Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion IX: International Scientific Community, Internet, Kommunikationsprozesse und Erkenntnisinteressen

Section IX:
International Scientific Community, Internet, Communication Processes and Cognitive Interests

Section IX:
Communauté scientifique internationale, internet, processus de communication et intérêts cognitifs


Andrea Rosenauer (Wien) [BIO]

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KulturwissenschafterInnen als WissensmanagerInnen

Information Management ist ein Ausdruck, der in unserer "Informationsgesellschaft" spätestens seit dem "Sputnik shock" in nahezu aller Munde ist. Er steht für jene Teile des (wissenschaftlichen) Kommunikationsprozesses, die Information strukturieren, verwalten und als Grundlage für wissenschaftliche Forschungen, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entscheidungen (in vielen Fällen mit Hilfe relationaler Datenbanken) aufbereiten und nutzbar machen. Bei einer stark vereinfachten Definition von Information als "Daten im Kontext"(1) tritt klar zutage, daß Informationsmanagement sich zwar zu einem hohen Teil auf technologische Errungenschaften (rechnergestützte Datenverarbeitung, elektronische Datenbanken, computergestützte Textaufbereitung und Weitergabe von Informationen über digitale Kanäle) stützt, ohne menschliche Leistung aber nicht möglich ist. Um es in den Worten von Norbert Gabriel auszudrücken:

Computer sind unschlagbar im Rechnen, Speichern und Suchen - hier können Menschen nicht mehr konkurrieren. Die Menschen sind aber immer noch unersetzbar im Bewerten, in der Gestalterkennung und im Kontextbewußtsein.(2)

Während Forschungsprojekte, die sich mit Information in verschiedenster Hinsicht befassen, heute noch hohe Chancen für Förderungen besitzen(3), was als Anerkennung der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Bedeutung gewertet werden kann, während die soziale und wirtschaftliche Bedeutung des Zugangs zu Informatonen gerade erst erkannt, gleiche Bedingungen für alle potentiellen TeilnehmerInnen am Informationsprozeß noch lange nicht geschaffen worden sind, (4) schiebt sich ein neuer Begriff in wissenschaftliche, unternehmerische, berufsständische und massenmediale Diskurse: Knowledge Management.(5)

 

Was ist Wissensmanagement?

Ob Knowledge Management mehr als ein Schlagwort ist, das unter anderem Berufsgruppen, die im Bereich der Informationsvermittlung tätig sind, zu neuem Selbstverständnis und Ansehen verhilft (der information professional wird zum knowledge worker, der information engineer zum knowledge engineer, usf.), bleibt abzuwarten. Ein nahezu synonymer Gebrauch des Worte Information und Wissen in berufsständischen und massenmedialen Diskussionen(6), aber auch in wissenschaftlicher Literatur ist auffällig, mag aber in der Teil-Ganzes-Beziehung der Begriffe begründet sein. Dennoch erscheint es interessant, sich über den neuen Ausdruck und die Potentiale und Möglichkeiten, die er - gerade für kulturwissenschaftlich Forschende und Lehrende - in sich birgt, Gedanken zu machen.

Wird Wissen beispielsweise als "der Inbegriff von (in erster Linie rationalen, übergreifenden) Kenntnissen (...)"(7) verstanden, könnte Wissensmanagement (analog zur Obigen Definition von Informationsmanagement) als Begriff für alle Teile des Kommunikationsprozesses, die diese Kenntnisse strukturieren, verwalten und als Grundlage für wissenschaftliche Forschungen, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entscheidungen aufbereiten und nutzbar machen, aufgefaßt werden.

Die Definition, die von knowledge workers, die üblicherweise in Industriebetrieben tätig sind, für ihre Arbeit verwendet wird, lautet ein wenig anders: So wird im Magazin "Knowledge-at-Work" Wissensmanagement definiert als:

a business activity with two primary aspects:

Gerade durch diese Unterschiedlichkeit der Definitionen - insbesondere was die Einschränkung auf Aktivitäten für eine Organisation (die Arbeitgeberin) betrifft, zeigt sich deutlich, daß sich KulturwissenschafterInnen in die Diskussion einmischen müssen, wollen sie nicht, ebenso wie im Bereich des Informationsmanagement und damit der Versorgung mit Informationen, als Randfiguren tatenlos zusehen, wie eine mit Sicherheit gesellschaftsverändernde Wissensmanagementstruktur und -kultur aufgebaut wird, die nur auf industrielle und wirtschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten ist.

 

Internetbasierte Wissensorganisation am Beispiel der Kommunikationsstruktur des INST

Die technologischen und strukturellen Grundlagen für Wissensmanagement werden durch hypertextbasierte Systeme wie das World Wide Web geboten. "Hypertext ist ein Netzwerk von Knoten, die Information beinhalten oder repräsentieren", formuliert Norbert Gabriel.(9) Hypertexte gehen aber über das Anbieten von reinen Informationen hinaus: Sie dienen als Netzwerke aus Dokumenten dem Arrangement und der Organisation von Wissen, machen es durch diese Vernetzung verfügbar. Ziel ist - wieder in den Worten Gabriels: "Wissensvermehrung durch neue Wissensorganisation (Erkennen anderer Zusammenhänge und neuer Perspektiven)".(10)

Da diese Hypertexte via Internet verfügbar gemacht werden können, sind sie auch als transnationale und transdisziplinäre Wissenschaftskommunikationssysteme einsetzbar. Das INST hat als literatur- und kulturwissenschaftliche Institution(11) diese Möglichkeiten, die das (noch nicht tatsächlich) "weltumspannende" Netzwerk aus Netzwerken bietet, schon vor einiger Zeit erkannt und bedient sich heute einer Kommunikatonsstruktur, die nicht nur die rasche Verständigung über Entscheidungen ermöglicht, sondern auch ein interaktives Wissensnetzwerk darstellt. Beispiele sind neben der über 100 Beiträge umfassenden Zeitschrift TRANS, die seit 1997 kostenfrei via WWW zugänglich ist,(12) die Ausstellung "Kulturwissenschaften und Europa"(13) und die Online-Forschungskooperation "Internationale Kulturwissenschaften - International Cultural Studies - Etudes Culturelles Internationales"(14). Durch eine Webseite, die die PartnerInnen des INST(15) auflistet und Hyperlinks zu deren Informationsangebot im WWW enthält, wird dieser Wissens- und Informationspool nicht nur nach außen, zu weiteren Netzwerken kulturwissenschaftlicher Information hin, geöffnet, die Seite erleichtert auch die Kontakte der INST-PartnerInnen untereinander und dient der Zugänglichmachung von deren Projekten, Forschungsergebnissen und Informationsangebot. Die Orientierung in diesem Netzwerk aus WWW-Seiten wird durch durch eine Suchmaschine (kontextinsensitiv) und ein Navigationssystem (kontextbezogen) ermöglicht.

 

Transdisziplinarität und Wissensmanagement

Das INST hat ebenso wie eine Reihe weiterer Organisationen auch erkannt, daß eine technologische "Kommunikationsrevolution" allein nicht zu einer Verbesserung der Verständigung wissenschaftlicher Disziplinen und zur Kommunikation von Erkenntnissen an eine breite Öffentlichkeit dienen kann. So wurden nicht nur die Anwendungen neuer Technologien in Seminaren, sondern auch die transdisziplinäre Arbeit und der Dialog zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen WissenschafterInnen und InformationsanbieterInnen, wie BibliothekarInnen, Internet-Providern und Informatikfachleuten - nicht zuletzt im Rahmen von Konferenzen und von "TRANS" gefördert.

Richard Münch führt in seinem Werk "Dynamik der Kommunikationsgesellschaft" sehr anschaulich aus, welche Potentiale transdisziplinäre Lehre und Forschung für die praxisbezogene Verknüpfung (und damit auch das Management) von SpezialistInnenwissen darstellen. Er hält fest,

daß Fachspezialisierung im praktischen Handeln immer blinder für dessen Erfolgsvoraussetzungen sowie für dessen Folgen und Nebenfolgen wird. Es wächst die Gefahr, daß trotz hochspezialisiertem Fachwissen permanent Mißerfolge und unerwünschte Folgen und Nebenfolgen eintreten.(16)

Als Weg zur Überwindung der Wissenszersplitterung sieht er transdisziplinäre Studiengänge an, die die kommunikative Kompetenz zur Wissensvermittlung und Moderation vermitteln und an die Stelle jenes im Kopf gespeicherten Fachwissens treten, das ebenso per Computer abgerufen werden kann. An die Stelle (bzw. an die Seite) der FachspezialistInnen treten flexible UniversalistInnen.

Wer die Fähigkeiten zum Verstehen verschiedener Fachsprachen, zur Vernetzung von spezialisierten Wissensbereichen, zum Kommunizieren und Moderieren erworben hat, kann nach kurzfristiger Einarbeitung neue Tätigkeiten ausüben, deren Kern nicht in einem Fachwissen, sondern im Verstehen, Vernetzen, Kommunizieren und Moderieren zwischen den verschiedenen Fachwelten besteht.(17)

Gerade den Kulturwissenschaften wird bei der Ausbildung derartiger UniversalistInnen, die unter anderem als WissensmanagerInnen tätig sein werden, eine nicht zu unterschätzende Rolle zukommen. Auch von Seite der knowledge workers wird Wissensmanagement als "a cross-disciplinary domain" beschrieben, von künstlicher Intelligenz über Bibliotheks- und Informationswissenschaft bis hin zu semantischen Netzwerken reicht jene Liste, die nach Ansicht der AutorInnen Barclay und Murray nur einen Teil jener Disziplinen enthält, die Wissen für den Aufbau von Wissensmanagementsystemen liefern.(18)

 

Wissensmanagement aus kulturwissenschaftlicher Sicht

Begleitende Forschung und Metadiskurse von kulturwissenschaftlicher Seite können dafür sorgen, daß das Wissensmanagement der Zukunft mehr liefert als Information für zahlende KonsumentInnenin ansprechendem Design(19). Eine Liste von Desideraten, die mit Sicherheit noch vervollständigt werden kann, wäre in die Diskussion um Wissensmanagementsysteme einzubringen, die mehr liefern sollen als nur "value added information".

Vom Engagement der KulturwissenschafterInnen wird letztlich nicht nur abhängig sein, wem Zugänge zum Wissen offenstehen und in welcher Weise dieses vernetzt ist. Gerade Inhalt, Form und Qualität des aufbereiteten und zur Verfügung gestellten Wissens werden als Grundlage für Entscheidungen dienen, von denen die Zukunft der Kulturwissenschaften selbst, aber auch jene der Welt, in der wir leben, abhängig ist.

 

ANMERKUNGEN

1 Vgl. Norbert Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im Digitalen Zeitalter. Darmstadt: Primus, 1997. S.5. Zur Problematik der unterschiedlichen Definitionen von Information vgl. beispielsweise Gerhard Budin: Wissensorganisation und Terminologie. Die Komplexität und Dynamik wissenschaftlicher Informations- und Kommunikationsprozesse. Tübingen: Narr, 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung, Bd.28). S.12ff und 56ff oder Andrea Rosenauer: EDV-gestützte Literaturrecherche für GermanistInnen. Möglichkeiten und Perspektiven der Suche nach Information für den literaturwissenschaftlichen Bereich in elektronischen Datenbanken. Wien: Univ.Dipl.Arb., 1997. S.1ff.
2 Gabriel. A.a.O., S.5. Vgl. auch: Steve G. Steinberg: Seek and Ye Shall Find (Maybe). In: Wired. Vol.4/1996/No.5. S. 108-114; 172-182. Hier: S. 173ff.
3 Vgl. z.B. The European Commission: Communiy Research. Fifth Framework Programme 1998-2000. WWW: http://www.cordis.lu/fp5/src/programmes.htm. Zugriff auf diese und alle weiteren zitierten WWW-Publikationen am 1999-04-30.
4 Vgl. Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. O.A.d.O.: World Commission on culture and Development, 1995. S. 103ff. Vgl. weiters: Internet: Nutzungsdaten. In: INST: Kulturwissenschaften und Europa. WWW: http://www.inst.at/ausstellung/kuwi_int/nutzung.htm.
5 In den USA wurde der Ausdruck 1991 erstmals durch Tom Stewarts Artikel "Brainpower" im Fortune Magazine in eine breitere Öffentlichkeit getragen. Vgl. dazu: Rebecca O. Barclay und Philip C. Murray: What is knowledge management? In: Knowledge-at-Work. WWW: http://www.knowledge-at-work.com/whatis.htm. Vgl. auch: Referate, Diskussionen und Medienberichterstattung im Rahmen von: Information Strategies for the 21st Century. A Workshop Seminar. Organized by FID/ROE, ÖGDI, ÖUK and DU Krems, 1-2 March 1999, Danube University Krems, Austria.
6 Vgl. Rebecca O. Barclay und Philip C. Murray: What is knowledge management? In: Knowledge-at-Work. WWW: http://www.knowledge-at-work.com/whatis.htm.
7 Dtv-Lexikon in 20 Bänden. Band 20: Wel-Zz.Mannheim: Borckhaus und München: dtv, 1992. S.120. Es wurde für den vorliegenden Beitrag bewußt nach einer möglichst simplen Definition gesucht. Zu Überlegungenund Definitionen im Zusammenhang mit Wissenschaftstheorie vgl. z.B.: Budin: Wissensorganisation und Terminologie. A.a.O., S. 11f oder Wolfgang Balzer: Die Wissenschaft und ihre Methoden. Grundsätze der Wissenschaftstheorie. Freiburg; München: Verlag Karl Alber, 1997. S. 30ff.
8 Barclay/Murray: What is knowledge management? A.a.O.
9 Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien. A.a.O., S. 56f. Vgl. weiters: Ursula Maier-Rabler: Strukturwandel der Wissensproduktion. Das Ende der Wissensmonopole? WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/maier.htm (insbes.: http://www.inst.at/trans/6Nr/maier.htm#3. Das Ende der Linearität)
10 Ebd., S. 83.
11 INST: Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse. WWW: http://www.inst.at/
12 TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. WWW: http://www.inst.at/trans/
13 INST: Kulturwissenschaften und Europa oder die Realität der Virtualität. WWW: http://www.inst.at/ausstellung/
14 INST: Internationale Kulturwissenschaften - International Cultural Studies - Etudes Culturelles Internationales. WWW: http://www.inst.at/studies/
15 INST: PartnerInnen. WWW: http://www.inst.at/partner.htm.
16 Richard Münch: Dynamik der Kommunikationsgesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1995. S.148.
17 Ebd., S. 151.
18 Vgl. Barclay/Murray: What is knowledge management? A.a.O. Vgl. weiters den Bericht der Sektionen III und VIII der Konferenz "Kulturwissenschaften, Datenbanken und Europa" (1998), WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/sektionen.htm#III, der u.a. auf die mögliche Rolle von KulturwissenschafterInnen bei der Verständigung von Bibliothek und Technik hinweist.
19 Zu darüber hinausgehenden Potentialen und Realisierungen durch transdisziplinäre Zusammenarbeit vgl. Ernest W.B. Hess-Lüttich: Wissenschaftskommunikation und Textdesign. In: TRANS. Nr.6/1998. WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/hess.htm. (insbes.: 4. Multimediale Wissenschaftskommunikation)
20 Vgl. dazu auch die Resolution der INST-Konferenz "Europäische Literatur- und Sprachwissenschaften (Innsbruck, 1997). WWW: http://www.inst.at/dokumente/ibk_res.htm.

 



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