Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Juni 2010 |
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Sektion 2.5. |
Übersetzung und Kulturtransfer SektionsleiterInnen | Section Chairs: Aleya Khattab (Universität Kairo) und Ernest W. B. Hess-Lüttich (Universität Bern) |
Sektionsbericht 2.5.
Übersetzung und Kulturtransfer
Aleya Kahattab (Universität Kairo) [BIO]
Email: aleyakhattab@yahoo.de
In der Sektion 2.5. wurden dreizehn Referate vorgetragen und diskutiert. Herr Norbert Mecklenburg sprach zum Thema Goethes Orient-Übersetzungen als Transposition und Transformation. Er ging in seinem Referat von Goethes interkulturellem poetischen Schaffen aus, bei dem der deutsche Dichter orientalische Stoffe und Motive aus Übersetzungen rezipierte. Der Referent zeigte, dass Goethe diese in einen ganz neuen Kontext transformierte und neu gestaltete. Dies hat Mecklenburg anhand eines Vergleichs zwischen Goethes Ballade „Die sieben Schläfer“ aus dem West-Östlichen Diwan und dem arabischen Roman „Die Leute von der Höhle“ des zeitgenössischen, ägyptischen Schriftstellers Taufik Al-Hakim unternommen. Im Referat wurde gezeigt, inwiefern es Goethe gelungen ist, aus einer muslimischen Legende aus dem Koran eine universalistische , transreligiöse Botschaft in seinem Gedicht zu präsentieren. Mecklenburg stellte die These auf, dass Goethe hier den Muslimen näher stand als der muslimische Legendenerzähler Al-Hakim.
Weiters hat Frau Nagla El-Dandoush ein Referat zum Thema Zur Übersetzbarkeit von Little Amadeus ins Arabische vorgetragen. Sie ging dabei von ihrer eigenen Übersetzungserfahrung aus und konnte anhand von mehreren Textbeispielen zeigen, dass die Phantasie der arabischen Kinder es ermöglicht, auch Bücher über Mozarts Kindheit und Wirken zu verstehen. Mittels einer für Kinder gerechten arabischen Sprache können auch österreichische kulturelle Hintergründe vermittelt werden, wobei es keine Tabus geben darf bei der Übersetzung. Die Übersetzung soll interessant, informativ und unterhaltsam für ein arabisches Kind sein. Die arabische Kinderwelt soll das geniale Kind Mozart kennenlernen.
Herrn Assem Hefnys Vortrag befasste sich mit dem Thema Übersetzungs- und Rezeptionsproblematik religiös-politischer Begriffe im Deutschen und Arabischen. Er untersuchte einen Textkorpus bezüglich der religiös-politischen Termini in beiden Sprachen und konnte feststellen, dass die Wiedergabe ein und desselben gängigen (gebräuchlichen) Terminus in jeder der beiden Sprachen mit unterschiedlichen Konnotationen verbunden und nicht deckungsgleich ist. Herr Hefny konnte dies anhand von Übersetzung und Rückübersetzung mehrerer Begriffe - z.B. Säkularisierung oder Fundamentalist - überzeugend beweisen. Er schlug vor, neue Begriffe für die neuauftretenden Bedeutungsinhalte zu schaffen, um möglichst einer adäquaten Wiedergabe bzw. einer vorurteillosen Rezeption gerecht zu werden.
Das Thema von Frau Ola Abdel Gawad lautete Übersetzung und Zensur. Die Referentin konnte anhand von praktischen Textbeispielen - auch aus der Kinderliteratur - zeigen, inwiefern Zensur und Präventivzensur bei den Übersetzungen aus dem Deutschen ins Arabische durchgeführt. Diese erfolgen unter dem religiösen, politischen und moralischen Aspekt. Sie können von Religionsgelehrten, von den Verlegern, von den Lesern und nicht zuletzt von den Medien dem Übersetzer auferlegt werden. Dabei ist festzustellen, dass keine festen Kriterien für die Zensur gelten. Gründe für die Zensur können die Verletzung religiöser Gefühle oder die Politik des Westens sein, aber auch die Angst, westliche Werte im Orient zu adaptieren, wobei nicht selten eine Doppellmoral bei den Zensoren herrscht.
In ihrem Referat Übersetzen aus dem Mittelhochdeutsch: Eine Herausforderung? zitierte Frau Patrizia Mazzadi einige allgemeine Äußerungen zum Übersetzen von Gadamer, Goethe, Schleiermacher und Dante. Weiters ging sie über zur Übersetzung mittelhochdeutscher Werke anhand eines Textauszugs aus dem mittelhochdeutschen Versepos „Tristan und Isolde“ von Gottfried von Strassburg. Drei Faktoren sollten dabei berücksichtigt werden: ,Sinn, Wort und Musik. Doch bleibt bei diesen älteren Texten immer ein obskures Geheimnis wegen der diachronischen Ferne bestehen. Die Referentin betonte die Wichtigkeit des hermeneutischen Dialogs zwischen Sender und Text als Voraussetzung für das Gelingen der Übersetzung.
Recep Akay referierte zum Thema Übersetzung in der Literaturgeschichte. Sein Beitrag behandelte die Rolle der Übersetzung in der Literaturgeschichte. Er führte die Unterschiede zwischen der Fachübersetzung und der literarischen Übersetzung aus, wobei er die Problematik der Unübersetzbarkeit literarischer Texte erörterte. Ausgangspunkt der Ausführungen waren der Wert und die kommunikative Rolle der Übersetzungen in der Literaturgeschichte.
Das Referat von Stephan Krause hatte den Titel Vom Verstehen und vom Verdrehen oder Ist die Nachdichtung auch ein Reflex auf Kosztolanyis Wortspiel? Es ging in diesem Referat um die Problematik der Nachdichtung ungarischer Lyrik durch deutsche Autoren der DDR. Es wurde dabei der Frage nach dem Verstehen bzw. dem Missverstehen der Herkunftssprache nachgegangen. Der Referent untersuchte anhand einer exemplarischen Fallstudie zweier ungarischer Texte von Attila Jozsef die lyrisch-künstlerische Qualität ihrer Nachdichtung. Er verwies auf das Dilemma , dem der Nachdichter begegnet, nämlich der Entscheidung entweder für die klanglich-rhythmische oder für die semantische Treue. Der Vortragende sprach von der treulosen Treue. Er stellte die Frage nach der Rechtfertigung eines eigenständigen deutschen Textes.
Rene Kegelmann behandelte das Thema Transfer und Rücktransfer anhand der ungarischen Übersetzung des deutschen Erzählbandes Seltsame Materie von Terezia Moras. Er zeigte, dass eine extrem gegensätzliche Literaturkritik herrscht bezüglich des deutschen Textes einerseits und seiner Rückübertragung ins Ungarische andererseits. Damit ging der Referent ein auf die Problematik des Transfers von unterschiedlichen kulturellen Wahrnehmungen von einer in die andere Kultur und zurück.
Mahmud Haggag beschäftigte sich in seinem Referat mit folgender Problematik: Deutsche Koranübersetzung als Mittel zum Kulturdialog. In seinem Referat verfolgte er zunächst den kritischen Diskurs, in dem die Koranübersetzungen im 12. Jahrhundert entstanden sind. Im Anschluss daran sprach er einige objektive Orientalisten wie z.B. Reiske, Hammer-Purgstall und Rückert, die als Translatoren über die notwendige Kulturkompetenz verfügten. Am Ende des Referats betonte er, dass die deutschen Koranübersetzungen eine sehr wichtige Rolle beim Kulturdialog spielen könnten. Bedingung dafür ist eine vorurteilslose, tolerante Herangehensweise und eine exzellente sprachliche sowie außersprachliche Kompetenz im Arabischen.
Bei dem Referat von Muharrem Tosun ging es um Die Maßstäbe der Übersetzungskritik. Der Vortrag stellte in Frage, dass die traditionellen Maßstäbe linguistischer Art die sprachlichen Übersetzungsfehler aufheben könnten. Der Referent plädierte für eine Weiterentwicklung der Methoden der Übersetzungskritik. Eine Übersetzungskritik sollte demnach wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Grundlagen haben. Ohne diese sei die Übersetzungskritik nicht denkbar.
Das Referat von Faruk Yuecel trägt den Titel Die Souveränität der Übersetzung als transkulturelles und postmodernes Phänomen. Der Verfasser stellt die kritischen Auffassungen verschiedener klassischer und moderner Tendenzen in geisteswissenschaftlichen Bereichen vor, die einen übersetzten Text als minderwertig und als schlechte Nachahmung bewerten. Der Referent weist dann auf den Paradigmenwechsel hin, der zuerst in der Romantik dann am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in der Übersetzung stattfand, und der dazu geführt hat, dass Übersetzungen als autonom-souveräne Texte bewertet worden sind. Der Referent analysiert danach die funktions- und kulturorientierten Übersetzungstheorien - z.B. von Vermeer, Toury, Even-Zohar und Derrida und schließt mit der These, dass eine Übersetzung als ein transkulturelles und postmodernes Phänomen den Anspruch auf Souveränität beansprucht.
Frau Gesine Schiewer geht in ihrem Referat Jürgen Habermas’ kommunikationstheoretischer Grundlegung des interkulturellen Dialogs nach, nach der auf dem Weg der Übersetzung alle zunächst nur einer religiösen Glaubensgemeinschaft zugänglichen Werte und Begriffsfelder in intersubjektiv geteilte semantische Interpretationen überführt werden können. Die Referentin zeigt, wie der Westen zur Zeit den Dialog der Kulturen durch diesen theoretischen Ansatz stützt, wobei er materielle Interessen, Leitkultur, Aneignung christlicher Gehalte und Philosophie, Eurozentrismus als Voraussetzung bei seiner Kommunikation mit dem Anderen sieht. Kommunikation ist demnach latente Gewalt. Die Referentin lehnt Konstellation wie Konsens gleich Freundschaft, Dissens gleich Feindschaft ab und plädiert für eine gerechte, vertrauensvolle und tolerante Kommunikation zwischen den Kulturen.
Der Titel des Referats von Frau Chiara Santucci-Ganzert lautete: Nicht Worte übertragen, sondern Bedeutungen begreiflich machen. Die Verfasserin unternimmt zunächst eine Analyse von Umberto Ecos Auffassungen zur Übersetzung in seinem Buch „Quasi dasselbe mit anderen Worten“. Sie beginnt mit der provokativen Frage, ob eine Übersetzung überhaupt möglich sei. Danach geht sie auf die wichtigen Elemente, die bei einer Übersetzung eine wichtige Rolle spielen - z.B. Inhalt, Tonfall, Geist und Erfahrung - ein. Sie betont die Relevanz der sprachlichen Erfahrung des Kleinkindes, die dem Übersetzer fehlt. Doch dann verweist sie auf den Kulturtransfer und die täglich-ständige Übersetzungsarbeit, die die in Deutschland lebenden Ausländer leisten. Diese schaffen eine Welt von Bedeutungen, auch wenn Worte fehlen.
Alle Referate waren auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Es fanden jeweils nach jedem Referat intensive und lange Diskussionen statt.
2.5. Übersetzung und Kulturtransfer
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