Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

7.2. Translation and Culture
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gertrude Durusoy (Izmir) / Katja Sturm-Schnabl (Wien)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Wie weiblich ist Jiddisch?
Übersetzung und Metamorphose am Beispiel des Maysebuchs
(1) (Basel 1602)

Astrid Starck (Basel)
[BIO]

 

Von allen europäischen Sprachen, die sich als Umgangssprachen entwickelten, war die jiddische sicher die einzige, von der behauptet wurde, sie sei eine Frauensprache. Jiddisch ist aber nicht als Frauensprache entstanden, sondern als "jüdische Sprache"(2) in der Diaspora, als "Schmelzsprache"(3) im Exil. Jiddisch ist eine diasporische Sprache. Wie kommt es also, dass sie als Frauensprache bezeichnet wurde? Wer verbreitete ein solches Gerücht? Ist Jiddisch überhaupt weiblich? Wie kommt es, dass bis heutzutage dieses Merkmal immer wieder hervorgehoben wird? Dass man noch heute zu solch einer merkwürdigen Unterscheidung greift, zeigt folgendes Beispiel: es gibt ein mehrsprachiges Computerprogramm mit dem Namen QText. Die hebräische Schrift heißt QDavid, die jiddische QMyriam! Auf die gestellten Fragen möchte ich nun eingehen, insbesondere auf die "Weiblichkeit" des Jiddischen, und sie anhand eines literarischen Beispiels erläutern: vor allem aber möchte ich zeigen, wie eng diese Bezeichnung einerseits mit der Gesellschaftsordnung, andrerseits mit dem Übersetzungsprozess verbunden ist, ja, ich würde hinzufügen, wie sie im Grunde genommen darauf beruht.

Der Übersetzungsprozess ist an sich nicht Neues; er hat seit alters her zur Zweisprachigkeit der Juden beigetragen.(4) Gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick. Bereits zu Anfang unserer Zeitrechnung wurde schon nicht mehr Hebräisch gesprochen. Die Umgangssprache war damals Aramäisch. eswegen war es in den Synagogen gang und gäbe, den Bibelvers zu zitieren und ihn anschließend auf Aramäisch zu übersetzen, damit ihn jeder verstehe. Dasselbe galt auch später: nur wurde der Bibelvers in der jeweiligen Landessprache FCbersetzt, und zwar wortwörtlich, dem Wortschatz und der Syntax des Originaltextes folgend.(5) Diese Bibelübersetzungssprache war eine eigene, die sich von der Landessprache unterschied und zum eigentlichen Jiddisch geführt hat: eine jüdische Sprache mit einem wichtigen deutschen Wortschatz, aber mit einer hebräisch-aramäischen Grundlage.(6)

Aramäisch, das jahrhunderte lang die Umgangssprache des Nahen Ostens gewesen war, wurde mit der Zeit als unverständlich empfunden. So kam es, dass man im Mittelalter aramäische Texte auf Hebräisch übersetzte (dies galt z. B. für den Zohar, das Buch der Kabbala), andere wiederum auf Jiddisch, taytsh, der neuen Umgangssprache im Römischen Reich Deutscher Nation.(7) Das Ersetzen einer Umgangsprache, Aramäisch, durch eine andere, Jiddisch, stieß aber auf heftigen Widerstand vonseiten der Rabbiner, die es am Anfang schlicht und einfach verboten, mit der Begründung, Aramäisch sei eine Gebildetensprache, ja sogar eine heilige Sprache, was Jiddisch nicht sei.(8) Dieses Verbot könnte erklären, wieso Jiddisch, um benutzt zu werden, als Frauensprache gedeutet wurde.

In unserem Beispiel, dem Maysebukh, das zur erzählenden jiddischen Literatur gehört, kann man zwei Übersetzungsprozesse verfolgen:

1. einerseits den internen oder innerjüdischen Übersetzungsprozess: dies betrifft

2. andrerseits können wir den "diasporischen" oder außerjüdischen Übersetzungsprozess verfolgen: deutschsprachige - oder anderssprachige - Texte werden zum Beispiel als Muster genommen und "jüdisch" verarbeitet:

Wir stellen fest, dass die jiddische Sprache einerseits am Schnittpunkt der jüdischen und der christlichen, andrerseits der männlichen und der weiblichen Kultur steht. Was die Frauen betrifft, so fällt einem auf, dass es in den Geschichten keinen direkten Kontakt zwischen Jüdinnen und Christinnen gibt. Der Kontakt zwischen beiden Gesellschaften wird immer nur Über den Mann vollzogen. In diesem Sinne kann man behaupten, dass die Welt des Maysebukhs eine "mannbezogene" ist. Was keineswegs der Wirklichkeit entspricht, muss doch die Frau, während der Mann beim Studium sitzt, sich um den Alltag kümmern und mit den Nachbarn verhandeln.

Kommen wir nun ausführlicher zu dem soeben erwähnten Maysebukh (das soviel wie Geschichtenbuch bedeutet), das im Jahre 1602 in Basel auf Jiddisch gedruckt wurde und untersuchen wir es auf seine "Weiblichkeit". Vorher aber, da wir schon in Wien sind, möchte ich erwähnen, dass dieses Buch zum ersten mal von der F6sterreichischen Feministin Bertha Pappenheim, die in Freuds Schriften unter dem Namen "Anna O" einging, auf Deutsch Übersetzt und veröffentlicht wurde.(15)

Es handelt sich um eine erbauende und unterhaltende Märchen-, Legenden- und Novellensammlung, die im ganzen 257 Geschichten umfasst. Sie stammen größtenteils aus dem Talmud, der rabbinischen Auslegung der Bibel, und dem Midrasch, dem erzählenden Kommentar. Das heißt, dass sie aus dem Hebräisch-Aramäisch auf Jiddisch Übersetzt wurden und dass sie für Frauen und Männer, "die wie Frauen sind", d.h. für Unwissende, bestimmt waren.(16)

Es sei kurz darauf hingewiesen, dass dieser Ausdruck, der auf eine "Verweiblichung" der Männer hindeutet, bis ins 20. Jahrhundert hineingreift, wurde doch hier gerade in Wien immer wieder die Weiblichkeit des Mannes, auch des jüdischen, hervorgehoben: entweder wurde danach gestrebt, wie bei dem Senatspräsidenten Schreber,(17) oder aber sie wurde verpönt, wie bei Otto Weininger in seiner Schrift Geschlecht und Charakter. (18) Fest bleibt, dass man sich, wie beim jungen Hofmannsthal, nach dem Androgynen sehnte, als DCberbrückung des Antagonismus zwischen Frau und Mann, in dem man hoffnungslos und gezwungenermaßen steckte. In dieser Hinsicht - was die Überbrückung betrifft -, nahm Jiddisch zu seiner Zeit eine bahnbrechende, transgressorische Stellung ein, bewirkte doch diese Sprache, in ihrer Übersetzungsrolle, nicht nur ein "Liebäugeln" mit dem anderen Geschlecht, sondern darüber hinaus eine radikale Verwandlung, eine Metamorphose; sie kann daher als metamorphische Sprache bezeichnet werden.

"Kumt her, ir libn manen un frouen un tut das schön ma'assebuch an schouen, das noch nin weil der aulom steiht, in druk iz vordn gebracht. Mit drei hundert un etliche ma'assim, di da sein al aus di gemoro gemacht, un' ach aus den rabosso un bechai un ach rabi Jehuda hechsosid ma'assim wet eich ach keins tun felen. Un' ach aus den sefer chassidim un' sefer mussar un' aus dem jalkut wi ir wet hinten in meinen simonim tun sehn. Drum ir libn frouen, ir hot nun di teitsche bicher al vor. Itzunder hot ir ach di teitsche gemoro. Aso wet ir hobn kol ha-tauro kulo gar."

und ein bisschen weiter:

"da araus wert leinen row un rebezin un ider man"(19)

Für diese "weibliche", d. h. für die Frauen bestimmte Literatur, gab es spezifische hebräische Drucktypen, das sogenannte "vaybertaytsh"(20), das 1555 in Basel zum ersten mal benutzt wurde(21), während für die Männerliteratur die Quadratschrift und die Raschitypen (Basel, Johann Froben, 1535) gebraucht wurden, nach dem berühmten mittelalterlichen Bibelkommentator, Rabbi Salomon ben Isaak. Das heißt, dass man dem bloßen Text schon ansah, an wen er sich wendete. Und wie man sich denken kann, fiel später dem einen oder anderen Verleger ein, mit diesen Typen anders, vielleicht auch einmal spielerisch, umzugehen, und somit die Trennung zwischen Volks- und Gebildetensprache - Jiddisch und Hebräisch - Männer- und Frauentexte, zu verwischen. Dies wÜrde eine separate Untersuchung erfordern.(22) Im Falle unseres Maysebukhs aber ist eines klar: es steht auf "vaybertaytsh", also wendet es sich an Frauen und Männer, "die wie Frauen sind". Die Sache ist aber komplizierter als man meint: dem Inhalt nach nämlich ist das Buch in die Männerliteratur einzureihen. Behauptet nicht der Herausgeber in der Vorrede, seiner Leserschaft den Talmud auf Jiddisch zu liefern? Ein Werk, das man in den Talmudschulen, wo nur junge Studenten hinkommen, durch und durch studiert? Natürlich geht es hier nur um eine Auswahl aus dem erzählenden Teil des Talmud, um die Illustrierung des Gesetzes anhand von "Beispielen" oder "Exemplen". Das ist auch der Grund, wieso bis heute fraglos angenommen wurde, die Maysebukh-Sammlung sei ausschließlich von männlichen Autoren verfasst worden. Dies kann für den ersten Teil der Sammlung zutreffen, der aus Talmudgeschichten besteht, nicht aber für das ganze Erzählgut. Es gilt, diese Behauptung in Frage zu stellen und den Inhalt des Maysebukhs diesbezüglich einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Wir denken an eine Geschichte, die auf einem weitverbreiteten Motiv beruht(23), dem Tod des Bräutigams am Tag seiner Hochzeit(24). Dank der Klugheit und der religiösen Bildung seiner Braut wird der junge Ruben vom Todesengel erlöst und sein Leben um sieben Jahre verlängert. Dies wäre ein Beispiel. Und wenn man Grimms Märchen in Betracht zieht, so fällt einem die Rolle der Frauen in der Übermittlung des Erzählstoffs auf. Zu vermuten ist deshalb, dass noch weitere von Frauen erzählten Geschichten vorhanden sind. Im großen ganzen jedoch und abgesehen von einigen Ausnahmen kommen wir zur Schlussfolgerung, dass wir es im Maysebukh mit Männertexten in Frauensprache zu tun haben. Dies hat nun zwei wichtige Folgen:

1. wird dadurch den Frauen der Zugang zur "religiösen" Bildung und Kultur ermöglicht

2. müssen sich die ungebildeten, des Hebräisch-Aramäisch unkundigen Männer mit einer "Ersatzsprache und -kultur" begnügen.

Als Endresultat gilt folgendes: das Bildungsniveau der Frauen wird gehoben und durch die Übersetzung talmudisch-midraschicher Texte auf Jiddisch dringen die Frauen in die Männerwelt- und literatur ein, während umgekehrt die Männer teilweise nur über diese "Frauensprache" Eingang in ihre eigene Welt haben, und darüber hinaus auch noch zusätzlich in die Frauenwelt. Die Trennung beider Welten, der Männer- und der Frauenwelt, hängt mit der strengen Teilung der Männer und der Frauen zusammen, was die religiöse Praxis betrifft: es obliegt den Männern zu studieren, dreimal am Tag zu beten und in die Synagoge zu gehen.(25) Diese Pflichten gelten nicht für die Frau...sie wird davon befreit...oder ausgeschlossen, je nach dem Blickpunkt. Sie studiert also nicht. Es wird ihr aber hoch angerechnet, wenn sie zur Synagoge geht. Sie betet, aber von ihren Gebeten heißt es, sie seien eher individuell. Diese Tkhines auf Jiddisch bilden eine Literatur für sich, eine religiöse Frauenliteratur. Wir haben es mit einem komplexen Teilungsprozess, mit einem Prozess des Einschliessens und Ausschliessens zu tun. Wahrscheinlich hat diese Trennung mitgespielt, als die jiddische Sprache den Frauen zugeordnet wurde. Da aber alle Männer sich mit dem Studium der Heiligen Schriften befassen sollten und es nicht alle wollen oder können, kommt es zu einer internen Diskrepanz innerhalb der männlichen Gemeinschaft zwischen Gebildeten und Unwissenden, denjenigen eben, welche mit den Frauen gleichgesetzt werden. Die streng auf dem Geschlecht basierende Grenze wird nun verwischt und es entsteht eine Frau-Mann-Gemeinschaft, die sich derselben Sprache und derselben Texte bedient; was für die Frau vorteilhafter ist als für den Mann: die vom Hebräisch ausgeschlossene Frau wird nun "Herr" im eigenen Sprachhaus. Es bleibt dem des Hebräisch unkundigen Manne nur noch eins übrig: sich mit dem jiddischen Schrifttum zu trösten. Hinzu kommt, dass gewisse Frauenprobleme, die in der rabbinischen Literatur behandelt wurden, nun von den Frauen selbst gelesen werden können: ein wichtiges davon bildet die Sexualität, die in den Texten anwesend ist, aber auf Umwegen zur Sprache kommt: ich gebe Ihnen nur ein Beispiel. Es ist die erste Geschichte des Maysebukhs. Eine Frau verliert ihren Mann sehr jung, obwohl er Tag und Nacht die Tora studierte, was ihm das Leben hätte verlängern sollen. Niemand weiß, wieso, er so früh gestorben ist, nicht einmal die Rabbiner. Schließlich erfährt man den Grund, aber indirekt: der Gelehrte hat seine Frau vernachlässigt und seine sexuelle Pflicht nicht erfüllt. Was eine grosse Sünde ist. Erstens trägt er nicht dazu bei, Gottes Ebenbild auf der Welt zu verbreiten; und zweitens verhindert er die Ankunft des Messias, der somit nicht geboren werden kann. So steht es aber keineswegs im Text. Dort wird im Gegenteil darauf hingewiesen, dass ein Mann während der Menstruation seine Frau nicht berühren darf, denn sonst wird er von Gott gestraft werden und früh sterben.

Von wem aber stammt diese Erbauungsliteratur? Diese erzählende Literatur, die durch das ganze Mittelalter hindurch mündlich auf Jiddisch überliefert wurde? Diese Geschichten, die zuerst auf Hebräisch, und dann später auf Jiddisch verschriftet wurden?(26) Von den zwei- oder dreisprachigen Gebildeten natürlich, die in den überlieferten Geschichten diejenigen aussuchten, die mit der jeweiligen Zeit zusammenhingen; anhand dieser Geschichten versuchten sie, der Frau eine der Zeit entsprechende Identität zu verschaffen und sie so zu beschreiben, wie sie übrigens schon in den "Sprüchen Salomos" geschildert wurde: tugendhaft oder aber lasterhaft. Natürlich wollen sie sie tugendhaft, können aber nicht umhin, sie auch lasterhaft darzustellen, was zum gewissen Etwas beiträgt und die Leserschaft empört erschaudern lässt. Zuviel Erbauung wäre langweilig! Aber zuviel Laster gefährlich! Ein harmonisches Gleichgewicht wird dadurch geschaffen, dass das Gute letztendlich immer über das Böse siegt: die Guten werden belohnt, werden reich, haben ihren Anteil an der kommenden Welt, die Bösen schmachten im Grab und dann in der Hölle. Diese Geschichten fungieren wie ein Spiegel, in dem sich die Frau anzuschauen hat. Hinter dem Spiegel aber verbergen sich die Wünsche und Ängste des Mannes. Das vorgehaltene Muster gilt auch für die Unwissenden, die aufgefordert werden, dem Studium der Tora nachzugehen und die Gebote einzuhalten. Wozu ihnen die fromme tugendhafte Frau verhelfen wird. Als Modell stehen die frommen Rabbis aus dem Altertum und dem Mittelalter.

Die gemeinsame Sprache aber schafft ein gemeinsames Bild: das eines Ehepaares, denn die Frau erscheint immer in Begleitung ihres Mannes, ihres Gatten, oder wenn sie noch nicht verheiratet ist, ihres Vaters. Wir können dem Text ablesen, wie zu jener Zeit die Heirat eine hervorragende Rolle spielte, sowohl im Judentum als auch im Christentum. Überhaupt ist eine einsame Frau stets der Gefahr ausgesetzt, oder aber sie gefährdet den Mann. Was wird hier der Frau angeboten? Bildung, eheliches Leben, das Gebären frommer männlicher Kinder, von denen das eine der Messias sein wird. Der Durchbruch der Umgangssprache geht einher mit der Schaffung einer neuen Gattung, der mündlich überlieferten mayse, Geschichte, die nun verschriftlicht wird und den Meilenstein der Erzählprosa und der späteren jiddischen Literatur bildet. Frauenliteratur ist also, in den Augen des Mannes, eine Literatur die das Religiöse mit der Erzählung verbindet. Das beste Beispiel ist die sogenannte Frauenbibel, die Zennerenne, eine Bibel mit Kommentaren für die Frauen, und die wiederum ein Männertext ist. In dieser Frauenbibel sind sämtliche Texte vorhanden, die man auch im Maysebukh findet.(27)

Indem die Frau in den Raum der erzählenden Literatur verdrängt wird, öffnet sich für sie gleichzeitig ein Raum der Vielfalt, der Verwandlung, der Metamorphose. Der Ausgangspunkt besteht sicher darin, dass die Frau eine Verwandlung am eigenen Leibe erfährt, wenn sie schwanger wird und ein Kind gebiert.(28) Das Problem der männlichen und weiblichen Physiologie, dasjenige der Zeugung und des Gebärens so wie es im 16. Jahrhundert wahrgenommen wurde(29), wiederspiegelt sich im Maysebukh; da sind Geschichten zu finden, die sich mit dem unverständlichen Einfluss der Frau auf das Aussehen des Kindes beschäftigen. Nicht physiologisch wird dieser Faktor erklärt, sondern psychologisch: das Aussehen des Kindes hängt von den Gedanken der Frau während der Zeugung ab (Ein schwarzes Königspaar bekommt einen weißen Sohn und umgekehrt, weil die Königin jeweils Bilder an der Wand betrachtet hat, mit weißen oder schwarzen Menschen)(30). Die Frau ist diejenige, die das andere, fremde, bewirkt, in die Welt bringt. Sie verzaubert und verführt. Das unstete Bild der Frau, das sich immerfort ändert, ihr gegensätzliches Auftreten, ihre Tugenden und Laster, ihr Fleiß und ihre Faulheit, ihre Keuschheit und Geilheit, ihre Aufrichtigkeit und Verlogenheit, ihr Ausplaudern und Verleumden, ihre hohe Bildung oder hoffnungslose Stumpfsinnigkeit schaffen eine Dynamik, welche die Grenzen zwischen den Geschlechtern, den Menschen und Tieren, dem Diesseits und Jenseits, der Wirklichkeit und Wunderwelt verwischen. Die Metamorphose bildet ein idealer Untersuchungsbegriff für das "Weibliche" , denn er umfasst den Erzählungs- und Übersetzungsprozess, der zu einer erfundenen jüdisch/jiddischen Frauenidentität im XVI. Jahrhundert führt.

"Eine neue Sprache muss eine neue Gangart haben"

schrieb Ingeborg Bachmann in ihren Frankfurter Vorlesungen.(31)

© Astrid Starck (Basel)


(1) Un beau livre d'histoires. Eyn shön Maysebukh. Fac-similé de l'editio princeps de Bâle (1602). Traduction du yiddish, introduction et notes par Astrid Starck. 2 vols. (Bâle 2003).

(2) Salomon A. Birnbaum: Die jiddische Sprache (Hamburg1986) S. 1 ff.

(3) Max Weinreich: History of the Yiddsih Language. Translated by Shlomo Nobel (New York 1982) S. 29 ff.

(4) Shmuel Niger: Di tsveyshprakhikeyt fun undzer literatur (Detroit, Michigan 1941).

(5) Um den Mechanismus zu verdeutlichen, sei ein kurzes Beispiel angeführt. Der hebräische Satz beginnt mit dem Zeitwort hier malakh, er herrscht , auf das das Subjekt folgt ha-melekh, der König. Die getreue Übersetzung lautet aber: "Kinigt der kinig".

(6) Erika Timm: "Die Bibelübersetzungssprache als Faktor der Auseinanderentwicklung des jiddischen und des deutschen Wortschatzes." In: Deutsche Bibelübersetzungen des Mittelalters = Jahrbuch des deutschen Bibel-Archivs Hamburg, 9/10 (1987/88), 5975.

(7) ibid., S. 45 ff.

(8) ibid., S. 52 ff.

(9) Maysebukh, Geschichte Nr. 143.

(10) Maysebukh Nr. 145.

(11) Dov Noy: "The Jewish Versions of the 'Animal Languages' Folktale (AT 670)". In: Studies in Aggadah and Folk-Literature. Scripta Hierosolyminata 22 (1971) 171208.

(12) Maysebukh Nr. 143.

(13) Maysebukh Nr. 223.

(14) Maysebukh Nr. 199.

(15) Bertha Pappenheim: Allerlei Geschichten. Nach der Ausgabe des Maasse-Buches Amsterdam 1723.(Frankfurt am Main 1929).

(16) Dieser Hinweis kommt immer wieder in der Vorrede der Bearbeiter oder Herausgeber vor.

(17) Sigmund Freud: "Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (dementia paranoides)". Fischer Studienausgabe Bd. 7 (Frankfurt am Main 1982) S. 133 ff.

(18) Wien 1906, reprint München 1997.

(19) Jacob Meitlis: Das Ma'assebuch (Berlin 1933, reprint Hildesheim 1987) S. 23 f.

(20) Max Weinreich: Di shvartse pintelekh (Vilnius 1939) 179 ff.

(21) Das erste Buch mit "vaybertaytshn" Typen war das Sefer Daniel (Jakob Kündig, Basel 1557). Für die jiddischen und hebräischen Typen und Drucke cf Joseph Prijs: Die Basler Hebräischen Drucke (1492-1866). Ergänzt und hrsg. v. Bernhard Prijs. (Freiburg im Breisgau & Olten 1964).

(22) Hier ein kurzes Beispiel, das mit der literarischen Gattung zusammenhängt. Im Kaftor va-ferah (Knospe und Blüte. Luzzato, Basel 1580), einer auf Hebräisch verfassten Sammlung von Geschichten, Kommentaren, usw, steht der erzählende Teil in einer verkleinerten Quadratschrift, während der halachische Teil, d.h. derjenige, der sich mit dem Gesetz befasst, in vergrößerter Quadratschrift gedruckt wurde. Für die Kommentare werden Raschitypen benutzt. Es kann vorkommen, dass diese Raschitypen auch hie und da für eine Geschichte gebraucht werden, was beim Leser den Eindruck erweckt, diese Geschichte stamme von Raschi; was natürlich nicht der Fall ist.

(23) Cf Eli Yassif und seine Untersuchung dieses Märchens in: The Hebrew Folktale: History, Genre, Meaning (Sipur ha-'am ha-'Ivri). Transl. from Hebrew by Jacqueline Teitelbaum. (Bloomington 1999) S. 350: "The young man's marriage to his bride is perceived here as the best thing that could happen to him: her absolute devotion and cleverness lift the foreordained sentence; this marriage comes across as a kind of rebirth, as additional life given to him by his wife. Were it possible to corroborate via some other source, I would say that a woman must have composed this tale. It seems that only a woman, with her personal experience in the culture of the Middle Ages, could have reacted in this manner, couching her response in the language of narrative metaphor."

(24) Maysebukh Nr. 194.

(25) Übrigens dankt der fromme Jude jeden Morgen dem Allmächtigen, ihn nicht als Frau zur Welt gebracht zu haben!

(26) Sarah Zfatman: "Qavvim lidmuto shel zhaner be-sifrut yidish ha-yeshana, im gillujo shel Mayse-bukh ketav-yad Yerushalayim Hebr. 8 5245" (Das Maysebukh. Eine literarische Gattung auf Altjiddisch). In: Sifrut 28 (1979) 126152.

(27) Ashkenazi de Janow, Jacob ben Isaac: Le commentaire sur la Torah. "Tseenah Ureenah". Traduction, introduction et notes par Jean Baumgarten (Paris 1987)

(28) Cf "Qui dit métamorphose dit création et qui dit création dit maternité", in: cf. Bien dire et bien aprandre. Revue de Médiévistique. La mère au Moyen Âge. Centres d'Etudes Médiévales et Dialectales de Lille 3. (16). 1997, p. 71

(29) Manuel Simon: Heilige. Hexe. Mutter. Der Wandel des Frauenbildes durch die Medizin im 16. Jahrhundert (Berlin 1993).

(30) Maysebukh Nr. 139 und Nr. 249.

(31) Einige ihrer Gedichte wurden auf Jiddisch übersetzt. In Mordkhe Litvin: Fun der velt-poezie (Tel Aviv 2003) S. 206213.


7.2. Translation and Culture

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For quotation purposes:
Astrid Starck (Basel): Wie weiblich ist Jiddisch? Übersetzung und Metamorphose am Beispiel des Maysebuchs (Basel 1602). In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/07_2/starck15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 21.8.2004     INST