Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Mai 2010 | |
Sektion 1.13. | Die Bedeutung des Mittelalters für Europa Sektionsleiterin | Section Chair: Dina Salama (Universität Kairo) |
Sektionsbericht 1.13.
Die Bedeutung des Mittelalters für Europa
Dina Salama (Kairo, Ägypten) [BIO]
Email: dina_a_salama@yahoo.de
Diese Sektion hatte das Ziel, anhand verschiedener Ansätze erneut zu zeigen, dass das Mittelalter von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und Ausformung Europas ist.
Die Rolle und Bedeutung der Kulturkontakte und des Wissenstransfers zwischen den Arabern und den europäischen Ländern, wie sie Friedrich der Staufer als "Brückenbauer" verkörpert, die Vorstellung von einem mittelalterlichen "globalisierten" Europa und der weitreichende Einfluss arabischen Wissens auf Europa bildeten die Schwerpunkte der ersten drei Beiträge.
Dina Salama von der Universität Kairo stellte in ihrem Eröffnungsvortrag Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen; ein Sultan über Europa? Die Rezeption der Figur des Stauferkaisers in literarischen Werken drei moderne Romane vor, die die Figur des Stauferkaisers in den Mittelpunkt ihrer Handlungen stellen, mit dem Ziel Friedrichs Rolle als Brückenbauer zwischen arabischer und europäischer Kultur zu beleuchten und zu untersuchen, auf welche Art und Weise dies literarische Gestaltung findet. Sie kommt zum Ergebnis, dass gerade Friedrichs arabische Seite; sein unendlicher Wissensdurst, sein freundschaftlicher Umgang mit anderen Kulturen, seine Duldung freier Religionsausübung verschiedener Konfessionen, die eine friedliche Koexistenz, eine convivencia unterschiedlicher Kulturen ermöglichte, auch in den untersuchten Werken positiv hervorgehoben wird und als "aktuelles", "wünschenswertes" Thema einem breiten Leserkreis von Interesse sein kann.
Johannes Grabmayer von der Universität Klagenfurt zieht in seinem Referat War Europa im Mittelalter bereits globalisiert? die Schlussfolgerung, dass Europa im Mittelalter im Sinne von "Vernetzung" nicht als globalisiert gilt. Als "Nebenerscheinung" der großen, fortschrittlichen arabischen Welt der Epoche, seien jedoch Globalisierungsschübe erkennbar, die ihre Spuren auch auf Europa, "als dritte Welt" - neben der islamischen und der byzantinischen- hinterließen und somit den Eindruck einer Globalisierung Europas – auch im heutigen Sinne – vermitteln.
Samira Kortantamer aus Izmir hob in ihrem Beitrag Wissen im mittelalterlichen Orient und sein Einfluss auf Europa die Rolle des Orients bei der Vermittlung des durch arabische Wissenschaftler ins Lateinische und Arabische übersetzte, oft auch korrigierte antike Wissen nach Europa hervor, wo es schließlich durch Forschungen und Innovationen erweitert wurde, so dass der inzwischen stagnierte Orient von Europa mit den Produkten seines Wissens versorgt wird und sich somit der Kreis der Wissensübertragung schließt, der "zunächst vom Orient zum Okzident und später vom Abendland zum Morgenland verlief".
Die drei darauffolgenden Beiträge stellten das Nibelungenlied - seine Beziehung zu Europa, die europäische Verbreitung des Sigurdmythos bis nach Süditalien und die sekundäre Wagner-Rezeption für Jugendliche - in den Mittelpunkt ihrer Vorträge.
Hermann Reichert von der Universität Wien stellte fest, dass die im Nibelungenlied dargestellte räumlich-politische Struktur, die viele Völker Europas einbezieht, für ein kulturelles Konzept steht: die höfische Ritterkultur. Diese wertet das Individuum auf, das Freude im Leben sucht, zu der auch die Liebe zu einem selbst gewählten Partner gehört. Dieser Versuch ist jedoch zum Scheitern verurteilt und führt nicht nur das Individuum, sondern die ganze Gesellschaft in den Untergang.
Max Siller von der Universität Innsbruck versuchte zu zeigen, dass man über eine neue Bestimmung der Herkunft der mythischen Figur Sigurd/Siegfried (aus Sántoni, der antiken Hauptstadt Aquitaniens und einer der Hauptstädte des westgotischen Reichs der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts) zu einer Neubewertung nicht nur der Nibelungensage kommt, sondern auch so erst die ganze europäische Dimension des Sigurd-Mythos deutlich wird.Wolfgang Biesterfeld aus Kiel zeigte in seinem Referat, dass selbst ein so komplexes Werk wie Richard Wagners Opernzyklus "Der Ring des Nibelungen" Eingang in die Jugendliteratur finden kann, wenn es tendenziell und ästhetisch nach einem verantwortungsvollen Konzept bearbeitet wird.
In den zwei folgenden Beiträgen wurden Editionsprojekte mittelalterlicher Schriften vorgestellt.
Professor Dr. Thomas Bein von der RWTH Aachen erläuterte anhand eines Beispiels die Problematik, Lieder und Töne Walthers von der Vogelweide adäquat edieren zu können. Er machte auf die teilweise sehr bedeutenden Textvarianzen und auf Möglichkeiten aufmerksam, diese mit Blick auf textgenetische Prozesse zu interpretieren.
Christian Domenig von der Universität Klagenfurt stellte sein Editionsprojekt der Urkunden und Briefe der Grafen von Cilli (1341-1456) dar, das sich als Aufbereitung des Materials zur Geschichtswissenschaft für eine Druckausgabe, neben einer sukzessiven Online-Edition mit eingescannten Bildern Eingang in die Klagenfurter Urkundendatenbank findet und somit jedem Interessenten als PDF-Datei zugänglich wird. Die moderne Verknüpfung von Geschichte und Informatik manifestiert sich in einer hybriden Edition, deren Daten auf folgender Seite [www.uni-klu.ac.at/cilli] abrufbar sind.
Günter Zimmermann von der Universität Wien bot in seinem Vortrag musikalische Einlagen der Rockband "In Extremo" dar, die sich zwar selbst musikalisch als Heavy Metal versteht, sich aber mit der Codierung "Mittelalter" deutlich vom Umfeld abgrenzt. Ähnlich ruft Walther von der Vogelweide in seinem "Lindenlied" mit dem Verzicht auf eine agierende Ritterfigur den Code "Pastourelle" nur halb auf, erringt aber im Bild der Nachtigall eine kunstvolle Reflexion über das eigene Singen.
Zuletzt wies Zora Hesová von der LMU München auf die islamischen und christlichen Welten im Mittelalter hin, die trotz der Differenzen in einem "unified-space", eines einheitlichen ethischen Rahmens einen gemeinsamen Nenner finden, der wiederum eine gegenseitige Beeinflussung und Bereicherung zulässt. Im Kontrast zum Mittelalter fehle der heutigen, "modernen" westlichen Welt dieser ethische Rahmen. Dieser Verlust spräche - dialektisch gesehen - gegen diese angebliche "Modernität".
Besonders hervorheben möchte ich, dass diese Arbeitsgruppe neben dem gegenseitig anregenden und bereichernden wissenschaftlichen Gewinn eine harmonische und gemütliche Atmosphäre ausstrahlte, die auch die Möglichkeit zu neuen Freundschaften bot, wofür allen Vortragenden und Teilnehmern nochmals herzlicher Dank gebührt.
1.13. Die Bedeutung des Mittelalters für Europa
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-05-30