oder die Realität der Virtualität Realität und Virtualität |
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Dem Menschen ist es eigen, daß er, bevor er eine Tätigkeit
beginnt, Entwürfe des angestrebten Ergebnisses mehr oder weniger weitgehend
im Kopf entwickelt. Entwürfe, die immer wieder korrigiert werden -
in der Menschheitsgeschichte und auch im individuellen Arbeitsvorgang.
Zwischen den Entwürfen (Virtualität) und dem Tätigkeitsprozeß
(Realität) besteht also ein Spannungsverhältnis. Beide Formen
haben sich im Zuge der Menschheitsgeschichte differenziert und ausgeweitet.
Zur Entwicklung von Entwürfen wurden Hilfsmittel wie Aufzeichnungen,
Bibliotheken, Bildungsstätten, Forschungseinrichtungen usw. geschaffen.
Die Tätigkeitsprozesse werden ebenfalls durch eine Reihe von Hilfsmitteln
wie Werkzeuge, Maschinen und neuerdings durch Computer unterstützt
(wobei letztere zugleich auch bei der Anfertigung von Entwürfen dienen).
Die Entwürfe beziehen sich nun nicht nur auf Lebensmittel, Häuser, Transportmittel, sondern auch auf das Zusammenleben von Menschen, auf Gesellschaften. Besonders in diesem Bereich gibt es viele widerstreitende Interessen, Meinungen, Möglichkeiten. Und Jura Soyfer hat in seinem Stück "Astoria" gezeigt, daß zum Beispiel ein Staat durchaus erfunden werden kann und trotzdem geschichtsmächtig wird.
Geht man davon aus, daß eine "Staatserfindung" nicht nur ein Gaunerstreich ist, sondern die Themen in "Astoria" auf vielfältige gesellschaftliche Prozesse verweisen, dann könnte in diesem Zusammenhang auch über Europa nachgedacht werden.
Die Entwürfe von Europa sind vielfältig. Mit dem Logo der Ausstellung, das eine Vielzahl von Europa-Entwürfen widergibt, wollen wir darauf hinweisen. Inbesonders im heutigen Europa verweisen sie auf Fiktionalisierungen im 19. Jahrhundert (die Erfindung der "Nationalstaaten"), auf militärische Optionen ("Festung Europa"), aber auch auf Entwürfe, die unter dem Begriff "Europa" Möglichkeiten eines besseren und friedlichen Zusammenlebens zusammenfassen.
Unter "Virtualität" wird heute aber in den Medien vor allem der
Darstellung im Cyberspace verstanden. Die Ausstellung "Kulturwissenschaften
und Europa" könnte daher in zweifacher Hinsicht als "virtuell" angesehen
werden: durch ihre Plazierung im Internet und als Beitrag zu einem Entwurf
von Europa mit den spezifischen Mitteln der Kulturwissenschaften. Ob sie
(oder Teile von ihr) auch Teile der Realität werden, indem die Entwürfe
durch Tätigkeiten umgesetzt werden, wird die Zukunft zeigen.
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