Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 14. Nr. | Mai 2003 |
Herbert Arlt
(Wien)
[BIO]
Die "Zeit" ist eine zentrale Kategorie im heutigen Denken.(1) Und wenn immer wieder von "reiner Wissenschaft" gesprochen wird, dann scheint gerade diese Kategorie geeignet, über "Reinheit" und Empirie in einer Welt im Umbruch nachzudenken - und zwar in jener Widersprüchlichkeit der Erfahrungen, Interesse, Anschauungs- und Denkformen sowie Konstituierungen, wie sie sich uns anhand der Konferenzergebnisse - publiziert in TRANS 14 - darstellt.(2)
Im Rahmen der Konferenz "Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" (Wien, 6. bis 8. Dezember 2002) gelang es, völlig unterschiedliche Erfahrungswelten zusammenzuführen, die doch als Gemeinsamkeit nicht nur eine (Konferenz-)Zeit hatten. Die ReferentInnen unterschieden sich in ihren sprachlichen, fachlichen, kulturellen Erfahrungen. Und von "Reinheit" war nicht die Rede. Von Interesse war die Welt in ihrer Vielfalt und Gemeinsamkeiten der TeilnehmerInnen.
Über die Zeit liegen Beiträge von PolitikerInnen vor, die sie vor allem mit heutigen (transnationalen) Prozessen in Verbindung bringen.(3) Diese Beiträge korrespondieren mit den ebenfalls in TRANS 14 publizierten Überlegungen von AutorInnen (Sabine Scholl über Portugal im Umbruch, Constantin Severin über die Aneignung von "Post"-Gedanken in Rumänien), von einem Theater-Intendanten (Walter Weyers vom Landestheater Schwaben in Memmingen über Theater und Stadt), einem Direktor für Robotronik aus Buenos Aires (Jorge Bauer), GermanistInnen aus Südafrika, der Ukraine und Japan (Peter Horn, Larissa Cybenko und Naoji Kimura) über Widerspruchsfelder in heutigen Entwicklungsprozessen. Unvermittelt setzen sich Bachyt Spikbajeva, Dekanin der Sprachenuniversität in Almaty, und Herbert Arlt mit der Kategorie der Zeit auseinander. Und ob vermittelt oder unvermittelt - der zentrale Aspekt bleibt, dass die Kategorie "Zeit" nicht von den Menschen und ihren Erfahrungen gelöst werden kann. Vielmehr zeigen auch die Berichte von den Sektionen (von Steven Totosy, Juri Mosidze, Iris Gruber, Penka Angelova, Gertrude Durusoy, Herbert Eisele, Alessandra Schininà, Olga Rösch und Gabriella Hima), dass es gerade die Auseinandersetzungen mit Erfahrungen sind, die diese Konferenz besonders wertvoll gemacht haben - auf der Basis des Verständnisses von Zeit als einer empirischen Kategorie.
Freilich geht es eben nicht nur um die "bloße Empirie", um die Aneinanderreihung von Einzelerscheinungen von landwirtschaftlichem Leben (die heutige Sprache prägen), astronomischen Beobachtungen (die bei aller Reichweite des Blicks in ihrer Empirie doch sehr beschränkt bleiben), mathematischen Konstruktionen (die in ihrer nicht-empirischen Überprüfbarkeit gerade heute ihrer Faszination ausüben), Pensionsgesetzen (in deren Zusammenhang zum Beispiel 45 Jahre eben nicht als 45 Jahre gewertet werden können, ohne unter Umständen das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit zu verletzen, weil die kulturelle Dimension der Zeit nicht beachtet wird), der Zeit der Erinnerung (in der Sekunden zur Ewigkeit werden) und dem Maschinentakt (einer wesentlichen Basis heutiger Empirie). Es geht gerade auch um religiöse Dimensionen, philosophische Kategorien, um Denkweisen, um Metaphern, literarische Konstruktionen, psychische Prozesse und vor allem um kulturelle Dimensionen.
Im Rahmen der Konferenz "Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" zeigte sich die Bedeutung von Reproduktion und Innovation. Immer wieder wird so getan, als wären Kunst und Wissenschaft rein innovativ, doch der größte Teil des menschlichen Lebens wird meist dazu aufzuwenden, dass bereits vorhandenes Wissen von Einzelnen oder von Gruppen angeeignet wird - gerade auch von KünstlerInnen und WissenschafterInnen. Diese Form der Reproduktion gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn verschiedene Methoden, Disziplinen, Kulturen aufeinandertreffen, wenn es um die Bestimmung (transnationaler) gesellschaftlicher Dimensionen geht. In dieser Begegnung, in diesem Sprechen ist aber gerade auch Innovation am besten möglich und entsteht gerade in diesen Diskursen. Dies ist besonders anhand jener Beiträge in TRANS14 zu ersehen, die sich auf den Diskurs des Projektes eingelassen haben, bereits die Perspektive im Auge haben - die Konferenz zum Thema "Das Verbindende der Kulturen".
Selbst die Kategorie "Zeit" ist also als empirische Kategorie (Umberto Eco) zu verstehen. Sie ist (auch in ihrer naturwissenschaftlichen Analyse und Darstellung) nicht "rein", nur bedingt allgemeinverbindlich und immer an kulturelle Prozesse gebunden. Gerade die Dimensionen der Kategorie "Zeit" verdeutlichen die Bedeutung der Berücksichtigung kultureller Prozesse aus vielfältigen Perspektiven.(4)
© Herbert Arlt (Wien)
Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14
ANMERKUNGEN
(1) Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Deutscher Taschenbuchverlag: München 2001. (Die Tatsache, dass es eines der am meisten verkauften Bücher der Welt ist, zeigt, welche Bedeutung diesem Thema beigemessen wird. Und die Verkaufszahlen zeigen auch, welche Verbreitung - naturwissenschaftliche - Spekulationen finden können.)
(2) Umberto Eco: Kant und das Schnabeltier. Verlag Carl Hanser: München, Wien 2000. - Ein Buch über Kategorien und die Welt.
(3) Siehe die Beiträge von Walter Schwimmer, Giorgio Ruffolo, Erhard Busek, Karin Scheele, Eva Glawischnig in TRANS 14.
(4) Vgl. zu einer anderen zentralen Kategorie heutigen Denkens den Schwerpunkt zum Thema "Raum" in der Zeitschrift "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften" 4/2002.