Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion VII: "Interkultureller" Austausch, transkulturelle Prozesse und Kulturwissenschaften

Section VII:
"Intercultural" Exchange, Transcultural Processes and Cultural Studies

Section VII:
Echange interculturel, processus transculturel et études culturelles


D. Simo (Yaounde)

Französisch 
Kulturwissenschaften in Afrika

Kulturwissenschaften gehören in Afrika in einem noch höheren Maße als andere Wissenschaften zu einer postkolonialen Tätigkeit. Damit meinen wir eine Tätigkeit, die in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Zielsetzung durch die Kolonisation vorbestimmt ist oder sich mit den materiellen und geistigen Folgen der Kolonisation beschäftigt. Sie ist aufgesplittert in viel Wissenschaftsfächer, nämlich die Philosophie, die Geschichtswissenschaft, die Literaturwissenschaft, die Kunstwissenschaft, die Soziologie, die Linguistik und die Anthropologie oder Ethnologie.

Schon die Aufsplitterung zeigt deutlich den Einfluß der europäischen Wissenschaftspraxis und die Diversität der Ansätze und der Fragestellungen. Daß die Ethnologie, die eine koloniale Wissenschaft ist, auch noch betrieben wird, zeugt von der Last der Geschichte. An der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Kultur können also die Widersprüche, die Zwänge und die Unzulänglichkeiten des akademischen Betriebes und der Forschungspraxis in Afrika exemplifiziert werden. Aber nicht dieses Geflecht von Abhängigkeiten, von Emanzipationsrhetorik und organisatorischen Defiziten wollen wir hier entwirren, sondern unter den verschiedenen Ansätzen einige wichtige Paradigmen identifizieren und die Bedingungen ihrer Möglichkeit aufzeigen.

Die Bedeutung der Kultur in der postkolonialen Auseinandersetzung zeigt sich deutlich in der Tatsache, daß das erste Treffen afrikanischer Intellektueller 1960 sich nicht etwa ökonomischen oder politischen Fragen widmete, sondern der Frage der Kultur. Auch wichtige Theoretiker der Befreiungsbewegung wie Frantz Fanon oder Amilcal Cabral betrachteten die Kultur als eine zentrale Frage. Dies rührt daher, daß die Kolonisation zwar als ein ausbeuterisches System betrachtet wurde, aber ihre verheerendsten Folgen vor allem im kulturellen Bereich gesehen wurden. Die Kolonisation wurde als eine Dekulturation und als glottophage, d.h. sprachenfresserisches Unternehmen, betrachtet.

Die ersten kulturwissenschaftlichen Untersuchungen standen daher unter dem Einfluß der Negritude Bewegung und zielten auf eine "défense et illustration de la culture africaine". Dabei ging es um dreierlei:

Gleichzeitig wurde im Zuge der Entwicklungswissenschaften, d.h. jener wissenschaftlichen Bemühungen, die sich der Frage der Modernisierung Afrikas widmete und dabei Wege und Mittel der Nachholung des wirtschaftlichen und technischen Rückstandes des Kontinents gegenüber Europa suchten, vielmehr nach den Verhaltensmustern und Einstellungen, die die Entwicklung hemmten, gesucht und Strategien ihrer Überwindung erarbeitet. Hier wurde die Kultur nicht mehr als ein zu erhaltendes Gut betrachtet, sondern als ein Problem.

Alle diese Untersuchungen haben eines gemeinsam. Sie gehen von einer essentialistischen Vorstellung der Kultur aus. Sie betrachten also die Kultur als eine im Wesen des Menschen festgeschriebene naturwüchsige Wirklichkeit und daher als unwandelbar. Auch wenn eine Wandlung für möglich gehalten wird, wird sie als eine totale Wandlung des Wesens des Menschen betrachtet und je nach Vorstellung verteufelt oder gefordert. Hier herrscht ein Relativitätsprinzip, das das Prinzip der Verschiedenheit als Prinzip der Antinomie auffaßt.

Neben diesen Ansätzen zeichnen sich neue Fragestellungen ab, die nicht auf die Festschreibungen von Identitäten oder auf die Rekonstruktionen von authentischen ahistorischen Denksystemen abzielen, sondern auf die Suche nach neuen Kategorien, um das zu bescheiben, was Achile Bembe événement postcolonial nennt oder das was heute in Amerika postcoloniality genannt wird. Diese postcoloniality ist gekennzeichnet durch ein im Entstehen begriffenes neues Wissen, durch neue Erzählungen, durch die Erfindung von neuen Gedächtnissen und die Konstruktionen von neuen Diskursen, die mit alten Disjunktiven und substantialistischen Kategorien nicht mehr erfaßt werden können. Natürlich ist dies ein schwieriges Unterfangen, des durch den Aufbruch von mörderischen ethnizistischen Kriegen, die größtenteil durch solche Konstruktionen bedingt sind, nicht leichter gemacht wird, wohl aber noch dringender geworden sind.

Der internationale wissenschaftliche Diskurs um die postcoloniality hat wichtige Kategorien entwickelt wie Hybridität, Synkretismus, die noch in den afrikanischen Kulturwissenschaften zu überprüfen und fruchtbar zu machen sind. Dabei ist es wichtig, sich mit Michael Bachtin zu befassen, der unseres Erachtens der wichtigste Denker bleibt, der Phänomene des Umbruchs, des Übergangs, der Interkulturalität und der dadurch entstandenen Veränderungen in der Apperzeption, des Fühlens, des Denkens und des Schreibens darüber beschreibt.



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Sektion VII: "Interkultureller" Austausch, transkulturelle Prozesse und Kulturwissenschaften

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"Intercultural" Exchange, Transcultural Processes and Cultural Studies

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Echange interculturel, processus transculturel et études culturelles

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