Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
März 2010 |
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Sektion 2.5. |
Übersetzung und Kulturtransfer SektionsleiterInnen | Section Chairs: Aleya Khattab (Universität Kairo) und Ernest W. B. Hess-Lüttich (Universität Bern) |
Nicht Worte Übertragen,
sondern Bedeutungen begreiflich machen
Chiara Santucci Ganzert (Hannover, Deutschland) [BIO]
Email: chiara.santucci@rph.uni-hannover.de
Zu Beginn seines 2003 erschienenen Buches „Quasi dasselbe mit anderen Worten“ setzt sich Umberto Eco mit der im vergangenen Jahrhundert verbreiteten Theorie auseinander, der zufolge Übersetzungen praktisch nicht möglich seien, und schließt sich ihr z. T. an. Dieser Theorie folgt auch der vor kurzem verstorbene Oskar Pastior in seinem im Jahr 2005 erschienenen Beitrag „Übersetzung: Der Vorgang. Das Ergebnis. Wumm“. Darin schreibt er: „Übersetzung, das ist doch, bitte sehr, das falsche Wort für eine Sache, die es im Grunde nicht gibt. …. Übersetzung ist … streng genommen nicht möglich.“(1). Nicht viel optimistischer ist Jacques Derrida, der in seinem Werk: „Die Einsprachigkeit des Anderen“ sich folgendermaßen über das Übersetzen äußert: „Nichts ist unübersetzbar in einem Sinn, aber in einem anderen Sinne ist alles unübersetzbar, ist die Übersetzung ein anderer Name für das Unmögliche.“(2)
Wenn das Übersetzen gewissermaßen einer Unmöglichkeit gleichkommt, muss man sich Gedanken machen, was es eigentlich zu bedeuten hat, etwas auf verständliche Weise wiederzugeben, denn ohne Übertragungen sind die Menschen ja noch nie ausgekommen. Eco stellt nämlich auch fest, dass „.. seit Jahrtausenden die Menschen übersetzen. .. Vielleicht übersetzen sie schlecht, und tatsächlich denke man nur an die Diskussionen ... in Kreisen der Bibelforscher. … dennoch hat sich ein beträchtlicher Teil der Menschheit einig gefunden über die darin [=in der Bibel] überlieferten Grundtatsachen und ... über den Geist, der diese Texte beseelt.“(3)
Wie lässt sich also das „Unmögliche“ einigermaßen angemessen ermöglichen, nämlich etwas zu übersetzen, ohne dass der Sinn, der Inhalt, ja der „Geist“, der einem Text innewohnt – sei es ein Roman, ein Gedicht oder eine wissenschaftliche Abhandlung – verloren gehen?
Nach Ecos Meinung wird das Übersetzen ganz besonders schwierig, wenn etwas von einem semiotischen System in ein anderes transportiert wird; wenn z.B. ein Roman verfilmt werden soll oder wenn man aus dem Thema eines Gedichtes ein Bild ableitet. Bei allen unbestrittenen Schwierigkeiten, die sowohl eine wörtliche Übersetzung, als auch der Wechsel von einem semiotischen System in ein anderes darstellen, kann man, meiner Meinung nach, wiederum nicht bestreiten, dass es faszinierend ist, wie gerade solch unterschiedliche Systeme, die sich unvermeidlicherweise überlagern, vermischen oder aber sich gegenseitig ergänzen, (fast) unbegrenzte Möglichkeiten des Übertragens bieten, die am Schluss aus jedem von uns und in welcher Form auch immer, zu einem potentiellen oder vielmehr zu einem realen Übersetzer machen. Man muss nämlich nicht erst einen Roman verfilmen, um zwei oder mehrere semiotische Systeme zu gebrauchen, denn diese Art von Transfer beginnt schon mit der Geburt des Menschen. Was ist denn die Beziehung, die zwischen Eltern und Kind entsteht, anderes, als ein Kulturtransfer, der die stetige Anwendung verschiedener semiotischer Systeme notwendig macht!
Es wäre nämlich eine viel zu reduzierte Sicht der Dinge, wenn man behauptete, dass diese Beziehung - sprachlich gesehen - nur dazu da sei, dass Kinder die Muttersprache erlernen, denn jeder weiß, dass es dabei eben um viel, viel mehr geht, als Kinder in die Lage zu versetzen, einer Sprache, im engeren Sinne des Wortes, mächtig zu werden. Werden nicht etwa mindestens zwei verschiedene semiotische Systeme in Gang gesetzt, wenn ein einjähriges Kind „tschiskoo“ von sich gibt und seine Eltern ihm zum Trinken geben, weil sie verstanden haben, dass dieses „tschiskoo“ das Geräusch des Saugens aus einer Trinkflasche nachahmt? Und handelt es sich nicht um eine (teilweise sehr mühsame) Übersetzungsarbeit, wenn die Erfahrung der Eltern an die Kinder auf unterschiedlichste Weise weitergeleitet wird? Hierbei fungiert die Sprache lediglich als Transportvehikel von einem „System“ zum anderen und wenn wir sagen, dass ein zwei/dreijähriges Kind in der Lage ist, sich in einer Sprache auszudrücken, beziehen wir uns hauptsächlich auf die Aufnahmefähigkeit der Kleinkinder, den „Sprachkodex“ der Eltern zu entziffern und ihn mehr oder weniger eigenständig wiederzugeben. Um aber das Kind auf die „große Welt“ vorzubereiten und es in Zukunft daran teilhaben zu lassen, müssen mit oder durch diesen Sprachkodex jedoch auch Verhaltensweisen, Deutungen und „Botschaften“ aller Art übertragen und seitens der Kinder übernommen werden. Davon ist bezeichnender Weise viel seltener die Rede, wenn es ums Übersetzen geht.
Besonders in diesem Zusammenhang muss man sich vielleicht den ursprünglichen Sinn dieser beiden Verben „übersetzen“ und „übertragen“ in Erinnerung rufen, um die ganze Bandbreite dieses Prozesses zu erfassen. Mit diesen Wörtern hat man vor allem ganz konkret z.B. die Arbeit des Brückenbauens oder des Transportierens von einem Ufer zum anderen gemeint. Und was ist es anderes, als „Brückenschlagen“, wenn man eine Sprache lernt und dadurch, zwar in verschiedener Form und Intensität, aber fast unvermeidlicherweise eine Beziehung aufbaut? Vor kurzem hat der Philosoph und Schriftsteller Peter Bieri in einem Artikel über die Sprache geschrieben: „Sprache ist sowohl Ausdruck eines fremden Geistes, als auch Brücke zu einem fremden Geist.“(4)
Natürlich ist die Sprache an sich alles andere als marginal bei diesem Prozess, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass sie auf keinen Fall das einzige oder das wichtigste Element darstellt. Nicht nur die Worte, sondern der Tonfall, die Leidenschaft, der Geist, in dem diese Worte ausgesprochen werden, und vieles mehr sind gleichzeitig wichtig für den sprachlichen wie für den, z. B., erzieherischen Prozess und, folgerichtig, sowohl für das Lernen neuer Vokabeln, als auch für das Erfassen bestimmter Situationen und Reaktionen, die darauf folgen müssen.
Die Erfahrungen, die man als Kleinkind mit der Muttersprache gemacht hat, wiederholen sich jedes Mal, wenn man später – z.B. als erwachsene Person – eine neue Fremdsprache erlernen will oder muss. Und zwar eben nicht lediglich, weil man die bloße Wortbedeutung in der „Fremdsprache“ lernt, sondern weil man sich damit die neue Kultur, eben den anderen „Kodex“ erschließt, der weit über die reine Übersetzung von Vokabeln hinausgeht. Es handelt sich eben vielmehr – wie ich im Titel dieses Beitrages zum Ausdruck bringen wollte – um Inhalte, Bedeutungen, Kontexte, die begreiflich gemacht werden sollen.
Anhand einiger Beispiele möchte ich versuchen, diese Aussagen verständlicher zu machen. Nehmen wir das berühmte italienische Wort „mammone“, das üblicherweise im Deutschen mit „anhängliches Kind“ wieder gegeben wird. Streng genommen ist diese Übersetzung zwar korrekt, spiegelt allerdings eine Weltanschauung wider, in der das Wort „Kind“ im Vordergrund steht; im Italienischen hingegen wird dieses Wort von „Mamma“ dominiert und gibt somit deren, zumindest bis vor Kurzem, dominante Stellung in der italienischen Gesellschaft wider.
Um bei der gleichen Wortfamilie zu bleiben, sind auch die verschiedenen Interpretationen des heute sehr in Mode gekommenen Ausdruckes „Hotel Mamma“ interessant. Vor allem Studierende in Deutschland, die nicht aus Italien kommen und entweder aus relativ prekären Verhältnissen oder gar aus Kriegsgebieten stammen, konnten sich am Anfang gar nichts anderes darunter vorstellen, als dass es sich tatsächlich um den Namen eines Hotels handelte bzw. dass eine Mutter ein echtes Hotel betreibe. Dass damit hingegen die Möglichkeit gemeint ist, als schon erwachsene Person in der eigenen Familie wie in einem Hotel zu leben und sich von den Müttern (oder Eltern) bedienen zu lassen, war für Studierende, die sich oft in der umgekehrten Situation befinden, in dem sie nicht nur weit weg vom elterlichen Haus studieren, sondern auch nebenbei arbeiten müssen, um Eltern oder Geschwister finanziell unterstützen zu können, absolut unvorstellbar.
Darin sieht man einmal mehr, wie jede - sei auch noch so korrekte wörtliche Übersetzung – fehlschlagen kann oder sogar eine völlig andere gesellschaftliche Situation ausdrückt, wenn man sich zu wenig mit dem eigentlichen Gesamtkontext auseinander gesetzt hat bzw. er gar nicht bekannt ist oder ein tieferes Kenntnisinteresse fehlt. Und wenn damit die Notwendigkeit tieferer Kenntnis angesprochen wird, ist also nicht in erster Linie die sprachliche oder die literarische, sondern eine auf Allgemeinbildung beruhende Unvoreingenommenheit einem Land gegenüber gemeint, die Bedingung ist, um das nötige Verständnis, aber vor allem das unverzichtbare, respektvolle Gespür für die Eigenschaften eines Landes zu wecken. In seinem Nachwort zu bereits erwähntem Buch Derridas „Die Einsprachigkeit des Anderen“ schreibt Michael Wetzel: „Das Monitum der Unübersetzbarkeit fordert auch die Achtung der anderen Sprachen als Sprachen der anderen in ihrer Einzigartigkeit, die sich nicht übertragen, in ihrer Fremdheit reduzieren lässt.“(5)
Nicht all zu selten dagegen scheinen Religion, Tradition, Sitten anderer Länder manchen (eventuell ein wenig voreingenommenen) Übersetzern im wahrsten Sinne des Wortes „Fremdwörter“ zu sein, sodass sie einige Begriffe - vielleicht unbewusst - fast für nicht existenzberechtigt erklären, geschweige denn, dass sie sich die Mühe geben, das passende Wort dafür in der eigenen Sprache zu suchen. In diesem Zusammenhang schreibt Derrida: „Nichts ist unübersetzbar, wenn man sich nur Zeit zur Verausgabung oder Ausdehnung eines kompetenten Diskurses nimmt, der der Kraft des Originales angemessen ist.“(6) Manches wird dagegen schnell für „unübersetzbar“ erklärt und dadurch wächst das Risiko, dass man - auf der Suche nach einer so genannten „perfekten“ Übersetzung - das Wesentliche aus dem Auge verliert.
In solchen Fällen muss man sich auch nicht von dem berühmten italienischen Bonmot „Il traduttore è un traditore“ (= wörtlich: Der Übersetzer ist ein Verräter) beeindrucken lassen, denn wer beim Übersetzen diesem sog. „Verrat“ ängstlich oder aus klein kariertem Perfektionsdrang aus dem Wege zu gehen versucht, riskiert, ein noch viel größerer „Verräter“ zu werden. Vielmehr sollte man sich dagegen klar machen, wie nah beieinander „Perfektion und Zerstörung“ liegen können und was für verheerende Konsequenzen der Anspruch auf Perfektionismus einerseits und das mangelnde Verständnis für unterschiedliche Kulturen auf der anderen Seite, z.B. im vergangenen Jahrhundert, gehabt haben. Man denke hierbei nur an die Sprache ohne „Verunreinigungen“, die z.B. im faschistischen Italien angestrebt wurde und die zu entsetzlichen Wortbildungen führte, nur um Fremdwörter partout zu meiden. Die Versuche, eine „reine Sprache zu erreichen“, waren im Übrigen auch nur das kleinere Übel. Der Journalist Ronald Meyer-Arlt hat vor Kurzem in einem Artikel den Satz des Philosophen Ludwig Wittgenstein „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ umgedreht in „Die Grenzen meiner Welt bedeuten die Grenzen meiner Sprache“ und hinzugefügt: „Sprache kann nicht besser machen, was in Wirklichkeit nicht funktioniert.“(7)
Wenn wir aber in einer globalisierten Gesellschaft einigermaßen friedlich leben wollen, dann sollten wir uns in diesem Zusammenhang eher vergegenwärtigen, dass schon Dante Alighieri im 13. Jahrhundert zwar noch nicht von „Kulturtransfer“ gesprochen hatte, aber einen Satz schrieb, den zu zitieren an dieser Stelle sich vielleicht lohnt, nämlich: „Verstehen kann nicht, wer es nicht erfahren.“ Und fast acht Jahrhunderte später schreibt Lerke von Saalfel über die berühmte Übersetzerin Swetlana Geier ebenfalls: „Literatur ist für sie [S. Geier] Erleben und Erlebnis“(8)
Wie schrecklich man mit einer Wort-zu-Wort-Übersetzung auf der einen Seite scheitern kann und wie wichtig auf der anderen Seite der Inhalt von übertragenen Aussagen für das Verständnis bestimmter „Botschaften“ sein kann bzw. sein muss, zeigt auf sehr plakative Weise, eine gerade erschienene Sammlung von misslungenen Übersetzungen, deren Titel schon Programm ist: „Übelsetzungen“. Sie sorgt auf den ersten Blick vor allem für Heiterkeit. Wer kann noch ernst bleiben, wenn man auf einem Schild an einem korsischen Strand liest: „Durch geschütteltes Meer nicht überwachtes gefährliches Meer“?(9) Man kann sich also in solchen Fällen nur schwer ein Lachen verkneifen, aber: so „erschütternd“ auf der lexikalischen Ebene diese gescheiterten Versuche, etwas wörtlich zu übertragen, auf uns auch wirken mögen, so wenig kann man auf der anderen Seite verneinen, dass sie schon eine Art von Transfer von einem semiotischen System in ein anderes darstellen. Solche Ausdrucksweisen sind derart verfremdend-plastisch, dass sie weniger durch die Sprache, als vielmehr durch die beeindruckenden Bilder, die sie hervorrufen, letzten Endes ihren Zweck doch erreichen. Denn: Die Botschaften, die damit gesendet werden, sind - obwohl sprachlich falsch - doch unmissverständlich: Wer noch Lust hat, in einem „geschüttelten“ Meer zu baden, ist höchstwahrscheinlich lebensmüde, oder nimmt zumindest das Risiko auf sich, nicht nur im übertragenen Sinne „baden zu gehen“.
Natürlich werden damit nicht falsche, ja sogar grammatikalisch völlig unkorrekte Übersetzungen befürwortet, sondern es geht vielmehr darum, wie trotz unkorrekter Übertragungen die Bedeutung eines Satzes oder einer Aussage nicht verloren gehen muss, wenn das Gegenüber versucht, sie in einem möglichst breiten Kontext zu verstehen bzw. zu interpretieren. Hierzu empfiehlt auch Derrida, auf ökonomische Äquivalenz zu verzichten, „…die übrigens streng genommen unmöglich ist, [dann] kann man alles übersetzen, aber in eine laxe Übersetzung im lockeren Sinne von ´Übertragung`.“(10) Ähnlich äußert sich auch Lerke von Saalfeld über Geiers Übersetzungsmethode: „Sie [Swetlana Geier] versucht immer das Ganze zu erfassen, Hintergründe und Zusammenhänge aufzuzeigen, Linien zu ziehen und den Horizont zu öffnen und zu erweitern.“(11) Und dies kann beim Einander-kennen- und -verstehen-lernen in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt Vieles sehr, sehr erleichtern.
Und damit kommen wir im Grunde auf das eingangs angesprochene Thema zurück, denn Ähnliches geschieht mit den Erfahrungen, die Kleinkinder (und nicht nur sie) mit der Mutter-/Vatersprache machen und die mit Verhalten und Benehmen, aber auch mit Verstehen und Kennenlernen eng verbunden sind. Im Fall des „geschüttelten Meeres“ könnte man zugespitzt behaupten, dass die Hauptsache dabei ist, dass ein Kind die Botschaft versteht, dass vom Meer eine Gefahr ausgeht und dass es sich deshalb lieber davon fernhalten soll, also dass ein Verbot herrscht und es sich entsprechend verhalten muss.
Und als Italienerin, die seit etlichen Jahren in Deutschland wohnt, kann ich nicht umhin, uns allen in Erinnerung zu rufen, wie sehr auch ein Leben im Ausland eine Art „Übersetzung“ darstellt, und zwar eine tägliche Übersetzungsarbeit und diese u.U. auch nur ohne ein Wort. Nicht umsonst trägt das schon erwähnte Buch von Swetlana Geier den Titel: „Leben ist Übersetzen“. Auch die ungarische Übersetzerin und Schriftstellerin Zsuzsanna Gahse meint: „Wenn jemand seine gewohnte Umgebung verlässt und bei der Betrachtung einer fremden Gegend das Bekannte und das Unbekannte zu vergleichen beginnt, ist er bereits beim Übersetzen angelangt“(12), denn der eigentliche „Kulturtransfer“ beginnt da, wo die Wörter aufhören.
Anmerkungen:
2.5. Übersetzung und Kulturtransfer
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-03-22