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<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive
Vom Ausnahmezustand des Schmerzes in Literatur, Medizin und Psychoanalyse
Iris Hermann (Universität Siegen, FB 03) [BIO]
Email: hermann@germanistik.uni-siegen.de
ABSTRACT:
Dass die Literatur ein ausgezeichneter Ort ist, um Ausnahmezustände zu inszenieren, wird insbesondere dort deutlich, wo sie sich den Ausnahmezuständen des Körpers zuwendet. Als besonders markantes Beispiel mag der Schmerz gelten. Erst in den letzten Jahren hat er dabei auch literaturwissenschaftlich endlich das Interesse gefunden, das ihm aufgrund seiner anthropologischen Bedeutung zukommt. In meinem Beitrag möchte ich vor allem literarische Imaginationen des Schmerzes historisch und systematisch untersuchen. Hatte Lessing in seiner Laokoonschrift für eine Schmerzökonomie im literarischen Text plädiert, bietet er damit einer Tradition Einhalt, die in der Antike und im Barock durchaus zuließ, Schmerz als extremen Ausnahmezustand zu imaginieren und eine entsprechend drastische Darstellungsweise zu favorisieren. Erst mit und nach Baudelaire wird es in der Weltliteratur nach Lessings Schmerzökonomie wieder möglich, etwa auch den Schrei als Ausdrucksmöglichkeit des Schmerzes zuzulassen. Ich möchte auf der Folie dieser generellen Befunde fragen, wie der Ausnahmezustand des Schmerzes in verschiedenen Wissensformen (Literatur, Medizin, Psychoanalyse) zur Darstellung kommt, und in historischer Perspektive in Stichproben (Sophokles: Philoktet, Montaignes Essais, Lessings Laokoon, K. P. Moritz Anton Reiser, Freuds Schmerzkonzept, Nietzsches Schmerzapologie, V. von Weizsäckers psychosomatische Schmerztheorie u.a.) zumindest andeutungsweise diskutieren, wie diese Diskurse sich etabliert haben. Wegen seiner die Fachgrenzen überschreitenden Relevanz ist der Schmerz ein probates Beispiel, um den Umgang mit einem Ausnahmezustand des Körpers in verschiedenen Wissensformen zu zeigen. Deutlich wird ein Transfer zwischen den einzelnen Disziplinen und zwar in alle nur denkbaren Richtungen. Und: Schmerz ist ein Ausnahmezustand, der oft in Zusammenhang mit anderen Ausnahmezuständen näher bestimmt wird, insbesondere der Lust. War dies schon bei Plato der Fall, so sollte auch diese Zusammenschau des Gegensatzpaares (sind Schmerz und Lust aber immer notwendig als Antagonismen zu denken?) als Basis der Überlegungen dienen.
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