Kulturwissenschaften und Europa

Kulturprozesse und transdisziplinäre Forschungen


switch to English

Kulturprozesse umfassen sämtliche Vorgänge, in denen Menschen eine Welt an sich in eine Welt für uns umwandeln. Dazu zählen auch gruppenspezifische Normen und Regeln, Werte und Vorstellungen, Informationen und Wissen in Kommunikationsprozessen darlegen, austauschen, sich aneignen, verändern und neu schaffen. Der Rückblick auf diese Vorgänge führt zur historischen Betrachtung und Rekonstruktion der Entwicklung von kulturellen Gegebenheiten. Der Vergleich solcher Vorgänge, die in verschiedenen menschlichen Gruppen gleichzeitig stattfinden, führt zu einer kontrastiven Sichtweise, insbesonders auch beim wissenschaftlichen Arbeiten.

Komplexe Phänomene erfordern bei ihrer wissenschaftlichen Untersuchung ein komplexes Herangehen. Vor allem bei der Betrachtung soziokultureller Phänomene erweisen sich traditionelle Fächergrenzen allerdings zunehmend als ungeeignet. Wie die Diskussion verschiedener Kulturbegriffe zeigt, haben eine Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen einzelne Aspekte von Kultur (Sprache, Literatur, Gesellschaft, Geschichte, Philosophie, Erkenntnistheorie, etc.) herausgegriffen und zur Grundlage einer entsprechenden Theorie gemacht. Die Herausbildung der Kulturwissenschaften, die meist mehrere der genannten Aspekte miteinander in einem Erkenntnismodell verbinden daraus auch mächtigere Untersuchungs- und Beschreibungsmethoden ableiten, ist die logische Konsequenz eines solchen Widerspruchs zwischen Untersuchungsobjekt und Untersuchungsmethode. Doch ist der Schritt von der Monodisziplinarität zur Multidisziplinarität, also dem Nebeneinander mehrerer Theorien nicht ausreichend, auch ihre Verbindung in einem interdisziplinären Erkenntnismodell kann die jeweilige Eindimensionalität des Zugangs zum Phänomen nicht überwinden, die Beschränkungen jeder einzelnen Theorie bleiben aufrecht. Nur ein weiterer Schritt, nämlich zu transdisziplinären Ansätzen, kann zu einem umfassenden und der Komplexität des Phänomens adäquaten Herangehen führen. Eine echte und konsequente Integration von verschiedenen Theorien führt zu einer neuen Theorie auf einer höheren, emergenten Erkenntnisebene. Genau dies ist auch das Ziel unserer kulturwissenschaftlichen Forschungen. Am Beispiel der vieldimensionalen Kulturbegriffe zeigt sich aber, daß Transdisziplinarität nicht bedeutet, Unterscheidungen aufzuheben, vielmehr werden diese in ein umfassendes Erkenntnismodell integriert und zueinander in Beziehung gesetzt.

Um Kulturprozesse tatsächlich in ihrer Entstehung, Veränderung und Beeinflussung durch andere gesellschaftliche Faktoren erfassen und kulturwissenschaftlich beschreiben und vergleichen zu können, müssen auch Forschungsmethoden angepaßt und weitereintwickelt werden. So zeigt beispielsweise die Entwicklung der kulturvergleichenden Unternehmensforschung (Cross-cultural management research) der letzten Jahre, daß wirtschaftliche Prozesse nun völlig neu beschrieben werden können und wirtschaftswissenschaftliche Theorien mit kulturwissenschaftlichen Konzepten angereichert und dadurch nachhaltig verändert worden sind. Das rigide Ökonomische Denken, das mittlerweile für viele Gesellschaften der Welt zum wichtigsten Gestaltungs- und Ethikprinzip geworden ist, kann relativiert und entscheidend erweitert und verändert werden. Die Ökologiedebatte der letzten Jahrzehnte über die Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Prozesse hat dieses Umdenken bereits eingeleitet. Die Ökologisierung des wissenschaftlichen Denkens und Handelns darf aber keineswegs bei den Naturwissenschaften stehen bleiben, sondern muß die Gesellschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften ebenso erfassen, um eine transdisziplinäe Human- und Kulturökologie aufzubauen, die das ökonomische Denken nicht nur zu einem ökologischen Denken, sondern auch zu einem kulturellen Denken und Handeln weiterentwickelt. Damit ergibt sich ein umfassender und dynamischer kulturwissenschaftlicher Ansatz, auf dessen Grundlage auch real erlebte Widersprüche zwischen historisch gewachsenen Gegebenheiten und konkreten künftigen gesellschaftlichen Anforderungen und Bedingungen analysiert und konkreten Lösungen zugeführt werden können.


Kulturbegriffe
Sprache, Bilder, Numerik
Realität und Virtualität
Themenübersicht

Existiert Europa?
Informationsstrukturen
Forschungsstrukturen
Kulturwissenschaften im WWW
Kulturprozesse
Europapolitik, Zivilgesellschaften
Bildung und Ausbildung
"Culture of Peace"
Kulturaustausch
Arbeitsplätze
Architektur
Forschungsfinanzierung

© INST: Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse, 1998