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Internationale
Kulturwissenschaften International Cultural Studies Etudes culturelles internationales |
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Sektion X: | Mehrsprachigkeit: Regionen, "Nationen", Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität | |
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Multilingualism: Regions, "Nations", Multiculturalism, Interculturalism and Transculturalism | |
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Plurilinguisme: régions, "nations", multiculturalité, interculturalité, transculturalité |
Gertrude Durusoy (Izmir) [BIO] |
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Die Geschichte zeigt, daß der europäische Kontinent immer ein vielsprachiger gewesen ist - und zwar trotz vorläufiger Hegemonien wie derjenigen der lateinischen Sprache - , daß aber die Kulturen trotz einer gemeinsamen antiken und zum grössten Teil auch christlichen Basis eine eigene Entfaltung aufweisen (man denke an den Französisch sprechenden Teil Belgiens, der Schweiz und Frankeich selbst oder noch an die Kulturprozesse in Österreich, in der alemannischen Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland).In diesem Kontext wird die Rolle der Kulturwissenschaften für die Behebung von Konflikten kultureller und sprachlicher Herkunft immer grösser, weil das Bewußtsein der Alterität in unserer Zeit dasjenige der Nationalismen des 19.Jahrhunderts abgelöst hat. Das Identitätsbewußtsein bezieht sich auf die kulturelle und nicht nur auf die sprachliche und immer weniger auf die nationale Zugehörigkeit Die Vielfalt der Sprachen gehört auch zum Bestandteil Europas im neuen Millenium; die Europäische Union hat seit ihren Anfängen jeweils die Sprache des neuen Mitgliedstaates angenommen und als Arbeitssprache eingegliedert, so daß Niederländisch und Deutsch neben Französisch und Italienisch lange vor Englisch zu den offiziellen Sprachen der damaligen EWG gehörten. Diese Vielfalt ist auch ein Abbild der Vielfalt der Kulturen, die auf ökonomischer und allmählich politischer Ebene zusammen leben und handeln müssen.
In den letzten Jahren legen sowohl die Europäische Kommission wie der Europarat einen immer grösseren Wert auf das Erlernen von Fremdsprachen; derzeit sind drei Sprachen empfohlen. Die Mobilität der Europäer bedarf auch der Verständigung ; d.h. daß nicht nur Sprachkenntnisse genügen, sondern daß der kulturelle Background einer Menschengruppe mit der Sprache gleichzeitig vermittelt werden soll, sonst entstehen mehr oder weniger grosse Konflikte durch Mißverständnis (sogar innerhalb einer und derselben Sprache wie Deutsch sind gewisse Begriffe der ex-DDR in der BRD zwar vorhanden aber mit einem anderen semantischen Gehalt beladen). Wie vielmehr kann das bei der Uebertragung von Metaphern aus und in eine Fremdsprache geschehen! Die Gefahr für die europäische Gesellschaft der Zukunft besteht darin, dass ein multikulturelles Nebeneinander entsteht, dass kein intrakultureller Kontakt zustande kommt, besonders in Ländern mit vielen ausländischen Zuwanderern. Die dominante Kultur sorgt nicht selbstverständlich für Kulturaustausch; ihre Monokulturalität als Verhalten führt zu Frustrierungen bei dem Fremden, der sich, weil er sich in seinem kulturellen Anderssein nicht akzeptiert fühlt, allmählich distanziert oder sogar abkapselt. Deshalb existieren in vielen Städten Frankreichs, Deutschlands oder Englands Viertel, wo keine Einheimischen mehr wohnen. Dieser Zustand der Fremden, die sich isolieren, kann ohne weiteres in soziale Unruhen umschlagen. Sogar der Alltag wird durch den Kulturkontakt geformt, aber ob er durch ihn durchdrungen wird, bleibt meines Erachtens immer noch fraglich.
Der Reichtum der Vielsprachigkeit ist unbedingt zu fördern, denn mit ihm ist die schon oben erwähnte Vermittlung von Kulturemen verbunden und nur die Kenntnis der Kultureme ermöglicht sowohl den Kulturaustausch, wie auch ein harmonischeres Zusammenleben innerhalb Europas. Das bedeutet, daß der Sprachunterricht nicht mehr im herkömmlichen Sinne durchgeführt werden soll, daß neue Lehrbücher entworfen werden, daß die Wissenschaftler interdisziplinär arbeiten, und die interkulturelle Kommunikation immer reger wird. Obwohl die Informatik nicht als magisches Rezept betrachtet werden darf, leistet sie auf diesem Gebiet einen unermeßlichen Beitrag.
Obwohl jede Sprache durch ihre Regeln und ihre Struktur als fixiert erscheint, ist sie in ihrem Wesen sehr wandlungsfähig und lebendig: gewisse Ausdrücke sterben aus, andere werden integriert, semantische Veränderungen finden statt, Lehnwörter leben sich ein, Fremdwörter suchen ihren Weg uzw. Das bedeutet für den Lehrenden eine ständige Infragestellung seiner eigenen Kenntnisse, und für den Lernenden bedeutet es, eine günstige Form zu finden, um die Fremdsprache in ihrer eigenen Umgebung, von "native speakers" zu erleben. Die Auslandsaufenthalte, wie man sie nannte, sind ideal zur Konfrontierung nicht nur mit der Sprache, sondern mit der Kultur einer Region. Diesbezüglich sind die Programme der EU und die Projekte des Europarates eine nicht nur begrüßenswerte sondern auch eine auf die Dauer fruchtbare Initiative. Die Globalisierung scheint eine Uniformisierung mit sich zu bringen; dagegen sichern die Projekte , die sich für die Diversität einsetzen, die Fundamente für ein friedliches Zusammenleben, denn der nach dem Zweiten Weltkrieg angestrebte Wohlstand ist durch eine grössere Einräumung von Freizeitgestaltung ersetzt worden, die sich wiederum mit kulturellen Formen auseinandersetzt, auch wenn es sich um weit verbreitete Erscheinungen der Popculture handelt.
Die kulturelle Identität einer Region kann durch den Einsatz ihrer Sprache auch weltweite Auswirkungen haben; so zeugte die Verwendung von Kataluniens Sprache bei den Olympischen Spielen von Barcelona neben anderen Weltsprachen von der spezifischen Einstellung, von dem kulturellen Ambiente des Gebietes. Das Interesse für das Studium des Katalanischen ist dabei gestiegen.
Andererseits bestehen kulturelle Elemente einer Gruppe trotz des Verlustes der ursprünglichen Muttersprache. Dies ist der Fall der Polen, die zwischen den beiden Weltkriegen nach Frankreich zogen, um in den Kohlengebieten zu arbeiten.Obwohl sie noch polnische Familiennamen trägt, spricht die jetzige vierte und fünfte Generation kein Polnisch, weil sie diese Sprache nicht mehr beherrscht. Kulturwissenschaftlich gesehen ist dies ein interessantes Forschungsfeld, denn die Sprache, die als Hauptstütze einer Kultur betrachtet wird, ist verschwunden, und zwar ist sie nicht durch eine andere slawische Sprache sondern durch Französisch ersetzt worden. Man muss andere Disziplinen wie Verhaltenspsychologie oder Soziologie, oder noch Linguistik heranziehen, um dieses Phänomenon zu erklären. Die Lokalisierung der Identität des Einzelnen ist hier ausschlaggebend; ist Polnisch in Nordfrankreich verschwunden, weil es in den Schulen nicht unterrichtet wurde oder ist es ausgestorben, weil die polnische Bevölkerung dieser Region sich unbedingt anpassen wollte und dadurch assimilert wurde? Man könnte die Studie durch einen Vergleich mit der Situation der slowenischen Sprache in Österreich oder in Istrien in derselben Zeitspanne erweitern.
Innerhalb der Kulturwissenschaften müßte in Zukunft vielmehr in Richtung Imagologie geforscht werden. Das Bild des Anderen muß richtig erfasst werden, damit dem Anderen nicht Unrecht geschieht. Die falschen Vorstellungen der Nachbarländer oder der kulturell Fremden in einer Gesellschaft führen nicht zum Frieden. Die Erforschung und Definition der Keime der Stereotypen und Vorurteile sind für Europäer eine conditio sine qua non auf dem Weg zu einer erweiterten Union. Wenn Martin Luther im 16.Jahrhundert die Türken als ein Volk ansieht, das von Gott gesendet wird, um die Christenheit dafür zu bestrafen, daß sie nicht religiös genug sei und dies durch seine Schriften verbreitet, so erkennt man imagologisch die Wurzeln einer vorurteilsvollen Haltung, die heute noch in Laendern spürbar ist, wo der Protestantismus existiert hat. Dadurch aber, daß François Ier im selben Jahrhundert ein Bündnis mit dem Sultan Soliman dem Großen geschlossen hatte, fühlte er sich bei der Begrüssung des türkischen Heeres in Marseille stark wie ein Türke, was als Redewendung im Französischen heute noch weiterlebt. Es handelt sich um Bilder, sprachliche Bilder, die aus einem verschiedenen Kontext über dasselbe Volk andere Konnotationen verbreiten.
Wie schon oben angedeutet, ermöglicht auch hier die Vielsprachigkeit eine grössere Flexibilität im Denken, eine Erkenntnis der Differenz, die nicht zur Xenophobie führen wird. Die Überbrückung der Kulturgrenzen ist hauptsächlich durch die Vielsprachigkeit möglich, weil diese Polyglotten viel toleranter sind, dadurch daß sie von innen mehrere Kulturen erlebt haben. Seit Jahrhunderten besteht ein Interesse in allen Ländern für die fremden Kulturen (man denke an das römische De Germania z.B.); Reiseberichte aus jeder Epoche und aus allen Ländern sind vorhanden, ob sie nur das Fremde beschreiben oder es im Vergleich zum Eigenen deuten. Diese Dokumente der Vergangenheit sind Ansätze für eine neue Forschung innerhalb der Kulturwissenschaften, denn auch sie können eine wertvolle Brücke zur Zukunft werden.
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