender Ansatzpunkt dafür ist die bekannte Paradoxie, dass sich das Komische in der Komödie zwar an den Intellekt wendet, aber die Aufmerksamkeit auf das Körperliche lenkt. Das Lachen als Ausdruck der intellektuellen Wahrnehmung eines komischen Gegenstandes oder Phänomens wird normalerweise durch bestimmte, ihm eigene Laute, Gesichtsausdrücke und Gesten, also am Körper, realisiert, wie auch die Realisierung des Komischen im vollen Umfang erst im komischen Theater gerade durch die sinnliche Darbietung vollzogen wird.

Zu den aktuellsten Themen der Komikforschung gehört die Frage der Vermittlung bzw. der gegenseitigen Durchdringung zweier Grundformen des Komischen, einer „Komik der Herabsetzung - des Verlachens - als intellektuelles Phänomen“ einerseits und einer „Komik der Heraufsetzung, des Bejahens von Unterdrücktem und Verdrängtem und damit der Anerkennung des Lustprinzips“ (Hans Robert Jauß, Bernhard Greiner) andererseits. Die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Dichotomie der beiden Formen wird ebenso einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen sein wie die Einheitstheorien der Komik, die unter anderen von Joachim Ritter angeregt worden sind. Er schrieb: „Was mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird, ist diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Dasein; sie wird so ergriffen und ausgespielt, nicht in der Weise des ausgrenzenden Ernstes, der es nur als das Nichtige von sich weghalten kann, sondern so, dass es in der es ausgrenzenden Ordnung selbst gleichsam als zu ihr gehörig sichtbar und lautbar wird.“ Aufschlussreich ist hier der Nachweis, dass im Komischen „die Identität eines Entgegenstehenden und Ausgegrenzten mit dem Ausgrenzenden“ hergestellt wird. Mit der Einsicht in die dialektische Einheit der ausgrenzenden Vernunft (Norm, Autorität, Ordnung, Idee, Schein, Ideologie) und der von dieser als fremd und nichtig ausgegrenzten Lebensbereiche (Körper, Sexualtrieb, Vitalität, Erscheinung, Realität) tritt die Begrenztheit des vernunftgesteuerten Umgangs mit der Welt zu Tage. Die Vernunft, die „mit der Setzung ihres Seinssinnes Unendliches ausgrenzt“, macht, so Ritter, „die Grenze der Vernunft bewußt“, wobei sich ihre Begrenztheit darin zeigt, daß sie „abgetrennt ist von der Fülle desjenigen Lebens, das ihr nur als nichtig und nichtseiend unwesentlich begegnen kann“. In unserer Zusammenarbeit möge es zu zeigen sein, dass diese Lachtheorie zur Diskussion über das Sektionsthema und auch zum Verständnis der ‚asiatischen Vorliebe‘ für das Komische ergiebig sein kann.

Freilich wäre noch kritisch zu fragen, ob angesichts der Aktualität der neu beleuchteten Anstöße von Freud, Ritter, Bachtin und anderen die noch älteren, bewährten theoretischen Ansätze wie Lessings Kontrastprinzip von Schein und Realität, Bergsons Strukturanalyse des Komischen, Hegels und Marx’ Auffassung des anachronistisch Komischen usw. bereits unhaltbar geworden sind. Sie enthalten bleibende Momente, die zum Verständnis der Struktur und Wirkung des Komischen im wesentlichen ungeschmälert beitragen können. Zur Formulierung einer Tiefenstruktur des Komischen könnten wir vor allem Henri Bergson, dessen Theorie der Komik die klassische des 20. Jahrhunderts genannt wurde, noch mit großem Gewinn konsultieren. Sein lebensphilosophischer Grundgedanke ist für heute verbindlicher denn je, lässt er sich doch sogar im Sinne der Bachtinschen Lachkultur umdeuten und umfunktionieren. Bei ihm ist es nämlich immer das Mechanische im Lebendigen, das die Komik erzeugt: „Du mécanique plaqué sur de vivant; voilà une croix où il faut s'arrêter, image centrale d'où l'imagination rayonne dans des directions divergentes.“ Dieses „zentrale Bild“ der Komik kann zur Deutung sowohl europäischer als auch asiatischer Beispiele produktiv herangezogen werden, auch wenn man seiner vornehmlich an Molière orientierten Auffassung der Komödie als eines sozialen Korrektivs nicht in allen Einzelheiten folgen mag. Seine Opposition gegen die Mechanisierung des Lebens, gegen Starrheit, Automatismus und Zerstreutheit als komische Schwächen des Menschen sowie seine Idee des ständig im Fluss befindlichen wirklichen Lebens erinnern z.B. an den Taoismus des alten China, der sich mit analogen Bildern und Metaphern, dem berühmten Wasserbild voran, gegen das als lebensfeindlich empfundene konfuzianische Ordnungsprinzip wandte.

Beabsichtigt und erwünscht ist in unserer Sektion eine möglichst breite interdisziplinäre und kulturalistische Zusammenarbeit. Beiträge aus Physiognomik (Gesichtsausdruck), kontrastiver Phonologie (Lachlaute der Völker), Psychologie, Anthropologie, Ethnologie und Heilkunde wären nicht minder willkommen als die aus Literatur, Theater und der bildenden Kunst. Wie lacht und weint der Mensch etwa in der Malerei? Darüber hat man viel zu wenig diskutiert, während die Beiträge allein über das Lachen und die Komik in der Literatur kaum überschaubar angewachsen ist.

 

 

ReferentInnen / Speakers / Orateurs

  • Physis und Psyche im Lachen
    Überlegungen zu einer Grundstruktur des Lachens und der Komik
    Han-Soon Yim (Seoul)
    ABSTRACT

  • Integraler Humor – Lachen und Weinen im Spannungsfeld menschlicher Bewusstseinstendenzen
    Jan Dirks (Department of Performing Arts Studies, Seoul National University, Korea)
    ABSTRACT

  • „Ich lebe in der DDR, sonst habe ich keine Probleme“
    Komik und Humor als Möglichkeiten eines kontrastiven Umgangs mit deutscher Geschichte
    Waltraud 'Wara' Wende (Rijksuniversiteit Groningen)
    ABSTRACT


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