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VUNW: Reproduktionen |
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Im Stück “Vineta” von Jura Soyfer präsentiert der Schreiber und „Vordenker“ einer Stadt der Toten sein Standardwerk mit dem Titel “Das Vergessen als Denkprinzip reifer Kulturvölker“. Erinnerungen, Reproduktionen halten dagegen Menschen sowie Virtualitäten und ihre sich wechselnden und vielgestaltigen Identitäten am Leben und sie ermöglichen erst die Innovationsschübe. Mit den Bildern, Zeichen, Sprachen kamen die Wissensrevolutionen, weil bereits Gedachtes nachhaltig kritisierbar wurde. Je größere die Masse der Beteiligten wurde, desto größer wurde der Reichtum einer Gesellschaft.
Reproduktionsfähigkeit ist auch das Grundprinzip der „exakten Wissenschaften“ bei der Beweisführung. Sie stehen damit in den Traditionen des agrarischen Denkens (das auch den europäischen Kulturbegriff geprägt hat). Die Kenntnisse aus diesen Traditionen bestanden im Kern darin, Wiederholungen durchführen zu können (Saat, Ernte etc.) und auf Wiederholungen zu achten (Bauernkalender). Auch der heutige Cyberspace (die Virtualität im engeren Sinne) basiert auf der Nutzung der Wiederholungsmöglichkeiten im Sinne einer Identität der Identität. Je schneller und exakter die Reproduktion desto besser.
Dagegen haben sich die Vorstellungsbildungen und ihre Tradierungen gewandelt. Durch neue Methoden und Verschränkungen von Welten gewann die Menschheitsgeschichte in den letzten Jahrzehnten völlig neue Dimensionen. Durch die Bestimmung des Alters von Knochen und Gegenständen erweiterte sich die Menschheitsgeschichte von 10.000, 15.0000 Jahren (der Zeit der Schriften) auf Millionen von Jahren. Die „Geister“ bzw. die „Psyche“ mussten zum Beispiel ihre Rolle als Krankmacher weitgehend an Bakterien, Viren, Botenstoffe abgeben. Sie verblassten als Beherrscher der Geschichte und traten als Gespenster im Industriezeitalter als Zeichen menschlicher Verbrechen auf (Heiner Müller) oder als Metaphern für Konsumgüter (z.B. der koreanische Gott Mazda als Autoname). Die Kühlung der Lebensmittel eröffnete völlig neue Dimensionen der Lebensformen und verwies auf andere Möglichkeiten, Erd- und Menschheitsgeschichte zu entdecken. Die Quantität der Informationen stieg, aber es veränderten sich auch die Öffentlichkeiten, die sie nutzten, analysieren, auswerten.
Im Gegensatz zur (materiellen und virtuellen) Reproduktion schafft die Innovation, die stets virtuell ist, neue Identitäten, deren Wert von der Bedeutung der Erneuerung, aber auch von der Art seiner Reproduktion bestimmt wird.
Grundsätzlich unterschätzt verbleibt in dieser Entwicklung der beginnenden Wissensgesellschaft die Fähigkeit zur Interpretation, zur Erkenntnis, zum Denken, zur Kreativität, zur Darstellung. Dies ist ein Problem einer Gesellschaft, die auf wenige Bilder und Schlagworte beschränkt ist und sich weitgehend ihrer Geschichte nicht bewusst ist. Selbst ihre Wissenschaftssprachen sind von Machtsymbolik und Vergessen geprägt, während im Gerichtssaal versucht wird, die mündlichen Zeugnisse zu verschriftlichen.
Es besteht daher auch im Bereich der Reproduktionen die Notwendigkeit für eine neue Infrastruktur – von der „Archivierung“ über die Interpretationen bis zu den Erzählungen. Die zentrale Erfordernis ist, die innere Widersprüche kenntlich zu machen, um Notwendigkeiten für Veränderungen verstehbar werden zu lassen. Der Versuch, in diesem Kontext die Notwendigkeiten von Kulturpolitik zu ignorieren, sie auf die Reproduktion der Identität von Identitäten zu reduzieren, verweist auf die Versuche, alte Macht zu tradieren, blockiert aber die Lösung solcher Probleme wie Armut und Massenarbeitslosigkeit.