TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
September 2009

Sektion 2.5. Übersetzung und Kulturtransfer
SektionsleiterInnen | Section Chairs:
Aleya Khattab (Universität Kairo) und Ernest W. B. Hess-Lüttich (Universität Bern)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Deutsche Koranübersetzung als Mittel zum Kulturdialog?

Mahmoud Haggag (Al-Azhar-Universität in Kairo) [BIO]

Email: mmhaggag@hotmail.com

 

Im vorliegenden Beitrag geht es um die Frage, ob die Deutsche Koranübersetzung als Mittel zum Kulturdialog angesehen werden kann. Um diese Frage verständlicher zu machen, sei hier eine kurze Einführung in den historischen und übersetzungswissenschaftlichen Kontext der Koranübersetzung ins Deutsche erwähnt.

 

Diskurs der Koranübersetzung ins Deutsche

Die Übersetzung ist ein Akt des Kulturtransfers und ist daher nicht ausschließlich als Sprachtransfer aufzufassen. Diese Annahme ist in der neuen Übersetzungstheorie allgemein akzeptiert. Vermeer (1994) bezeichnet das Übersetzen als kulturellen Transfer(1) und beschreibt seine Theorie als „komplexes transkulturelles Handeln“:

„Eine Translation ist nicht die Transkodierung von Wörtern oder Sätzen aus einer Sprache in eine andere, sondern eine komplexe Handlung, in der jemand unter neuen funktionalen und kulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer neuen Situation über einen Text (Ausgangssachverhalt) berichtet, indem er ihn auch formal möglichst nachahmt“ (vgl. Vermeer 1994: 33).

Im Fall der Koranübersetzung war diese Annahme aber nicht selbstverständlich. Bis die Koranübersetzung als Mittel zum Kulturdialog angesehen wurde, musste sie zahlreiche Streitigkeiten und Kontroversen hinter sich bringen.

Was die deutsche Koranübersetzung betrifft, so war sie mit einem polemischen Kontext  verbunden. Denn die Koranübersetzung entstand im europäischen Raum in einem kontroversen Diskurs und hat sich für lange Zeit in diese Richtung entwickelt. Die erste lateinische Koranübersetzung wurde auf Initiative und Kosten des Abtes Petrus Venerabilis in Auftrag gegeben. Der englische Gelehrte Robert von Ketton hat sie 1143 aus polemischen Gründen abgeschlossen. Erst im Jahre 1543, also 400 Jahre später, wurde diese Koranübersetzung zum Druck vorgelegt.(2)

Auch im islamischen Raum löste die Frage der Koranübersetzung heftige Diskussionen aus. Denn die Wahrnehmung des Koran im islamischen Denken als direkte göttliche Offenbarung hat dazu geführt, dass in unterschiedlichen Epochen heftig diskutiert wurde, ob es aus muslimischer Sicht statthaft sei oder nicht, den Koran in andere Sprachen zu übersetzen(3). Die Frage also nach der Übersetzbarkeit bzw. Unübersetzbarkeit des Koran wird islam-, kultur- und übersetzungswissenschaftlich kontrovers diskutiert. Dies geht darauf zurück, dass die Koranübersetzung ihre eigenen Schwierigkeiten hat, die nicht nur sprachlich, sondern auch außersprachlich sind.

Methodik der Koranübersetzung ins Deutsche

Der Diskurs der Entstehungsgeschichte der Koranübersetzung im europäischen und islamischen Raum hatte eine Auswirkung auf die Methodik der Übersetzung, die mehr oder weniger als erstmals polemische und dann wörtliche Übersetzung bezeichnet werden kann. Die Gründe für diese Übersetzungsmethode waren bei den europäischen und islamischen Koranübersetzungen verschieden. In Europa ging man mit dem Koran als einem dokumentarischen, schwerverständlichen Text um. Im islamischen Raum behandelt man den Korantext als einen heiligen Text, dem man bei der Übersetzung so nahe wie möglich stehen muss. Beide Gründe haben dazu geführt, dass der Zieltext als schwer verständlich wahrgenommen wird.

Von einer Übersetzungstheorie wie im Falle der Bibelübersetzung von Luther(4) und bei Nida(5) kann man bei der Koranübersetzung nicht sprechen. Dafür war unter anderem der kontroverse Diskurs verantwortlich. Denn er hatte Auswirkungen auf den Zweck und die Strategie der Koranübersetzungen.

Das Ziel und die Strategie der Koranübersetzung kann man anhand der wertenden Titel und Einleitungen der alten Koranübersetzungen ablesen. Abgesehen vom Inhalt der Übersetzung vergleichen wir hier nun den Titel der ersten deutschen Koranübersetzung. Sie wurde von David Friedrich Megerlin 1772 unter dem Titel „Die türkische Bibel, oder des Korans allererste teutsche Uebersetzung aus der Arabischen Urschrift selbst verfertiget: welcher Nothwendigkeit und Nutzbarkeit in einer besonderen Ankuendigung hier erwiesen“. Megerlin setzt neben dem Titelblatt ein Porträt des Propheten Mohammed und schrieb „Mahomed der falsche Prophet“ (siehe das Titelblatt der Übersetzung Megerlins im Anhang am Ende des Beitrages).

Diese Übersetzung wurde wegen ihrer Polemik am 22. Dezember 1772 in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen kritisiert. Diese wahrscheinlich von Goethe stammende Kritik bezeichnete die Übersetzung Megerlins als „elende Produktion“. So heißt es:

„Diese elende Produktion wird kürzer abgefertigt. Wir wünschen, dass einmal eine andere unter morgenländischem Himmel von einem Deutschen verfertigt würde, der mit allem Dichter- und Prophetengefühl in seinem Zelte den Koran läse, und Ahndungsgeist genug hätte, das Ganze zu umfassen“.

Diese dogmatische Strategie hat sich vor allem im zwanzigsten Jahrhundert geändert, denn seit Paret 1966 und vorher seit Henning 1901 ist eine wissenschaftliche Methode zu erkennen. Das lag vor allem daran, dass die Anfertigung der Koranübersetzungen von der Kirche zu den akademischen Kreisen in den Universitäten wechselte. Heute, da die Rede vom Kulturdialog und der interkulturellen Kommunikation ist, finden wir z.B. die wissenschaftliche Koranübersetzung von Zirker 2003 mit Anspruch auf Kulturdialog und interkulturelle Kommunikation durch die Koranübersetzung.

Diese wissenschaftliche Vorgehensweise begann aber schon mit der Aufklärung und der Kultur der Toleranz. Dies hatte z.B. Auswirkungen auf die 1746 erschienene Koranübersetzung von Theodor Arnold. Im Laufe der Geschichte der Koranübersetzung haben sich immer Übersetzungsmodelle entwickelt, die sich auf das Gebiet der Ideologie, Methodik und des Stils des Übersetzers als auch auf das Gebiet der sprachlichen Ebene konzentrieren.(6)

Beim Betrachten der deutschen Koranübersetzungen im Laufe der Zeit seit Salomon Schweiger 1616 bis heute merken wir, dass die Übersetzungen bis 1939 bzw. 1954 immer von deutschen nichtmuslimischen Übersetzern stammten. Ab den 80er Jahren handelt es sich fast ausschließlich um muslimische Übersetzer. Das mag vielleicht daran liegen, dass sich die Muslime mit dem Thema der Koranübersetzung als Ausgangspunkt für die Darstellung des Islam aus muslimischer Sicht beschäftigen wollten. Darüber hinaus bedurften die meisten deutschen Koranübersetzungen vor 1939 inhaltlicher und formaler Korrekturen aus der Sicht der Muslime. Die Einwanderung der Muslime nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland hat auch dazu geführt, dass sie sich selber durch eigene deutsche Koranübersetzungen vorstellen wollten.

Bei den aktuellen Koranübersetzungen erkennt man aber vor allem von den nichtmuslimischen Übersetzern eine Tendenz zur Berücksichtigung der ästhetischen Seite des Koran, die seit Rückert 1888 begann. Vor Rückert haben aber auch Augusti und Hammer-Purgstall den Koran in poetisches Deutsch zu übertragen versucht. Diese Tendenz hin zu der ästhetischen Seite des Koran können wir anhand der laufenden Projekte der Koranübersetzung erkennen. Es handelt sich um drei Projekte von Hartmut Bobzin, Stefan Weidner und Jamaluddin Heilgenlay. Alle diese Projekte erheben neben dem Prinzip der Genauigkeit auch Anspruch auf die poetische Dimension in der Übersetzung.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zu den Gründen gehört die steigende Anzahl an Koranstudien, die sich mit der ästhetischen Dimension des Koran beschäftigen, wie z.B. die renommierte Studie von Navid Kermani, die 1999 unter dem Namen „Gott ist schön: das ästhetische Erleben des Koran“ veröffentlicht wurde. Auch die Übersetzung Rückerts 1888 hat immer noch Auswirkungen auf den ästhetischen Diskurs der Koranübersetzung. Die Übersetzer des Koran erkennen also allmählich, dass der Koran nicht nur der normbildende Text der Scharia, sondern auch das größte literarische Werk in der arabischen islamischen Kultur ist.

Die Anzahl der deutschen Koranübersetzungen geht heute über 50 hinaus(7). Dabei handelt es sich auch um Teilübersetzungen des Koran.

 

Deutsche Koranübersetzungen als Mittel zum Kulturdialog

Anhand der Geschichte, des Diskurses und der Methodik der deutschen Koranübersetzungen lassen sich folgende historische und übersetzungswissenschaftliche Punkte zusammenfassen:

  1. Es gab immer eine direkte Verbindung zwischen der Koranübersetzung und der Zeit, in der sie angefertigt wurde. Das heißt, die zeitlichen und kulturellen Dimensionen fanden auch eine Reflexion in den fertigen deutschen Koranübersetzungen, sei es im Mittelalter oder in der Neuzeit. Denn frühe mittelalterliche Übersetzungen des Korans dienten im Gegensatz zu heutigen Übersetzungen der Widerlegung des Islams.
  2. Der Akt der deutschen Koranübersetzung seit Salomon Schweiger (1616) bzw. seit der ersten lateinischen Koranübersetzung aus dem 12. Jh. bis in die Gegenwart hat sich in eine wissenschaftliche Richtung entwickelt. Vom Mittelalter über die Aufklärung bis zur Globalisierung spielten die zeit- orts- und kulturbezogenen Faktoren eine wichtige Rolle. 
  3. Die deutschen Koranübersetzungen spielen eine wichtige Rolle im Kulturdialog zwischen Menschen im deutschen und arabischen Kulturraum. Dies setzt aber voraus, dass die Übersetzer bzw. die Auftraggeber die Aufgabe des Übersetzers genau erkennen. Also, die Übersetzungen sollten Brücken zwischen den Religionen und Kulturen schlagen. Das heißt nicht, dass die Übersetzer die Bedeutungen für diesen Zweck verfälschen oder nicht genau wiedergeben sollen. Damit ist gemeint, dass der Übersetzer den kontextuellen Zusammenhang des Ausgangs- und Zieltextes berücksichtigt.

Im Falle des Koran heißt das, dass der Übersetzer die Korandisziplinen wie beispielsweise tafsÐr (Koranauslegung) und asbÁbu an-nuzÁl (Offenbarungsanlässe) berücksichtigt. In Anlehnung an die übersetzungswissenschaftliche Studie Heidrun Wittes (2007) über „die Kulturkompetenz des Übersetzers“ heißt das für das Thema der Koranübersetzung, dass der Koranübersetzer durch seine Arbeit die interkulturelle Kommunikation ermöglichen soll. Er muss über eine spezifische Kulturkompetenz verfügen, die nicht nur eine genaue Kenntnis der eigenen,  sondern auch der fremden Kultur umfasst. Der Koranübersetzer sollte außerdem über die Fähigkeit verfügen, beide Kulturen bezüglich ihrer gegenseitigen Fremdbilder (Vorurteile, Stereotype, Idealvorstellungen etc.) einzuschätzen, um interkulturellem Missverstehen gegebenenfalls übersetzungswissenschaftlich entgegensteuern zu können. Durch eine solche „Kulturkompetenz des Koranübersetzers“(8) können die deutschen Koranübersetzungen eine Rolle im Kulturdialog zwischen Menschen im deutschen und arabischen Kulturraum spielen.

Als letztes möchte ich betonen, dass es nun mehr Raum für deutsche Koranübersetzungen gibt: eine Situation, die meines Erachtens durchaus viel versprechend ist (vgl. auch Haggag 2007).

 

Literaturverzeichnis

 


Fußnoten:

1  Vgl. auch Salnikow, Nikolai (Hrsg.): Sprachtransfer - Kulturtransfer : Text, Kontext und Translation, Lang Verlag, Frankfurt am Main, 1995.
2  Ausführlich zu diesem Thema über alte Koranübersetzungen vgl. Bobzin, Hartmut: Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa, Beirut, Stuttgart, 1995.
3  Ausführlich dazu vgl. Mansour, Mohammed: Zur Problematik der Übersetzung des Koran. Ansätze zur Bewertung einiger Übersetzungen ins Deutsche, Kairoer Germanistische Studien, Bd. 10, Kairo, 1997, 447-476.
Haggag, Mahmud: Deutsche Koranübersetzungen und ihr Islambild. In: Walter Beltz und Jürgen Tubach (Hrsg.), Religiöser Text und soziale Struktur  (Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 31/2001), Halle (Saale), 2001, 175-196.
4  Vgl. z.B. bei Gardt, Andreas: Die Übersetzungstheorie Martin Luthers. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, (111. Band. Heft 1) 1992, 87-111.
5  Vgl. Nida Eugene/ Charles R. Taber: Theorie und Praxis des Übersetzens. Unter besonderer Berücksichtigung der Bibel-Übersetzung, Weltbund der Bibelgesellschaft 1969.
6  Vgl. die verschieden Modelle der deutschen Koranübersetzung bei: Taraman, Suheir (Artikel in Arabisch): Übersetzung des Heiligen Koran ins Deutsche im Lichte der Übersetzer-Rezepienten-Relation). In: Bund der Islamischen Universitäten und Al-Azhar Universität (Hrsg.). Internationales Symposium über “Islamische Studien bei den Nichtarabern” in der Zeit vom 20-22 Mai 1997. Kairo.
7  Für einen chronologischen Überblick über die deutschen Koranübersetzungen vgl.: Bobzin, Hartmut und Peter Kleine: Glaubensbuch und Weltliteratur. Koranübersetzungen in Deutschland von der Reformationszeit bis heute (Katalog zur Ausstellung: Koraübersetzungen – Brücke zwischen Kulturen. Gedruckte Werke aus dem Zentralinstitut Islam-Archiv Deutschland Amina-Abdullah-Stiftung), Arnsberg 2007.
8  Vgl. die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Kulturkompetenz des Übersetzers bei: Witte, Heidrun: Die Kulturkompetenz des Übersetzers. Begriffliche Grundlagung und Didaktisierung, 2. Auflage, Stauffenberg Verlag, Tübingen 2007.

Anhang

Koranübersetzung von David Friedrich Megerlin 1772

Titelblatt der Koranübersetzung von David Friedrich Megerlin 1772

„Die türkische Bibel, oder des Korans allererste teutsche Uebersetzung aus der Arabischen Urschrift selbst verfertiget: welcher Nothwendigkeit und Nutzbarkeit in einer besonderen Ankuendigung hier Erwiesen von David Friedrich Megerlin“


2.5. Übersetzung und Kulturtransfer

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For quotation purposes:
Mahmoud Haggag: Deutsche Koranübersetzung als Mittel zum Kulturdialog? In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-5/2-5_haggag.htm

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