Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Februar 2006 | |
7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz |
Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) [BIO] / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin) [BIO]
Das Thema "Innovation" besetzt mit einer beeindruckenden Vehemenz öffentliche, politische und wissenschaftliche Diskursarenen. Reformvorhaben können ebenso wenig auf das begehrte Attribut verzichten, wie ein zeitgemäßes Produktmarketing oder die schon inflationären Preise für Gründer, einfallsreiche Unternehmer sowie Erfindungskooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Nicht zuletzt macht die Wirtschaftspolitik Innovation zum Kernthema gesellschaftlicher Steuerung.
Aber die Begeisterung für Innovation kann einige mittlerweile etablierte Verkürzungen nicht verdecken. Innovationen sind technischer Natur, sie sind gut und hilfreich. Innovationen werden als technische Neuerungen gefasst, womit Merkmale wie Notwendigkeit, Verbesserung sowie wirtschaftliche Wohlstandsmehrung und damit gesellschaftlicher Fortschritt assoziiert werden.
Ins Auge fallen semantische und strukturelle Asymmetrien. Diese zeigen sich u. a. daran, dass ohne größeren Argumentationsaufwand einige Innovationen bevorzugt, andere dagegen benachteiligt oder überhaupt nicht berücksichtigt werden. Ohne Prüfung wird das Neue dem Alten vorgezogen. Innovationen behandeln ohne Begründung Bestehendes als Rückständiges und als zu Überwindendes. Wenn Fortschrittlichkeit sich mittlerweile nur noch technisch zu legitimieren vermag, verwundert es also nicht, wenn technische Neuerungen zum (fast) alleinigen Hoffnungsträger gesellschaftlicher Entwicklung stilisiert werden. Von erfolgreich durchgesetzten Innovationen erwartet man wirtschaftliche und gesellschaftliche Prosperität.
Die von Jens Aderhold und René John geleitete Sektion "Dominierende Innovationsdiskurse" hatte sich zum Ziel gesetzt, dominierende Innovationsverständnisse sowie die mitgeführten Schwerpunktsetzungen konstruktiv zu würdigen sowie ihre gesellschaftlichen Folgen zu thematisieren. In den einführenden Bemerkungen formulierte René John die Erwartung, dass die anzustoßenden Überlegungen sich insbesondere folgenden Fragestellungen zuwenden sollten:
Der erste Vortrag "Denkweisen von Innovationen" von Kendra Briken (Universität Frankfurt/M.) nahm sich auf der Basis diskursanalytischer Überlegungen dem Problem der wissensbasierten Organisation von Innovation an. Festgehalten wurde, dass Innovation Produkt ihrer Gesellschaft ist, d.h. sie selbst zieht kulturelle, soziale, strukturelle Veränderungen nach sich. Ausgangspunkt war die These, dass der abstrakt geführte Diskurs über Innovation gegenstandbezogene Diskurse (z.B. Biotechnologie) überlagert.
Die zugrundegelegte Theorie der Reflexiven Modernisierung betont, dass Eindeutigkeiten verloren gehen. Ein Kontingenzbewusstsein entsteht. Dogmatische Fortschrittsvorstellungen lösen sich auf, politische Programme werden angeleitet von Skeptizismus, das Sowohl als Auch tritt an die Stelle des Entweder/Oder.
Besonders an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft wird die kontingenzbeladene Diskursivierung von Innovation deutlich. Beobachten lässt sich eine neue Wahrnehmung wissenschaftlichen Wissens (Beispiele: Klonschaf Dolly, Entschlüsselung des Human-Genoms; Buch des Lebens wurde endlich entschlüsselt). Die sich dynamisch entwickelnde Biotechnologie offeriert neben den zuweilen skeptisch begleiteten Erfindungen bahnbrechende medizinische Anwendungsmöglichkeiten, die es zu fördern gelte. Konstatieren lässt sich eine Multiplikation von Diskursarenen, das Wissen diffundiert zusehends. Es entstehen neue Sprecherpositionen, die sich in legitimierte und de-legitimierte unterscheiden lassen. Das bekannte Verwertungsinteresse wird von ethischen Perspektiven und von Selbsthilfeinteressen herausgefordert. Komplexe Beziehungen zwischen den Akteuren und den verschiedenen Diskursen entstehen. Begleitet wird dies durch einen institutionellen Wandel, der sich am Anstieg staatlicher Förderung für bioechnologische Anliegen (im Gegensatz zum allgemeinen Absinken der Förderung) ablesen lässt. Biotech-Gründer treten als neue player auf.
Die breite Akzeptanz, vor allem im medizinischen Anwendungsbereich, der sogenannten roten Gentechnik, ist nicht überall anzutreffen. Beispielsweise sind im Forschungskontext viele Konfliktfelder zu beobachten. Es gibt keine Lösungen, die als richtig validiert werden können. Die Chancen für eine Weiterentwicklung ist nicht nur von externen Vorgaben abhängig, sondern gerade von bisherigen Marktstrukturen und den jeweils ausgewiesenen Marktchancen. Es geht folglich nicht primär um die Frage, ob eine Entwicklung gut oder schlecht für die Gesellschaft ist. Zugleich ist zu beobachten, dass vorhandene Grenzen in Frage gestellt werden. Hierfür ist die Behauptung kennzeichnend, dass Forschung nur dann innovativ sein kann, wenn alle Möglichkeiten auch vollständig ausgeschöpft werden. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, die Rolle von Moral zu beleuchten. Wie es aussieht, hat Moral auf dem ersten Blick eine geringe Bedeutung. Wie sich aber herausarbeiten lässt, treffen wir auch hier auf eine ambivalent zu kennzeichnende Lage. Zunächst ist zu sehen, dass der Innovationsbegriff selbst moralisch aufgeladen ist. Innovation ist zu bevorzugen. Zugleich ist aber auch zu sehen, dass der Bezug auf Innovation moralavers, moralabweisend gebaut ist. Objektivierungsansinnen und Nutzenversprechen von anwendungsbezogener Forschung lassen moralische Einwendungen schlecht aussehen. Wie es scheint, ist Moral als Selbstvergewisserungsbegriff kaum noch brauchbar.
Was zeigen diese Darlegungen? Der Innovationsdiskurs verläuft auf mindestens zwei Ebenen, umfasst verschiedene Systeme und differenziert verschiedenste Sprecherpositionen und unterschiedliche Diskursarenen aus, die sich wechselseitig beeinflussen. Wichtig ist die Beobachtung, dass der Entweder-Oder-Diskurs, der den Bedarf an Innovationen betont als übergeordneter Diskurs den konkreten Sowohl-als-Auch-Diskurs überlagert. Vor allem auf der abstrakten Ebene ist zu erkennen, dass eine neue Leitsemantik entsteht, die andere Begriffe ersetzen könnte (z. B. Reform; Rationalität). Die Stärke des Innovationsbegriffs könnte darin bestehen, dass er unterschiedlichste Leistungsbegriffe in sich vereinigt. Auf der untergeordneten, konkreten Ebene zeigen sich aber die Schwachstellen des Begriffsgebrauchs. Hier wird es dann recht beliebig, was gemacht wird, solange nur Innovativität behauptet werden kann. Innovation wird zum universalen Attribut mit einer legitimatorischen Funktion, weil offen bleiben kann, was mit dem Attribut "innovativ" gemeint ist, man benötigt keine weitere Begründung. Unklar kann auch bleiben, für wen etwas innovativ ist und auch in welcher Hinsicht und vor allem, was hierdurch möglicherweise verloren geht. Deutlich wurde drüber hinausgehend, dass es im Fall von Innovation noch schwer fällt einen Gegen- oder Negativbegriff zu finden ähnlich wie bei Rationalität: Irrationalität oder bei Reform: Stillstand.
Der zweite Beitrag - "Technologie- und Innovationsförderung aus beschäftigungspolitischer Sicht" von Astrid Ziegler (WSI; Böckler-Stiftung) - thematisierte die national und regional für unabdingbar gesetzte Strukturpolitik, die aktuell als Innovationspolitik verstanden wird. Schnell wurde deutlich, dass noch immer die Frage unbeantwortet ist, wie Innovationsförderung i.S. von Technologieförderung überhaupt funktioniert und wie man diese Förderungsanstrengungen aus beschäftigungspolitischer Hinsicht bewerten kann. Gerade dieser letzte Punkt wurde als prekär gewertet, weil die Beschäftigtenperspektive nicht beachtet wird, aber ohne Beschäftigte Innovation kaum denkbar ist.
Die Notwendigkeit zur Innovationsförderung lässt sich schon anhand der Lage am deutschen Arbeitsmarkt (sehr hohe Arbeitslosigkeit) und am Innovationsdefizit der Unternehmen ablesen (zu geringe Innovationstätigkeit). Zu konstatieren ist ein struktureller Wachstumsrückstand zu anderen Ländern (u. a. USA). Zudem werden eher inkrementelle Pfade beschritten, man findet kaum radikale Innovationen. Der Rückstand bei Spitzentechnologien wächst, was vor allem mit der Schwerpunktbildung der deutschen Wirtschaft (u. a. Maschinenbau, Automobilbau) in Verbindung zu bringen ist. Die Aufgabe der Innovationsförderung, eine "effiziente Technologie- und Innovationspolitik" zu forcieren, wird folglich nur bedingt erfüllt. Auch sind widersprüchliche Wirkungen von Innovation aus beschäftigungspolitischer Sicht nicht zu übersehen.
Nötig wird es, den Instrumenteneinsatz der Innovationspolitik zu überdenken. Neue Säulen der Innovationsförderung werden konzipiert und vermehrt programmatisch umgesetzt (z. B. Förderung von Kompetenz- und Technologiefeldern; Netzwerke/Kooperationen; Wettbewerbselemente; Neue Wege der Finanzierung; Privatisierung staatliche Innovationsaktivitäten). Der Trend bewegt sich klar weg von Einzelförderungen hin zur Verbundförderung, wobei die Folgen für Innovation und Beschäftigung noch nicht abgeschätzt werden können.
Über diese neuen Versuche hinweg, die Innovationspolitik konzeptionell effektiver und effizienter auszugestalten, sind einige Defizite nicht zu übersehen. Innovation ist nämlich mehr als High-tech. So dürfen die Stärken der jeweiligen Standorte nicht vernachlässigt werden. Wichtig wird es, die komplette Innovationskette in den Blick zu nehmen. Die Abstimmung zwischen den Bundesländern ist nur bedingt konstruktiv, denn alle stehen im Konkurrenzkampf um die besten Standorte, aber ohne die notwendigen Ausgangsbedingungen zu beachten. Hinzu kommt die Intransparenz der Akteursstrukturen, aber auch die wachsende Bedeutung von wenigen Akteuren, wie von Wissenschaftlern, Unternehmen und politischen Instanzen. Auf zwei Probleme wies Astrid Ziegler nochmals hin: Ein reduziertes techniklastiges Innovationsverständnis dominiert. Die Perspektive der Beschäftigten spielt (bisher) keine Rolle in der Innovationspolitik.
Der nachfolgende Vortrag von Ralf Wetzel & Tino Vordank "Grenzen der Nachhaltigkeit" leitet seine Ausführungen mit der Formel "Nichts ist schlimmer als gut gemeint?" ein. Wie sich noch zeigen wird, eine semantische Implikation, die sowohl den Nachhaltigkeitsdiskurs als auch den Innovationsdiskurs zu charakterisieren in der Lage ist. Der provokant akzentuierte Beitrag nimmt zunächst die blinden Flecken der Innovationsforschung ins Visier. Die gesellschaftliche Voreinstellung ist deutlich in Richtung "Pro Innovation" gerichtet. Eine Nebenfolgendiskussion findet nicht statt. Auch der Ungleichheitsaspekt wird nicht bedacht. Folglich bleibt das Problem des Zugangs, also die Frage, wer überhaupt Chancen bekommt, teilzuhaben unreflektiert. D. h. offen bleibt, welche sozialen Ausschlussmodi mit welchen Folgen in Geltung gesetzt werden.
Beispielsweise ist im Rahmen von Regionalentwicklungsbemühungen ein Trend zu erkennen, der Innovationszentren gegenüber peripheren Lagen deutlich bevorzugt. Die Lokalisierung von Kompetenzen steht im Mittelpunkt, andere Regionen bleiben außen vor. Es geht nicht mehr um den Ausgleich regionaler Unterschiede, sondern die Produktion von ungleichen Möglichkeiten wird forciert. Auch im Change Management sind ähnlich gelagerte Effekte festzustellen. Die Logik derartiger Prozesse sieht eigentlich eine Partizipationsorientierung vor, die jedoch durch die neue ressourcenbasierte Rationalisierung unterlaufen wird. Der Mitarbeiter wird auf seinen ressourcenzentrierten Kern reduziert. Irritierend wirken moralisch aufgeladene Managementvorstellungen, weil diese normative Erwartungen artikulieren, nebenher aber neue Ungleichheiten produzieren, die sich gegen Reflexion erfolgreich sperren. In einem ersten Zwischenfazit kommen Wetzel und Vordank zu dem Ergebnis, dass Innovation normativ positiviert wird, aber zugleich neue Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten mitproduziert werden, die systematisch ausgeblendet bleiben.
Ähnliche Divergenzen können im Diskurs über Nachhaltigkeit ausgemacht werden. Auch hier herrscht die Einstellung, Nachhaltigkeit sei ohne Alternative gut. Letztlich bleibt aber auch hier unklar, was gemeint ist: Nachhaltigkeit ist wie Innovation eine "Passpartout-Vokabel" (Vorholtz; Zeit). Deklariert wird der "Wert an sich", mit der Folge, dass derartig aufgeladene Begrifflichkeiten als Reflexionsblockade in verschiedene Diskurse eingeführt werden. Die Selbstblockaden im Nachhaltigkeitsdiskurs zeigen sich an zwei Aspekten: (a) an der implizit gesetzten Normativität bzw. den mitgeführten Moralvorstellungen und (b) an den eingeführten, aber nicht reflektierten Gerechtigkeitsbewertungen ohne Kriterium. Im Ergebnis kommen Wetzel & Vordank zu dem Schluss, dass es im Kontext von Nachhaltigkeit und Innovation darum geht, die Nebenfolgen zeitlich und räumlich zu begrenzen, damit diese auch beherrschbar sind. Einzurechnen ist, dass Innovation zugleich Ungleichheitsproduzent und Ungerechtigkeitsproduzent ist. Sie müsste sich folglich als derartiger Produzent ausweisen und mit Begründungen ausstatten. Dagegen steht, dass moralbasierte Diskurse Reflexionsarmut präferieren. Vor diesem Hintergrund ist eine Neubewertung von Innovation überfällig. Notwendig wird eine moral- und gleichheitsreflektierte Betrachtung von Innovation.
Auch im nachfolgenden Beitrag von Jana Rückert-John geht es um Nachhaltigkeit, und zwar um Nachhaltigkeit der Ernährung als Innovation. Ausgangspunkt ist hier die Überlegung, dass Innovationen hinsichtlich ihrer Qualität überschätzt werden, weil immer Basisinnovation gemeint sind. Sie werden aber in ihrer Quantität unterschätzt, denn sie tauchen weit häufiger auf als mit Basisinnovationen vermutet werden kann. Innovationen sind temporäre Unterscheidungen von Strukturänderungen. Sie kommen in allen sozialen Systemen vor, nicht nur in der Wirtschaft. Folglich kann man sich von der normativen Aufladung trennen, denn es geht zunächst um moralisch neutrale Strukturveränderungen. Die system- und evolutionstheoretisch unterlegten Ausführungen diskutieren Strukturveränderungen in Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung, hier am Beispiel eines Krankenhauses. Der Analyserahmen orientiert sich an den Analysefoki von Redundanz und Varietät. Unter dem Blick von Redundanz werden organisationale Strukturen, Entscheidungsprämissen, nämlich Programme, Personen und Kommunikationswege, analysiert, die sich in Stellen bündeln.
Rückert-John konnte zeigen, dass die in der empirischen Analyse beobachteten Entscheidungsprämissen für die Organisation jedoch nur insofern interessant sind als sie problematisch oder unsicher erscheinen. Sie werden dann als Abweichung von den Erwartungsstrukturen beobachtbar (Varietät). Zur Beschreibung hierzu nutzte sie die evolutionären Sequenzen von Variation, Selektion und Restabilisierung. Die Frage, die sie bei der Beobachtung von Selektion u. a. stellt, war die nach symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien, die die Annahme der Entscheidung als Entscheidungsprämisse ermöglichen (Geld, Werte, Normen). Im Zusammenhang mit der Sequenz der Restabilisierung wurden auch die hiermit verbundenen Folgeirritationen beispielhaft vorgestellt, die wiederum Folgeevolutionen in der Organisation auslösen. Zudem konnte gezeigt werden, inwiefern die neustrukturierte Organisation eine Irritation für andere Systeme darstellt und hiermit Co-Evolution auslöst.
In der Diskussion des Beitrages ging es schließlich um die Frage, ob Innovation mit evolutionärem Wandel als folgenreiche Strukturveränderung gleichgesetzt werden kann. Oder worin der Mehrgewinn des Begriffes in Unterscheidung zu dem von Wandel ausgemacht werden kann? Die Reduktion des Begriffsinhaltes auf folgenreiche Strukturveränderung und eine damit verbundene Auflösung oder Ersetzung des Innovationsbegriffs wurde angesichts seiner gesellschaftlichen Evidenz kontrovers diskutiert.
In seinen abschließenden Bemerkungen fasste René John die Befunde der vorausgegangenen Beiträge hinsichtlich ihrer Fragestellungen und ihres Gegenstandsbezuges zusammen. Deutlich wurde der dominierende Technikbezug und der dabei zum Tragen kommende moralrelevante Status der Innovationssemantik bei den ersten drei Beiträgen. Der sich hier aufspannende Widerspruch von ökonomisch oder wissenschaftlich rationaler Kommunikation und Wertekommunikation deutet auf ein spannendes Feld kommender sozialwissenschaftlicher Reflexionen zur Innovationsthematik an, denn mit Moral, werden die sachbezogenen Debatten in Entscheidungsprozessen der Produktion und Konsumtion sowie der politischen Legitimation zu sozialbezogenen Debatten umgebrochen und so scheinbar entrationalisiert. Dabei können sich die Innovations-Protagonisten auf den bevorzugten Wert der Neuheit stützen und diesen zusätzlich mit dem Attribut des Guten ausstatten. In den Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern sind erstere im Vorteil, ohne dass eigene Interessen und mögliche Folgen in den Blick kommen. Das ethische Aufladen von Innovationsdebatten und die hiermit einhergehenden gesellschaftlichen Folgen sind darum mit großer sozialwissenschaftlicher Aufmerksamkeit weiter zu verfolgen. Im Anschluss an solche Analysen ist aber zu fragen, welche Stellung die Soziologie hierzu einnehmen kann, in welcher Weise sie an der Reproduktion moralaffiner Innovationssemantik beteiligt ist und ob sich Kriterien entwickeln lassen, die jenseits des Moralschemas gut/schlecht funktionieren können. Die im letzten Beitrag aufgezeigte Möglichkeit, Innovation als empirisches Differential bei der Beobachtung organisationalen Wandels einzusetzen, könnte Hinweise für solche Kriterienentwürfe bieten.
Damit ließe sich auch ein Ausblick für die Relevanz der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie erkennen. Die Diskussion um den gesellschaftlichen Stellenwert dieser Wissenschaft, kann sie nur für sich positiv beantworten, indem sie Wege in die außerwissenschaftlichen Debatten findet. Das kann auch dadurch erreicht werden, wenn die gesellschaftlich relevanten Begriffe, die ja zum großen Teil der Soziologie enteignet wurden, von dieser wieder mit einer höheren Komplexität ausgestattet werden, wovon die Debatten insofern profitieren, als sie entgegen moralischer Schließungen für weitere Anschlüsse geöffnet werden, die eben auch die Temporalität scheinbar unverzichtbarer Begriffe wie Innovation aufzeigen. Nebenbei ließe sich dann auch die Bedeutung der Soziologie als Selbst-Reflexion der Gesellschaft unter Beweis stellen.
© Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin)
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