Kulturwissenschaften, Europapolitiken, Zivilgesellschaften |
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Über die Rolle der Politik in heutigen Gesellschaften wird meist sehr schematisch in den europäischen Medien berichtet. Es scheint nur zwei Muster politischen Handelns zu geben: für mehr Staat, für weniger Staat.
Auch sonst ist in der medialen Berichterstattung die Politik vom Alltagsleben weit entfernt. Politisches Handeln scheint auf Parteien, kommunale und staatliche Einrichtungen beschränkt zu sein. Ein Politikverständnis im Sinne der Mitgestaltung gesellschaftlichen Lebens kommt kaum vor.
Tatsächlich ist aber in Europa der politische Spielraum in einem weiten Sinn viel größer geworden. Vor allem die Vorschriften im Privatleben werden mehr und mehr zurückgenommen. Die Eigenständigkeit, die durch die neuen Arbeitsstrukturen bedingt ist, könnte in Zukunft in weiteren Bereichen ihre Auswirkungen haben. Die Möglichkeiten der Massenmedien sind längst nicht so unbegrenzt, wie dies manchmal den Anschein hat.
In einem engeren Sinne entsprechen jedoch die politischen Möglichkeiten
keineswegs den gegenwärtigen Prozessen. Mehr und mehr sind es globale
Prozesse, die weitgehend den Alltag beeinflussen. In diesem Zusammenhang
bilden sich zwar hauptsächlich Wirtschaftsstrukturen heraus - in Europa,
im südlichen Afrika, in Amerika, in Asien, ohne alle relevanten Länder
einzuschließen. Ganz zu schweigen von einer demokratischen Mitbestimmung,
die es ermöglichen würde, auf diese transnationalen wirtschaftlichen
Prozesse durch demokratische Wahlen Einfluß zu nehmen.
Gerade im Zusammenhang mit sozialen Fragen bilden sich daher Unbehagen,
Proteststimmungen, destruktive Prozesse heraus. Elemente einer transnationalen
Zivilgesellschaft sind dagegen erst partiell entwickelt worden.
Die Kulturwissenschaften im weiten Sinne haben auf diese Entwicklungen bisher nur marginal reagiert. Zwar gibt es Möglichkeiten für Aufenthalte in anderen Ländern, eine ganze Reihe von internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften. Transnationale Wissenschaftskooperationen sind aber erst im Entstehen begriffen, eine International Science Community ist ein Ideal, dem Prinzipien zugrunde gelegt wurden, die sich aber nur bedingt in Handlungen manifestieren. Schon die Basis (Nutzung moderner Technologie wie Internet) ist nur in Ansätzen ausgebildet und beschränkt sich meist auf die moderne Form eines Briefverkehrs bzw. die Repräsentation und Werbung im Netz.
Es besteht also Handlungsbedarf für die Kulturwissenschaften, um den neuen Möglichkeiten gerecht zu werden. Ihre Rolle als Bewahrerin (auch von Internet-Dokumenten, um Beweisführungen zu gewährleisten), ihre Möglichkeiten, Diskussionen in die Bahnen rationaler Auseinandersetzungen zu lenken, das Verständnis für kulturelle Prozesse zu vertiefen, gesellschaftliche Prozesse wissenschaftlich zu begleiten, zur Vorstellungsbildung bezüglich der Gestaltung künftiger Prozesse beizutragen, muß weitgehend erst noch erarbeitet werden.
Aber es besteht in Europa auch Bedarf an Politik, die die Rahmenbedingungen schafft: die Anschaffung der notwendigen Geräte und Software ermöglicht, transdisziplinäre und transkulturelle Forschung ermöglicht (und damit die Transformation von den "Geisteswissenschaften" zu Kulturwissenschaften stützt). Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch, zwar durchaus gesellschaftlich relevante Fragestellungen vorzugeben, aber die Entscheidung für den Einsatz von Geldmitteln in absehbarer Zukunft der wissenschaftlichen Selbstverwaltung zu überlassen.
Die WissenschafterInnen sollten in Europa (so wie dies bei den jeweiligen
staatlich geförderten Forschungsförderungsfonds bereits jetzt
der Fall ist), auf der Basis von "Our Creative Diversity" selbst entscheiden,
mit welchen Methoden, Wissenschaftsorganisationsformen usw. sie arbeiten.
Eine Politik, die die Zersplitterung, die "nationale" Beschränktheit
usw. weiterhin befördert oder - als gegenteilige Variante - sich einfach
ihrer gesellschaftlichen Aufgabe entzieht, indem sie die Forschung ausschließlich
"dem Markt" überläßt, ist gescheitert. Denn entweder prolongiert
sie die Krise oder sie gibt sich selbst auf. Beides ist in diesen Zeiten
der Umbrüche unproduktiv und beschädigt die gesellschaftliche
Entwicklung und das Projekt Europa.
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